Fachbeitrag  Recht und Urteile, Arbeitssicherheit  

Wegeunfall mit dem Job-Rad

Wegeunfall mit dem Job-Rad
Foto: © Piotr Marcinski - stock.adobe.com

»Verkehrsminister Wissing will Deutschland zum Fahrradland machen« – so lautete Mitte August 2022 im unmittelbaren Anschluss an den 60. Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar die Überschrift in einer großen deutschen Tageszeitung. Welche rechtlichen Hürden unter anderem aus dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung dabei noch zu überwinden sein werden, verdeutlicht eine Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 21.10.2021 (Az: L 1 U 779/21, Vorinstanz: SG Ulm, Urteil vom 19.01.2021 –S 7 U3981/18-), die wegen Verzicht auf die zugelassene Revision inzwischen rechtskräftig ist. 

Der Fall 

Ein Unternehmen im »Ländle« hatte bereits im Jahr 2017 seiner Belegschaft auf freiwilliger Basis sogenannte Job-Räder zur privaten Nutzung wie auch für den Weg zur und von der Arbeitsstelle zur Verfügung gestellt.  

Die hochwertigen Räder im Wert von über 4.000,00 Euro bezog der Betrieb von einem Leasingunternehmen. Der Mietzins für ein solches Rad (knapp 120,00 Euro mtl.) wurde Mitarbeitern, die das Angebot nutzten, vom Gehalt abgezogen.  

Mit der betriebsinternen Weitervermietung war die vertragliche Auflage des Arbeitgebers für die jeweiligen Nutzer verbunden, einmal pro Jahr in einem vom Arbeitgeber benannten Betrieb eine Jahresinspektion am Job-Rad durchführen zu lassen. Die Inspektionskosten (70,00 Euro) wurden dem dergestalt verpflichteten Mitarbeiter vom Arbeitgeber erstattet. 

Auf dem Heimweg von einem solchen mietvertraglich vorgegebenen Inspektionstermin kam eine Mitarbeiterin mit ihrem Job-Rad schwer zu Fall, weil ein unachtsamer Autofahrer, auf dem Parkstreifen stehend, die Fahrertüre öffnete, ohne den rückwärtigen Fahrradverkehr zu beachten.  

Knie- und Beinverletzungen sowie eine mehrmonatige Arbeitsunfähigkeit waren die Folge. Die daran anknüpfende Rechtsfrage, ob es sich bei dem Unfall um einen Arbeitsunfall in der Form des Wegeunfalls handele, würde von der anschließend auf Leistungen in Anspruch genommenen Berufsgenossenschaft ebenso verneint, wie vom Sozialgericht Ulm. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg war (inzwischen rechtskräftig) anderer Meinung. 

Die Entscheidung 

Das LSG hat die Antwort darauf, ob es sich um einen Arbeits- gleich Wegeunfall gehandelt habe, zunächst an der Frage festgemacht, ob die verunfallte Arbeitnehmerin im Zeitpunkt des Unfalls eine versicherte Tätigkeit ausgeübt habe.  

Dies hat das LSG letztlich bejaht, da die Einbringung in und Abholung vom Inspektionstermin ein (Zitat) »Handeln mit gemischter Motivationslage« darstellte. 

Dabei schlägt das Pendel zwischen privater und dienstlicher Verrichtung stets in Richtung der dienstlichen Verrichtung aus, wenn auszuschließen ist, dass ein Unfallopfer den Weg zur/von der Fahrradinspektion auch unter privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten wahrgenommen hätte. 

Entscheidend war somit die dem Arbeitgeber gegenüber bestehende mietvertragliche Verpflichtung zur Jahresinspektion, zudem in einem vom Arbeitgeber vorgegebenen Betrieb und letztlich auch auf Kosten des Arbeitgebers.  

Die Inspektions-Verpflichtung aus dem Fahrrad-Mietvertrag war, so das LSG, letztlich ein Teilsegment des Arbeitsvertrages, ohne den es gar nicht erst zum Job-Rad gekommen sei. Demnach war letztlich auch der Heimweg vom Inspektionstermin ein Arbeitsweg im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. 

Empfehlung für die betriebliche Praxis

Bei der Ausgestaltung betriebsinterner Nutzungsverträge für extern beschaffte Mobilität (kann auch ein E-Scooter sein) sollte auf eine möglichst enge Bindung an das prägende Arbeitsvertragsverhältnis geachtet werden. Das betriebliche Interesse an der Mobilität muss eindeutig im Vordergrund stehen.  

Die private Nutzung des Geräts in der Freizeit ist dann lediglich ein Nebeneffekt, der aber, wie auch schon bei Dienst- und Geschäftswagen mit privater Nutzungserlaubnis üblich, über entsprechende Gehaltsabzüge abgedeckt wird.

Quelle/Text: Dr. jur. Kurt Kreizberg

Recht: Lesen Sie auch »Eignungstests ohne gesetzlichen Unfallschutz« >>

Über den Autor

Dr. jur. Kurt Kreizberg
Rechtsanwalt in Solingen
seit 2013: Lehrbeauftragter für Arbeits- und Sozialrecht an der FOM Essen
seit 2016: Autor des Loseblatt-Kommentars (Carl Heymanns Verlag)
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