Am 21. August 2021 jährt sich zum 25. Mal der Tag des Inkrafttretens des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG). Ein Rück- und Ausblick auf diese wichtige Gesetzgebung und ihre Historie.
Auf den Fundamenten der EU-Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie 89/391/EWG vom 12. Juni 1989 aufbauend, hat das Arbeitsschutzgesetz in den turbulenten Zeiten der deutschen Wiedervereinigung (1990 ff.) und nach einem fulminanten Fehlstart im Jahr 1994 seitdem das Arbeitsschutzrecht im geeinten Deutschland maßgeblich geprägt.
Transfer europäischen Rechts
Als die Rahmenrichtlinie im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. Nr. L 183/1 vom 29. Juni 1989) veröffentlicht wurde, hätte sich kaum jemand träumen lassen, dass gut vier Monate später eine friedliche Revolution in der DDR das Tor zur Wiedervereinigung weit öffnen und damit auch eine Ausdehnung europäischen Rechts bis an die Oder bewirken würde.
Die vorgesehene Frist (31.12.1992) zur Umsetzung der Richtlinie fiel, von der EU-Kommission zunächst noch stillschweigend toleriert, den enormen Herausforderungen der sich abzeichnenden Wiedervereinigung zum Opfer.
Fehlstart im ersten Anlauf
Der Versuch des Bundesarbeitsministeriums (BMAS), die notwendige Europäisierung des Arbeitsschutzrechts unter der Zielvorgabe „Menschengerechte Gestaltung der Arbeitswelt“ mit einer Ausweitung der Vorschriften zur arbeitsmedizinischen Vorsorge zu verknüpfen –und dies mit erheblichen Anforderungen an die betriebliche Praxis – scheiterte im Sommer 1994 sowohl am Widerstand der Wirtschafts-und Arbeitgeberverbände als auch an maßgeblichen Vertretern der damaligen Regierungskoalition von Union und FDP.
Neustart nach der Bundestagswahl 1994
Vom bürokratischen und arbeitsmedizinischen Ballast befreit, konnte schließlich der im Jahre 1995 präsentierte Regierungsentwurf eines Arbeitsschutzgesetzes im August 1996 - und damit über dreieinhalb Jahre nach der vorgegebenen Frist - das Bundesgesetzblatt erreichen.
Seither haben knapp zwei Dutzend Novellen, weit überwiegend in dem Bereich, der die Aufsichtsbehörden und die Unfallversicherung berührt, für eine stetige Weiterentwicklung des Gesetzes gesorgt, zuletzt in Gestalt des Arbeitsschutzkontrollgesetzes vom 22. Dezember 2020.
Relevante Vorschriften für die betriebliche Praxis
Für die betriebliche Praxis und die von ihr täglich aufs Neue zu beantwortende Frage „Wie funktioniert der Arbeitsschutz im Unternehmen?“ sind von besonderer Bedeutung die Vorschriften der Abschnitte 2 und 3 mit den §§ 3 bis 17.
Gemessen an den Turbulenzen, die die noch akute Corona-Pandemie z. B. im Infektionsschutzgesetz (IfSG) ausgelöst hat (12 Novellen in 12 Monaten), nicht zu reden von den teilweise im Wochentakt novellierten Corona-Schutzverordnungen des Bundes und der Länder, hat sich das Arbeitsschutzgesetz in den vergangenen 25 Jahren in deutlich ruhigeren Intervallen entwickelt.
Nachdem für die Dokumentationspflicht aus § 6 ArbSchG zu Beginn sogar noch ein einjähriger Karenzzeitraum eingeräumt war und auch danach – noch bis zum Herbst 2013 – Betriebe mit maximal zehn Beschäftigten von dieser Pflicht gänzlich ausgenommen waren, hat sich auch in den vergangenen sieben Jahren hiergegen kein erheblicher Widerstand entwickelt.
Auch die Tatsache, dass durch die zur Jahreswende 2020/2021 vollzogene Novelle von § 22 Abs. 1 Satz 2 ArbSchG die staatlichen Arbeitsschutzbehörden die Dokumentationspflicht des § 6 noch auf die Zusammenarbeit mehrerer Betriebe gemäß § 8 ArbSchG erweitern können, hat soweit erkennbar keinen Sturm der Entrüstung z. B. im Bau- und Bauausbaugewerbe ausgelöst.
War das Arbeitsschutzgesetz zunächst im Wesentlichen auf die körperliche Unversehrtheit der Beschäftigten fixiert, trat im Laufe der Jahre auch unter dem Eindruck veränderter Rahmenbedingungen bei Frühverrentungen das Phänomen der psychischen Belastungen in den Vordergrund.
Die Erweiterung der Vorschrift des § 5 (Gefährdungsbeurteilung) um eine Ziffer 6 im Oktober 2013 trug dem entsprechend Rechnung.
Ein Blick in die Zukunft
Wirkten im Jahre 1996 die Regelungen für Bildschirmarbeitsplätze angesichts der damals noch geringen Verbreitung von PCs oder gar Laptops leicht exotisch, hat spätestens die Intensivierung der Homeoffice-Arbeit unter Corona-Bedingungen die rechtlichen und tatsächlichen Grenzen des „betrieblichen“ Arbeitsschutzes sichtbar gemacht.
So wird sich der Gesetzgeber wohl alsbald mit der Frage beschäftigen müssen, wie – bei Beachtung der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) – gleichwohl eine arbeitsschutzkonforme Gestaltung von Homeoffice-Arbeitsplätzen gewährleistet werden kann.
Wer weiterhin die Privatwohnungen der Beschäftigten vor dem Zutritt des Arbeitgebers schützen will, wird sich zum Ausgleich für diese verfassungsrechtlich gebotene Kontroll-Lücke mit einer Verstärkung einschlägiger Berichts-, Melde- und Informationspflichten der Homeoffice-Arbeitnehmer befassen müssen, um dem Arbeitgeber arbeitsschutzrelevante Informationen zu gewähren, die er sich aus eigener Anschauung nicht verschaffen kann.
Dann kann, wie an der stetig sinkenden Zahl von – auch tödlichen – Berufs- und Wegeunfällen abzulesen ist, das Arbeitsschutzgesetz auch in Zukunft seiner Funktion vollauf gerecht werden.
Quelle/Text: Dr. jur. Kurt Kreizberg