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Corona-Arbeitsschutzstandard: neue Herausforderungen für die Betriebe

Ein Kommentar von Arbeitsstättenexperte Dr. jur. Kurt Kreizberg zum neuen Corona-Arbeitsschutzstandard..
Foto: © eldarnurkovic - stock.adobe.com

Unser Arbeitsstättenexperte Dr. jur. Kurt Kreizberg hat sich den neuen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales genauer angesehen und Unklarheiten in der Formulierung sowie Empfehlungen gefunden, die sich für Unternehmen zunehmend als problematisch erweisen könnten.

Der am 16. April 2020 vom Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellte SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard hat unter dem Datum vom 27. April 2020 als Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) Eingang gefunden in das Gemeinsame Ministerialblatt (GMBl. Nr. 16, Seite 303 ff).

Der – medial auf zehn Punkte reduzierte – Kern des neuen Coronastandards besteht faktisch aus 17 Punkten, die sich, über drei Abschnitte verteilt, am TOP-Prinzip orientieren. TOP steht dabei für technische, organisatorische und personenbezogene (besondere) Arbeitsschutzmaßnahmen.

Die weitere Ausgestaltung und Interpretation dieses 17-Punkte-Kataloges wurde einem »Corona-Arbeitsschutzstab« überantwortet, der, wie das BMAS am 23. April 2020 mitteilte, unter der Leitung von Staatssekretär Böhning, nunmehr wöchentlich tagend, »Fragen um die Einführung und Umsetzung in den Betrieben klären soll«.

Letzteres ist, wie eine erste kursorische Auswertung des Dokuments ergibt, auch mehr als notwendig.

»Unternehmen sollen sich auf folgende Fragen und Probleme einstellen«

Die betriebliche Praxis sollte sich, losgelöst vom Wirken des Arbeitsstabes bereits heute beispielhaft auf folgende Fragen und Probleme einstellen, die aber nur die »Spitze des Eisbergs« bilden. Vor allem begriffliche Unklarheiten treten in dem neuen Arbeitsschutzdokument zutage.

So will der neue Standard ein »Arbeitsschutz-Standard« sein. Leider weicht er an vielen Stellen von »standardisierten« Begriffen des Arbeitsschutzes, insbesondere der Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) ab.

Punkt 2 »Sanitärräume, Kantinen und Pausenräume« der neuen Arbeitsschutzregeln empfiehlt zum Beispiel in Coronazeiten (!!!) die Installation von Handtuchspendern (!!!) zur Handhygiene, was faktisch mindestens so problematisch ist wie begrifflich, da es diesen Begriff in der ASR A4.1 »Sanitärräume« nicht gibt, wohl aber »Textilhandtuchautomaten«.

Punkt 4 »Infektionsschutzmaßnahmen für Baustellen, Landwirtschaft, Außen- und Lieferdienste, Transporte und Fahrten innerhalb des Betriebs« rät zwar zur Hygiene mittels «Papierhandtüchern«. Ein Verweis auf die in der ASR »Sanitärräume« bereits seit langem benannten »Einmalhandtücher« wäre sinnvoller gewesen.

Punkt 5 »Infektionsschutzmaßnahmen für Sammelunterkünfte« spricht von »Sammelunterkünften« anstatt von »Unterkünften«. Der Begriff »Gemeinschaftseinrichtungen« bzw. »Gemeinschaftsräume« findet sich in den geltenden Technischen Regel für Arbeitsstätten (ASR) ebenso wenig wie die »gemeinsam genutzten Einrichtungen« (Punkt 10).

Erste-Hilfe-Räume und Einrichtungen findet man im neuen Standard ebenso wenig wie die Ruheräume für Schwangere und Stillende.

Punkt 11 »Aufbewahrung und Reinigung von Arbeitsbekleidung und PSA« lässt offen, wie es um die Reinigung von Persönlicher Schutzausrüstung (PSA) bestellt ist, da nur die Reinigung von Arbeits(be?)kleidung geregelt wird.

Kontakt zu Unfallversicherung und Berufsgenossenschaften ist anzuraten

Bereits an dieser Stelle ist dem Betriebspraktiker, losgelöst von den Erkenntnissen des BMAS-Stabes, der kurzfristige Kontakt zur Unfallversicherung zu raten, die hier Hilfestellung bei der Interpretation und Auslegung geben muss.

Auch der Kreis, der querbeet durch die 17 Punkte angesprochenen Personengruppen ist sowohl nach Arbeitsschutz- wie auch nach Datenschutzmaßstäben kritisch zu hinterfragen. Das Leitmotiv des neuen Standards, besondere Maßnahmen »bei der Arbeit« vorzusehen, wird weit überschritten, wenn der Arbeitgeber nach

  • Punkt 4 (siehe oben) differenzieren muss, zwischen »Beschäftigten« sowie einem »Personenkreis« und »mehreren Personen«,
  • Punkt 5 (siehe oben) eine Mehrfachbelegung von »Sammelunterkünften« durch Partner (!!!) und Familienangehörige (???) abwenden muss,
  • Punkt 12 »Zutritt betriebsfremder Personen zu Arbeitsstätten und Betriebsgelände« in investigativer Weise Bewegungsbilder betriebsfremder Personen (also auch seiner Kunden!!!) erstellen soll bzw. am besten Kunden gleich ganz fern halten soll vom eigenen Betrieb,
  • Punkt 14 »Psychische Belastungen durch Corona minimieren« psychische Belastungen aus »Social distancing« einkalkulieren muss, selbst wenn dieses auf privaten Abgrenzungen beruht (Großeltern im Seniorenheim, Angehörige in Klinik-Quarantäne).

Auch diese wenigen Punkte geben bereits jetzt hinreichend Anlass zu der Empfehlung, sich als Arbeitgeber bei allen Arbeitsschutzmaßnahmen auf den Bereich »bei der Arbeit« zu konzentrieren und sich nicht darüberhinausgehende Probleme, etwa im Datenschutz einzuhandeln.

Unfallversicherung und Arbeitsschutzbehörden sollten im Rahmen ihres Beratungsauftrages frühzeitig in die Pflicht genommen werden.

Stand: 30. April 2020

Über den Autor

Arbeitsstättenexperte Dr. jur. Kurt Kreizberg

Dr. jur. Kurt Kreizberg
Rechtsanwalt in Solingen
seit 2013: Lehrbeauftragter für Arbeits- und Sozialrecht an der FOM Essen
seit 2016: Autor des Loseblatt-Kommentars (Carl Heymanns Verlag)
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