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Private Streitigkeiten begründen keinen Wegeunfall

Private Streitigkeiten begründen keinen Wegeunfall
Foto: © Monika Wisniewska - stock.adobe.com

In vielfacher Weise markiert die Haus- oder Wohnungstür in unserer Rechtsordnung eine »rote Linie«. Von der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 Grundgesetz (GG) über den Schutz vor Haus- und Friedensbruch nach § 123 StGB bis hin zum kurzfristigen Widerruf von übereilt abgeschlossenen Haustür-Geschäften nach §§ 312, 355 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) – stets beantwortet sich die Frage nach Recht und Unrecht an dieser Grenze.  

Dies gilt auch für den Wegeunfall nach Unfallversicherungsrecht, wie ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 12.12.2019 ­- L 10 U 891/19 (Vorinstanz: Sozialgericht Karlsruhe vom 14.02.2019 - S 8 U 1322/18) belegt. 

Der Fall 

Ein Arbeitnehmer fuhr mit seinem Auto vom Betrieb nach Hause. Dabei fiel ihm ein Radfahrer auf, der über die gesamte Fahrbahnbreite vor ihm schwankte. Er überholte den Radfahrer und stellte ihn, als dieser an der Hofeinfahrt zum Haus des Arbeitnehmers eintraf, deswegen zur Rede. In den nächsten Minuten entspann sich zwischen den beiden ein kontroverses Wortgefecht, in dessen Verlauf sich der Arbeitnehmer vor den Attacken des Radfahrers zunächst noch schützen konnte, indem er in sein am Haus abgestelltes Auto sprang und die Fahrertüre flugs hinter sich zuzog. 

In der irrigen Erwartung der Radfahrer habe sich letztlich entfernt, stieg der Arbeitnehmer dann aus seinem Auto und öffnete die Haustüre. Dabei sah er sich erneut einer Attacke des Radfahrers ausgesetzt, der, nunmehr mit einem Besenstiel bewaffnet, zum Haus des Arbeitnehmers zurückgekehrt war und nach Passieren der Haustüre im Flur massiv auf den völlig überraschten Arbeitnehmer einschlug. Der verprügelte Arbeitnehmer zog sich mehrere Schlagverletzungen vorwiegend am Kopf zu.  

Die hieraus auf Leistungen in Anspruch genommene Berufsgenossenschaft (BG) verneinte – zuletzt mit Widerspruchsbescheid vom April 2018 – das Vorliegen eines Arbeits- beziehungsweise Wegeunfalls, da die Verletzungen des heimkehrenden Arbeitnehmers einzig und allein das Resultat einer privaten Auseinandersetzung ohne jedweden beruflichen Bezug gewesen seien. 

Die Entscheidung 

Sowohl das Sozialgericht Karlsruhe als auch das Landessozialgericht Baden-Württemberg bestätigten die Berufsgenossenschaft als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung in ihrer Rechtsauffassung. Der verletzte Arbeitnehmer unterlag umfassend. 

Die ablehnende Entscheidung aus dem Berufungsurteil des LSG begründet sich wesentlich darauf, dass sich der Arbeitnehmer zwar auf dem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII geschützten Heimweg befunden habe, der Überfall des Radfahrers aber nicht dem Schutzzweck der Norm unterfalle. 

Die Türe, so das LSG weiter, stelle die Grenze zum unversicherten (privaten) Bereich dar. Auch zwei »Haustür«-Entscheidungen des Bundessozialgerichts aus 1962 und 1973 führten, so das LSG, zu keinem anderen Ergebnis. 

So habe es in dem hier aktuell zu entscheidenden Fall keine externe fortgesetzte Bedrohungslage gegeben, da der Arbeitnehmer seine Haustüre im Zeitpunkt der Verletzung bereits durchschritten habe (dazu: BSG vom 29.05.1962 - 2 RU 170/59). 

Auch habe keine Fallkonstellation vorgelegen, wie sie das BSG mit Urteil vom 12.10.1973 - 2 RU 167/72) bereits entschieden hatte: der Geschädigte stolperte im inneren (gleich unversicherten) Bereich des Hauses und stürzte danach aber außerhalb des Hauses, mithin im versicherten Bereich zu Boden mit entsprechenden Verletzungsfolgen. 

Systematische Einordnung des Urteils 

Die Entscheidungen der baden-württembergischen Sozialgerichtsbarkeit, insbesondere des LSG vom Dezember 2019, führen nicht nur die eingangs angeführte »Haustür«-Rechtsprechung des BSG konsequent fort.  

Auch mit Urteil vom 18.06.2013 – B 2 U 10/12 – hat das BSG, als es einer Frau, die auf dem morgendlichen Weg zur Arbeit von ihrem Ex-Bekannten aus rein privaten Motiven in einer Tiefgarage angegriffen und verletzt wurde, den Wegeunfallschutz versagte, seine seit nunmehr 60 Jahren gefestigte Rechtsprechung gefestigt und bestätigt. 

Allenthalben tätliche Auseinandersetzungen mit betrieblichem Bezug können, wenn sie auf dem Heimweg in Körperverletzungen ausarten, den Gedanken an den Schutz der Unfallversicherung aus Wegeunfall rechtfertigen. 

Quelle/Text: Dr. jur. Kurt Kreizberg

Urteil: Lesen Sie auch »Wegeunfall mit dem Job-Rad« >>

Über den Autor

Dr. jur. Kurt Kreizberg
Rechtsanwalt in Solingen
seit 2013: Lehrbeauftragter für Arbeits- und Sozialrecht an der FOM Essen
seit 2016: Autor des Loseblatt-Kommentars (Carl Heymanns Verlag)
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