Scheuermann, Praxishandbuch Brandschutz

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2.1.1 Einleitung mit historischem Überblick

Auf der Kenntnis vom Feuer, seiner künstlichen Erzeugung, seinem Einsatz als Werkzeug und seiner Beherrschung als Hilfsmittel beruht der größte Teil der Entwicklung der menschlichen Zivilisation und der in Jahrtausenden gewachsenen Kultur. Es verwundert daher nicht, dass dem Feuer einstmals und bis hin in unsere Zeit Bewunderung, Verehrung, aber auch die Furcht vor seiner ungezügelten Gewalt entgegengebracht wurde. Im Altertum wurde es zunächst als eigenes geheiligtes Element betrachtet und als göttlich angebetet; in der Alchimie sollte es aus der Verbindung der Körper mit einem eigentümlichen Stoff, Phlogiston (G. E. Stahl, 1660–1734) genannt, entspringen. Erst durch die systematischen Untersuchungen von A. L. Lavoisier (1743–1794, guillotiniert in Paris) konnte die wahre Natur dieser Gruppe der chemischen Stoffumsetzungen erkannt und für den Naturwissenschaftler bzw. Techniker entzaubert werden, da es sich um simple unter »kräftiger Wärme- und Lichtentwicklung« ablaufende Oxidationsreaktionen von zumeist Kohlenwasserstoffen als Brennstoff handelt1. Weiterhin wirksam bleibt jedoch die Faszination von offenem Feuer in Form von Lagerfeuer – oder Kaminromantik, aber jeweils weiterhin gepaart mit dem Gefühl der hilflosen Ohnmacht gegenüber seinem ungezügelten Wüten. Letzteres führte dazu, dass der Tatbestand der »Brandstiftung« bereits vor 3.000 Jahren in die römische Gesetzgebung als »crimen publicum« aufgenommen wurde.

Diese janusköpfige Evidenz des Feuers auf seine Anwender kommt schon in den mythologischen Sagen über die »Gottesgabe« Feuer in den verschiedensten Kulturkreisen zum Ausdruck.

In der griechischen Mythologie stahl der Titanen-Sohn Prometheus mit Hilfe des langen Stängels des markigen Riesenfenchels dem vorüber fahrenden Sonnenwagen das Feuer und brachte es als glimmenden Zunder auf die Erde als Geschenk für das Menschengeschlecht. Über diese nichtautorisierte Entnahme erbost, organisierte der Göttervater Zeus die Schöpfung der Pandora mit ihrer Büchse, aus der sich beim Öffnen des Deckels das Unheil wie eine schwarze Schar mit Blitzesschnelle über die bislang glückliche Erde verbreitete. Nur die Hoffnung verblieb als rasch wieder eingeschlossener Bodensatz im Gefäß.

Ähnliches wird über die Ambivalenz des Feuers und seine Verwendung auch in den Mythologien anderer Völker und Kulturkreise erzählt.

Dieses hat sich bis in unsere Zeit erhalten mit der modernen versicherungsrechtlichen Differenzierung von Nutzfeuer und Schadenfeuer, worüber im folgenden Abschnitt der Brandlehre, ihren Grundlagen und Definitionen, noch berichtet wird.

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Aus diesem schon sehr früh erkannten Risiko des Umgangs mit dem segensreichen Hilfsmittel »Feuer« ergaben sich bereits im Altertum in den organisierten Zivilisationszentren Vorschriften zum Umgang mit dem Feuer, seine Verwahrung in den baulichen Anwendungsbereichen (vorbeugender Brandschutz) und der Minderung des Schadens für die Gemeinschaft durch abwehrende Brandschutzmaßnahmen, welche in Form von Monumenten (z.B. die Gesetzestexte des Hammurabi von Babylon; 1728–1686 v. Chr.) oder später auch handschriftlich überliefert wurden.

Wesentlicher Grund für die Vorsorgemaßnahmen war, dass mit wenigen Ausnahmen die privaten, zum Teil auch die öffentlichen Bauwerke aus den relativ leicht entflammbaren Baustoffen Holz, Stroh, Schilf oder sonstigen natürlich gewachsenen Celluloids bestanden. Durch den relativ geringen Abstand zwischen den einzelnen Bauten innerhalb der städtischen Befestigungen (intra muros) ergab sich ein hohes Brandübertragungsrisiko, was zuweilen auch bei simpler Feuerverwahrlosung (fahrlässiger Brandstiftung) zur praktisch vollständigen Zerstörung des gesamten Siedlungszentrums führte. Schon im Sachsenspiegel2 (erstes Drittel des 13. Jahrhunderts) werden im zweiten Buch der Landrechte, Abschnitt 51, »Abstandsflächen« zwischen der Bebauung verschiedener Grundstücke aufgezeigt, da hier formuliert wird:

  1. »1.

    Backofen, Abort und Schweinestall sollen drei Fuß von dem Zaun entfernt sein.

  2. 2.

    Jeder soll ferner auf seinen Backofen und seine Feuermauer achten, damit ihm nicht Schaden dadurch erwächst, dass die Funken in den Hof des anderen fliegen.«

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Abb. 1: Abstandsflächen nach Sachsenspiegel

Drakonisch waren die Strafen auch für den »handhaften Brandstifter« (auf frischer Tat ertappten Brandstifter): Rädern, Pfählen und zum Schluss der Feuertod.

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Im Mittelalter bis hin zur Neuzeit wurde legislativ und organisatorisch der Brandschutz z.B. in Form von Feuerverordnungen festgeschrieben, wobei dann auch die Strafjustiz einbezogen werden musste, da sich durch die Gründung von Feuerversicherungen (im 17. Jahrhundert zunächst in England aus Feuerhilfskassen entstandene Feuerassekuranzen) ein Anreiz zum persönlichen Missbrauch – dem Versicherungsbetrug, ergab.

Bis 1919 gab es über 300 verschiedene Baupolizeiordnungen in Preußen, deren Anforderungen an den baulichen Brandschutz zum Teil weit über das hinausgingen, was heute gefordert wird. Beispielhaft sei hier die Baupolizeiverordnung für den Stadtbezirk Wiesbaden vom 7. Februar 1905 zitiert:

»§ 25 Brandmauern

  1. 1.

    Brandmauern müssen massiv und ohne Öffnungen hergestellt und 0,40 m über den unmittelbar anschließenden Dachteil emporgeführt werden

  2. 2.

    Die Stärke derjenigen Brandmauern, welche voraussichtlich freistehen, muss bei Backsteinmauerwerk wenigstens betragen:

    im Dachgeschoß und dem obersten Geschoß 1 Stein, (= 0,25 m), in den beiden folgenden Geschossen 1 1/2 Stein (= 0,38 m), darunter 2 Steine (= 0,51 m)

    Brandmauern dürfen aus Material, das durch Feuer zerstört wird, nicht hergestellt werden.

  3. 3.

    Bei geschlossener Bauweise ist den Nachbarn die Herstellung gemeinschaftlicher Brandmauern gestattet. Eine solche Mauer muss in allen Geschossen um mindestens 0,13 m stärker sein als eine selbständige Brandmauer.«

Die hier geforderte Dicke der Brandmauer hatte im schwächsten Bereich eine Stärke, welchen den heutigen Anforderungen an Komplextrennwände nach den Richtlinien des Verbandes der Schadenversicherer (VdS) genügt. Eine Komplextrennung ist aber heute im Wohnungsbau nicht mehr gefordert. Hier genügen Trennwände, die nur die Hälfte oder gar weniger Feuerwiderstandsdauer als die von Komplextrennwänden aufweisen.

Die erste übergeordnete gesetzliche bauaufsichtliche Regelung wurde 1919 in Preußen erlassen (Einheitsbauordnung, EBO), womit die vielen verschiedenen bis dahin gültigen Baupolizeiverordnungen abgelöst wurden. Die EBO von 1919 ist daher nicht mit der Musterbauordnung (MBO; 1960–1997) vergleichbar, da diese keinen Gesetzescharakter hat. In der Tabelle 1 ist diese historische Entwicklung mit einigen Daten exemplarisch belegt. In der Neuzeit ergab sich im Zuge der raschen Industrialisierung und dem hierdurch hervorgerufenen starken übernationalen Handelsaustausch die Notwendigkeit einer normativen Beschreibung bzw.  2.1.1 Einleitung mit historischem Überblick – Seite 4 – 01.06.2013<<>>Vereinheitlichung der Dimensionierung von industriell in hoher Stückzahl hergestellten Produkten und Verfahren im weitesten Sinne.

Tab. 1: Exemplarische Daten aus der Entwicklung der Brandschutzgesetzgebung

Zeitraum

Gebiet

Historische Entwicklung

18. Jahrhundert v. Chr.

Mesopotamien

Hammurabi-Gesetzesstele: Regelung von Hausabständen, Bauweise und Wandstärke von Häusern

ca. 120 v. Chr. Zeitenwende

Alexandria

Heron: Feuerspritze; Zeitenwende: Augustus: Feuer- und Nachtwachen (cohortes vigilum)

500–1500

Mittelalter

Brand-/Feuer- und Feuerwehrordnungen der Städte in Europa

ca. 1230

Eike von Repgow: Abstandsverordnung von Backöfen etc.; Sachsenspiegel

17. Jahrhundert

England

Feuerassekuranzen, entstanden aus Brandhilfskassen

ca. 1700

Europa

Aufstellung von Berufsfeuerwehren (Wien, London, Paris)

Anfang 18. Jahrhundert

Kurmark Brandenburg

Landesbrandkasse aus Sozietäten

1718

Berlin

Berlinische Feuerversicherungsanstalt

1841

Meißen

erste freiwillige Feuerwehr in Deutschland

1851

Berlin

erste deutsche Berufsfeuerwehr

1919

Preußen

Einheitsbauordnung (EBO)

August 1934

Deutschland

Erstausgabe der DIN 4102

1960–1993

Deutschland

Musterbauordnung (MBO)

ab 1962

Deutschland

Landesbauordnungen

ab 1991

Europa

Harmonisierung der Prüfverfahren

Naturgemäß beeinflusste dieser »Normungsgedanke« auch den Brandschutz, wobei sicherlich auch die erhebliche Ausweitung des Versicherungswesens beeinflussend eingriff, da gerade hier zur Quantifizierung des Versicherungsrisikos vergleichbare, möglichst übernationale vorhandene Mess-, besser noch: Rechendaten, vorhanden sein mussten.

Aus diesem ergab sich nachvollziehbar, dass auch über das zunächst nationale, in neuester Zeit auch das internationale Normenwesen im Bauwesen, hier ist besonders der vorbeugende baulichen Brandschutz interessierend, in dem der jeweils geltende »Stand der Technik« einbezogen wurde. Im deutschen Bereich wurde daher 1934 die erste Ausgabe der DIN 4102 »Wi- 2.1.1 Einleitung mit historischem Überblick – Seite 5 – 01.06.2013<<>>derstandsfähigkeit von Baustoffen und Bauteilen gegen Feuer und Wärme« vom Ausschuss für einheitliche technische Baupolizeibestimmungen (ETB) herausgebracht. Schon in dieser ersten Ausgabe (s. Abb. 2) finden sich die auch noch heute den Aufbau der DIN 4102 bestimmenden Begriffe wieder, wenngleich diese verbal variiert bzw. präzisiert wurden:

Baustoffe

I. brennbar

II. schwer brennbar

III. nicht brennbar

Bauteile

IV. feuerhemmend (heute F 30)

V. feuerbeständig (heute F 90)

VI. hochfeuerbeständig (heute F 180)

In der Ausgabe von 1965 der DIN 4102 wurde der prinzipiell noch heute gültige Aufbau dieser grundlegenden baulichen Brandschutznorm in die Bereiche Baustoffe, Bauteile und Sonderbauteile, ergänzt durch den Katalogteil 4 (klassifizierte Baustoffe, Bauteile und Sonderbauteile) vorgegeben. Neben einer deutlich erweiterten Anzahl von 22 Normteilen, die sich mit diesen Sonderbauteilen beschäftigen, wurde die moderne DIN 4102:1998 »Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen – Teil 1: Baustoffe; Begriffe, Anforderungen und Prüfungen« durch Teile, in welchen Prüfgeräte bzw. Prüfverfahren niedergelegt sind, erweitert.

Die zukünftige Normung und Klassifizierung von Baustoffen und Bauteilen wird im Rahmen des europäischen Harmonisierungsverfahrens eine wesentlich differenziertere Einstufung der Feuerwiderstandsfähigkeit von Bauteilen mit sich bringen. Die europäischen Mitgliedstaaten einigten sich auf grundlegende Anforderungen, die im Grundlagendokument 2 »Brandschutz« von 1994 zur Bauproduktenrichtlinie 89/106/EWG festgeschrieben waren. EU-Richtlinien müssen von den nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden, um eine einheitliche Wirkung zu entfalten. Dieses ist auf dem Gebiet der Bauprodukte nicht gelungen und somit hat die Kommission mit Zustimmung des Europäischen Parlamentes eine Verordnung (EU) Nummer 305/2011 vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Aufhebung der Bauprodukten-Richtlinie 89/106/EWG erlassen.

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Abb. 2: Blatt 1 der Erstausgabe von DIN 4102, Fassung 1934

Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 1980

Koschorreck, Walter: Der Sachsenspiegel von Eike von Repgow um 1330, Inselverlag 1977