Scheuermann, Praxishandbuch Brandschutz

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8.9.1 Grundlagen und Anforderungen

Dieser Abschnitt beschreibt folgende Maßnahmen des konstruktiven Explosionsschutzes, welche die Auswirkung einer Explosion auf ein unbedenkliches Maß beschränken:

  • explosionsfeste Bauweise

  • Explosionsdruckentlastung

  • Explosionsunterdrückung

  • explosionstechnische Entkopplung (von Flammen und Druck)

Die aufgeführten Maßnahmen gelten – soweit sie Anforderungen an die Beschaffenheit beinhalten – nur für Anlagen, Geräte und Ausrüstungen, die nicht Geräte und Schutzsysteme im Sinne der Explosionsschutzprodukteverordnung (11. ProdSV) sind. Viele der hier beschriebenen Schutzsysteme werden als autonome Schutzsysteme im Sinne der Explosionsschutzprodukteverordnung (11. ProdSV) in Verkehr gebracht, z.B. Explosionsentlastungssysteme, Explosionsunterdrückungssysteme, Flammendurchschlagsicherungen, Schnellschlussschieber, -klappen und -ventile, Doppelschieber, Zellradschleusen und Löschmittelsperren. Solche Systeme werden überwiegend nach harmonisierten Normen ausgelegt und nach Konformität bewertet. Diese Normen enthalten neben den für die Konformitätsbewertung notwendigen Angaben auch Informationen für die richtige Auswahl und den richtigen Einsatz sowie den Betrieb dieser Schutzsysteme.

Zu erwartender Explosionsdruck (perw)

Der zu erwartender Explosionsdruck (perw) ist der maximale Druck, der in einem Anlagenteil bei realisiertem Schutzkonzept unter Berücksichtigung sowohl der gegebenen Anlagen und Verfahren als auch aller möglichen Betriebsparameter und Betriebszustände auftreten kann.

Der zu erwartende Explosionsdruck kann sein:

  1. a)

    der maximale Explosionsdruck (pmax)

  2. b)

    ein von dem maximalen Explosionsdruck (pmax) nach oben oder unten abweichender anlagen- und verfahrensspezifischer Explosionsdruck oder

  3. c)

    ein reduzierter Explosionsdruck (pred)

Der zu erwartende Explosionsdruck kann geringer sein als der maximale Explosionsdruck, wenn z.B. der Behälter nur zum Teil mit gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre gefüllt ist, die Gemischzusammensetzung für die Explosionsabläufe ungünstig ist oder Abkühlungseffekte durch umfangreiche Einbauten auftreten.

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Abb. 1: Explosionsdruck – Zeit – Verlauf

Der zu erwartende Explosionsdruck kann höher sein als der maximale Explosionsdruck, z.B. wenn ein Vordruck in der Anlage vorhanden ist oder erhöhte Turbulenz (im Vergleich zu den Laborbedingungen) auftritt.

Der zu erwartende Explosionsdruck entspricht dem reduzierten Explosionsdruck, wenn die Anlage durch Explosionsunterdrückung oder Explosionsdruckentlastung geschützt wird.

Explosionsdruck (pex) und maximaler Explosionsdruck (pmax)

Explosionsdruck (pex) ist der unter festgelegten Versuchsbedingungen ermittelte Druck, der in einem geschlossenen Behälter bei der Explosion einer explosionsfähigen Atmosphäre mit bestimmter Zusammensetzung auftritt. Maximaler Explosionsdruck (pmax) ist der höchste ermittelte Explosionsdruck, der bei Änderung der Brennstoffanteile auftritt.

Reduzierter Explosionsdruck (pred)

Reduzierter Explosionsdruck (pred) ist der in einem durch Explosionsdruckentlastung oder Explosionsunterdrückung geschützten Behälter auftretende Explosionsdruck.

Explosionsfeste Bauweise

Anlagenteile wie Behälter, Apparate, Rohrleitungen sind explosionsfest, wenn sie so gebaut sind, dass sie dem zu erwartenden Explosionsdruck im Innern standhalten, ohne aufzureißen.

Explosionsfeste Bauweise schließt explosionsdruckfeste und explosionsdruckstoßfeste Bauweise ein.

Anlagenteile sind explosionsdruckfest, wenn sie dem zu erwartenden Explosionsdruck standhalten, ohne sich bleibend zu verformen.

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Abb. 2: Druckverlauf bei einer Explosionsunterdrückung
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Abb. 3: Beispiele von explosionsfesten Tankanlagen, vor und nach dem Explosionsereignis – A: explosionsdruckfeste Bauweise; B: explosionsdruckstoßfeste Bauweise
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Anlagenteile sind explosionsdruckstoßfest, wenn sie dem zu erwartenden Explosionsdruck standhalten, ohne aufzureißen, wobei jedoch bleibende Verformungen zulässig sind.

Explosionsdruckentlastung

Bei einer Explosionsdruckentlastung werden bei einer Explosion in einem Anlagenteil definierte Öffnungen freigegeben, damit das Anlagenteil nicht über seine Explosionsfestigkeit hinaus beansprucht wird.

Explosionsdruckentlastungseinrichtungen

Einrichtungen zur Explosionsdruckentlastung können z.B. Berstscheiben oder Explosionsklappen oder ständige Öffnungen sein. Sicherheitsventile sind keine Explosionsdruckentlastungseinrichtungen.

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Abb. 4: Berstscheiben als Explosionsdruckentlastungseinrichtungen

Explosionsunterdrückung

Die Explosionsunterdrückung ist eine Verfahrensweise, bei der die Verbrennung einer explosionsfähigen Atmosphäre in einem geschlossenen oder im Wesentlichen geschlossenen Volumen erkannt und in der Anfangsphase durch Zugabe eines geeigneten Löschmittels abgebrochen wird, so dass es nicht zu einem gefährlichen Druckaufbau kommt.

Eine Explosion gilt dann als unterdrückt, wenn es möglich ist, den maximalen Explosionsdruck (pmax) auf einen reduzierten Explosionsdruck (pred) zu begrenzen, d.h., der zu erwartende Explosionsdruck wird verringert.

Explosionsunterdrückungssystem

Ein Explosionsunterdrückungssystem besteht im Wesentlichen aus Detektoren, einer Steuerzentrale und unter Druck stehenden Löschmittelbehältern.

Explosionstechnische Entkopplung

Durch die explosionstechnische Entkopplung wird die Ausbreitung einer Explosion (Druck und/oder Flamme) in andere Anlagenteile und -bereiche, z.B. über Verbindungsrohre oder -kanäle, verhindert.

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Abb. 5: Schnellschlussventil

Entkopplungseinrichtungen

Gesamtheit von Einrichtungen zur Realisierung einer explosionstechnischen Entkopplung sind z.B.:

  • mechanisches Schnellabsperren

  • Löschen von Flammen in engen Spalten oder durch Löschmitteleintrag

  • Aufhalten von Flammen durch hohe Gegenströmung

  • Tauchung

  • Schleusen

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Abb. 6: Explosionstechnische Entkopplung in einer Anlage
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Bei Explosionen von Gasen, Dämpfen und Nebeln im Gemisch mit Luft sind wegen der unter Umständen sehr hohen Ausbreitungsgeschwindigkeiten (Detonationen) aktive Absperr- oder Löschungssysteme oft zu langsam, so dass hier passive Elemente, z.B. Bandsicherungen oder Tauchungen oder Systeme mit hoher Gegenströmung, bevorzugt werden.

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Abb. 7: Schnellschlussschieber

8.9.1.1 Anforderungen

Allgemeines

Bei Auswahl und Bemessung sowie Installation, Betrieb, Wartung, Prüfung und Instandsetzung von Einrichtungen zum konstruktiven Explosionsschutz sind funktionsbeeinträchtigende Einflüsse, z.B. durch Korrosion, Alterung, Abrasion, Prozessführung oder Umwelteinflüsse, zu beachten.

Damit die sichere Funktion von Einrichtungen des konstruktiven Explosionsschutzes gewährleisten werden kann, sind die Informationen zu Installation, Betrieb, Wartung, Prüfung und Instandsetzung in den Betriebsanleitungen zu beachten.

Zum Schutz vor den Auswirkungen einer Explosion können beim konstruktiven Explosionsschutz folgende Maßnahmen in unterschiedlichen Kombinationen angewendet werden:

  • explosionsfeste Bauweise

  • Explosionsdruckentlastung

  • Explosionsunterdrückung

  • Explosionsentkopplung

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Sofern im Falle einer Explosion mit deren Ausbreitung von einem Anlagenteil auf andere Anlagenbereiche zu rechnen ist, muss neben der explosionsfesten Bauweise auch die explosionstechnische Entkopplung grundsätzlich Bestandteil des konstruktiven Explosionsschutzes sein.

Bei der Ausbreitung von Explosionen von einem Anlagenteil auf andere Anlagenbereiche kann es zu Vorkompression, hohen Turbulenzen und extrem zündwirksamen Flammenstrahlen kommen. Diese Effekte können in verbundenen oder angrenzenden Anlagenteilen zu besonders heftigen Folgeexplosionen führen, die mit den Mitteln des konstruktiven Explosionsschutzes unter vertretbarem technischem Aufwand nicht sicher beherrschbar sind. Bei Unterteilung des Innern von Apparaturen oder bei Verbindungen von Behältern, z.B. durch Rohrleitungen, kann während einer Explosion in dem einen Teilvolumen der Druck in dem anderen Teilvolumen erhöht werden (Vorkompression).

Eine Explosion, die bei erhöhtem Ausgangsdruck (z.B. durch Vorkompression) eingeleitet wird, führt zu einem höheren Explosionsdruck als dem bei atmosphärischen Bedingungen zu erwartenden Explosionsdruck (der Explosionsdruck ist direkt proportional zu dem Ausgangsdruck).

Für die Ermittlung des zu erwartenden Explosionsdruckes müssen insbesondere folgende Randbedingungen bzw. Einflussgrößen berücksichtigt werden:

  • Brennstoffart und -konzentration/explosionstechnische Kenngrößen

  • Anlagengeometrie

  • Herstellungs- oder Bearbeitungsverfahren

  • Sauerstoffkonzentrationen

  • Teilbefüllung von Anlagenteilen mit explosionsfähigem Gemisch Druckverhältnisse 4-8

  • Turbulenzen

  • Wirksamkeit vorgelagerter Maßnahmen (z.B. Mengen- oder Konzentrationsbegrenzung, Inertisierung)

  • Wirksamkeit explosionsdruckmindernder Maßnahmen (z.B. Explosionsdruckentlastung, Explosionsunterdrückung, explosionstechnische Entkopplung)

Ist in einem Behälter immer nur ein Teilvolumen mit explosionsfähiger Atmosphäre ausgefüllt oder kann die Konzentration des brennbaren Stoffes so begrenzt werden, dass die optimale Brennstoffkonzentration nicht erreicht werden kann, können ggf. niedrigere Explosionsdrücke in der Anlage/Apparatur erwartet werden.

Explosionsfeste Bauweise

Bei Explosionen in Rohrleitungen oder langgestreckten Apparaturen können sich Druckstoßfronten ausbilden, die nach längeren Flammen- 8.9.1 Grundlagen und Anforderungen – Seite 8 – 01.05.2010<<>>laufstrecken L unter Umständen in Detonationsfronten übergehen. Dabei treten lokal kurzzeitig Druckstöße auf, deren Spitzenwerte ein Mehrfaches des maximalen Explosionsdruckes erreichen können. Turbulenzerhöhende Einbauten, z.B. Messblenden, Ventile, Rohrbögen oder Querschnittsveränderungen, können die Anlaufstrecke für Detonationen erheblich reduzieren. Bei Gasen und Dämpfen sind derartige Druckbelastungen durch Stoßfronten bei L/D < 5 (D = Durchmesser) jedoch nicht zu erwarten.

Als Mindestauslegungsdruck für Anlagenteile und Apparate in explosionsfester Bauweise ist der zu erwartende Explosionsdruck zugrunde zu legen.

Die Auslegung von Rohrleitungen und Krümmern für Nenndruck 10 bar (PN 10) ist bei Verwendung zäher Werkstoffe und bei atmosphärischen Bedingungen ausreichend dafür, dass nicht gekrümmte Rohrleitungen Detonationsbeanspruchungen widerstehen. Insbesondere widerstehen Krümmer der Beanspruchung durch Detonationen von gesättigten Kohlenwasserstoffen im Gemisch mit Luft, wenn der Umlenkwinkel nicht mehr als 90 Grad beträgt. Bei anders geformten Anlagenteilen (z.B. Querschnittsveränderungen, Einschnürungen) und bei besonders reaktionsfähigen Gemischen können Ausführungen in einer höheren Druckstufe als Nenndruck 10 bar (PN 10) notwendig sein.

Nach Explosions- oder Detonationsereignissen müssen die betroffenen Anlagenteile dahin gehend überprüft werden, ob die Explosionsfestigkeit weiterhin gegeben ist.

Explosionsdruckentlastung

Eine Explosionsdruckentlastung ist unzulässig, wenn durch die dabei freigesetzten Stoffe Beschäftigte oder Dritte gefährdet werden können.

Eine Explosionsdruckentlastung ist so vorzunehmen, dass Gefährdungen für Beschäftigte und Dritte, z.B. durch Druck- und Flammenwirkung oder durch weggeschleuderte Teile, vermieden werden. Die bei der Explosionsdruckentlastung auftretenden Rückstoßkräfte sind zu berücksichtigen.

Eine Explosionsdruckentlastung in den Arbeitsbereich ist grundsätzlich zu vermeiden.

Eine Explosionsdruckentlastung soll auf möglichst kurzem und geradem Weg erfolgen.

Wird an die Explosionsdruckentlastungseinrichtung ein Ausblasrohr angeschlossen, ist insbesondere zu berücksichtigen, dass

  • sich der reduzierte Explosionsdruck im zu schützenden Anlagenteil erhöht und

  • erhöhte Rückstoßkräfte auftreten.

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Abb. 8: Test von Explosionsdruckentlastungen

Die Explosionsdruckentlastung ist so auszulegen, dass die durch die Explosionsdruckentlastung geschützten Anlagenteile dem reduzierten Explosionsdruck standhalten können.

Explosionsdruckentlastungseinrichtungen und Ausblasrohre sind regelmäßig auf einwandfreien Zustand zu überprüfen. Dabei sind auch Beeinträchtigungen durch Umwelteinflüsse, z.B. Schneelast oder Vereisung, zu berücksichtigen.

Die sichere Funktion einer Explosionsdruckentlastungseinrichtung muss nachweisbar sein. Der Nachweis gilt z.B. als erbracht, wenn die Explosionsdruckentlastungseinrichtung als autonomes Schutzsystem gemäß der Explosionsschutzprodukteverordnung (11. ProdSV) in Verkehr gebracht worden ist und bestimmungsgemäß verwendet wird.

Explosionsunterdrückung

Bei dem Einsatz eines Explosionsunterdrückungssystems sind auch Gefährdungen für Beschäftigte oder Dritte durch die Freisetzung des Explosionsunterdrückungsmittels, z.B. bei Instandhaltungsmaßnahmen, zu berücksichtigen.

Das Explosionsunterdrückungssystem ist so auszulegen, dass die durch das Explosionsunterdrückungssystem geschützten Anlagenteile dem reduzierten Explosionsdruck standhalten können.

Bei der Auslegung des Explosionsunterdrückungssystems ist zu berücksichtigen, dass dessen Wirksamkeit unter anderem von der gegebenen Anlagen- und Verfahrenstechnik, den Betriebsparametern, wie Temperatur und Druck, den Eigenschaften der eingesetzten Stoffe und des Explosionsunterdrückungsmittels abhängt.

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Abb. 9: Funktionsprinzip der Explosionsunterdrückung
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