Ein selbstständiger Physiotherapeut und früherer Profi-Fußballer leidet an einer chronischen Schädigung des Kniegelenks. Ein Rechtsstreit um Arbeitsfähigkeit und Verletztengeld.
Fußball-Fans sehen sie jedes Wochenende am Spielfeldrand der großen Stadien: die »Physios« – auch »Medizinmänner« – genannt, die immer dann mit Eisbeuteln und Sprays aufs Spielfeld laufen, wenn es gilt, in Windeseile Zerrungen und Prellungen zu behandeln, damit die Stars auf dem grünen Rasen die reguläre Spielzeit oder gar die Verlängerung überstehen beziehungsweise vor dauerhaften Verletzungen bewahrt bleiben. Dass ein Physiotherapeut selbst einmal verletzt ist und finanzielle Einbußen fürchten muss, kommt dagegen eher seltener vor.
Der Fall
Ein Physiotherapeut, vormals über zwölf Jahre Profi-Fußballer, betrieb seit 1994 in Selbständigkeit eine Praxis mit mehreren Angestellten. Ende 2014 stellte er dort seine aktive Mitarbeit ein und beschränkte sich nur noch auf, eher zur Repräsentation angelegte Anwesenheits- und Arbeitszeiten, zudem in deutlich reduziertem Umfang.
Aus seiner im Jahr 1988 beendeten Sportlerkarriere resultierte die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2102 der einschlägigen Berufskrankheitenliste (Chronische Meniskopathien), die ihm seit Juli 2013 eine Verletztenrente aufgrund der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 30 Prozent eintrug. Zudem war er seit Ende 2014 wegen dieser BK arbeitsunfähig.
Von Ende 2014 bis einschließlich 1. Quartal 2015 zahlte die für den »Physio« zuständige Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), als Trägerin der gesetzliche Unfallversicherung, ein kalendertägliches Verletztengeld in Höhe von 80 Prozent.
Der Physiotherapeut begehrte daraufhin die weitere Zahlung von Verletztengeld, was aber von der Unfallversicherung BGW im März 2016 mit der Begründung zurückgewiesen wurde, er sei trotz Wegfalls seiner Arbeitskraft als Physiotherapeut durchaus weiterhin in der Lage, sein Unternehmen zu führen und daraus auch Einnahmen im bisherigen Umfang zu generieren.
Seine Steuerbescheide für die Jahre 2013 bis 2016 wiesen jeweils zu versteuernde Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit zwischen 110.000,00 Euro und 155.000,00 Euro aus.
Die vom Physiotherapeuten daraufhin angerufenen Sozialgerichte in NRW haben die ablehnende Entscheidung der BGW in zwei Instanzen bestätigt:
- Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen, Urteil vom 09.05.2019 –S 37 400/16-,
- Landessozialgericht (LSG) NRW, Urteil vom 27.10.2022 –L 15 U 439/19-.
Die Entscheidung
In seinem Berufungsurteil hat das LSG zwar einen grundsätzlichen Anspruch des Klägers auf Zahlung von Verletztengeld nach § 45 SGB VII bejaht. Jedoch werde dieser Anspruch durch den gleichzeitigen Bezug von Arbeitseinkommen aufgrund der Anrechnungsvorgabe des § 52 SGB VII auf null reduziert.
Weiter hat das LSG geurteilt, es sei auch kein normativer, mithilfe anerkannter juristischer Methodik begründbarer Ansatz dafür ersichtlich, zugunsten des Klägers von einer Anrechnung des vom Gericht ermittelten Arbeitseinkommens abzusehen.
Das BSG hatte, in einer bald fünfzig Jahre alten Entscheidung vom 23.08.1973 -2 RU 238/72- auf der Basis des noch bis Ende 1996 geltenden alten Rechts (§ 560 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung –RVO-) die Auffassung vertreten, dass nur das Erzielen von Einkommen, wie vor der Arbeitsunfähigkeit, aufgrund eigener Tätigkeit die Zahlung von Verletzten- und/oder Übergangsgeld ausschließe.
Diese ältere BSG-Judikatur hat das LSG als für den vorliegenden Fall nicht einschlägig erachtet, sodass der Kläger hieraus nicht unmittelbar etwas für sich Günstiges herleiten könne.
Auch die im Schrifttum vereinzelt vertretene Auffassung, wonach ein arbeitsunfähiger Unternehmer auch dann Verletztengeld erhalten müsse, wenn sein Unternehmen gut laufe und es auch ohne seine Mitarbeit einen hohen Gewinn erziele, konnte das LSG letztlich nicht überzeugen.
Das LSG hält diese Betrachtungsweise im Ergebnis für mit der Funktion des Verletztengeldes unvereinbar, sodass insgesamt gegen den Kläger zu entscheiden war.
Weiterer Verfahrensgang
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat das LSG aber die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) in Kassel zugelassen, wo das Verfahren gegenwärtig unter dem Aktenzeichen -B 2 U 2/23 R- bei dem für das Unfallversicherungsrecht zuständigen zweiten Senat anhängig ist.
Mit einer Entscheidung ist demnach frühestens zum Jahresende 2024 zu rechnen.
Quelle/Text: Dr. jur. Kurt Kreizberg
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