Scheuermann, Praxishandbuch Brandschutz

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6.4.15 Praxisbeispiele

Ganzheitlicher Brandschutz – Eine kombinierte Systemlösung aus Brandvermeidung und Brandfrühesterkennung schützt die »städtische Galerie im Lenbachhaus«.

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6.4.15.1 Das Kunstmuseum Lenbachhaus in München

Zwischen 1887 und 1890 erbaut, fungiert das Lenbachpalais in München bereits seit 1929 als Kunstmuseum. Heute beherbergt das Gebäudeensemble die »Städtische Galerie im Lenbachhaus« und präsentiert u.a. Werke von Wassily Kandinsky, Paul Klee, Andy Warhol und Joseph Beuys.

Die Entstehung

Das Lenbachpalais bestand ursprünglich aus zwei Gebäuden: einem Atelierbau von 1888 und dem 1890 im Stil einer toskanischen Villa errichteten Wohnhaus des Malers Franz von Lenbach. Lenbach verstarb 1904; 20 Jahre später verkaufte seine Witwe das Anwesen an die Stadt München und überließ dieser zugleich viele Kunstwerke aus dem Inventar des Hauses sowie zahlreiche Werke Lenbachs. Mit der Schenkung war der Grundstock für eine neue städtische Galerie gelegt, die 1929 Einzug in die Gebäude am Münchener Königsplatz hielt. 1944/1945 wurden große Teile des Hauses zerstört und in der Nachkriegszeit mit einfachsten Mitteln wieder aufgebaut. Die schlechte Bausubstanz und die nicht mehr zeitgemäße Zugänglichkeit des Hauses machten umfassende Sanierungsmaßnahmen erforderlich. Anfang 2009 schloss die Galerie bis zur feierlichen Wiedereröffnung am 8. Mai 2013 ihre Pforten.

Die Sanierung

59,4 Millionen Euro kosteten die Kernsanierung der alten Villa und die Errichtung eines modernen Neubaus. Die Besucher können nun nicht nur von 2.800 m2 modernisierter Ausstellungsfläche, sondern auch von neuen Serviceeinrichtungen wie Vortragssaal, Museumsladen, Café und Restaurant profitieren. Viele bauliche Veränderungen bleiben dem Besucher jedoch verborgen: Um die im Lenbachhaus aufbewahrten kostbaren Sammlungen vor den Auswirkungen eines möglichen Feuers zu schützen, wurde in den Archiven im Untergeschoss eine umfassende Brandschutzlösung installiert.

6.4.15.2 Die Risikoanalyse

Der Schutz der wertvollen Sammlungen des Kunstarchives vor einem Brand und seinen Folgen hatte höchste Priorität.

Gerade in Archiven und Museen sind die materiellen Schäden und ideellen Verluste, die bereits ein kleines Feuer hervorrufen kann, besonders hoch. Speziell Exponate aus Papier, Pappe, Holz oder Textilien sind besonders leicht brennbar. Durch die räumlich sehr konzentrierte Aufbewahrung der Schutzobjekte in Archiven wird die schnelle Ausbreitung eines Feuers zusätzlich begünstigt. In den historischen und repräsentativen Gebäuden, in denen Museen, Archive und Sammlungen untergebracht sind, muss der Brandschutz auf dem neuesten Stand der Technik sein. Herkömmliche Brandmelde- und Erkennungssysteme lösen erst aus, wenn der Brand bereits entstanden ist und detektiert werden kann. In diesem Fall ist der  6.4.15 Praxisbeispiele – Seite 32 – 01.06.2016<<>>Faktor Zeit die einzige Variable, die über das Ausmaß der Schäden an den kostbaren Sammlungen entscheidet. Für Museumsbetreiber eine kritische Situation, die oftmals zu Hilflosigkeit führt, wenn der theoretische Rettungsplan in der Praxis nicht aufgeht.

Sicherheit auch im Brandfall

So beschädigen oder vernichten bereits geringe Mengen Rauch und Ruß nachhaltig die empfindlichen, unersetzlichen Exponate. Kommt bei der Bekämpfung eines Feuers auch noch Löschwasser zum Einsatz, können die Auswirkungen bis hin zum Totalverlust ganzer Archive führen. Gerade im Fall von Museen, Archiven und anderen historischen Sammlungen wird der entstandene materielle Schaden immer von einem ideellen Verlust begleitet. Eine umfassende und zuverlässige Brandschutzlösung ist somit besonders wichtig, um das Schreckensszenario, das mit einem Brand einhergeht, präventiv vermeiden zu können.

6.4.15.3 Die Brandschutzlösung: Sauerstoffreduzierungsanlage, kombiniert mit Brandfrühesterkennung und Schnellabsenkung.

Aufgrund der Empfindlichkeit und des hohen Wertes der eingelagerten Kunstwerke schied ein konventionelles Löschsystem bei der Planung einer geeigneten Brandschutzlösung aus. Die Exponate sollten so umfassend wie möglich vor den Auswirkungen eines Feuers geschützt werden. Daher fiel die Entscheidung auf ein Brandschutzkonzept der WAGNER Group GmbH, bestehend aus dem Brandvermeidungssystem OxyReduct®, kombiniert mit Schnellabsenkung sowie einer Brandfrühesterkennung durch TITANUS®-Ansaugrauchmelder. Abgerundet wird das Konzept durch das Gefahrenmanagementsystem VisuLAN®, ebenfalls von der Firma WAGNER.

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Abb. 16: Anlagenschema – Lenbachhaus
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Aktive Brandvermeidung

Vier Depot- und Lagerräume im Untergeschoss der Kunstgalerie, mit einem Volumen von rund 500 m3, werden durch das Brandschutzkonzept von WAGNER geschützt, denn hier lagern wertvollste Exponate auf engstem Raum. Das Brandvermeidungssystem OxyReduct® senkt den Sauerstoffgehalt durch das Einleiten von Stickstoff dauerhaft auf 17 Vol.-% ab und sorgt so für eine Schutzatmosphäre, in der ein Brandverhalten bereits stark reduziert wird. Die Räume bleiben dabei für das Personal weiterhin begehbar. Die Sauerstoffkonzentration wird über entsprechende Sauerstoffsensoren dauerhaft überwacht und an eine Zentrale zur Steuerung der OxyReduct®-Anlage übermittelt. Somit kann eine konstante Aufrechterhaltung der Restsauerstoffmenge von 17,0 Vol.-% gewährleistet werden.

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Abb. 17: OxyReduct + TITANUS

Täuschungsalarmsichere Brandfrühesterkennung

Um einen Brand bereits in seiner Entstehungsphase detektieren zu können, werden die Archiv- und Technikräume durch Ansaugrauchmelder TITANUS PROSENS® nach Klasse A der EN 54-20 präzise überwacht. Über ein im Deckenbereich installiertes Rohrsystem werden kontinuierlich Luftproben entnommen, einer Detektionseinheit zugeführt und auf kleinste Rauchpartikel hin überprüft. TITANUS® ermöglicht auf diese Weise einen  6.4.15 Praxisbeispiele – Seite 34 – 01.06.2016<<>>entscheidenden Zeitvorteil bei der Branderkennung: Lediglich 2 Gramm stoffliche Zersetzung genügen für eine erfolgreiche Detektion. Das System reagiert bis zu 2000-mal schneller als konventionelle Rauchmelder. Durch die LOGIC · SENS-Technologie ist TITANUS® besonders täuschungsalarmsicher, so dass Fehlalarme nahezu ausgeschlossen werden können.

Automatische Schnellabsenkung

Im Fall einer Detektion durch die TITANUS®-Ansaugrauchmelder wird durch die Steuerzentrale der Brandmeldeanlage umgehend eine Schnellabsenkung eingeleitet. Innerhalb von 240 Sekunden wird die Restsauerstoffmenge von 17,0 Vol.-% auf ein Vollschutzniveau von 9,0 Vol.-% reduziert. Durch das frühzeitige Einleiten der Brandbekämpfung wird der Brand gezielt klein gehalten und ein Schaden auf ein Minimum reduziert. Die verringerte Sauerstoffkonzentration wird durch OxyReduct® auch nach der Schnellabsenkung beliebig lange gehalten. Um die Zuverlässigkeit des Systems zu dokumentieren, hat die WAGNER Group GmbH mit VdS spezielle Brandversuche mit Schnellabsenkung durchgeführt. Die im Lenbachhaus installierte Anlage wurde in der Folge von VdS geprüft und abgenommen.

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Abb. 18: Diagramm zur Schnellabsenkung

Sicherheit auf einen Blick

Die Vernetzung der einzelnen sicherheitstechnischen Anlagen erfolgt im Lenbachhaus durch das Gefahrenmanagementsystem VisuLAN®. So wurden Brandmelde- sowie Einbruchmeldezentrale, Fluchtwegsteuerung, Gebäudeleittechnik und Videoüberwachung sinnvoll in einem System zusammengeführt.

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Resümee

Durch die Absenkung des Sauerstoffgehalts auf 17 Vol.-% wird eine brandhemmende Schutzatmosphäre geschaffen, ohne dabei die Begehbarkeit einzuschränken. Die Ansaugrauchmelder gewährleisten eine Branddetektion zum frühestmöglichen Zeitpunkt und damit das umgehende Einleiten der Schnellabsenkung. Durch das Absenken auf eine Sauerstoffkonzentration von lediglich 9 Vol.-% werden Brände in ihrer Entstehungsphase erstickt und Schäden auf ein Minimum reduziert. Die Kombination von Sauerstoffreduzierung, Brandfrühesterkennung und Schnellabsenkung ermöglicht einen effektiven Schutz der eingelagerten Kunstgegenstände vor den Auswirkungen eines Feuers.

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