Fachbeitrag  Recht und Urteile, Arbeitssicherheit  

Gesetzliche Unfallversicherung: Hohe Anforderungen an einen Zuständigkeitswechsel

Anforderungen bei Zuständigkeitswechsel der Unfallversicherung
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Während Vereinsmitgliedschaften oder auch Parteizugehörigkeiten ohne allzu große Hürden jederzeit aufgekündigt werden können, verhält sich dies mit der Zugehörigkeit zu den Systemen der sozialen Sicherung völlig anders. Wie, das zeigt ein Gerichtsverfahren. 

Der Wechsel von der gesetzlichen zur privaten Krankenversicherung ist an ein Mindesteinkommen gekoppelt. Der Ausstieg aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist gekoppelt an den Ausstieg aus abhängiger Beschäftigung. Für Freiberufler (Ärzte, Anwälte) erfolgt die weitere Absicherung dann in berufsständischen Versorgungswerken. Ähnlich komplex gestalten sich die Dinge innerhalb der gesetzlichen Unfallversicherung, die mit ihren teilweise gravierenden Beitragsunterschieden den Wunsch zum Wechsel forciert. 

Der Fall 

Die Klägerin betrieb schon vor mehr als dreißig Jahren in Nordrhein-Westfalen (NRW) ein Tierkörperbeseitigungsunternehmen mit neun Logistikstandorten und vier Beseitigungsanlagen. 

Die Berufsgenossenschaft (BG) der chemischen Industrie nahm sie Anfang 1991 in ihr Unternehmensverzeichnis auf. In der Folgezeit trat die BG Rohstoffe und chemische Industrie mit Sitz in Heidelberg die Rechtsnachfolge der vormaligen BG Chemie an, womit auch die weitere Zuständigkeit für Unternehmen verbunden war, die Tierkörper und tierische Abfälle verwerten, Stoffe aus tierischen Abfallprodukten extrahieren und besondere Abfälle in Anlagen entsorgen. 

Die in Hamburg ansässige Berufsgenossenschaft (BG) Verkehrswirtschaft, Post-Logistik, Telekommunikation (kurz: BG Verkehr) als Beigeladene im Verfahren ist zuständig für Unternehmen des gesamten straßengebundenen Verkehrsgewerbes mit seinen Einrichtungen. Dazu gehören in der Entsorgungswirtschaft unter anderem die Abfall- und Reststoffbeförderung, die Müllabfuhr sowie die Verwertung von Alt-, Abfall- und Wertstoffen. 

Im Jahre 1991 beschäftigte die Klägerin 130 Mitarbeiter und verwertete in erster Linie Tierkörper, die sie auch mit eigenen Fahrzeugen einsammelte. 

Daraus stellte sie mit 100 Produktionsmitarbeitern, also gut drei Vierteln der Gesamtbelegschaft, gewinnbringend Tiermehl als Futtermittel für die Landwirtschaft her, was aber in den Folgejahren aufgrund der BSE-Krise (Rinderwahn) zunehmender gesetzlicher Reglementierung unterlag.  

Seitdem verbrannte die Klägerin das Tiermehl in ihren vier Beseitigungsanlagen. Deshalb und aufgrund verschärfter seuchenhygienischer Regelungen wurde das professionelle Abholen, Sammeln und Befördern von Tierkörpern mit Spezialfahrzeugen immer bedeutsamer, was zu einer Erweiterung des Fuhrparks auf zuletzt 160 Fahrzeuge im Jahre 2010 und einer Erweiterung der Belegschaft auf knapp über 300 Beschäftigte führte. 

Im Februar 2011 beantragte die Klägerin, im Ergebnis aber ohne Erfolg, die Überweisung ihres Unternehmens an die in Hamburg ansässige BG Verkehr. 

Die im Anschluss daran vor der Sozialgerichtsbarkeit in NRW erhobene Klage war in beiden Instanzen ebenfalls erfolglos, während in der Zwischenzeit die Zahl der Mitarbeiter im Fuhrpark auf zuletzt 174 Personen im Jahr 2016 anstieg, was einem Anteil von 56 Prozent an der Lohnsumme der Gesamtbelegschaft gleichkam. 

Vorinstanzen 

Die Klageabweisungen durch  

  • Sozialgericht (SG) Dortmund, Urteil vom 07.10.2016 -S 18 U 886/12-
  • Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05.06.2020 -4 U 751/16-

erfolgten im Wesentlichen mit dem Argument, dass weder die Struktur noch das Gepräge des Unternehmens im Laufe der Jahre grundlegend und wesentlich umgestaltet worden seien. Das in erster Linie betriebene Geschäft der Tierkörperbeseitigung und -verwertung sei im Kern unverändert geblieben. 

Mit der Revision zum Bundessozialgericht (BSG) hat die Klägerin sich auf die Verletzung von Normen des SGB VII wie auch des europäischen Rechts berufen und geltend gemacht, dass für eine grundlegende Umgestaltung innerhalb eines Gesamtunternehmens eine Schwerpunktverlagerung der Geschäftstätigkeit genüge, die nach der Mitarbeiterzahl und den Lohnsummen zu bemessen sei. 

Die Entscheidung 

Auch die Revision der Klägerin vor dem für das Unfallversicherungsrecht zuständigen zweiten Senat des BSG blieb letztlich erfolglos. Die ursprünglich festgestellte Zuständigkeit der BG Chemie habe sich nachträglich nicht wesentlich geändert, so die obersten Sozialrichter in Kassel. 

  • Bundessozialgericht (BSG) Urteil vom 08.12.2022 -B 2 U 17/20 R- 

Die BG Chemie in Heidelberg sei, so das BSG, seit jeher für die Unternehmen der Tierkörperverwertung und -beseitigung zuständig gewesen. Die Zuständigkeit der BG Verkehr liege dagegen bei den gewerbsmäßigen Fuhrwerksbetrieben.

Überdies habe das für das Unfallversicherungsrecht zuständige Bundesarbeitsministerium (BMAS) von einer Verordnungsermächtigung zur Neuregelung der sachlichen Zuständigkeiten keinen Gebrauch gemacht.  

Die Sonderzuständigkeit der BG Chemie für Betriebe der Tierkörperbeseitigungsbranche verdränge daher die allgemeine Zuständigkeit der BG Verkehr für Unternehmen des gesamten straßengebundenen Verkehrsgewerbes. 

Zwar befördere die Klägerin mit ihrem Fuhrpark auch tierische Abfälle und Tierkörper. Diesen Service müsse sie aber, nach den einschlägigen Vorschriften im Verbund mit der Tierkörperbeseitigung anbieten, sodass die Entsorgungssparte weiterhin prägend bleibe. In diesem Kontext hat das BSG abschließend auch eine Verletzung europäischen Rechts (Einschränkung des freien Verkehrs von Waren und Dienstleistungen) verneint. 

Quelle/Text: Dr. jur. Kurt Kreizberg

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Über den Autor

Dr. jur. Kurt Kreizberg
Rechtsanwalt in Solingen
seit 2013: Lehrbeauftragter für Arbeits- und Sozialrecht an der FOM Essen
seit 2016: Autor des Loseblatt-Kommentars (Carl Heymanns Verlag)
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