Fachbeitrag  Arbeitssicherheit, Gefahrstoffe  

Bundesnotbremse mit Neuregelung zum Homeoffice

Mann, Homeoffice
Foto: © Janina Dierks - stock.adobe.com

Die Bundesregierung hat am 20. April eine Änderung der Infektionsschutz-Novelle auf den Weg gebracht, durch die die Vorgaben der jüngsten Corona-Verordnung laut unseres Autors „erneut relativiert und faktisch auf den Kopf“ gestellt wird. Die Neuerung betrifft vor allem das Homeoffice.

Inzidenzwerte der besonderen Art

Vierzig Novellen in zwanzig Jahren, davon allein zwölf Novellen in den vergangenen zwölf Monaten formen, rein statistisch betrachtet, das äußere Erscheinungsbild des im Juli 2000 als Nachfolgeregelung zum vormaligen Bundesseuchengesetz (BSeuchG) in Kraft getretenen Infektionsschutzgesetz (IfSG).

Wenngleich schon im Sommer 2000 mit weitreichenden Ermächtigungen für Grundrechtsbeschränkungen munitioniert, hat diese „tickende Zeitbombe“ fast niemanden berührt, zumal das Gesetz in der Vor-Corona-Zeit nur sehr wenigen Spezialisten in Krankenhäusern, Gesundheitsämtern sowie den Lebensmittelkontrolleuren und den Schädlingsbekämpfern („Kammerjägern“) überhaupt bekannt war.

Unter dem plakativen Schlagwort „Bundesnotbremse“ hat das Gesetz nunmehr eine in weite Teile der Bevölkerung hineinreichende Debatte ausgelöst, die man ohne Übertreibungen vergleichen kann mit dem Streit um die Schaffung der Bundeswehr (Mitte der 50er Jahre), der Notstandsgesetzgebung (Ende der 60er Jahre) sowie der Nachrüstungsdebatte (Anfang der 80er Jahre).

Neue Homeoffice-Regelungen im Infektionsschutzgesetz

Während der betriebliche Praktiker sich gerade erst an die seit Januar geltenden Homeoffice-Vorgaben aus der inzwischen schon zweimal novellierten SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung gewöhnt hatte, wonach der Arbeitgeber seinen Beschäftigten, soweit die Tätigkeit es zulässt, eine Homeoffice-Offerte machen muss, die diese aber ohne Angabe von Gründen ausschlagen können (§ 2 Abs. 4 der Verordnung), hat die Regierungskoalition „auf den letzten Drücker“ noch am 20. April einen Änderungsantrag zur eigenen IfSG-Novelle (BT-Drs. 19/28444 vom 13. April 2021) eingebracht, der die Vorgaben der noch jungen Corona-Verordnung erneut relativiert und faktisch auf den Kopf stellt.

„Ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte…“

Nachdem Bundesarbeitsminister Heil noch im Sommer 2020 mit seinem Projekt der betrieblichen „Homeoffice-Pflicht“ koalitionsintern gescheitert war, wurde nun das Pferd andersherum aufgezäumt.

Im Rahmen eines neuen § 28 b des IfSG regelt seit dem Wochenende vom 24. April dessen Absatz 7 Satz 1 in Konsequenz der schon bekannten SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (§ 2 Abs. 4), dass der Arbeitgeber, soweit keine betriebsbedingten Gründe entgegenstehen, seinen Belegschaften die schon seit Januar vorgeschriebene Homeoffice-Offerte machen muss. Insofern bleibt zunächst noch alles beim Alten.

Konnte der Arbeitgeber bis jetzt also noch insgeheim darauf hoffen, dass der so angesprochene Mitarbeiter dankend ablehnen werde, ist dieser „Ausgang für Helden“ nunmehr durch Satz 2 im Absatz 7 verschlossen: (Zitat) „Beschäftigte haben dieses Angebot anzunehmen, soweit ihrerseits keine Gründe entgegenstehen“.

Annahmezwang und Ausnahmen

Dieser faktische Annahmezwang (siehe Schlüsselsatz aus „Der Pate“: „Ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte…“) soll, wie zu lesen ist, allerdings dann nicht greifen, wenn die häusliche Situation des Mitarbeiters ein pflichtiges Homeoffice nicht zulässt, etwa bei beengten Wohnverhältnissen oder wenn das Homeoffice eine massive Störung von Familien-Angehörigen nach sich ziehen würde.

Eine Dokumentation („Gesprächsprotokoll“) zur Offerte und den Ablehnungsgründen ist im IfSG ebenso wenig angelegt, wie die äußere Form des Angebots (persönliche Ansprache, Aushang, E-Mail etc.).

Eine weitere „Homeoffice-Bremse“ hat der Gesetzgeber schon vorsorglich gleich selbst eingebaut. Nach § 28 b Absatz 6 Nr. 2 der IfSG-Novelle wird die Bundesregierung ermächtigt, (Zitat) „im Verordnungswege Präzisierungen, Erleichterungen oder Ausnahmen von den in den Absätzen 1, 3 und 7 genannten Maßnahmen zu bestimmen“.

Bewertung

Eine Annahmepflicht von arbeitgeberseitigen Offerten ist dem Arbeitsschutzrecht dem Grunde nach nicht völlig fremd. Sowohl bei der Arbeitsmedizinischen Vorsorge als auch dem Gehörschutz gegen Lärm muss der Mitarbeiter angebotene Leistungen annehmen und, wie beim Gehörschutz, der Arbeitgeber sogar auf die konsequente Nutzung achten (§ 8 Abs. 3 LärmVibrArbSchV).

Abzuwarten bleibt nunmehr,

  • ob und wie die Homeoffice-Zahlen weiter steigen werden und
  • wie die Bundesregierung von der Option für Ausnahmeregelungen Gebrauch macht, um dann der „Echternacher Springprozession“ beim Homeoffice einen weiteren Schritt hinzuzufügen.

 

 

 

Über den Autor

Dr. jur. Kurt Kreizberg
Rechtsanwalt in Solingen
seit 2013: Lehrbeauftragter für Arbeits- und Sozialrecht an der FOM Essen
seit 2016: Autor des Loseblatt-Kommentars (Carl Heymanns Verlag)
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