DGUV Information 202-111 - Mit Schulleitung gesunde, inklusive Schule gestalten Handlungsempfehlungen und Reflexionsimpulse für Schulentwicklungsprozesse

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Abschnitt 1 - 1 Einleitung

Inklusion zeigt sich insbesondere in Deutschland als paradoxer Innovationsauftrag für zahlreiche Akteure im Schul- und Bildungssystem. In einem in Teilen auf Exklusion ausgelegten Schulsystem muss das Recht auf Inklusion umgesetzt werden. Es scheint vor diesem Hintergrund wenig verwunderlich, dass wir es mit einer herausfordernden und in Teilen sehr emotional geführten Debatte zu tun haben. In der tagtäglichen, praktischen Ausgestaltung inklusionsorientierter Schulentwicklung werden die Spannungsfelder insbesondere auf Ebene der Einzelschulen deutlich, wo sie insbesondere auch von den Schulleitungen täglich ausbalanciert werden müssen. Zunehmend häufen sich Berichte aus der Praxis, dass dies unter zu knapper Ressourcenlage und einem deutlich gestiegenen Professionalisierungsbedarf der beteiligten Akteure ausgestaltet werden muss. Auch scheint es häufig kaum zeitliche Ressourcen zu geben, um die stattfindenden Prozesse "bei laufendem Betrieb" systematisch zu reflektieren und anzuleiten.

So ist es kaum verwunderlich, dass nach einer Phase bildungspolitischer Reformprozesse in den Bundesländern und einer großen Aufmerksamkeit für das Thema Inklusion, sich nun Berichte häufen, die nicht selten von einem Scheitern der Inklusionsbemühungen im Land berichten. Es ist die Rede von einem Aktionismus, der alle Beteiligten überfordere. 1 Nachdem die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in allen Bundesländern durch schulgesetzliche Änderungen zunächst enorm an Tempo aufgenommen hatte, scheint sich die Stimmung mitunter offensichtlich nun auch medial gewendet zu haben. Der Filmbeitrag "Ich.Du.Inklusion - Wenn Anspruch auf Wirklichkeit trifft 2" zeugt von der in Teilen empfundenen Überforderungsstimmung im Land.

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g_bu_1787_as_4.jpgMeine Hauptaufgabe ist es überall rumzulaufen und zu sagen: "Inklusion ist möglich". Weil es macht sich ja mittlerweile die Stimmung breit, Inklusion ist eine gute Idee aber schlecht durchgeführt.
(Schulleitender, Modellschule)
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In dieser emotional aufgeladenen Debatte soll diese Schrift insbesondere die erweiterten Schulleitungen und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer (in der Schulleitungsqualifizierung, der Kommune, der Bildungsadministration, etc.) darin unterstützen, die Entwicklungen auf der Ebene ihrer jeweiligen Einzelschule zu versachlichen und zu reflektieren, um damit wieder Raum für neue Entwicklungen zu geben. Im Sinne einer Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Praxis wird das Ziel verfolgt, Schulleitungen Empfehlungen und Reflexionshilfen an die Hand zu geben, um diese Prozesse zu unterstützen. Die Schrift versteht sich hier als erste Orientierung.

Entstanden ist diese DGUV Information auf der Grundlage eines Forschungsprojektes der Universität Bielefeld und der Universität zu Köln im Auftrag der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. (DGUV). Aus Anlass einer enormen Forschungslücke für den Bereich Schulleitungen und Inklusion im Land hat die Universität Bielefeld (Prof. Dr. Bettina Amrhein) in Kooperation mit der Universität zu Köln (Prof. Dr. Kerstin Ziemen, Dr. Benjamin Badstieber) in den Jahren 2015-2018 eine wichtige empirische Datengrundlage geschaffen, um den Schulleitungen gezielte Unterstützungsmöglichkeiten anbieten zu können 3.

Leitend für die daraus entstandene DGUV Information ist dabei ein transformatorisches Verständnis schulischer Inklusion, das nach Möglichkeiten sucht, die schulischen Kulturen, Strukturen und Praktiken so aus- und umzugestalten, dass alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam und gleichzeitig ihren individuellen Bedürfnissen entsprechend lernen können. In dieser Perspektive ist die Frage nach einer sinnvollen Verschränkung und Transformation der vormals getrennten "sonder-" und "allgemein-pädagogischen" Angebote ein wesentlicher Teilbeitrag, der auch in dieser Handreichung besondere Berücksichtigung findet. Gleichzeitig wird jedoch davon ausgegangen, dass die bestehenden Barrieren der Teilhabe in Schule nicht alleine durch die Beschulung der Schülerinnen und Schüler mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf an einer allgemeinbildenden Schule und eine "Anreicherung" der dort bestehenden Angebote mit sonderpädagogischer Expertise überwunden werden können. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass es notwendig ist, die Trennung zwischen Sonder- und Allgemeiner-Pädagogik grundlegend zu reflektieren und ein gemeinsames pädagogisches Verantwortungsgefühl für alle Schülerinnen und Schüler zu entwickeln. Dabei kommen automatisch nicht nur Fragen zur Differenz zwischen den Schülerinnen und Schüler mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf in den Blick, sondern auch Fragen nach einem wertschätzenden Umgang mit allen an Schule Beteiligten unter der Berücksichtigung unterschiedlicher Differenzlinien (soziale Herkunft, Migrationshintergrund, Geschlecht etc.) und damit zusammenhängenden Exklusionsrisiken.

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g_bu_1787_as_4.jpgAls wir uns dieser Thematik Inklusion angenommen haben, da haben wir nochmal ein deutliches Gefühl dafür gekriegt, dass wir uns von der Einheitsschule oder von einem Regelprogramm verabschieden mussten. Und so ist das ein Antriebsmotor gewesen, auch diese Schule neu zu denken und diese Schule auch entscheidend konzeptionell zu verändern.
(didaktische Leitung, Gesamtschule)
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Die hier vorliegende DGUV Information 202-111 "Mit Schulleitung gesunde, inklusive Schule gestalten - Handlungsempfehlungen und Reflexionsimpulse für Schulentwicklungsprozesse" ist der Versuch, aus den für den nationalen Raum spannenden Forschungsergebnissen, Bedeutsames für die schulische Praxis der weiterführenden Schulen aber auch der Grundschulen abzuleiten. Die Schrift kann dazu genutzt werden, den eigenen Inklusionsprozess nachhaltig und auf das eigene System zugeschnitten voranzubringen.

Wir wünschen Ihnen ganz viel Erfolg mit Ihrem Schulentwicklungsprozess!

Bettina Amrhein & Benjamin Badstieber

Für Fragen und Anregungen melden Sie sich gerne bei uns.

bettina.amrhein@uni-bielefeld.de

benjamin.badstieber@uni-bielefeld.de

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