Fachbeitrag  Recht und Urteile, Arbeitssicherheit  

Unfallversicherung: Ehrenamtliche Chorsänger auf dem Weg zum Adventssingen geschützt

Unfallversicherungsschutz ehrenamtlicher Chorsänger
Foto: © Sonja - stock.adobe.com

In vielfältiger musikalischer Weise stimmen derzeit landauf und landab ehrenamtliche Chorsängerinnen und -sänger die Menschen in Kirchengemeinden und auch auf Weihnachtsmärkten auf das Weihnachtsfest ein. Gilt für sie Unfallversicherungsschutz? 

Beim Adventssingen wird daran erinnert, dass sich vor über 2.000 Jahren Menschen auf einen langen und beschwerlichen Weg quer durch das heutige Israel und Palästina machten, um, dem Befehl der römischen Besatzungsmacht folgend, an einer Volkszählung teilzunehmen.  

Für die vielen Ehrenamtlichen, die sich in der heutigen Vorweihnachtszeit auf den Weg zu Chorveranstaltungen machen, besteht bisweilen ein Risiko – nämlich auf glatten und vereisten Straßen schwer und lebensgefährlich zu verunglücken.  

Die Frage, wie sie auf diesen Wegen, die ja keine Arbeitswege im herkömmlichen Sinne sind, gleichwohl von der Unfallversicherung geschützt werden, hat über sechs Jahre hinweg, zuletzt im Dezember 2022, die Sozialgerichtsbarkeit über drei Instanzen beschäftigt. 

Der Fall 

Die in letzter Instanz vor dem Bundessozialgericht erfolgreiche Klägerin hatte Anfang Dezember 2016 als Mitglied eines als Verein organisierten Frauenchors in den Räumen einer evangelischen Kirchengemeinde an einem öffentlichen Adventssingen teilnehmen wollen. Die Teilnahme sollte umfassend unentgeltlich erfolgen, ohne Honorar und Fahrtkosten. Auf der Fahrt mit ihrem Pkw zum Veranstaltungsort verunglückte die Klägerin auf einer mit Glatteis belegten Straße schwer und zog sich zahlreiche Brüche im Gesicht, am Brustkorb und der Wirbelsäule zu.  

Die daraufhin als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung auf Leistungen in Anspruch genommene Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) wies, zuletzt mit Widerspruchsbescheid vom Juni 2018, jedwede Leistungspflicht zurück mit dem Hauptargument, dass der Unfall vom Dezember 2016 kein Arbeitsunfall in Form des Wegeunfalls gewesen sei.  

Der sich daran anschließende Rechtsstreit vor dem

  • Sozialgericht (SG) Halle/Saale, Urteil vom 07.09.2019 – S 23 U 67/18 und
  • Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24.09.2020 – L 6 U 14/20

führte die Klägerin in erster Instanz zu einem umfassenden Erfolg, der ihr in der zweiten Instanz versagt blieb, weil das LSG, anders als das SG, die unentgeltliche und mildtätigen Zwecken dienende Gemeinwohlorientierung des angestrebten Chorauftritts verneinte und vielmehr eine von der Unfallversicherung nicht abzudeckende eigenwirtschaftliche Freizeitgestaltung der Klägerin ohne besondere soziale Motivation in den Vordergrund stellte. 

Mit der vom LSG zugelassenen Revision zum Bundessozialgericht (BSG) wurde im Ergebnis das erstinstanzliche Urteil des SG Halle/Saale wieder hergestellt (BSG, Urteil vom 08.12.2022 – B 2 U 19/20 R). 

Die Entscheidung 

Im Unterschied zum LSG hat sich der für das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung zuständige zweite Senat des BSG in seiner Revisionsentscheidung von folgenden, der Klägerin letztlich günstigen Überlegungen leiten lassen. 

Die Revision der Klägerin war im Sinne der Verurteilung der Verwaltungs-BG erfolgreich. Die Klägerin hat auf dem Weg zum öffentlichen Adventssingen in den Räumlichkeiten einer evangelischen Kirchengemeinde einen Arbeitsunfall erlitten. 

Seit dem Gesetz zur Verbesserung des unfallversicherungsrechtlichen Schutzes bürgerschaftlich engagierter und weiterer Personen vom 9.12.2004 ist der Versicherungsschutz nicht mehr von einem unmittelbar ehrenamtlichen Tätigwerden für eine Religionsgemeinschaft abhängig. Ausreichend ist seither ein nur mittelbar ehrenamtliches Tätigwerden über eine privatrechtliche Organisation (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b SGB VII).  

Die Klägerin war für eine private Organisation mit ausdrücklicher Einwilligung einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft tätig. Denn das Adventssingen des privat organisierten Frauenchors fand freiwillig, unentgeltlich und im Interesse des Gemeinwohls im Rahmen einer kirchlichen Veranstaltung statt. Auf die weitergehende Bekleidung eines Ehrenamts kommt es für den Versicherungsschutz bürgerschaftlich Engagierter nicht an.  

Der Weg zur Teilnahme am beabsichtigten Adventskonzert stand deshalb in innerem Zusammenhang mit dem versicherten Ehrenamt, selbst wenn die Klägerin das Singen in dem Chor vornehmlich aus Freude am Gesang und der Gemeinschaft ausüben wollte. Dass eine ehrenamtliche Tätigkeit mit Freude daran oder an der Gemeinschaft ausgeübt wird, gehört zum Wesen des Ehrenamts. 

Zuständig für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz ist die Verwaltungs-BG. Der subsidiäre Versicherungsschutz kraft Satzung der Unfallkasse Sachsen-Anhalt nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII i.V.m. § 34 Abs. 2 der Satzung des Chorvereins) tritt dahinter zurück.

Quelle/Text: Dr. jur. Kurt Kreizberg

Unfallversicherung: Lesen Sie auch »Kein Wegeunfallschutz beim Anbringen einer Frostschutzmatte am Auto« >>

Über den Autor

Dr. jur. Kurt Kreizberg
Rechtsanwalt in Solingen
seit 2013: Lehrbeauftragter für Arbeits- und Sozialrecht an der FOM Essen
seit 2016: Autor des Loseblatt-Kommentars (Carl Heymanns Verlag)
»Arbeitsstättenverordnung und Technischen Regeln für Arbeitsstätten«

Exklusive Produktempfehlungen aus unserem umfangreichen Online-Shop

Kreizberg, Arbeitsstättenverordnung

Arbeitsstättenverordnung
von Dr. jur. Kurt Kreizberg

mit Technischen Regeln für Arbeitstätten (ASR) inkl. Erläuterungen und weiteren Rechtsvorschriften
ca. 1800 Seiten
Carl Heymanns Verlag

Zum Produkt
Gefahrstoffrecht - Loseblattwerksammlung von Klein und Bayer

Gefahrstoffrecht
von Dr. Helmut A. Klein / Dr. Philipp Bayer

Sammlung der chemikalienrechtlichen Gesetze, Verordnungen, EG-Richtlinien und technischen Regeln mit Erläuterungen
Loseblattwerk mit CD-ROM
ca. 1300 Seiten
Carl Heymanns Verlag

Zum Produkt
Lagerung und Abfüllung brennbarer Flüssigkeiten

Lagerung und Abfüllung brennbarer Flüssigkeiten
von Carl-Heinz Degener / Gerhard Krause / Dr.-Ing. Hermann Dinkler / Dr.-Ing. Dirk-Hans Frobese

Vorschriftensammlung mit Kommentar
Band V Vorschriften
Loseblattwerk
Carl Heymanns Verlag

Zum Produkt
Dr.-Ing. Berthold Dyrba

Kompendium Explosionsschutz
von Dr.-Ing. Berthold Dyrba / Patrick Dyrba

Sammlung der relevanten Vorschriften zum Explosionsschutz mit Fragen und Antworten für die Praxis.
Loseblattwerk mit CD-ROM
1300 Seiten
Carl Heymanns Verlag

Zum Produkt