DGUV Information 207-025 - Prävention von Gewalt und Aggression gegen Beschäftigte im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege Eine Handlungshilfe für Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen

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Abschnitt 2.2 - 2.2 Ursachen von Gewalt und Aggression

In vielen Situationen werden gewalttätige Vorkommnisse nicht überlegt oder gar geplant herbeigeführt. Es kommt zu einer Eskalation, weil sich jemand in einer psychischen Ausnahmesituation befindet - zum Beispiel, weil er oder sie sich nicht angemessen behandelt fühlt oder sich nicht anders zu helfen weiß. In der Regel sind die Folgen nicht gewollt, die aggressive Person fühlt sich herausgefordert oder sie befindet sich gerade in einer inneren Notsituation. In anderen Situationen wollen sich aggressive Personen tatsächlich abreagieren, indem sie andere verletzen oder demütigen.

Die Situation der Klientinnen und Klienten

Die Hintergründe und Ursachen für die Entstehung von Gewalt und Aggression sind komplex. Gesundheitliche Beeinträchtigungen, Behinderungen oder die soziale Situation der betreuten Personen können dazu beitragen. Psychische Erkrankungen und Beeinträchtigungen im emotionalen Erleben und in der kognitiven Verarbeitung können Aggressionshandlungen fördern.

Betreute und kranke Menschen befinden sich in körperlichen, psychischen oder sozialen Not- und Bedürfnislagen. Hier kommen viele Faktoren zusammen: körperliche Schmerzen, Ängste angesichts der eigenen Hilfsbedürftigkeit sowie Einschränkungen der Selbstbestimmung durch institutionelle Rahmenbedingungen und die organisatorischen Abläufe.

Wer im Sozial- und Gesundheitswesen begleitet, behandelt und gepflegt wird, fühlt sich in der Regel verletzlich. Diese Verletzlichkeit macht empfindlich für Wartezeiten, unbefriedigende Antworten oder unerfüllte Wünsche.

Diese allgemeinen psychosozialen Notlagen und die besonderen Hintergründe von Krankheiten und Behinderungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Gewalt und Aggression. Auch Angehörige, Freunde und Begleitpersonen können davon berührt sein.

Institutionelle Rahmenbedingungen

Die Rahmenbedingungen wie die baulichen Gegebenheiten, Ausstattung und Gestaltung der Stations- oder Wohnatmosphäre, die personellen Ressourcen und die organisatorischen Abläufe beeinflussen Arbeitsklima sowie Stimmungslage in den Einrichtungen und Diensten. Oft sind es viele kleine irritierende, als bedrohlich empfundene bis nicht erträgliche oder nicht mehr auszuhaltende Aspekte, die sich in der Summe auf das Auftreten von Aggressionsereignissen auswirken können.

Personal und Qualifikation

Rekrutierungsprobleme oder finanzielle Beschränkungen können dazu führen, dass zu wenig qualifizierte Kräfte mit passender Ausbildung zur Verfügung stehen. Eine angespannte Personalsituation kann das Betriebsklima belasten.

Arbeitsorganisation

Wenn sich Abläufe und Routinen zu wenig an den Bedürfnissen der betreuten Personen oder auch der Angehörigen orientieren oder aus deren Perspektive gar befremdlich wirken, kann das aggressive Stimmungen erzeugen und verstärken.

Unternehmenskultur

Wie in einer Einrichtung mit Gewalt oder sexueller Belästigung umgegangen wird, hängt entscheidend von der Unternehmensführung und den Führungskräften ab. Wenn Beschäftigten beispielsweise mit dem Argument "Kundenservice" nahegelegt wird, Drohungen und Beleidigungen hinzunehmen, fördert das ein Klima des Verschweigens.

ccc_3646_03.jpgBlitzlicht: Beispiele für Gewaltvorfälle im Berufsalltag in Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege
In einem Pflegeheim leidet eine an Demenz erkrankte Frau an einem stark veränderten Schlaf-Wach-Rhythmus. Als ein Pfleger sie weckt, um sie zu waschen, schreckt sie völlig orientierungslos hoch, kratzt ihn im Gesicht und beißt ihn in die Hand.

In einer Einrichtung für Menschen mit schweren geistigen Behinderungen versucht ein Bewohner, der sich sprachlich nur schlecht artikulieren kann, auf sich aufmerksam zu machen und einen Wunsch zu äußern. Nach mehreren vergeblichen Versuchen packt er eine Mitarbeiterin an den Haaren und reißt ihr ein Büschel Haare aus.

In der Notaufnahme einer Akutklinik wird ein stark alkoholisierter Mann nach einem Unfall aufgenommen. Als ein Arzt versucht, ihn medizinisch zu versorgen, schlägt er um sich. Ähnliche Situationen sind auch im Rettungsdienst bekannt.

In der Notaufnahme hat die Mutter eines kranken Kindes kein Verständnis, dass andere Notfälle vorgezogen werden. Sie beschimpft vorbeieilende Pfleger und Pflegerinnen.

Eine Pflegeschülerin in einer Unfallklinik wird beim Medikamentenverteilen in einem Zimmer, das mit drei Männern belegt ist, gefragt, ob sie nicht mal wieder guten Sex haben wolle, sie sehe so unzufrieden aus.

Auf einer geschlossenen psychiatrischen Station soll eine per Gerichtsbeschluss untergebrachte Frau sedierende Medikamente einnehmen. Sie weigert sich und schlägt der Pflegerin erst das Medikament aus der Hand und dann ins Gesicht.

In einer Klinik des Maßregelvollzugs verlangt ein Patient von einem Mitarbeiter, ihm die Flucht zu ermöglichen. Dabei droht er ihm: Er wisse, wo seine Tochter zur Schule gehe, und habe Kontakte nach draußen, die sich um das Mädchen kümmern würden.