Ein Autofahrer geriet auf dem Rückweg von einem Außentermin mit einem Lkw-Fahrer aneinander – und wurde bei der Auseinandersetzung verletzt. Greift in diesem Fall die Unfallversicherung?
Auf einem Weg weder zur Linken noch zur Rechten abzuweichen, spielte schon im Sinne Moses im Alten Testament eine Rolle. Ein Abweichen vom »rechten Weg« kann – damals wie heute – Probleme zeitigen, die man rückblickend, angesichts weiterer Konsequenzen, besser vermieden hätte. Derartiges musste sich auch ein Autofahrer in Berlin, in der Rechtssprache nach dem SGB VII, sagen lassen, der auf einem Rückweg von seinem Auto eine Schlägerei mit einem anderen Fahrer anzettelte und dabei empfindlich verletzt wurde.
Der Fall
Im Februar 2020 kam es in Berlin zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit Körperverletzungen. Ein Arbeitnehmer kehrte von einem Außentermin zu seinem Betrieb zurück. Die Betriebseinfahrt war jedoch durch einen Lkw versperrt, dessen Fahrer auch trotz mehrfacher Aufforderung weiterhin dort parkte und die Zufahrt blockierte. Der Arbeitnehmer stellte daraufhin sein Auto anderweitig ab und erreichte zu Fuß das Betriebsgelände.
Als er kurze Zeit später zur Wahrnehmung eines weiteren außerbetrieblichen Termins wieder zu seinem Auto zurückkehrte, kam es mit dem weiterhin die Einfahrt blockierenden Lkw-Fahrer zu einer verbalen Auseinandersetzung, bei der der Lkw-Fahrer den anderen Autofahrer wüst beschimpfte.
Letzterer, gerade im Begriff sein Auto zu besteigen, kehrte daraufhin noch einmal zur Betriebseinfahrt und dem dort unverändert parkenden Lkw-Fahrer zurück. Bei der sich anschließenden Schlägerei fügte der Lkw-Fahrer dem anderen Autofahrer eine Mittelgesichtsfraktur zu.
Die daraufhin, unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines vermeintlichen Arbeitsunfalls auf Leistungen in Anspruch genommene Unfallversicherung lehnte eine entsprechende Anerkennung – und damit Leistungen nach dem SGB VII – ab.
Die Entscheidung
Das zuständige Sozialgericht wies die Klage des verletzten Arbeitnehmers gegen die zuständige Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG), Bezirksverwaltung Berlin ab:
- Sozialgericht Berlin, Urteil vom 16.02.2023 -S 98 U 50/21-.
Laut telefonischer Auskunft der 98. Kammer des SG Berlin vom 3. Mai ist das Urteil rechtskräftig geworden.
Das Sozialgericht Berlin hat in seiner Entscheidung, bei der es wesentlich auf die Frage ankam, ob sich der verletzte Arbeitnehmer bei der Abkehr von seinem Auto und dem Weg zur Schlägerei mit dem Lkw-Fahrer noch auf einem versicherten Arbeitsweg, mithin zu einem Arbeitsunfall befand, die obergerichtliche Rechtsprechung herangezogen. Danach ist anerkannt, dass insbesondere das Zurechtweisen anderer Verkehrsteilnehmer auf dem Weg zur Arbeit oder auf Betriebswegen nicht der betrieblichen Tätigkeit dient und etwaige hieraus resultierende Verletzungen, unabhängig vom Verschulden, dem privaten Bereich zuzurechnen sind. So auch
- Bayrisches Landessozialgericht, Urteil vom 24.09.2020 -L 17 U 370/17-, juris Rn. 39 sowie
- Landessozialgericht Nordrhein–Westfalen, Urteil vom 28.09.2020 -L 17 U 626/16-, juris Rn. 53 ff.
Auch die vom Kläger in Bezug genommene Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22.11.2017 – L 1 U 1277/17 (juris Rn. 36 ff.) führt zu keinem anderen Ergebnis. (siehe dazu auch: Beitrag »Private Streitigkeiten begründen keinen Wegeunfall« mit Bezug zum Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12.12.2019 -L 10 891/19- sowie damit wiederum einhergehender Rechtsprechung des BSG).
Bewertung
Die Entscheidung des Sozialgerichts Berlin fügt sich nahtlos ein in eine Reihe obergerichtlicher Entscheidungen, die allesamt und einhellig tätliche Auseinandersetzungen aus dem Leistungskanon der gesetzlichen Unfallversicherung wegen Arbeitsunfall herausnehmen. Insofern weicht, wer sich prügelt, ganz im Sinne von Moses und des Alten Testaments, vom »rechten Weg« ab.
Quelle/Text: Dr. jur. Kurt Kreizberg
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