Scheuermann, Praxishandbuch Brandschutz

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2.9.1 Brandgefahren in Recyclinglagern

Brände in Recyclinglagern oder Anlagen zur Verarbeitung von Recyclingstoffen treten relativ häufig auf. Die Brandursachen unterscheiden sich, je nachdem ob die Brände während der Verarbeitung oder der Lagerung auftreten. Neben der Brand- besteht unter Umständen auch Explosionsgefahr. Durch Rauchentwicklung bei Bränden entstehen Gefahren einerseits durch Beeinträchtigung der Sicht und dadurch Einschränkung der Fluchtmöglichkeiten und andererseits durch toxische Komponenten.

Da Brände in Recyclinglagern schwer zu löschen sind, muss der Schwerpunkt auf der Brandvermeidung liegen. Die Bewertung der Brandgefährdung umfasst dabei sowohl die labortechnische Untersuchung der Reaktionseigenschaften des Materials als auch die Anwendung zuverlässiger Vorhersagemethoden, z.B. für die Entstehung und Ausbreitung von durch Selbstentzündung verursachten Bränden in Recyclinglagern. Daraus lassen sich Kriterien für die sichere Lagerung ableiten.

1. Einleitung

Bei der industriellen Lagerung von Massenschüttgütern, Recyclingmaterialien oder in Deponien kommt es immer wieder zu Branderscheinungen.

Im September 2002 traten im Bundesland Brandenburg mehrere Brände in Recycling-Zwischenlagern auf, deren Ursachen nicht zweifelsfrei geklärt wurden. Einige Begleitumstände deuten auf Selbstentzündung hin. Abbildung 1 vermittelt einen Eindruck von einem solchen Brandgeschehen, Abbildung 2 zeigt ein Zwischenlager für Recyclingstoffe in typischer Ausdehnung.

In der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit erregte ein durch Brandstiftung hervorgerufener Brand in einem Zwischenlager für Recyclingstoffe in Bernau bei Berlin im September 2005 [1]. Das Ausmaß des Feuers erstreckte sich über ca. 150.000 m2 und führte zur Ausbreitung einer Smogwolke im Norden und Osten Berlins und des angrenzenden Umlandes über mehrere Tage.

Für den Zeitraum zwischen 2003 und 2007 sind allein für das Bundesland Sachsen mehr als 50 Brände in Recycling-Zwischenlagern dokumentiert, etwa ein Viertel davon durch Selbstentzündung verursacht [2].

Brände bei der Lagerung von Deponiestoffen und Recyclingprodukten sind durch große Mengen brennbaren Materials und extreme Rauchentwicklung gekennzeichnet. Löscharbeiten erfordern einen hohen Personal- und Materialaufwand und ziehen sich häufig über Tage, manchmal sogar über Wochen oder Monate hin.

In den Fällen, in denen das Brandgut nicht auseinandergezogen und nachhaltig gelöscht, sondern zur Unterbindung der Luftzufuhr mit  2.9.1 Brandgefahren in Recyclinglagern – Seite 2 – 01.04.2011>>mineralischen Schichten abgedeckt wird, ist nicht klar, ob die Brände tatsächlich aus sind oder als verdeckte Schwelbrände im Innern des Haldenkörpers weiterbestehen. Hier ist bei Schäden an den Deckschichten z.B. durch Rissbildung ein erneuter Branddurchbruch an die Oberfläche zu befürchten.

Insbesondere für kleine oder mittlere Unternehmen (KMU) kann schon ein einziger derartiger Vorfall zum Konkurs führen. In der Vergangenheit haben solche Fälle auch wegen fehlender, durch die betreibenden Unternehmen eigentlich vorab zu erbringender Sicherheitsleistungen bereits mehrfach zu finanziellen Belastungen für die betroffenen Kommunen geführt, die diese an die Grenze ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gebracht haben.

Neben der Brandgefahr ist unter Umständen auch mit Explosionsgefahr zu rechnen:

  • Bei der Zerkleinerung besteht die Gefahr von Staubexplosionen, wenn der Anteil an brennbarem Feinstaub (Korngröße < 250 um) ausreicht, um ein explosionsfähiges Staub-Luft-Gemisch zu bilden.

  • Bei der Freisetzung von Dämpfen brennbarer Flüssigkeiten (z.B. Lösemittel, Farbstoffe) besteht die Gefahr der Bildung explosionsfähiger Dampf-Luft-Gemische.

  • Bei Auftreten von Schwelprozessen im Feststoff besteht die Gefahr der Bildung explosionsfähiger Schwelgas-Luft-Gemische. Beim Verschwelen von organischen Feststoffen entstehen je nach Reaktionsbedingungen hohe Anteile an Kohlenstoffmonoxid und Methan.

  • Bei säurehaltigen Abfällen besteht bei Kontakt mit metallischen Oberflächen die Gefahr der Abspaltung von Wasserstoff.

  • Bei der Lagerung besteht vor allem dann Explosionsgefahr, wenn sich durch biochemische Abbauprozesse organischen Materials im Innern der Halde Methan bildet. Diese Erscheinung ist von großvolumigen Deponien mit ausreichendem Anteil organischer Stoffe bekannt und tritt nach einigen Monaten ungestörter Lagerung ein.

Wesentliche Hinweise zum Explosionsschutz an Deponien sind in der Informationsschrift der gesetzlichen Unfallversicherung GUV-I 842 [3] gegeben. Da der vorliegende Beitrag sich jedoch mit Recyclinglagern beschäftigt, soll auf die speziellen sicherheitstechnischen Belange von Deponien nicht weiter eingegangen werden.

Wie weiter oben bereits angemerkt, wird ein erheblicher Teil der Brände in Recyclinglagern durch Selbstentzündung hervorgerufen. Charakteristisch für durch Selbstentzündung verursachte Brände ist, dass es meistens um große Mengen deponierten Materials geht, bei denen es erst nach einer längeren Induktionszeit (einige Monate bis zu einigen Jahren) zur Selbstentzündung kommt.

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Eine Brandfrüherkennung gestaltet sich schwierig, da die im Innern solcher Ablagerungen auftretenden Temperaturgradienten wegen der guten Wärmeisolation poröser Schichten von außen nicht messbar sind und da auch Brandgase erst in einem relativ späten Stadium der Brandentwicklung aus der Ablagerung austreten. Infolgedessen sind bei der Branderkennung von außen bereits große Mengen brennbaren Materials in den Brand involviert, was den personellen und finanziellen Aufwand für die Brandbekämpfung in die Höhe treibt. Der Schwerpunkt im Umgang mit solchen Materialien muss deshalb auf der Brandprävention liegen.

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Abb. 1: Brand in einem Zwischenlager für Baumischabfälle (Quelle: LUA Brandenburg)
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Abb. 2: Zwischenlager für Recyclingstoffe in typischer Lageranordnung (Quelle: LUA Brandenburg)
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Brände in Recyclinganlagen, insbesondere solche, die bei der Lagerung auftreten, führen meistens auch zur Emission von großen Mengen an Brandgasen in die Atmosphäre. Die Zusammensetzung dieser Gase kann je nach abgelagertem Material sehr stark variieren, d.h., neben den typischen Verbrennungsprodukten wie Kohlenstoffmonoxid, Kohlenstoffdioxid, Wasserdampf und Asche können auch Produkte einer unvollständigen Verbrennung wie Ruß, Teerkondensate, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, Fluorchlor-Kohlenwasserstoffe, anorganische Säuren freigesetzt werden. Zusätzlich zur Umweltbelastung durch pozentielle Treibhausgase kann es aufgrund der Brandgasemission auch zu Geruchsbelästigungen und unter Umständen zu einer Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung im umliegenden Bereich kommen.

2. Brandursachen

Nahezu alle organischen Materialien, die als Recyclingstoffe gelagert oder verarbeitet werden, sind brennbar. Ausnahmen bilden lediglich einige besonders stickstoffreiche Verbindungen wie z.B. Melamin, die allerdings bei hohen Temperaturen chemisch instabil werden. Anorganische Recyclingstoffe sind zwar zumeist nicht brennbar, einige können aber unter bestimmten Bedingungen wie etwa bei Kontakt mit Wasser ebenfalls exotherm reagieren.

Ein Sonderfall sind mit Leichtölen (z.B. Kühlschmierstoffe) benetzte Metallspäne. Bei der Lagerung derartiger Späne kann eine Ereigniskette in Gang gesetzt werden, die aus den folgenden Schritten besteht:

  • Verdunstung des Wasseranteils im Schmierstoff

  • exotherme chemische Zersetzung des Leichtöls an Luft

  • Selbstentzündung der Metallspäne

Insbesondere Leichtmetalle wie Magnesium oder Aluminium sind betroffen.

Es ist zu unterscheiden nach Brandursachen, die bei der Verarbeitung der Recyclingstoffe (z.B. Zerkleinern, Mischen, Pressen) oder bei der Lagerung auftreten.

Typische Brandursachen bei der Verarbeitung und Lagerung zeigt die Übersicht in Abbildung 3, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Es wird jedoch deutlich, dass die Brandursachen bei Verarbeitung und Lagerung durchaus unterschiedlich sind und demzufolge auch unterschiedliche Präventionsmaßnahmen erforderlich werden.

Die in Abbildung 3 genannten Brandursachen und Zündquellen werden in Abschnitt 5 noch eingehender im Hinblick auf die Brandvermeidung diskutiert.

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Während bei der Verarbeitung von Recyclingstoffen vor allem prozessbedingte Brandursachen eine Rolle spielen, sind bei der Lagerung vor allem Brandstiftung und Selbstentzündung maßgebend. Brandstiftung kann nur mit Mitteln des Objektschutzes begegnet werden. Einige Maßnahmen werden unter 5. »Brandvermeidung« diskutiert.

Zur Selbstentzündung von brennbaren Schüttungen kann es schon bei niedrigen Temperaturen kommen. Langsame Oxidationsreaktionen mit Luftsauerstoff an den Feststoffoberflächen treten schon bei Umgebungstemperatur auf und produzieren Wärme. Dieser Wärmeproduktion aus einer chemischen Reaktion steht die Wärmeverlustrate über der Schüttungsoberfläche entgegen, die von der charakteristischen Abmessung der Schüttung (Verhältnis vom Volumen zur Oberfläche), von physikochemischen Größen (Wärmeleitfähigkeit, spezifische Wärmekapazität, Schüttdichte) der Schüttung, deren Feuchte und von der Umgebungstemperatur abhängt. Für eine Feststoffschüttung kann man dabei zwei Zustände unterscheiden:

  • Die Wärmeproduktionsrate innerhalb der Schüttung ist geringer als die Rate der Wärmeabfuhr nach außen. Die Schüttung bleibt thermisch unterkritisch.

  • Die Wärmeproduktionsrate innerhalb der Schüttung ist größer als die Wärmeabfuhrrate aus der Schüttung. Das führt zu einer exponenziell ansteigenden Temperatur innerhalb der Schüttung und schließlich zu ihrer Entzündung.

Biochemische Prozesse sowie Adsorption geringer Mengen Feuchtigkeit können die Selbstentzündung begünstigen, da sie zu einer anfänglichen Temperaturerhöhung im Innern der Halde führen und somit den Brennstoff vorkonditionieren.

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Abb. 3: Brandursachen bei Verarbeitung und Lagerung von Recyclingstoffen
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3. Brandschutzanforderungen und Schutzziele

Die Festlegung von Schutzzielen des vorbeugenden Brandschutzes entspricht der Verfahrensweise im baulichen Brandschutz. Die Bauordnungen der Länder schreiben zunächst vor, welche Anforderungen in Bezug auf den baulichen Brandschutz zu erfüllen sind.

Demzufolge sind bauliche Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass

  • der Entstehung eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer und Rauch (Brandausbreitung) vorgebeugt wird,

  • bei einem Brand die Rettung von Menschen und Tieren sowie

  • eine Entrauchung von Räumen und wirksame Löscharbeiten

möglich sind.

Die baulichen und betriebsorganisatorischen Anforderungen zur Erreichung der Schutzziele betreffen:

  • die Möglichkeit zur gefahrlosen Flucht aus der Brandzone

  • die Sicherheit der Einsatzkräfte bei der Personenrettung

  • die erforderliche Feuerwiderstandsdauer des Bauwerkes

  • die zulässige Größe von Brandabschnitten

  • Anforderungen an die verwendeten Baustoffe (Brandverhalten) und Bauteile (Feuerwiderstand)

  • Vorkehrungen für die Brandbekämpfung (z.B. Verfügbarkeit von Löschgeräten und -einrichtungen, Brandmeldesysteme)

  • organisatorische Brandschutzmaßnahmen

Speziell bei Recyclinglagern ergibt sich jedoch zusätzlich zu den Schutzzielen des baulichen Brandschutzes das Ziel (und daraus abgeleitet die Anforderungen) des Schutzes der Umgebung (Bevölkerung, Fauna, Flora) vor gefährlichen Immissionen in Luft, Boden und Wasser. Infolgedessen sind Vorkehrungen zur Vermeidung dieser Immissionen zu treffen. Verunreinigungen von Boden und Grundwasser können sich auch durch kontaminiertes Löschwasser ergeben.

4. Risikoermittlung und -bewertung

Die Definition eines technischen Risikos lautet allgemein:

Risiko = Ereigniswahrscheinlichkeit × Schadensausmaß

Eine Risikobetrachtung muss deshalb Kriterien zur Bewertung dieser beiden Risikokomponenten enthalten.

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Im Fall eines Brandes ist die Ereigniswahrscheinlichkeit die Wahrscheinlichkeit des Aufeinandertreffens der Voraussetzungen für die Entstehung eines Brandes:

  • Vorhandensein mindestens eines brennbaren Stoffes

  • Vorhandensein von Sauerstoff (meistens der in der Umgebungsluft)

  • Vorhandensein einer wirksamen Zündquelle

Veranschaulichen lässt sich das Zusammenwirken dieser Voraussetzungen im sogenannten Branddreieck, s. Abbildung 4.

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Abb. 4: Branddreieck

Brandgefahr ist also immer dann gegeben, wenn diese drei Voraussetzungen gleichzeitig eintreten. Da wie weiter oben bereits ausgeführt die meisten Recyclingmaterialien brennbar sind und der in der Umgebungsluft vorhandene Sauerstoff zur Aufrechterhaltung eines Brandes erfahrungsgemäß ausreicht, ist die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Brandes letztlich gleich der Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins einer wirksamen Zündquelle.

Die Bezeichnung »wirksame Zündquelle« bezieht sich darauf, ob die Zündquelle in Bezug auf Energie und Wirkungsdauer in der Lage ist, im brennbaren Material eine sich selbst unterhaltende Verbrennung in Gang zu setzen. Nicht jede Zündquelle ist für jeden brennbaren Stoff zündwirksam. Es besteht ein Zusammenhang zwischen Zündwirksamkeit der Zündquelle und Zündbereitschaft des brennbaren Stoffes.

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Die Zündbereitschaft eines Stoffes hängt in erster Linie von seiner chemischen Beschaffenheit, physikochemischen Bedingungen (z.B. Feuchte) und seinem Aufbereitungszustand ab. Während ein massiver Holzbalken nicht durch ein Zündholz in Brand gesetzt werden kann, gelingt dies bei Holzwolle mit ansonsten gleichen Eigenschaften ohne Weiteres.

Zur Ermittlung der Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer zündwirksamen Zündquelle gehört deshalb zwangsläufig die Bewertung der Zündbereitschaft der brennbaren Stoffe, die dieser Zündquelle ausgesetzt sind. In Bezug auf Recyclingstoffe wird dies in Abschnitt 4.1 diskutiert.

4.1 Ermittlung des Gefährdungspotenzials

Fremdzündung

Es sind keine systematischen Untersuchungen zur Wirksamkeit externer Zündquellen für das Auslösen von Bränden in Recyclinglagern bekannt. Bei verschiedenen Brandfällen konnten jedoch im Rahmen der Brandursachenermittlung bestimmte Zündquellen identifiziert werden. Die betreffenden Brandereignisse können hier nur anonymisiert wiedergegeben werden.

In einem Fall war eine Halde von etwa 1.000 m3 zerkleinerter Baumischabfälle in einer Halle aufgeschüttet worden. Dabei wurde ein 380-V-Kabel eingeschüttet und versehentlich geringfügig beschädigt. Offenbar durch Kriechströme kam es vermutlich zur lokalen Erwärmung innerhalb der Halde. Bedingt durch die gute Wärmeisolation wurde diese Wärme nicht an die Umgebung abgegeben, sondern führte zur Bildung eines »Hot Spots« und in der Folge zu einem inneren Brand in der Halde.

In einem anderen Fall wurde eine Halde von 11.000 t innerhalb einer Halde aufgeschüttet. Einige Tage später wurde ein Schwelbrand festgestellt. Da Brandstiftung, heiße Oberflächen, elektrische Fehler sowie weitere Zündquellen ausgeschlossen werden konnten, wurde vermutet, dass sich bereits Glutnester im angelieferten Material befanden, die bei der Einlagerung unentdeckt blieben. Funkendetektoren oder Brandmelder an den Fördereinrichtungen waren nicht vorhanden. Weiter oben wurde bereits erwähnt, dass die Zündwirksamkeit von Zündquellen im Zusammenhang mit der Zündbereitschaft der brennbaren Stoffe steht. In [12] wurden Brände in Recyclinglagern in Österreich analysiert und die Folgerung abgeleitet, dass Brände in losen Schüttungen wesentlich häufiger auftraten als in mit Pressballen gefüllten Lagern. Als besonders sicher wurden Lager mit folieumwickelten Pressballen angesehen. In [12] wurde dieser Befund so interpretiert, dass die Folieumwicklung den Eintritt von Luftsauerstoff in den Pressballen wirkungsvoll unterbindet und so Selbstentzündung verhindert.

Eigene Versuche an folieumwickelten Pressballen von sogenannten Ersatzbrennstoffen zeigten, dass eine Zündung dieser Pressballen mit Zigarettenglut, Feuerzeug oder Zündholzflammen nicht möglich ist, da durch  2.9.1 Brandgefahren in Recyclinglagern – Seite 9 – 01.04.2011<<>>das Pressen die aktive Oberfläche des Feststoffes drastisch verkleinert wird. Es gelang jedoch, einen Pressballen durch den Kurzschluss-Strom eines in den Ballen eingeschobenen elektrischen Leiters zu zünden. Die Zündquelle wurde aus einer 12-V-Batterie gespeist, wobei etwa 5 A über einen Zeitraum von einer Minute flossen.

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Abb. 5: Durch Kurzschluss-Strom ausgelöster Brand an einem folienumwickelten Ersatzbrennstoff-Pressballen

Selbstentzündung

Selbstentzündung tritt ein, wenn die Reaktionswärme aus im Haldenkörper ablaufenden chemischen Reaktionen aufgrund der thermischen Isolationswirkung des porösen Haufwerks nicht vollständig an die Umgebung abgegeben werden kann.

Bei der Lagerung von Recycling- oder Deponiestoffen laufen exotherme Reaktionen so lange ab, wie brennbares Material vorhanden ist. Häufig ist die brennbare Fraktion mit inertem Material gemischt (z.B. Baumischabfälle). Eine Frage ist dabei, bis zu welchem Anteil inerten Materials noch gefährliche Wärmeentwicklung befürchtet werden muss. Eigene Versuche haben überraschenderweise gezeigt, dass bei Gemischen von Kunststoffen mit Inertmaterial (Baumischabfälle) die stärkste Wärmeentwicklung auftritt, wenn die brennbaren und inerten Anteile etwa gleich groß sind [13].

Da die Wärmefreisetzungsrate eine volumenbezogene Größe, die Wärmeverlustrate hingegen eine oberflächenbezogene Größe ist, ergibt sich  2.9.1 Brandgefahren in Recyclinglagern – Seite 10 – 01.04.2011<<>>eine inhärente Skalenabhängigkeit des Selbstentzündungsproblems. Das führt dazu, dass sich große Haufwerke wie Halden oder Deponien bei ausreichender chemischer Reaktivität des Materials bereits bei Umgebungstemperaturen selbst entzünden. Dies geschieht unter der Voraussetzung, dass die Lagerungsdauer die sogenannte Induktionszeit (gelegentlich auch Inkubationszeit genannt) überschreitet.

Die sicherheitstechnische Kenngröße zur Bewertung der Selbstentzündungsneigung von Feststoffen ist die Selbstentzündungstemperatur TSE.

Die Selbstentzündungstemperatur (TSE) einer Schüttung (eines Haufwerks, einer Halde) ist die Grenztemperatur der Umgebung der Schüttung (nicht die Temperatur in der Schüttung selbst!), unterhalb welcher die Schüttung thermisch stabil bleibt bzw. oberhalb welcher Selbstentzündung eintritt. Überschreitet die Umgebungstemperatur diese Grenztemperatur, kommt es zum Brand. Wegen der erwähnten Skalenabhängigkeit existiert eine charakteristische Abmessung für das Selbstentzündungsverhalten. Diese wird ausgedrückt durch das Verhältnis von Volumen zu Oberfläche V/A der Halde/des Haufwerks. TSE und V/A sind voneinander abhängige Parameter. Die Angabe einer Selbstentzündungstemperatur ist nur sinnvoll bei gleichzeitiger Angabe von V/A.

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Abb. 6: Versuchsaufbau für die Warmlagerung selbstentzündlicher Recyclingstoffe, 1 – Labortrockenschrank, 2 – Makro-Thermowaage, 3 – FTIR-Spektrometer
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Zur Ermittlung der Selbstentzündungsneigung der zu lagernden Stoffe werden Warmlagerungsversuche nach DIN EN 15188 [4] durchgeführt. Der Versuchsaufbau ist in Abbildung 6 dargestellt. Er besteht aus einem Labortrockenschrank mit etwa 130 l Innenvolumen, in welchem die zu untersuchenden Proben bei voreingestellter, konstanter Temperatur gelagert wurden. Die charakteristische Probenabmessung ist deren Volumen-Oberflächen-Verhältnis.

Die Proben werden in Drahtnetzkörben in den Ofen eingebracht. Die zylindrischen Drahtnetzkörbe weisen ein Verhältnis von Höhe zu Durchmesser h/d = 1 auf. Daraus ergibt sich ein V/A = d/6. Die Temperaturentwicklung im Mittelpunkt der Probe sowie die Temperatur in der freien Ofenatmosphäre werden gemessen.

Bei dem hier gezeigten Versuchsaufbau wurde zusätzlich zu den Versuchsbedingungen in der DIN EN 15188 eine Makro-Thermowaage verwendet, um den Massenverlust während der Selbstentzündung aufzeichnen. Außerdem wurde während des Versuches ein Teil des Rauchgases über ein Fouriertransformiertes Infrarot-Spektrometer geleitet, um die chemische Zusammensetzung des Rauchgases zu analysieren. Die Rauchgasanalyse ist von der Norm DIN EN 15188 ebenfalls nicht gefordert.

Abbildung 7 zeigt die Auswertung von Warmlagerungsversuchen nach DIN EN 15188 im sogenannten Arrhenius-Diagramm für zwei Recyclingstoffe. Die Symbole an den Geraden kennzeichnen die unter Laborbedingungen gemessenen TSE. Es ist möglich, die sich durch Verbindung der Messwerte ergebenden Geraden in den technischen Maßstab zu extrapolieren. So erhält man z.B. für ein Haufwerk von 1.000 m3 (V/A = 5,95 m) des in den Versuchen verwendeten Ersatzbrennstoffs eine TSE von 20˚C.

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Abb. 7: Arrhenius-Diagramm zur Bestimmung von Selbstentzündungstemperaturen von Schüttungen aus Recyclingmaterial gestrichelte Linie – Ersatzbrennstoff, durchgezogene Linie – Altpapier, zerkleinert
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Es ist nicht möglich, aus dem Selbstentzündungsverhalten eines Stoffes auf das anderer Stoffe oder Stoffgemische zu schließen. Die Bewertung des Selbstentzündungsverhaltens nach DIN 15188 muss für jeden Stoff bzw. jedes Stoffgemisch individuell erfolgen.

Grundsätzlich kann Selbstentzündung von Feststoffschüttungen nur dann eintreten, wenn

  • die Lagerungstemperatur ausreicht, die Schüttung beim vorhandenen Volumen-Oberflächen-Verhältnis zu zünden bzw. umgekehrt, das Volumen-Oberflächen-Verhältnis groß genug ist, um bei der vorhandenen Lagerungstemperatur gezündet zu werden,

  • die Lagerungsdauer bei der gegebenen Temperatur größer ist als die Induktionszeit,

  • die Abfuhr von Verbrennungsgasen und die Nachführung von Sauerstoff in die Reaktionszone möglich ist.

Unter Induktionszeit versteht man dabei das Zeitintervall zwischen dem Beginn der Lagerung der Schüttung bei der gegebenen Lagerungstemperatur und der Zündung der Schüttung.

Die Induktionszeit kann anhand des Diagramms in Abbildung 8 für einen gegebenen Stoff und ein gegebenes Volumen-Oberflächen-Verhältnis vorhergesagt werden. Es ist jedoch erforderlich, für jeden brennbaren Stoff/jedes Stoffgemisch ein individuelles Diagramm wie das in Abbildung 8 zu ermitteln.

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Abb. 8: Bestimmung der Induktionszeit für die Selbstentzündung von Schüttungen eines Feststoffes mit gegebenem Volumen-Oberflächen-Verhältnis (Quelle [5])
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Lichtdurchlässigkeit von Brandrauch

In Abhängigkeit von der Zusammensetzung der Brandstoffe und den Reaktionsbedingungen (Reaktionstemperatur, Verfügbarkeit von Sauerstoff) enthalten die Verbrennungsprodukte toxische Komponenten.

Ein erstes Indiz für die Zusammensetzung des Rauches ist die Farbe. Der Begriff Brandrauch beinhaltet dabei sowohl die toxischen Brandgase als auch Wasserdampf, Ruß und Aerosole (in der Luft fein verteilte Schwebe- und Nanoteilchen).

Heller Rauch deutet auf einen hohen Wasserdampfgehalt hin und enthält ansonsten vorwiegend Kohlenmonoxid und Kohlendioxid. Weißer Rauch hingegen deutet auf Phosphor; gelber Rauch auf Schwefel; rotbrauner Rauch auf nitrose Gase; während schwarzer Rauch und Rußbildung Hinweise auf aromatische Kohlenwasserstoffe sind, die z.B. bei der Verbrennung von Kunststoffen wie Polystyrol, Polyethylenterephthalat, Polyimid usw. entstehen [6].

Bei vollständiger Verbrennung wie auch bei unvollständiger Verbrennung (Pyrolyse, Verschwelung) variiert die Zusammensetzung des Rauches und ist damit entscheidend abhängig von den Bedingungen des Verbrennungsvorganges sowie der Art und Zusammensetzung des jeweiligen Kunststoffes. Entscheidende Faktoren dabei sind die Energiezufuhr, die Temperatur, die Ventilation bzw. das Sauerstoffangebot, die Wärmeabgabe an die Umgebung (die brennende Oberfläche) und die Menge der Brandlast (Art, Menge, Geometrie des Materials). Weiterhin ist die Zusammensetzung des Brandrauches abhängig vom Verlauf des Brandes (Entstehungsbrand → flash-over → Vollbrand) [7]. Alle diese komplexen Faktoren bzw. die verschiedenen Brandszenarien bestimmen nicht nur das Brandgeschehen, sondern auch die Zusammensetzung des Brandrauches.

Neben der chemischen Zusammensetzung des Brandrauches interessiert auch dessen optische Dichte. Diese lässt sich als Extinktion eines infraroten Lichtstrahles messtechnisch erfassen. Aus der optischen Dichte lassen sich Rückschlüsse auf die Art des Brandes (Schwelbrand oder Flammenbrand) ziehen.

Abbildung 9 stellt den zeitlichen Verlauf der optischen Rauchdichte (gleichbedeutend mit der Extinktion eines Infrarot-Lichtstrahls definierter Lichtstärke) beim Verschwelen textiler Abfallstoffe bei verschiedenen Reaktionstemperaturen dar. Während bei 100˚C praktisch keine Rauchentwicklung zu erkennen ist, bildet sich bei 200˚C bereits eine solche Menge Rauch, dass es zu einer Verminderung der (infraroten) Lichtdurchlässigkeit zwischen 30 und 40 % kommt. Bei 300˚C ist die Rauchbildung schließlich so stark, dass die Lichtdurchlässigkeit nicht mehr gegeben ist.

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Abb. 9: Optische Rauchdichte beim Verschwelen textiler Abfälle bei unterschiedlichen Reaktionstemperaturen (Quelle [7])

Toxizität von Brandrauch

Bei der Beurteilung der Toxizität von Brandgasen beschränkt man sich auf Leitsubstanzen, d.h. auf Stoffe, die qualitativ und quantitativ besonders stark die Toxizität des Brandrauches beeinflussen, während der Beitrag der anderen Rauchgaskomponenten zur Gesamttoxizität unbedeutend ist. Es handelt es sich bei den Leitsubstanzen zum einen um Verbindungen, die bei Inhalation erstickende Wirkungen zeigen und zum Sauerstoffmangel im Körpergewebe führen (Hypoxie). Zum anderen können toxische Substanzen zu irritativen Auswirkungen führen, die von der Augenreizung bis zum Lungenödem reichen. Eine Übersicht über die wichtigsten Vertreter beider Gruppen gibt Tabelle 1.

Tab. 1: Leitsubstanzen zur Bewertung der Toxizität von Brandgasen

erstickende Wirkung

reizende Wirkung

  • Kohlenmonoxid

  • Kohlendioxid

  • Cyanwasserstoff

  • Chlorwasserstoff

  • Fluorwasserstoff

  • Bromwasserstoff

  • Schwefeldioxid

  • Stickoxide

Eine Methode, die Online-Messungen von Stoffkonzentrationen von Brandgasen ermöglicht, ist die Fourier-Transform-Infrarot-Spektroskopie (FTIR).

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Abbildung 10 zeigt den zeitlichen Verlauf der Stoffkonzentrationen von Kohlenmonoxid, Formaldehyd, Cyanwasserstoff (Blausäure) und Chlorwasserstoff (Salzsäure) beim schwelenden Abbrand verschiedener Proben von Recyclingstoffen.

Auffällig ist der hohe Anteil an Cyanwasserstoff (Blausäure) bei den textilen Abfällen (verursacht durch stickstoffreiche Fasern wie z.B. Polyamide) sowie der hohe Anteil von Chlorwasserstoff bei den Plastikabfällen (verursacht durch Polyvinylchlorid).

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Abb. 10: Konzentrationsverlauf von Kohlenmonoxid (oben links), Formaldehyd (oben rechts), Cyanwasserstoff (unten links) und Chlorwasserstoff (unten rechts) beim Verschwelen verschiedener Fraktionen von Abfallstoffen (Quelle [7])

4.2 Vorhersage von Brandszenarien

Es bedarf keiner näheren Erläuterung, weshalb Brandversuche im Realmaßstab an Recyclinghalden oder auf Deponien nicht möglich sind. Um dennoch fundierte Aussagen zur Gefahr der Selbstentzündung treffen zu können, wird die Methode der numerischen Simulation benutzt.

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Hierfür sind vier Arbeitsschritte nötig:

  • Bestimmung der thermischen und chemischen Eigenschaften der beteiligten Stoffe sowie der maßgeblichen Reaktionen im Labormaßstab

  • Aufstellung eines Berechnungsmodells

  • Validierung des Modells anhand von Experimenten im Labor oder halbtechnischen Maßstab

  • Anwendung des Modells auf Brandszenarien im Realmaßstab

Das hier verwendete Modell betrachtet den dreidimensionalen Wärme- und Stofftransport im Haldenkörper zeitabhängig. Die abhängigen Variablen sind die Temperatur, die Massenkonzentration des Brennstoffs sowie die Volumenkonzentration des Sauerstoffs. Ausführlich beschrieben wurde das Modell in Quelle [8].

Den Berechnungen liegen folgende Annahmen zugrunde:

  • zeitlich konstante Umgebungstemperatur (Diese Annahme ist dadurch gerechtfertigt, dass die thermische Trägheit der Halde so groß ist, dass sich Tagesgang und Jahresgang der Umgebungstemperatur im Innern nicht auswirken.)

  • Temperatur des Lagergutes bei Beginn der Lagerung gleich Umgebungstemperatur

  • homogene Verteilung von brennbaren und inerten Massenanteilen (z.B. bei Baumischabfällen)

  • örtlich konstante Stoffwerte (Schüttdichte, Wärmeleitfähigkeit, spezifische Wärmekapazität)

  • Transport von Gasen innerhalb des Haufwerks sowohl durch Diffusion als auch durch Konvektion möglich

Der numerische Lösungsalgorithmus beruht auf der Methode der finiten Elemente. Es wurde das kommerzielle Programm COMSOL Multiphysics® verwendet.

Als Berechnungsbeispiel diente eine Halde mit einer Grundfläche von 20 m × 120 m und einer Höhe von 12 m bei einem Böschungswinkel von 60˚. Es ergibt sich ein Volumen von etwa 19.000 m3. Das Recyclingmaterial bestand zu 80 % aus brennbaren und zu 20 % aus inerten Masseanteilen.

Aus Symmetriegründen umfasst das Berechnungsgebiet nur ein Viertel der Halde, wobei angenommen wird, dass die Umströmung der Halde von allen Seiten gleichmäßig erfolgt. Zur Vernetzung des Berechnungsgebietes wurden 112.000 Elemente verwendet.

Die zeitliche Entwicklung der Temperatur sowie des Sauerstoff-Volumenanteils an verschiedenen Positionen in der Halde zeigt Abbildung 10.

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Abbildung 11 zeigt das Berechnungsergebnis für die Temperaturentwicklung in der Halde. Links ist das Temperaturfeld bei ungestörter Lagerung bei einer mittleren Umgebungstemperatur von 10˚C nach 868 Tagen dargestellt. Man erkennt eine Temperaturerhöhung auf 212˚C im Inneren des Haldenkörpers. Durch den Fortgang der chemischen Reaktionen erhöht sich die Temperatur weiter und beträgt nach 1.763 Tagen 254˚C. Dieses Temperaturniveau ist typisch für Schwelbrände in porösen Festsstoffen. Gleichzeitig ist eine Ausbreitung des erwärmten Bereiches in Richtung der äußeren Oberfläche erkennbar. Die Verteilung von Temperatur und Sauerstoffkonzentration zu diesem Zeitpunkt ist in Abbildung 12 dargestellt.

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Abb. 11: Berechnete Verteilung von Temperatur und Sauerstoff-Volumenanteil nach 868 Tagen in einer Abfallhalde mit 80 % brennbaren und 20 % nicht brennbaren Masseanteilen
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Abb. 12: Berechnete Verteilung von Temperatur und Sauerstoff-Volumenanteil nach 1.763 Tagen in einer Abfallhalde mit 80 % brennbaren und 20 % nicht brennbaren Masseanteilen
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4.3 Beurteilung der Brandgefährdung

Für die Ermittlung der Brandgefährdung in Betriebsbereichen bzw. von verfahrenstechnischen Anlagen sei hier das Verfahren aus dem Ratgeber Anlagensicherheit angeführt [9]. Da die dort dargelegte Methode hier nicht vollständig ausgeführt werden kann, sei hier nur die prinzipielle Vorgehensweise erläutert.

Ausgehend von dem in Abbildung 13 gezeigten Risikomodell werden die Kategorien

  • Zündbereitschaft der brennbaren Stoffe,

  • Zündwirksamkeit potenzieller Zündquellen,

  • Geschwindigkeit der Brandausbreitung und

  • zu erwartendes Schadensausmaß

jeweils den Klassen 4 (sehr hoch), 3 (hoch), 2 (mittel) und 1 (niedrig) zugeordnet.

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Abb. 13: Risikomodell zur Beurteilung der Brandgefährdung (Quelle: [9])

Aus den Bewertungen zu den einzelnen Kategorien wird der arithmetische Mittelwert für die Brandgefährdung GBG gebildet und dem Brandgefährdungsgrad BG nach dem Schema in Tabelle 2 zugeordnet.

Tab. 2: Zuordnung des Brandgefährdungsgrades

GBG

BG

Bezeichnung

< 1,3

1

geringe Brandgefährdung

1,3–2,7

2

mittlere Brandgefährdung

> 2,7

3

hohe Brandgefährdung

In der Kategorie Geschwindigkeit der Brandausbreitung kann z.B. das Vorhandensein automatischer Löschanlagen oder einer Werkfeuerwehr in der Weise berücksichtigt werden, dass die zugeordnete Klasse vermindert wird.

In der Kategorie »Schadensausmaß« sind die Brandlast, die zu erwartende Toxizität der Brandprodukte sowie die Schutzbedürftigkeit der Umgebung zu berücksichtigen. In [9] ist die Ermittlung der Brandgefährdung  2.9.1 Brandgefahren in Recyclinglagern – Seite 19 – 01.04.2011<<>>am Beispiel eines Kleinlagers mit brennbaren Feststoffen und Flüssigkeiten demonstriert.

5. Brandvermeidung

Maßnahmen des vorbeugenden baulichen Brandschutzes, wie sie in den Bauordnungen der Länder sowie in den nachgeordneten Richtlinien (Industriebaurichtlinie, Kunststofflager-Richtlinie) gefordert werden, zielen auf die Begrenzung der Brandausbreitung auf den jeweils betroffenen Brandabschnitt mit der Möglichkeit zur Selbstrettung, Evakuierung und wirksamen Brandbekämpfung durch die Feuerwehr, jedoch nicht primär auf eine Brandvermeidung.

Da die Substitution brennbarer Stoffe durch nicht brennbare beim Recycling ebenso wie der Ausschluss von (Luft-)Sauerstoff nicht möglich ist, bleibt als einzige Möglichkeit der Brandvermeidung der Ausschluss von wirksamen Zündquellen. Hierfür stehen technische und organisatorische Maßnahmen der Zündquellenvermeidung zur Verfügung, s. Abbildung 14.

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Abb. 14: Technische und organisatorische Maßnahmen zur Zündquellenvermeidung

Eine ausführliche Handlungshilfe zur Brandvermeidung, aber auch zu Maßnahmen des baulichen und anlagentechnischen Brandschutzes stellt die VdS-Richtlinie 2513 dar, die sich speziell auf Lager für sogenannte Sekundärrohstoffe aus Kunststoff bezieht [10].

Ein spezieller Abschnitt der Richtlinie bezieht sich auf die Vermeidung von Brandstiftung mit Mitteln der Objektsicherung in der Weise, dass es Brandstiftern erschwert wird, erfolgreich Brände in Recyclinglagern zu legen. Technische Maßnahmen sind mit organisatorischen zu kombinieren.

 2.9.1 Brandgefahren in Recyclinglagern – Seite 20 – 01.04.2011<<>>

Beispiele sind in Tabelle 3 dargestellt:

Tab. 3: Maßnahmen zur Vermeidung von Brandstiftung nach VdS-RL 2513 [10]

technische Maßnahmen

organisatorische Maßnahmen

  • Ausstattung des Lagers mit Brandmeldetechnik

  • Objektüberwachung (Videokameras)

  • ausreichende Beleuchtung

  • schwer überwindliche Einfriedung (Zaunhöhe 2,50 m)

  • sorgfältige Auswahl des Betriebspersonals

  • regelmäßige Kontrollen durch Wachdienst

  • Freistreifen zwischen Lager und frei zugänglicher Grundstücksgrenze

Zu beachten ist auch die für das jeweilige Bundesland gültige Kunststofflager-Richtlinie. Diese entsprechen in weiten Teilen der Muster-Kunststofflager-Richtlinie (MKLR) [11]. Die Festlegungen der MKLR betreffen die baulich und betrieblich zu treffenden Vorkehrungen zur Begrenzung der Brandausbreitung und für einen effektiven Löscheinsatz.

6. Baulicher Brandschutz

Grundsätzlich sind Recyclinglager, auch solche im Freien, als bauliche Anlagen zu betrachten und bedürfen einer bauaufsichtlichen Genehmigung. Dies ist in der Regel mit Anforderungen an den Brandschutz verbunden.

Für den baulichen Brandschutz zu beachten ist vor allem die für das jeweilige Bundesland gültige Industriebau- und Kunststofflager-Richtlinie. Diese entsprechen in weiten Teilen der Muster-Industriebau-Richtlinie [14] und der Muster-Kunststofflager-Richtlinie (MKLR) [11]. Die Festlegungen der MKLR betreffen die baulich und betrieblich zu treffenden Vorkehrungen zur Begrenzung der Brandausbreitung und für einen effektiven Löscheinsatz. Eine Handlungshilfe bietet ebenfalls die VdS-RL 2513 [10].

Es sind Brandabschnitte zu bilden, deren Größe so zu bemessen ist, dass der Feuerwehr eine effektive Brandbekämpfung möglich ist. Ohne weiteren Nachweis beträgt die maximale Größe eines Brandabschnittes 1.600 m2. Sollen größere Brandabschnitte eingerichtet werden, ist ein Brandschutzkonzept zu erstellen, in dem der Nachweis geführt wird, dass dies durch kompensierende Brandschutzmaßnahmen zulässig ist.

7. Brandbekämpfung

Die Brandbekämpfung erfolgt durch die örtlich zuständige Feuerwehr. Betriebsorganisatorisch sind jedoch Vorkehrungen zu treffen, die der Feuerwehr ein effektives Retten und Löschen ermöglichen. Dies sind z.B.:

  1. a.

    eine ausreichende Bevorratung mit Löschmitteln für Entstehungsbrände (Feuerlöscher, Wandhydranten)

     2.9.1 Brandgefahren in Recyclinglagern – Seite 21 – 01.04.2011<<
  2. b.

    ausreichende Stell-, Rangier- und Umfahrungsflächen für die Feuerwehr

  3. c.

    ausreichender Löschwasservorrat, je nach Löschwasserbedarf entweder aus dem Trinkwassernetz oder ggf. aus einem Löschteich

Laut VdS-RL 2513 [10] sollten je 100 m2 Brandabschnittsfläche 200 l/min Löschwasser bereitgestellt werden können, mindestens aber 1.600 l/min für den gesamten Brandabschnitt.

Alarmierungspläne sowie Flucht- und Rettungswegpläne sollten mit der örtlichen Feuerwehr abgestimmt sein. Ebenfalls sollte eine Regelung über den Zutritt zum Gelände im Alarmierungsfall mit der Feuerwehr vereinbart sein.

Literatur

  1. [1]
  2. [2]

    Sächsisches Staatsministerium für Umwelt und Wirtschaft: Brände bei Recyclingfirmen in Sachsen, 26.9.2007, www.gruene-fraktion-sachsen.de/abfall.html

  3. [3]

    Beispielsammlung Explosionsschutzmaßnahmen bei der Arbeit auf und in Deponien, GUV-I 842, Bundesverband der Unfallkassen, München, 2001

  4. [4]

    DIN EN 15188 »Selbstentzündungsverhalten von Staubablagerungen«, Beuth Verlag, Berlin, 2007

  5. [5]

    Hensel, W.; Krause, U.; Löffler, U.: Chapt. 2.7 Self-ignition behaviour of bulk materials (including dusts), in: Hattig, M.; Steen, H. (Hrsg.): Handbook of explosion protection, Wiley-VCH Verlag, Weinheim, 2004

  6. [6]

    Purser, D. A., in: Toxicity Assessment of combustion products, The SFPE Handbook of Fire Protection Engineering, Third Edition, National Fire Protection Assoziation, Quincy, Massachusetts (2002), Section two, Chapter 6, S. 83–171

  7. [7]

    Krüger, S.; Berger, A.; Krause, U.: Chemisch-analytische Untersuchung von Brandprodukten aus Recycling-Zwischenlagern, Müll und Abfall 41 (2009) 6, S. 298–303

  8. [8]

    Krause, U.; Schmidt, M.; Ferrero, F.: Investigation of the development of conflagration of solid material via analysis of coupled heat, mass and momentum transport, Chemical engineering & technology 32 (2009) 2, pp. 292–305

  9. [9]

    Ratgeber Anlagensicherheit, Kap. III Gefährdungen – Beurteilung und Maßnahmen, Abschnitt III-1 Brand, Universum Verlag, Wiesbaden, 2007

  10. [10]

    VdS-Richtlinie 2513 »Brandschutztechnische Richtlinien für die Lagerung von Sekundärrohstoffen aus Kunststoff, Verlag VdS Schadenverhütung GmbH, Köln, 2008

  11. [11]

    MKLR – Muster-Kunststofflager-Richtlinie: Richtlinie über den Brandschutz bei der Lagerung von Sekundärstoffen aus Kunststoff – ARGE Bau, 1996

  12. [12]

    Holzer, C. (Hrsg.): Anforderungen an die Zwischenlagerung von heizwertreichen Abfällen, Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Wien, Österreich, 2007

  13. [13]

    Schoßig, J.; Berger, A.; Malow, M.; Krause, U.: Beurteilung und Verhinderung von Selbstentzündung und Brandgasemission bei der Lagerung von Massenschüttgütern und Deponiestoffen, BAM-Forschungsbericht 291, Berlin, 2010, ISBN 978-3-9813346-6-1

  14. [14]

    Muster-Richtlinie über den baulichen Brandschutz im Industriebau (Muster-Industriebaurichtlinie – MIndBauRL) – Fassung März 2000 – Fachkommission Bauaufsicht der ARGEBAU