DGUV Information 207-010 - Bewegen von Menschen im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege Prävention von Muskel- und Skelett-Erkrankungen

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Abschnitt 3.5 - 3.5 Arbeitsorganisation

Die Organisation der Arbeit kann entscheidenden Einfluss auf physische und psychische Belastungen der Beschäftigten nehmen. Diese können sich auch in Form von Rückenbeschwerden zeigen. Häufig resultieren hohe Belastungen aus einem Missverhältnis zwischen vorhandenem oder eingeplantem Personal und zu erledigenden Tätigkeiten. Zudem belasten Schichtarbeit, mangelnde Dienstplanzuverlässigkeit und dadurch bedingte Einschränkungen im Privatleben die Beschäftigten. Der Zusammenhang zwischen psychischen und sozialen Belastungen und Rückenbeschwerden ist inzwischen hinreichend belegt (vgl. u. a. Stadler/Spieß 2009, Burnus et al. 2012). Daher sollte Arbeit so organisiert werden, dass alle Arten von Belastung für die Beschäftigten nach Möglichkeit reduziert werden können. Hierzu lassen sich verschiedene Aspekte der Arbeitsorganisation z. B. Personaleinsatzplanung oder Schnittstellen zu anderen Abteilungen/ Einrichtungen betrachten.

Dies kann generalisiert auf eine komplette Einrichtung betrachtet werden, aber auch bezogen auf bestimmte Arbeitsbereiche (z. B. Station, Wohnbereich, Therapie, Privathaushalt, Praxis) und auf die Durchführung einzelner Arbeitstätigkeiten.

3.5.1
Pflege-/Betreuungssysteme

Pflege- und Betreuungssysteme werden durch zwei Eigenschaften charakterisiert: das Prinzip und die Organisationsform. Das Prinzip macht Aussagen über den Grad der "Orientierung am Menschen" und somit auch über den Grad der Vollständigkeit der Tätigkeit (z. B. Funktionspflege, Primary Nursing). Die Organisationsform hingegen beschreibt lediglich die organisatorische Gestaltung der Pflege/Betreuung (vgl. Schieron 2003). Dies bedeutet vereinfacht: Wie hoch ist die Anzahl der Personen, die von einer Pflege- oder Betreuungsperson versorgt werden und wo (örtlich betrachtet) sind die Beschäftigten zuständig (z. B. Bereichspflege, Zimmerpflege)?

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass unter dem Gesichtspunkt physischer Belastungen das Arbeiten in rein funktionalen, tätigkeitsorientierten Systemen eher ungünstig ist. Müssen einzelne Beschäftigte beispielsweise alle Bewegungsunterstützungen leisten, während andere Beschäftigte ausschließlich Dokumentationsarbeiten erledigen, stellen sich einseitige körperliche Belastungen ein.

Das Arbeiten in prozessorientierten Systemen ist hier vorteilhafter. Die Zuständigkeit für die komplette Versorgung einer definierten Anzahl zu pflegender oder betreuender Personen durch einzelne Beschäftigte verringert einseitige Belastungen.

Die körperliche Belastung für einzelne Beschäftigte ist umso geringer, wenn sich die belastenden Tätigkeiten auf viele "Rücken" verteilen und regelmäßig durch weniger belastende Tätigkeiten unterbrochen werden. Eine solche Aufteilung der beruflichen Tätigkeiten ist am ehesten in prozessorientierten Systemen möglich.

3.5.2
Personalausstattung/Personaleinsatzplanung

Nur eine ausreichende Personalbemessung ermöglicht die Verteilung belastender Tätigkeiten auf mehrere Personen. Dies bedeutet, es müssen immer genügend Beschäftigte anwesend sein, um die anfallenden Tätigkeiten ausführen zu können. Hierbei ist es nicht unbedingt notwendig, dass die Beschäftigten permanent im gleichen Arbeitsbereich tätig sind. Insbesondere nachts ist die Personalstärke in vielen Einrichtungen stark reduziert. Es muss jedoch organisatorisch sichergestellt sein, dass immer Beschäftigte zu Hilfe gerufen werden können, wenn für einen Transfer oder eine Bewegungsunterstützung mehrere Beschäftigte benötigt werden. Der Einsatz mehrerer Beschäftigter kann selbst dann notwendig sein, wenn ein Hilfsmittel zum Einsatz kommt.

In den meisten Einrichtungen sind die Tageszeiten bekannt, zu denen besonders viele Bewegungsunterstützungen und Transfers geleistet werden müssen z. B. vormittags oder abends.

Hier muss überprüft werden, wie zu solchen Zeiten eine günstige Personaleinsatzplanung ermöglicht werden kann. Dies ist z. B. über den Einsatz von Teilzeit-Beschäftigten möglich. Gleichzeitig müssen jedoch auch die negativen Auswirkungen solcher Lösungen betrachtet werden (s. Dienstplangestaltung).

Die Qualität der Versorgung von Menschen ist von einer ausreichenden Personalausstattung und einem sinnvollen Personaleinsatz abhängig.

Nicht nur die zu betreuenden Personen auch die Beschäftigten profitieren letztlich von einer professionellen und entlastenden Vorgehensweise bei der Bewegungsunterstützung oder beim Transfer.

3.5.3
Dienstplangestaltung

Eine organisatorische Besonderheit vieler Einrichtungen zur Pflege und Betreuung anderer Menschen ist, dass die Versorgung dieser Menschen oftmals rund um die Uhr erfolgen muss. Dies erfordert ein Höchstmaß an Flexibilität für die dort tätigen Beschäftigten. Schicht-, Nacht- und Wochenendarbeit gehören dort zur Regel. Zudem ist es oft notwendig, dass kurzfristig Dienste für ausgefallene Kolleginnen und Kollegen übernommen werden müssen, um eine adäquate Versorgung zu gewährleisten.

Oftmals berücksichtigen Dienstpläne nicht, dass eine ungünstige Arbeitszeitgestaltung sich negativ auf die physische und psychosoziale Gesundheit der Beschäftigten auswirken kann. Dies ist arbeitswissenschaftlich gesichert. Ziel einer günstigen Arbeitszeitgestaltung muss es daher sein, vorhandene Belastungen soweit wie möglich zu reduzieren.

Dies ist nicht einfach zu erreichen, da eine solche Dienstplangestaltung sowohl die individuellen Bedürfnisse der zu versorgenden Menschen als auch der Beschäftigten berücksichtigen muss. Gleichzeitig ist eine optimale und kontinuierliche Versorgung zu gewährleisten. Einen idealen Dienstplan für alle Einrichtungen und Bereiche kann es daher nicht geben. Es gibt jedoch Empfehlungen beispielsweise der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), die als Orientierung bei der Erstellung von Dienstplänen zu beachten sind:

  • Reduzierung der Wochenarbeitstage auf eine 5-Tage-Woche,

  • nicht mehr als drei Nachtdienste hintereinander,

  • an das Ende des Nachtdienstes schließt sich eine möglichst lange Ruhepause von mindestens 32 Stunden an,

  • Schichten dauern grundsätzlich nicht länger als 10 Stunden, empfehlenswert sind 8 Stunden,

  • Überlappungszeiten der einzelnen Schichten werden verlängert,

  • Schichtfolge rolliert vorwärts (zuerst, Früh-, dann Spät-, dann Nachtdienste),

  • freie Wochenenden werden eingehalten,

  • besser zwei zusammenhängende freie Tage als einzelne freie Tage,

  • möglichst Verzicht auf geteilte Dienste,

  • Einhalten von Pausenzeiten,

  • rechtzeitige Erstellung und Bekanntgabe der Dienstpläne unter Berücksichtigung der Wünsche der Beschäftigten,

  • Freizeit als Ausgleich für Mehrarbeit,

  • flexible Arbeitszeiten nach Wunsch der Beschäftigten,

  • Nutzung eines Aushilfenpools.

Werden diese Empfehlungen umgesetzt, können Beschäftigte Beruf und Privatleben besser vereinbaren. Dies führt zu einer Verringerung psychischer Belastung und somit potentiell auch zu einer Reduzierung von Rückenbeschwerden.

3.5.4
Schnittstellen zu anderen Berufsgruppen/ Einrichtungen

In vielen Einrichtungen richtet sich die Organisation der Versorgung der Betreuten nach äußeren Gegebenheiten z. B. nach dem Bedarf anderer Berufsgruppen. So bestimmt in vielen Einrichtungen der Betreuung von Menschen mit Behinderungen die Berufstätigkeit der zu betreuenden Menschen den Versorgungsalltag z. B. wenn diese zu einer bestimmten Zeit abgeholt und zu ihrer Arbeit gefahren werden.

Pflege- und Betreuungseinrichtungen arbeiten rund um die Uhr. Viele interne Abteilungen (z. B. Verwaltung, Physiotherapie), aber auch externe Einrichtungen (z. B. Fahrdienst, Werkstätten für Menschen mit Behinderung) sind nur zu "normalen" Arbeitszeiten tätig. Dies erfordert eine einrichtungs-, bereichs- und zum Teil auch berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit und Abstimmung. Hier liegen insbesondere Arbeitsabläufe und Kommunikationswege im Fokus, um Arbeitsspitzen zu entzerren und Belastungen zu reduzieren.

Um an solchen Schnittstellen langfristig günstige Ergebnisse zu erzielen, sind häufig organisatorische Veränderungen notwendig. Solche Veränderungsprozesse lassen sich am besten durch eine partizipative Vorgehensweise anstoßen. Das Ziel ist die Reduzierung der psychischen Belastung und die Optimierung der sozialen Rahmenbedingungen und dadurch potentiell eine Reduzierung der körperlichen Belastung.

3.5.5
Dienstvereinbarungen/ Dienstanweisungen

Dienstvereinbarungen sind Verträge zwischen der Unternehmensleitung und der gewählten Vertretung der Beschäftigten. Aus einer Dienstvereinbarung erwachsen sowohl der Unternehmensleitung als auch den betroffenen Beschäftigten verbindliche Rechte und Pflichten z. B. zum Thema "Dienstkleidung".

Dienstanweisungen sind - wie auch Arbeitsanweisungen - verbindliche Arbeitsaufträge der Unternehmensleitung an die Beschäftigten z. B. zur Gestaltung von Arbeitsabläufen.

Dienstanweisungen und -vereinbarungen helfen z. B. Arbeitsabläufe zu strukturieren und so die Nutzung von Hilfsmitteln zur Bewegungsunterstützung zu etablieren. Sie sorgen zudem bei den Beschäftigten für Orientierung, wenn z. B. die Eigenschaften geeigneter Arbeitsschuhe für die Pflege und Betreuung beschrieben werden. Gleichzeitig können Dienstanweisungen und -vereinbarungen zur Unterstützung notwendiger Unterweisungen genutzt werden.

Die Unternehmensleitung ist somit gut beraten, geeignete Dienstanweisungen zu erlassen und Dienstvereinbarungen abzuschließen. Wichtig ist, dass die Nichtbeachtung von Dienstanweisungen und -vereinbarungen nicht ignoriert wird, sondern zumindest thematisiert und sogar geahndet wird. Es handelt sich dabei schließlich um einen Verstoß gegen den Arbeitsvertrag. Daneben können auch Verabredungen unterhalb der Ebene von Dienstvereinbarungen getroffen werden. Dienstvereinbarungen/ -anweisungen heben geltendes Recht nicht auf!

g_bu_1433_as_30.jpgFazit 1: Das ist wichtig für Sie als UNTERNEHMENSLEITUNG
Arbeitsorganisationsform und Dienstplangestaltung können die Gesunderhaltung Ihrer Beschäftigten fördern.

Ein gutes Schnittstellenmanagement sowie deutlich formulierte Dienstanweisungen und -vereinbarungen helfen Arbeitsabläufe sinnvoll zu strukturieren.

g_bu_1433_as_30.jpgFazit 2: Das ist wichtig für Sie als BESCHÄFTIGTE
Auf je mehr Beschäftigte sich das Bewegen hilfebedürftiger Personen verteilt und von körperlich weniger belastenden Tätigkeiten unterbrochen wird, desto geringer ist die körperliche Belastung für die Einzelnen.

Vorgaben zur Dienstplangestaltung sowie Dienstanweisungen und -vereinbarungen dienen vielfach Ihrer Gesunderhaltung.