Was ist dann diese erweiterte Sichtweise auf die Arbeitssicherheit?
Christoph Schröder (CS): Gehen wir mal davon aus, dass sich niemand absichtlich verletzt. Es muss also kurz vor dem Unfall irgendetwas Unvorhergesehenes passiert sein – meist ein unbeabsichtigter Fehler. Die klassische Risikobewertung von Arbeitsschritten deckt diese »Menschlichen Fehler« aber nur sehr begrenzt ab, obwohl gerade diese das Sicherheitsrisiko sprunghaft ansteigen lassen.
Was heißt das konkret?
CS: Ein langjähriger Metallfräser kennt seine Arbeitsumgebung und die Sicherheitsprotokolle. Er weiß, wie man zum Beispiel Metallrundlinge sicher bearbeitet. Wenn es aber schnell gehen muss und er den Rundling nur mit einer Hand hält, um mit der anderen den nächsten zu holen, dann kann er aus Versehen die Hand zu nahe an die Fräse bringen und sich verletzen.
LW: Wenn wir uns die Unfallanalysen in Unternehmen genauer ansehen, wird deutlich, dass einem Unfall oft das immergleiche Zustand-Fehler-Muster vorausgeht. Insofern kann man die Unfalldokumentation um drei Fragen erweitern:
- War der Auslöser des Unfalls eine Fehlfunktion des Equipments, die Aktion einer anderen Person oder vielleicht die der verunfallten Person selbst?
- Ist der verletzten Person ein unbeabsichtigter Fehler unterlaufen; hatte er/sie zum Beispiel unmittelbar vor dem Unfall die Augen oder den Kopf nicht bei der Sache?
- War die verletzte Person physisch oder emotional abgelenkt – also hektisch, frustriert, müde oder hat er/sie sich selbst überschätzt?
Das hört sich nach verhaltensbasierter Arbeitssicherheit (BBS) an, was einige Unternehmen ja bereits machen.
LW: Das ist an sich richtig – mit einem kleinen, aber bedeutenden Unterschied: Bei BBS kommunizieren Unternehmen verstärkt mit ihren Mitarbeitern zum Thema »Arbeitsplatzsicherheit« , damit sich ihre Mitarbeiter bewusst für sicheres Verhalten entscheiden. Dies funktioniert wunderbar in »normalen« Situationen. Aber in Momenten der Ablenkung (wie etwa durch Hektik) tritt das Wissen über sicherheitsrelevante Arbeitsschritte in den Hintergrund. Typischerweise unterlaufen uns aber gerade dann Fehler, die das Verletzungsrisiko bei jeder beliebigen Tätigkeit erhöhen. Entscheidend ist, die Konzentration reflexartig zurückzugewinnen. Der SafeStart-Ansatz geht daher noch eine Ebene tiefer und arbeitet dahingehend, dass sich Mitarbeiter unbewusst richtig verhalten – vor allem in Momenten, die einem möglichen Unfall unmittelbar vorausgehen.
Da drängt sich die Frage auf: Wie soll das gehen?
CS: Es ist natürlich wie bei jedem »Skill«: Je mehr ich daran arbeite, mich in Momenten der Hektik auf meine Tätigkeit zu konzentrieren, desto schneller verfestigt sich ein Muster: »Hektik löst den Reflex aus, den Kopf bei der Sache zu behalten.« Es ist wie im Basketball: Erst durch intensives Training wird man geschickter und beherrscht eine Wurftechnik wirklich gut und die Trefferquote steigt.
LW: Im Bereich der Arbeitssicherheit trainieren wir vier Techniken zur Reduzierung kritischer Fehler (CERTs). Eine davon zielt konkret auf sicherheitsrelevante Gewohnheiten ab. Ein gutes Beispiel ist, sich erst nach sich bewegenden Gefährdungen umzuschauen, bevor man sich selbst bewegt – und damit Unfallursachen von Vornherein aus dem Weg geht.
Gewohnheiten zu ändern ist schwer – das zeigen die letzten Wochen während der Corona-Thematik gut.