In den vergangenen Jahren sind sie uns bei verschiedensten Katastrophen und Schadensereignissen immer wieder begegnet: die ehrenamtlichen Helfer vom Deutschen Roten Kreuz (DRK), den Maltesern, den Johannitern, dem THW sowie International Search-and-Rescue (I.S.A.R). und weiteren Organisationen. Ob beim Sommer-Hochwasser 2021 an Ahr, Erft und Mosel oder wie zuletzt beim Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet leisten sie selbstlos Hilfe, oftmals unter größten Gefahren für das eigene Leben und die eigene Gesundheit.
Niemand würde auf die Idee kommen, derartige Tätigkeiten vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung auszuklammern. Doch wo liegen die Grenzen dieses Schutzes, der versicherungsrechtlich kein Schutz ist, basierend auf einem Beschäftigungsverhältnis? Der für das Unfallversicherungsrecht zuständige zweite Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat hierauf unlängst eine verlässliche Antwort gegeben (BSG vom 08. Dezember 2022 – B 2 U 14/20/R).
Der Fall
Der Vorsitzende eines DRK-Ortsvereins in Baden-Württemberg war auf der Fahrt zur Generalversammlung eines anderen Ortsvereins, wo er ein Grußwort sprechen sollte, verunglückt. Für diese Fahrt, auf der der DRK-Ortsvorsitzende von weiteren Vereinsmitgliedern begleitet wurde, wurde ein Mannschaftsbus des DRK-Ortsverbandes benutzt. Nach den insoweit unstreitigen Feststellungen des Landessozialgerichts Baden-Württemberg als Berufungsinstanz, gehörten derartige wechselseitigen Besuche zur gelebten und gängigen Praxis des ehrenamtlich organisierten Helferkreises. Die zuständige Unfallversicherung Bund und Bahn sah sich nach dem Unfall mit der Forderung nach Schadensliquidation aus einem Arbeitsunfall konfrontiert, was diese aber verneinte.
Die Vorinstanzen, nämlich
- das Sozialgericht Freiburg mit Urteil vom 20.11.2018 – S 13 U 3581/17 und
- das Landessozialgericht Baden–Württemberg mit Berufungsurteil vom 30.04.2020 – L 10 U 4485/18
bestätigten hingegen die Sichtweise des DRK-Ehrenamtlichen, wonach das Unfallereignis als Arbeitsunfall zu werten sei. Dem folgte in der Revisionsinstanz auch das BSG.
Die Entscheidung
Der Versicherungsschutz ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 12 Sozialgesetzbuch (SGB) VII.
Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen, sind danach kraft Gesetzes unfallversichert.
Versichert sind, so das BSG weiter, nicht nur Hilfetätigkeiten in Unglücksfällen, sondern auch sonstige Tätigkeiten, die den Zwecken des Hilfsdienstes wesentlich dienen.
§ 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII schützt umfassend die unentgeltliche, insbesondere ehrenamtliche Tätigkeit, die dem öffentlichen Interesse sowie Wohl und damit dem Interesse der Allgemeinheit dient.
Entscheidend ist ein innerer Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Ausreichend kann bereits der gegenseitige Austausch sein. Denn, so das BSG zur weiteren Erläuterung, das Interesse am gegenseitigen Austausch auch mit Mitgliedern anderer Hilfeleistungsunternehmen liegt in der Natur der Sache eines solchen Unternehmens.
Dieser Austausch kann auf eine mögliche Zusammenarbeit mit anderen Organisationen im Ernstfall vorbereiten, unter anderem fachliche und verwaltungsorganisatorische Vorteile bringen, eine kritische Sicht auf eigene Abläufe ermöglichen und bietet zudem die Möglichkeit, dabei die Identifikation mit dem eigenen Hilfeleistungsunternehmen zu stärken.
Bewertung und Einordnung der Entscheidung
Die Entscheidung ist uneingeschränkt zu begrüßen. Ohne Ehrenamt müsste der Staat (Bund, Länder und Gemeinden) derartige Hilfeleistungen im Not- und Katastrophenfall berufsmäßig und entgeltlich organisieren.
Welche Volumina dabei zu realisieren wären, hat im Jahr 2022 eine Untersuchung in Nordrhein-Westfalen zutage gefördert (Quelle: Rheinische Post vom 8. März 2022). Danach stellten, berechnet auf der Basis des Mindestlohngesetzes (12,00 Euro/Stunde), die von allen ehrenamtlich tätigen Bürgern in NRW erbrachten »Arbeits-«Stunden einen volkswirtschaftlichen (Mindest-)wert von rund 19,4 Milliarden Euro dar. Zum Vergleich: Der Haushalt des Landes NRW belief sich im Vergleichszeitraum auf rund 80 Milliarden Euro.
Selbst wenn nur ein Bruchteil der genannten Summe in den Hilfsorganisationen im engeren Sinne »erwirtschaftet« wurde, dürfte sich spätestens nach den eingangs beschriebenen Katastrophen und Großschadenslagen, die Frage nach dem Sinn und der Berechtigung des Unfallversicherungsschutzes für ehrenamtliche Helfer von selbst beantworten.
Quelle/Text: Dr. jur. Kurt Kreizberg
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