Das beliebteste Getränk der Deutschen ist, so eine Nachricht des Norddeutschen Rundfunks (NDR) vom Oktober 2020, der Kaffee. Rund 150 Liter trinkt jeder durchschnittlich pro Jahr. Kaffee kann sich zudem, wie britische Forscher anhand von mehr als 200 Studien ermittelt haben, durchaus positiv auf die Gesundheit auswirken. Gesundheitsgefahren drohen jedoch auf dem Weg zum Getränkekautomaten, um einen Kaffee zu holen. Die Sozialgerichtsbarkeit in Hessen hatte sich vor kurzem mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein Sturz auf dem Weg zum Automaten als Arbeitsunfall zu werten sei.
Der Fall
Eine Verwaltungsangestellte rutschte auf dem Weg zu dem im Sozialraum ihrer Dienststelle (Finanzamt) stehenden Getränkeautomaten auf nassem Boden aus und erlitt einen Lendenwirbelbruch. Bei der zuständigen Unfallkasse Hessen begehrte sie daraufhin, das Schadensereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Diese lehnte Leistungen der Unfallversicherung ab mit der Begründung, der Versicherungsschutz ende regelmäßig mit dem Durchschreiten der Kantinentür, zumal jedwede Nahrungsbeschaffung und Nahrungsaufnahme, auch während der Arbeitspausen, dem privatwirtschaftlichen, mithin nicht versicherten Bereich zuzurechnen sei.
Die Entscheidung
Während in der ersten Instanz noch die Unfallkasse Hessen mit ihrer ablehnenden Entscheidung obsiegte, gewann die Mitarbeiterin des Finanzamtes in der zweiten Instanz.
- Sozialgericht Fulda vom 29. Oktober 2021 – S 8 U 78/21
- Landessozialgericht Hessen vom 21. Februar 2023 L 3 U 202/21
In seiner Entscheidung, für die das Hessische Landessozialgericht (LSG) in Darmstadt allerdings die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) in Kassel zugelassen hat, hat das LSG hervorgehoben, dass im vorliegenden Fall der für die Bejahung eines versicherten Arbeitsunfalls erforderliche innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit der Angestellten bestanden habe.
Sei ein Beschäftigter, so das LSG weiter, auf dem Weg, um sich Nahrungsmittel zum alsbaldigen Verzehr zu besorgen, sei er grundsätzlich gesetzlich unfallversichert. Letzteres gelte demnach nicht für den Kauf von Lebensmitteln für den häuslichen Bereich.
Ebenso sei die Nahrungsaufnahme selbst dem privaten Lebensbereich zuzurechnen und somit grundsätzlich ebenfalls vom gesetzlichen Unfallversicherungsschutz ausgenommen.
Der Unfallversicherungsschutz ende nach Ansicht der hessischen Berufungsrichter jedoch nicht an der Tür zum Sozialraum, der sich innerhalb eines Betriebsgebäudes (hier also des Finanzamtes) befinde. Dieser Raum gehöre eindeutig zum Verantwortungsbereich des Arbeitgebers. Darüber hinaus sei der Sozialraum zum Zeitpunkt des Unfalls auch nicht als Kantine beziehungsweise zur Nahrungsaufnahme genutzt worden, mit der Konsequenz, dass der Unfallversicherungsschutz wie am Arbeitsplatz fortbestehe.
Ergänzende Hinweise
Auch unter den veränderten Bedingungen des zumeist Corona-bedingten Homeoffice hat sich die bis zum Jahr 2018 zumeist noch ablehnende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) dahingehend verändert, dass für die Feststellung eines Arbeitsunfalls nicht mehr vorrangig auf die eher quantitativ zu bestimmende Häufigkeit der betrieblichen oder privaten Nutzung des konkreten Unfallorts abzustellen sei, BSG vom 27.11. 2018 – B 2 U 8/17 R und B 2 U 28/17 R. Maßgeblich ist vielmehr die objektivierte Handlungstendenz des Versicherten.
Im zweiten Schritt ist dann zu prüfen, ob diese Handlungstendenz durch objektive Tatsachen erhärtet wird, wie zum Beispiel den Unfallzeitpunkt, den konkreten Ort des Unfalls sowie die objektive Zweckbestimmung des Handelns als äußere Indizien.
Vor diesem Hintergrund darf mit Spannung erwartet werden, wie der für das Unfallversicherungsrecht zuständige 2. Senat des BSG den Fall bewertet.
Eine Entscheidung bereits heute vorherzusagen, würde, um im thematischen Kontext des Unfalls zu bleiben, dem »Lesen im Kaffeesatz« gleichkommen.
Quelle/Text: Dr. jur. Kurt Kreizberg
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