Fachbeitrag  Arbeitssicherheit  

Baustellenverordnung: Erste Novelle nach mehr als zwei Jahrzehnten

Novelle der Baustellenverordnung
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Handwerker, Architekten und Bauherren können sich in aller Regel darauf verlassen, dass nach dem Ablauf der Gewährleistungs- und Verjährungsfristen gemäß der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) und dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) keine Nachbesserungen aus Mängelrügen mehr anstehen und das Bauwerk als ordnungsgemäß erstellt angesehen werden darf.  

Ein »blauer« Brief aus Brüssel hat der Bundesregierung bereits im Juni 2021 deutlich gemacht, dass für das EU–basierte Arbeitsschutzrecht andere Maßstäbe gelten und eine Novelle der Baustellenverordnung vom Juni 1998 nunmehr unabweisbar ist.  

Dem hat die Ampel-Regierung jetzt Rechnung getragen (BGBl. I Nr. 1 vom 04. Januar 2023). Die unter dem Datum vom 19. Dezember 2022 novellierte Baustellenverordnung (BaustellV) tritt am 1. April 2023 in Kraft. 

Notwendigkeit der Novelle 

Wie die Europäische Kommission festgestellt hat, ist die Bauwirtschaft in Europa unverändert der Wirtschaftszweig mit der höchsten Zahl an Todesfällen bei der Arbeit. Mit knapp 50 meldepflichtigen Unfällen pro 1.000 Vollbeschäftigten im Jahr 2021 im Vergleich zu knapp 20 meldepflichtigen Unfällen in der übrigen Wirtschaft und im öffentlichen Dienst nahm auch die deutsche Bauwirtschaft im nationalen Vergleich einen traurigen Spitzenplatz ein (Quelle: DGUV). 

Zielvorgaben der EU–Kommission 

Die EU-Kommission überprüft jede Umsetzung von EU-Recht auf Termintreue und Vollständigkeit. Die Tatsache, dass die deutsche BaustellV vom Juni 1998 auf der Basis der einschlägigen Richtlinie 92/57/EWG vom Juni 1992 bis dato über mehr als zwei Jahrzehnte unbeanstandet blieb, hindert die Kommission nicht, gleichwohl detailliert beschriebene Nachbesserungen anzumahnen und ein Unterschreiten des vorgegebenen Levels mit Sanktionen zu belegen. 

Wesentlicher Inhalt der Novelle 

In § 2 Abs. 2 Sätze 1 und 2 sowie § 3 Abs. 1 Satz 1 wird aus rechtlichen Gründen unmittelbar auf den Normadressaten, den Verantwortliche nach § 4, verwiesen, was entsprechende Verweise in § 7 (alt) entbehrlich macht. 

Mit § 2 Abs. 4 wurde eine Unterrichtungspflicht des nach § 4 Verantwortlichen geschaffen. Diese Pflicht gilt für Baustellen, auf denen jeder Beschäftigte für denselben Arbeitgeber tätig wird und für die eine Vorankündigung zu übermitteln ist. 

Gleiches gilt für den Fall, dass auf der Baustelle besonders gefährliche Arbeiten nach Anhang II ausgeführt werden. Mit der neuen Unterrichtungspflicht soll, so die amtliche Begründung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), gewährleistet werden, dass dem Arbeitgeber für seine Gefährdungsbeurteilung sämtliche Informationen über diejenigen Umstände auf dem Baustellengelände vorliegen, die er auf Baustellen, auf denen Beschäftigte mehrerer Arbeitgeber tätig werden und für die eine Vorankündigung zu übermitteln ist bzw. auf denen besonders gefährliche Arbeiten nach Anhang II ausgeführt werden, dem Sicherheits- und Gesundheitsplan (SiGe-Plan) entnehmen kann. 

Diese Unterrichtungspflicht wird in § 5 Abs.1 der novellierten BaustellV mit den Arbeitsschutzmaßnahmen des Arbeitgebers verknüpft. 

In § 3 Abs. 3 Nr. 3 (neu) wird gemäß der bereits heute geltenden Rechtslage klargestellt, dass der SiGe-Plan bei Änderungen in der Ausführung des Bauvorhabens, die sich auf die weitere Koordination auswirken, anzupassen ist.  

Das gleiche Ziel verfolgt die Änderung in § 5 Abs. 1 Nr. 6 (neu), der zufolge der Arbeitgeber die erforderlichen Arbeitsschutzmaßnahmen in Bezug auf die Ausführung besonders gefährlicher Arbeiten gemäß Anhang II zu treffen hat. 

Für die betriebliche Praxis (zunächst noch) von eher nachgeordneter Bedeutung ist die im § 6 a der novellierten Verordnung angelegte Erweiterung des Aufgabenkreises für den bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Dresden angesiedelten Arbeitsstätten-Ausschuss (ASTA) als Beratergremium des BMAS. 

Bewertung und Ausblick 

Auf den ersten Blick tangiert die Novelle der Baustellenverordnung nur die Gewerke des Bau- und Bauausbaugewerbes sowie die für Bauausführungen Verantwortlichen, also auch Architekten und Bauherren. In der Sache ist sie »alternativlos«, weil ansonsten spürbare Sanktionen aus Brüssel drohen. 

Die in § 6 a BaustellV angelegte Zuständigkeitserweiterung für den ASTA lässt jedoch erwarten, dass es mit der soeben vollzogenen Novelle der BaustellV nicht sein Bewenden haben wird. Von den derzeit zwanzig Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR »A«) sind nicht weniger als vierzehn ASRen im jeweils letzten Abschnitt mit (Zitat) »abweichenden/ergänzenden Anforderungen für Baustellen« ausgestattet. Die ASR A5.2 »Straßenbaustellen« deckt das Thema sogar komplett ab.  

Es ist also durchaus zu erwarten, dass der ASTA mit nunmehr erweitertem Mandat alsbald und dann auch mit Auswirkungen weit über die Baubranche hinaus bei den ASRen neue »Baustellen« eröffnen wird. Dann wiederum ist die deutsche Wirtschaft in ihrer Gesamtheit und ohne Unterschied gefordert. 

Quelle/Text: Dr. jur. Kurt Kreizberg

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Über den Autor

Dr. jur. Kurt Kreizberg
Rechtsanwalt in Solingen
seit 2013: Lehrbeauftragter für Arbeits- und Sozialrecht an der FOM Essen
seit 2016: Autor des Loseblatt-Kommentars (Carl Heymanns Verlag)
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