Fachbeitrag  Arbeitssicherheit, PSA  

Knackpunkt Knie

Manche Orthopäden schwärmen von ihm als dem Gelenk der Superlative. Sein Roll-Gleit-Dreh-Mechanismus wird mit vier Bändern, diversen Sehnen und der Ober- und Unterschenkelmuskulatur vor schädlichen Verschiebungen gesichert - ob seitlich, nach vorn oder nach hinten. Zwei elastische Knorpelscheiben, der Außen- und der Innenmeniskus, verhindern ein Aufeinanderstoßen der beteiligten Knochen. Zusätzlich sind auch diese selbst mit einer Knorpelschicht ausgestattet. Der »hyaline« Knorpel hat einen besonders hohen Wassergehalt, daher sein Name. Die Menisken funktionieren als Druckverteiler und Stoßdämpfer. Es ist das größte Gelenk des menschlichen Körpers, extrem stabil, hoch kompliziert, aber dennoch nicht unbegrenzt belastbar: das Kniegelenk. Absolut schützenswert.

Gefährliche Belastungen

Grundsätzlich ist Bewegung und Belastung kein Problem für das Kniegelenk - dafür ist es konstruiert. Es kommt wie so oft auf das richtige Maß an. Unter- und Überlastung sind Risikofaktoren. Daher sind einige Berufsgruppen besonders gefährdet. Bei stundenlangem Knien, Hocken, Kriechen oder Arbeiten im Fersensitz wirken hohe Druckkräfte auf die Knie, oft genug wird das Kniegelenk zusätzlich verdreht. Nasse, kalte oder chemiebelastete Böden verschlimmern die Situation. Ganz zu schweigen von rutschigen oder unebenen Böden wie sie z.B. Bergleute oder Dachdecker oft vorfinden.

Bei Tätigkeiten im Knien oder Kriechen werden durch Zwangshaltungen oft gleichzeitig der Rücken, der Rumpf, die Arme und die Halswirbel überbelastet. Dies ist besonders in Bauberufen weit verbreitet. Fliesen-, Estrich- und Parkettleger, aber auch Elektro- und Sanitärinstallateure arbeiten am Boden oder auch in engen Nischen und Winkeln. Stundenlanges und/oder häufiges Arbeiten in engen Räumen ist auch im Flugzeugbau und im Bergbau kaum zu vermeiden.

Entscheident dafür, wie stark die Belastung für die Knie bei solchen Tätigkeiten ist, ist immer auch der Zeitfaktor. Erste Signale des Körpers wie Muskelziehen oder einschlafende Füße sollte man ernst nehmen und die Beine wenigstens kurz ausschütteln. Durch hohen und anhaltenden Druck auf die Knie kann es zu chronischen Entzündungen der Schleimbeutel im Kniegelenk kommen. Schwellungen im Knie machen sich schmerzhaft bemerkbar. Verkalkungen verstärken die Schmerzen. Anzeichen sind Rötungen der Haut, Wärmegefühl und schließlich Bewegungsschmerzen. Drehbewegungen und ungünstige Winkelstellungen der Kniegelenke strapazieren die Menisken. Chronische Schmerzen bis hin zu Bewegungseinschränkungen können Symptome einer Gonarthrose sein. Bei Schwellungen und wiederkehrenden Schmerzen sollte immer ein Arzt befragt werden.

Maßnahmen bei der Arbeit

Die beste Vorbeugung ist die Vermeidung: So wenig wie möglich in knieender Haltung arbeiten; bei andauernden Tätigkeiten oft die Körperhaltung ändern und Pausen einlegen. Einige Arbeiten lassen sich mit Teleskopschäften auch im Stehen ausführen. Für Bodenleger gibt es spezielle Werkzeugsätze, die an einen Teleskopschaft angekoppelt werden. Das entlastet nicht nur die Knie, sondern auch den Rücken enorm.

Wo es nicht ohne Knien geht, helfen geeignete Knieschützer, die Belastung der Knie zu reduzieren. Sie nehmen Druck vom Knie und bieten dem Knie festen Halt. Daneben schützen sie es vor Stößen, Kälte, Nässe und schädlichen Stoffen und bilden einen wirkungsvollen Verletzungsschutz. Viele Aufgaben, aber das Angebot an Knieschonern ist groß.

Knieschutz nach Norm

Seit Februar 2005 gilt auch in Deutschland die DIN EN 14404, vorher galt für den Knieschutz die deutsche Bergbau-Norm DIN 23311. Die neue europäische Norm definiert vier Knieschutztypen in zwei Leistungsstufen:

  • Typ 1: Knieschutzsysteme direkt am Bein befestigt und damit unabhängig von der Kleidung tragbar
  • Typ 2: Knieschutz an der Arbeitskleidung befestigt, z.B. in besonderen Einschubtaschen an den Hosenbeinen
  • Typ 3: Knieschutz, der nicht am Körper getragen wird, z.B. spezielle Matten
  • Typ 4: Knieschutz, der in andere Vorrichtungen integriert ist, z.B. in Aufstehhilfen, Sitz- und Kauerhilfen
  • Leistungsstufe 1: geeignet für Arbeiten auf ebenen Böden
  • Leistungsstufe 2: geeignet für Arbeiten auf schwierigem Untergrund (Steinbruch, Bergbau, Pflasterarbeiten)

Ausschlaggebend für die Auswahl eines geeigneten Knieschutzes sollte die Tätigkeit und der Untergrund sein. Die grundlegenden Fragen dabei sind: Ist der Untergrund glatt, trocken, feucht, nass, chemikalienbelastet und/oder von grober Struktur? Wird nur gelegentlich und kurzzeitig oder lange im Knien gearbeitet? Muss häufig aufgestanden werden?

Für gelegentliche Arbeiten im Knien reicht eine Knieunterlage aus. Sie muss nicht am Körper oder an der Schutzkleidung befestigt werden. Auch eine Sitz- oder Kauerhilfe ist für gelegentliches Knien oder häufig wechselnde Körperhaltungen sinnvoll. Auf glatten und trockenen Böden sind die Kniegelenke mit Einschubpolstern, die natürlich exakt passen müssen, ausreichend geschützt. Für Arbeiten auf feuchtem oder rauem Untergrund müssen spezielle Umbinde-Knieschützer gewählt werden, die mechanischen Druck auffangen und Nässe oder Chemikalien abwehren.

Kennzeichnung - was gehört dazu?

Knieschutz ist Teil der PSA. Nach der Europäischen Richtlinie für PSA (86/686/EWG) besteht die Verpflichtung zur EG-Baumusterprüfung. Maßgeblich ist hier die DIN EN 14404 »Persönliche Schutzausrüstungen - Knieschutz für Arbeiten in kniender Haltung«. Daher müssen Knieschützer deutlich gekennzeichnet sein. Zur ausreichenden Kennzeichnung gehören:

  • CE-Kennzeichnung
  • die Anweisung, Herstellerinformationen zur Pflege und zum sicheren Gebrauch zu lesen
  • der Hersteller
  • die Artikel- und Typbezeichnung
  • die Leistungsstufe
  • die Größe
  • die DIN EN 14404-Kennzeichnung
  • für Knieschutz Typ 2: Innen- und Außenseite sind gekennzeichnet, entsprechende Kennzeichnung ist auch an der Arbeitskleidung vorgeschrieben

Knie-Erkrankungen = Berufskrankheit?

Nach der deutschen Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) können einige Knie-Erkrankungen als Berufskrankheit anerkannt werden. Die Liste umfasst aktuell folgende Erkrankungen:

  • BK-Nr. 2112: Die Gonarthrose ist mit Wirkung vom 1. Juli 2009 aufgenommen worden.
    Die Anerkennung als Berufskrankheit setzt voraus, dass die Schädigung durch eine kniebelastende Tätigkeit während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht erfolgte.
  • BK-Nr. 2102: Meniskopathie, das sind Meniskusschäden.
  • BK-Nr. 2105: Chronische Schleimbeutelerkrankungen, u.a. -Entzündungen, durch ständigen Druck
  • BK-Nr. 2106: Druckschädigung der Nerven

In jedem Fall wird geprüft, ob die Erkrankungen tatsächlich berufsbedingte Ursachen haben. Eine gute Dokumentation des gesamten Arbeitslebens hilft, die beruflichen Ursachen schnell und unkompliziert belegen zu können. Anerkennungsverfahren können so deutlich verkürzt werden.

Prävention für starke Knie

Nicht immer können Arbeiten im Knien sinnvoll in anderen Körperhaltungen ausgeführt werden. Manchmal muss man eben in die Knie gehen. Aber es gibt einige Tipps, wie man seine Kniegelenke stärken und schützen kann.

  • Zwangshaltungen vermeiden, wo es geht. Knien, Hocken, Fersensitz so wenig es geht. Möglichst oft Körperhaltung wechseln und öfter kurz aufstehen und bewegen.
  • Lernen, bei bestimmten Tätigkeiten andere Körperhaltungen einzunehmen. Prüfen, ob Arbeiten auch im Liegen, Sitzen oder (z.B. mithilfe eines Teleskopschafts plus Werkzeug oder eines Montagetisches) im Stehen ausgeführt werden können
  • Sport, insbesondere Stärkung der Beinmuskulatur. Täglich einige Minuten Gymnastik zur Kräftigung der Oberschenkelmuskulatur. Einen nicht-kniebelastenden Ausgleichssport regelmäßig betreiben.
  • Auch in der Freizeit beachten, dass Nässe und Kälte schädlich für das Kniegelenk sind.
  • Bei schweren körperlichen Arbeiten: zuerst aufwärmen, Trage- und Hebehilfen benutzen, schwere Lasten gemeinsam mit Kollegen tragen, beim Heben die Regeln der Rückenschule beachten.
  • Geeigneten, exakt passenden Knieschutz nutzen. Auch in der Freizeit, z.B. beim Sport.
  • Pflichten auf beiden Seiten

Ein Arbeitnehmer hat nach § 15 ArbSchG eine Tragepflicht, der Arbeitgeber muss einen geeigneten Knieschutz zur Verfügung stellen. Dazu gehören die Beschaffung, die Instandhaltung und die Prüfung, dass der vorgeschriebene Knieschutz auch wirklich getragen wird (§ 2 BGV A1, § 2 der PSA-Benutzungsverordnung). In den Grundsätzen der Prävention der Berufsgenossenschaftlichen Vorschriften heißt es im § 29 BGV A1 sogar ausdrücklich, dass vor einer Kaufentscheidung die betroffenen Beschäftigten anzuhören sind. Auch ohne Vorschrift ein sinnvoller Ratschlag, um die Trage-Akzeptanz zu erhöhen. Niemandem ist mit einem Knieschutz geholfen, der nicht getragen wird. Und nur wenn ein Knieschutz genau passt und bequem sitzt, wird er regelmäßig getragen und erfüllt seinen Zweck. Am einfachsten ist das zu bewerkstelligen, wenn den Beschäftigten mehrere Knieschutz-Artikel zum Probetragen angeboten werden. Dann können diese ausgiebig testen, ob der Knieschutz leicht und bequem ist, ob er wirksam schützt, ob er genau passt und nicht hin und her rutscht.

Jedes Knie ist anders, Frauenknie auch

Eine Nachricht aus der Gender Medizin zeigt, wie individuell Knie sind: Frauenknie sind anders. Manchen vielleicht nichts Neues, aber unter Orthopäden erst seit kurzem eine anerkannte Tatsache. Lange wurde bei Frauen, die ein neues Kniegelenk bekamen, einfach auf eine Auswahl kleinerer künstlicher »Männer«-Kniegelenke zurückgegriffen. 2006 wies Dr. Mohamed Mahfouz von der Universität Tennessee nach, dass Frauenknie nicht nur kleiner, sondern tatsächlich anders gebaut sind.

Die drei wesentlichen Unterschiede: Die Gelenkfläche eines typischen weiblichen Oberschenkelknochens ist schmaler und etwas trapezförmig. Die Vorderseite eines weiblichen Oberschenkelknochens ist weniger ausgeprägt. Und Frauen mit breiteren Becken neigen zu X-Beinen. Mittlerweile gibt es auch künstliche »weibliche« Kniegelenke. Bei Operationen eine echte Alternative, mit der sich viele individuelle Anpassungen vermeiden lassen. Es passt besser, funktioniert besser und fühlt sich natürlicher an. Ob die Hersteller von Knieschützern diese Tatsache schon berücksichtigen, ist eine andere Frage.

Christiane Deppe

Teaserfoto: © axel kock - Fotolia.com

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