DGUV Information 207-206 - Tätigkeiten mit Desinfektionsmitteln im Gesundheitsdienst

Online-Shop für Schriften

Jetzt bei uns im Shop bestellen

Jetzt bestellen

Abschnitt 3.1 - 3 Gefährdungsbeurteilung
3.1 Einleitung

In den Einrichtungen des Gesundheitsdienstes werden Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt, deren Umfang und Intensität sich nach der bestehenden Infektionsgefahr richten. Der Einsatz chemischer Desinfektionsmittel bringt aber auch Gefährdungen mit sich: Die schädigenden Eigenschaften der Desinfektionsmittelinhaltsstoffe können bei diversen Desinfektionsverfahren dermale oder inhalative Belastungen der Beschäftigten auslösen. Insbesondere alkoholische Produkte bergen eine erhöhte Brand- und Explosionsgefährdung. Eine Untersuchung des Berufskrankheitengeschehens der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) im Zeitraum von 2010 bis 2019 hat gezeigt, dass der Kontakt mit bestimmten Desinfektionsmitteln neben der Feuchtarbeit eine wesentliche Einflussgröße für die Entstehung von Hauterkrankungen ist. Atemwegserkrankungen wurden nur in einem geringeren Maß mit Desinfektionsarbeiten in Verbindung gebracht (siehe Anhäuser, Eickmann 2021). Neben diesen Gefährdungen sind weitere Gefährdungen der Beschäftigten durch Infektionsgefahren, Stich- und Schnittverletzungen, Feuchtarbeit, muskuloskelettale oder psychische Belastungen möglich, diese werden aber in der vorliegenden Schrift nicht weiter betrachtet.

Jeder Arbeitgeber und jede Arbeitgeberin ist verpflichtet, vor dem Einsatz chemischer Stoffe oder Produkte eine Gefährdungsbeurteilung im Sinne der Gefahrstoffverordnung durchzuführen, um die Expositionen am betroffenen Arbeitsplatz zu ermitteln, die daraus resultierenden Gefährdungen für die Beschäftigten zu beurteilen und die notwendigen Schutzmaßnahmen festzulegen. In der TRGS 400 "Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen" ist der Ablauf einer entsprechenden Gefährdungsbeurteilung detailliert beschrieben. Die Gefährdungsbeurteilung ist somit für den Einsatz von Desinfektionsmitteln essenziell und wird individuell für jede Desinfektionsaufgabe von routinemäßiger zu gezielter bis zur Schlussdesinfektion durchgeführt.

Die Leitung einer Desinfektionsmaßnahme sollte im Sinne der TRBA 250 "Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege" und der TRGS 400 "Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen" geeignet sein, eine fachkundige Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Nähere Ausführungen enthalten die TRBA 250 und die TRGS 400. Besitzt die Unternehmensleitung keine Fachkunde, ist eine fachkundige Beratung oder die Delegation einzelner Aufgaben nach GefStoffV an fachkundige Personen zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung notwendig. Dies können die Fachkraft für Arbeitssicherheit oder der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin sein. Bei Desinfektionsarbeiten ist zudem die Zusammenarbeit mit einer Hygienefachkraft oder einem Krankenhaushygieniker oder einer -hygienikerin (siehe Kapitel 2) notwendig. Nach Gefahrstoffverordnung gelten zudem für bestimmte Biozidprodukte (in Abhängigkeit vom Gefährdungspotenzial, siehe "Kennzeichnung der Desinfektionsmittel" in Kapitel 3.3.2) Anforderungen an die Qualifikation der Verwender und Verwenderinnen, wie z. B. Anzeigepflicht bei der zuständigen Behörde, Nachweis einer Sachkunde oder der Tätigkeit unter unmittelbarer und ständiger Aufsicht einer sachkundigen Person. Für den Nachweis der Sachkunde bestehen Übergangsregelungen.

Dieses Kapitel beschreibt die sich aus der Gefährdungsbeurteilung (Abbildung 3) ergebenden allgemeingültigen Präventionsprinzipien für Desinfektionsarbeiten im Gesundheitsdienst. Die nachfolgenden Kapitel konkretisieren die Tätigkeiten und die individuellen Gefährdungen und liefern ergänzende Schutzmaßnahmen für die speziellen Desinfektionsaufgaben. Dabei liegt der Fokus auf chemischen Desinfektionsverfahren und den Gefahrstoffen, denen die Beschäftigten bei den Desinfektionsarbeiten ausgesetzt sind. Alle Aussagen zur Gefährdungsbeurteilung in dieser DGUV Information beziehen sich auf die Verwendung von Desinfektionsmitteln, deren Wirksamkeit geprüft und in den bekannten Desinfektionsmittellisten des Verbunds für angewandte Hygiene e. V. (VAH), des Industrieverbands Hygiene und Oberflächenschutz (IHO) oder des Robert Koch-Instituts (RKI) gelistet sind. Dabei erfolgt der Einsatz der Desinfektionsmittel nach den Vorgaben der Hersteller. Diese Vorgaben zur Verwendung des Stoffs oder eventuelle Einschränkungen bei deren Verwendung (z. B. Verwenderkategorie "berufsmäßige Verwender") sind im Sicherheitsdatenblatt oder auf dem Produktetikett enthalten.

ccc_3519_as_4.jpg

Abb. 3
Prozessschritte der Gefährdungsbeurteilung modifiziert nach DGUV Grundsatz 311-003 "Erstellen von Handlungshilfen zur Gefährdungsbeurteilung"

Die Aspekte der Hygiene wurden in Kapitel 2 erläutert. Thermische Desinfektionsverfahren und Verfahren mittels UV-C-Strahlung werden nur unter dem Aspekt der Substitutionsprüfung betrachtet. Allgemeine Informationen zur Gefährdungsbeurteilung für verschiedene Branchen des Gesundheitsdienstes finden sich unter BGW check, Hinweise zu Lagerung, Transport und Entsorgung von Gefahrstoffen im Gesundheitsdienst in Kapitel 6.4 der DGUV Information 213-032 "Gefahrstoffe im Gesundheitsdienst" und in der BGW-Schrift "Gefahrstofflagerung".