Scheuermann, Praxishandbuch Brandschutz

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5.2.6 Glas

Das Glas ist als klassisches Beispiel dafür anzusehen, dass eine prinzipielle Trennung zwischen einem Baustoff und seiner Funktion in einem Bauteil zuweilen schwer möglich ist. Es soll daher im Folgenden – wie auch bei anderen derartigen Fällen – nicht eine strikte Trennung zwischen diesen beiden Gruppen eingehalten werden und durch Querverweise auf die funktionellen Auswirkungen des Baustoffs in einem zu konzipierenden Bauteil hingewiesen werden.

Die großtechnische Herstellung von Planglas erfolgt etwa seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts nach der Entwicklung des Solvay-Verfahrens zur Massenherstellung von Soda als wichtigstes Ausgangsprodukt der Glas- 5.2.6 Glas – Seite 23 – 01.12.2013>>herstellung. Seit den Zwanzigerjahren wurden auch Verfahren eingeführt, Planglas nach dem Ziehverfahren in großen Mengen herzustellen. Auch die Verfahren der Oberflächenvergütung der hergestellten Glasplatten wurden parallel immer weiter verbessert (Float- und Spiegelglas), da die Bruchfestigkeit der Glasplatten(-scheiben) in starkem Maße von der Oberflächenvergütung abhängt.

Da die normale Glasscheibe eine schlechte Isolierung gegen Außentemperatur und Sonneneinstrahlung bietet, wurden spezielle Verglasungen entwickelt, die einen erhöhten Schutz gegen Wärmeverlust, Aufheizung der Räume durch Sonneneinstrahlung u.a. bieten. Dadurch wurden auch großflächige Gebäudeverglasungen konstruktiv machbar, die den Forderungen des Wärmeschutzes oder des baulichen Brandschutzes gerecht werden.

Eigenschaften des Glases

Wesentlich ist die optische Transparenz des Baustoffs Glas, wobei starke Transmissionsverluste im UV-Bereich, geringe Verluste jedoch im sichtbaren und infraroten Teil des Lichtspektrums (ca. 10 % bei Strahlungsdurchgang) inhärente Materialeigenschaften sind. Das »normale« Glas (Kalk-Natron-Flachglas) hat im Vergleich zu anderen mineralischen Baustoffen einen relativ geringen Wärmeausdehnungskoeffizienten (ca. 9 × 10-6/K). Aufgrund der amorphen Struktur (»eingefrorene Flüssigkeit« mit fast unendlich hoher Viskosität) besitzt das Glas im Gegensatz z.B. zu Stahl kein plastisches Verhalten, sondern reagiert bis zur Bruchgrenze ideal elastisch.

Die Zug- bzw. die Biegezugfestigkeit von Normalglas ist mit 30 N/mm2 bis 90 N/mm2 vergleichsweise gering. Deutlich höher ist jedoch die Druckfestigkeit mit ca. 900 N/mm2.

Wichtig ist auch das thermische Erweichungsverhalten der Gläser, was zur plastischen Verformung des Baustoffs bei Brandbelastung führen kann. Die Erweichungstemperatur reicht von ca. 600 ˚C bei Normalgläsern bis hin zu deutlich über 1.000 ˚C bei Spezialgläsern, zu welchen auch die Glaskeramik bzw. das Quarzglas zu rechnen sind.

Das Verhalten von Glas im Brandfall

Es ist – wie schon einleitend bemerkt wurde – schwierig, das Brandverhalten des Baustoffes Glas abstrahiert von seiner Funktion in einem Bauteil zu sehen. Prinzipiell wird jede Verglasung in einem umlaufenden Rahmen eingebaut, welcher in unterschiedlichem Maße den Scheibenrand abdeckt. Es folgt daher bei Brandbelastung immer eine unterschiedliche Erwärmung von Scheibenfläche und Scheibenrand, wobei sich Temperaturdifferenzen und Spannungsdifferenzen ergeben. Diese unterschiedliche Aufheizung der genannten Bereiche führt zu erheblichen Druckspannungen im mittleren und zu erheblichen Zugspannungen im überdeckten Randbereich der Gesamtglasscheibe. Da ein Normalglas nur geringe Biegezug- und  5.2.6 Glas – Seite 24 – 01.12.2013<<Zugfestigkeit besitzt, führen Zugspannungen am überdeckten, kühleren Scheibenrand zum Wärmespannungsbruch.

Normalglas wie Fenster- oder Bauglas wird bereits bei Temperaturdifferenzen von ca. 50 K zerstört. Auch Floatglas erreicht nur eine Temperaturunterschiedsfestigkeit (TUF) von ca. 150 K, Spezialgläser wie Borosilikatglas sind jedoch bis zu TUF-Werten bis ca. 350 K stabil in ihrer Rahmung und haben außerdem einen deutlich höheren Erweichungsbereich, welcher die Gesamtstandfestigkeit eines damit ausgerüsteten Bauteils wesentlich positiv beeinflusst.

Eine weitere Entwicklung stellen die Brandschutzverglasungen der F-Klasse dar, auf welche jedoch hier nur hingewiesen werden soll. Eine Schwierigkeit des Einsatzes von Brandschutz-Verglasungssystemen stellt neben dem Preis die deutliche Gewichtserhöhung dar. Während bei einer Normalverglasung mit ca. 17 kg/m2 zu rechnen ist, wiegt eine normale Isolierverglasung bereits ca. 38 kg/m2, Brandschutzverglasungen jedoch je nach erreichbarer Feuerwiderstandsdauer bereits zwischen 40 kg/m2 bis 120 kg/m2.