Im Sommer 2021 haben der Deutsche Bundestag in Berlin und das Bundessozialgericht in Kassel eine Regelungslücke im Unfallversicherungsrecht geschlossen, die durch die Zunahme der Homeoffice-Tätigkeit erst richtig evident und im wahrsten wie übertragenen Sinne als besonders schmerzlich empfunden wurde.
Wegeunfall-Novelle im Betriebsrätemodernisierungsgesetz
An einer Stelle, die selbst besonders findige Juristen kaum für möglich gehalten hätten, hat der Bundesgesetzgeber, gewissermaßen „auf den letzten Drücker“ im Sommer 2021 eine Korrektur im Wegeunfallrecht des SGB VII (Recht der gesetzlichen Unfallversicherung) vorgenommen.
In einer vergleichsweise späten Phase des Gesetzgebungsverfahrens hat das „Gesetz zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Welt“, (BGBl. Teil I, Nr. 32 vom 17.06.2021, Seite 1762 ff.) kurz: Betriebsrätemodernisierungsgesetz, einen zusätzlichen Art. 5 erhalten, der den für das Wegeunfallrecht einschlägigen § 8 SGB VII maßgeblich erweitert.
Vom alten zum neuen Recht
Während sich § 8 Abs. 1 SGB VII in der bis Juni 2021 geltenden Fassung im Wesentlichen darauf beschränkte, dem Leser zu erklären, was denn Arbeitsunfälle sind und wie sich der Begriff „Unfall“ definiert“, enthält § 8 Abs. 1 SGB VII nunmehr durch einen neuen Satz 3 eine Art Homeoffice-Klausel. Danach gilt folgendes:
Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.
Hinsichtlich der Motivation von Bundestag und Bundesrat zu dieser Erweiterung ist den Erläuterungen aus dem Gesetzgebungsverfahren folgendes zu entnehmen (BT-Drs. 19/29819 vom 19.05.2021, S. 17 - 18, Beschlussempfehlung und Bericht des Arbeits- und Sozialausschusses des Deutschen Bundestages).
Diese Wege sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf der Unternehmensstätte versichert, im Homeoffice nicht.
Damit gibt es seit Inkrafttreten der Neuregelung keine zweigeteilten Belegschaften, die teils im Betrieb, teils im Homeoffice fürchten müssen, bei einer exakt gleichen Unfallsituation (Stolpern über Druckerkabel oder Teppichböden) unfallversicherungsrechtlich unterschiedlich behandelt zu werden. Für Mitarbeiter bedeutet dies mehr Rechtssicherheit.
Aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
In ihrer Entscheidung vom 8. Dezember 2021 (B 2 U 4/21 R) haben die Richter des 2. Senats des BSG über einen Homeoffice-Unfall entschieden, bei dem ein Versicherter, ohne zuvor noch ein Frühstück einzunehmen, auf dem direkten Weg von seinem Schlafzimmer in sein häusliches Büro auf einer im Haus verbauten Wendeltreppe ausrutschte und sich einen Brustwirbel brach.
Während seine vor dem Sozialgericht Aachen erhobene Klage auf Feststellung eines Arbeitsunfalls noch erfolgreich war (Urteil vom 14.06.2019 – S 6 U 5/19), obsiegte in der Berufung zum Landessozialgericht NRW in Essen der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (Urteil vom 09.11.2020 – L 17 U 487/19).
Wesentliche Argumente aus dem BSG-Urteil
Mit ihrer Revisionsentscheidung, der ja noch das Recht aus der Zeit vor der Homeoffice-Klausel in § 8 Abs. 1 SGB VII zugrunde lag, haben die Kasseler Richter die erstinstanzliche Entscheidung des SG Aachen im Kern bestätigt. Dabei konnten die Richter des 2. Senats, auch ohne die jüngere Homeoffice-Klausel aus § 8 SGB VII zu bemühen, auf ihre eigene Rechtsprechung zurückgreifen, als sie feststellten:
Ausnahmsweise ist ein Betriebsweg auch im häuslichen Bereich denkbar, wenn sich Wohnung und Arbeitsstätte im selben Gebäude befinden (Urteil vom 05.07.2016 – B 2 U 5/12 R). Ob ein Weg als Betriebsweg im unmittelbaren Unternehmensinteresse zurückgelegt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, bestimmt sich auch im Homeoffice nach der objektivierten Handlungstendenz des Versicherten, also danach, ob dieser bei der zum Unfallereignis führenden Verrichtung eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (Urteil vom 31.08.2017 - B 2 U 9/16 R).
Praktische Bedeutung für die betriebliche Praxis
Könnte man das Urteil des BSG vom Dezember 2021 noch als Einzelfallentscheidung betrachten, verhalten sich die Dinge bei der Homeoffice-Klausel in § 8 SGB VII inzwischen anders.
Die kurzfristige Freude der Betriebe, ihre Beschäftigten auch im Homeoffice umfassend unfallversicherungsrechtlich gesichert zu sehen, wird auf mittlere Sicht der Erkenntnis weichen, dass sich das Wegeunfallgeschehen vom innerbetrieblichen Arbeitsweg klassischer Art (vom Schreibtisch zum Drucker im Nachbarraum) in die Wohnung des Mitarbeiters verlagert. Dies hat auch Folgen bei den Beiträgen zur GUV, die ja allein von den Betrieben aufgebracht werden müssen.
Während der Arbeitgeber beim Wegeunfall auf dem Betriebsgelände noch Abhilfe schaffen kann, hat er faktisch keine Möglichkeit zu tiefgreifenden Arbeitsschutz- und Präventionsmaßnahmen in der Wohnung des Mitarbeiters. Das unvorsichtig verlegte Druckerkabel im Betrieb hat eine andere Qualität als der achtlos in den Laufweg gestellte Papierkorb in der Privatwohnung.
Der Bundesgesetzgeber wird kurzfristig nicht umhinkommen, bei Beachtung des Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) den Homeoffice-Beschäftigten verstärkte Informationspflichten gegenüber ihrem Arbeitgeber aufzuerlegen, damit dieser, ohne die Wohnung betreten zu dürfen, weiß, wie es dort um den Arbeits- und letztlich auch Unfallversicherungsschutz bestellt ist.
Eine Situation, in der die Betriebe weiterhin durch ihre Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung für Homeoffice-Unfälle aufkommen müssen, ohne deren Ursachen abstellen zu können, kann auch verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen.
Die Tatsache, dass auch „Vater Staat“ in gleicher Weise als Arbeitgeber betroffen ist, gibt zu vagen Hoffnungen Anlass.
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