Eine Antwort auf diese Frage: »Es kommt darauf an« oder »Jeder Fall ist anders«. Diese Stereotypen aus dem Sprachschatz der Juristen haben sich wieder einmal mehr bestätigt. Das zeigt eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG).
Jobsuche in Eigeninitiative
In dem Fall vor dem BSG am 31. März 2022 (B 2 U 13/20 R) ging es um eine Bezieherin von Arbeitslosengeld. Sie hatte sich nicht lediglich auf die Vermittlungsangebote der Bundesagentur für Arbeit verlassen, sondern ergänzend dazu die Suche nach einem neuen Beschäftigungsverhältnis selbst in die Hand genommen.
Auf der Basis einer »Kennenlern-/Praktikums-Vereinbarung« absolvierte sie alsbald einen Tag lang ein unentgeltliches »Kennenlern-Praktikum« bei einem Unternehmen aus der IT-Branche. Fachgespräche und eine Führung durch den Betrieb gehörten ebenso zum Programm wie die Besichtigung des firmeneigenen Hochregallagers, wo sich die engagierte Praktikantin jedoch bei einem Sturz den rechten Oberarm brach.
Arbeitsunfall – ja oder nein?
Die aus Sicht der Praktikantin naheliegende Überlegung, der Besuch im Hochregallager und die daraus resultierende Verletzung seien als Arbeitsunfall anzusehen, mit der Konsequenz, dass die für das IT-Unternehmen zuständige Berufsgenossenschaft (BG) als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung Leistungen zu erbringen habe, stieß bei der so in Anspruch genommenen Unfallversicherung ebenso wenig auf Gegenliebe wie bei den Sozialgerichten erster und zweiter Instanz (Sozialgericht Augsburg – S 18 U 169/17 - vom 15.02.2018 sowie Bayrisches Landessozialgericht – L 3 U 117/18 vom 28.07.2020). Eine Revision zum Bundessozialgericht in Kassel hat die Dinge dann wieder ins Lot gebracht.
Kern der BSG–Entscheidung
Die Entscheidung des BSG von Ende März 2022 bestätigt nicht nur die eingangs bemühten juristischen Grundwahrheiten, sondern auch, wie wichtig es ist, das Kleingedruckte zu lesen. So bestätigte das BSG zwar, dass ein Anspruch auf Unfallversicherungsschutz angesichts eines fehlenden Beschäftigungsverhältnisses ebenso scheitern müsse wie eine Absicherung auf Basis einer Meldeaufforderung der Bundesagentur für Arbeit, da das Praktikum nicht auf einer solchen Meldeaufforderung beruht habe. Allerdings habe im vorliegenden Fall eine Absicherung in der Unfallversicherung bestanden, da nach der Satzung der zuständigen Unfallversicherung die Teilnahme an einer Besichtigung ausgereicht habe, um den Unternehmer von erhöhten Haftungsrisiken freizustellen.
Insbesondere komme es dabei, so das BSG, nicht auf den gesamten Kennenlern-/Praktikumstag an, sondern auf die letzte unmittelbar vor dem Unfallereignis ganz konkret ausgeübte Verrichtung.
Als letzte, dem Unfall unmittelbar vorhergehende Verrichtung war demnach die Besichtigung im Hochregallager anzusehen. Die Tatsache, dass die verletzte Praktikantin mit dieser Visite auch eigene Interessen, zum Beispiel mit Blick auf einen in Aussicht genommenen neuen Job und das Kennenlernen des möglichen Arbeitgebers verfolgte, stehe – so das BSG – der Annahme einer versicherten Tätigkeit nicht entgegen.
Schlussfolgerungen für die Praxis
Im konkreten Fall hat somit nur eine den Fall des Kennenlern-Praktikums mit abdeckende Satzung der zuständigen Berufsgenossenschaft (BG) den Versicherungsschutz ermöglicht. Das aber ist nicht bei jeder BG der Fall.
Merke: Jeder Fall ist anders! Insofern ist jedem Unternehmen, das solche Praktika anbietet, zunächst zu raten, bei seiner Branchen–BG verbindlich zu klären, ob ein solches Praktikum abgesichert ist beziehungsweise abgesichert werden kann.
Soweit Praktikanten als Arbeitsuchende im Leistungsbezug der Bundesagentur stehen, wäre es zudem hilfreich, das Praktikum nicht in Privatinitiative von Praktikanten laufen zu lassen, sondern eingebettet in einen offiziellen Terminvorschlag der Bundesagentur. Dann kann dahinstehen, ob und was die einschlägige BG-Satzung für Praktika vorsieht (oder auch nicht).
Quelle/Text: Dr. jur. Kurt Kreizberg
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