DGUV Information 215-450 - Softwareergonomie

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Abschnitt 10.5 - 10.5 Gestaltungsrichtlinien

Die Barrierefreiheit von Software wird in internationalen Richtlinien und Standards definiert. Maßgebend wurden die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) des World Wide Web Consortiums (W3C) für die Barrierefreiheit von Inhalten im Internet. Seit der Version 2.0 basiert WCAG auf generellen Gestaltungsprinzipien, die in jeder technischen Umgebung einzuhalten sind (siehe Abbildung 66). Hieran orientieren sich auch neuere Richtlinien zur barrierefreien Gestaltung von Dokumenten und von Software (DIN EN 301 549).

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Abb. 66
Die vier Gestaltungsprinzipien nach WCAG: wahrnehmbar, bedienbar, verständlich, robust

Die Richtlinien des W3C

Das W3C erarbeitet die Standards für das Internet, u. a. Hypertext Markup Language (HTML) für die Kodierung von Inhalten, Cascading Style Sheets (CSS) für Stilvorlagen und Scalable Vector Graphics (SVG) für Vektorgrafiken. Das W3C hat eine Web Accessibility Initiative (WAI), die auf die Barrierefreiheit der Webstandards achtet und Richtlinien zur barrierefreien Gestaltung herausgibt.

Zentrale Richtlinien der WAI sind:

  • die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) zur barrierefreien Gestaltung der Inhalte,

  • die Authoring Tools Accessibility Guidelines (ATAG), die u. a. Online-Editoren betreffen,

  • die User Agent Accessibility Guidelines (UAAG) für die barrierefreie Funktionalität des Browsers bzw. des Anzeigegerätes und

  • der Standard Accessible Rich Internet Applications (WAI-ARIA) dient der Anpassung von Web-Anwendungen an assistive Technologien.

Die Zusammenfassung dieser Richtlinien in ein harmonisiertes Werk "Accessibility Guidelines (AG)" ist in Arbeit, wird aber erst in einigen Jahren erscheinen.

WCAG

Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) bestehen seit 1999. Die zweite Version WCAG 2.0, verabschiedet im Dezember 2008, wurde grundlegend neu strukturiert. Seit Juni 2018 gilt die Version WCAG 2.1.

Das hierarchisch aufgebaute Regelwerk basiert auf vier Gestaltungsprinzipien, davon drei ergonomische - wahrnehmbar, bedienbar, verständlich - und ein technisches Prinzip - robust (siehe Abbildung 66).

Das Regelwerk ist in 13 Richtlinien und 78 Erfolgskriterien aufgefächert. Die Erfolgskriterien sind in drei Konformitätsstufen A, AA und AAA differenziert. Von hier aus wird verwiesen auf technische Dokumente, die nicht mehr verbindlich sind, sondern informativen Charakter haben. Auf diese Weise soll der raschen technischen Entwicklung im Internet Rechnung getragen werden.

WCAG gilt für alle im Internet gebräuchlichen Inhaltsformate. Während WCAG 1.0 die W3C-eigenen Formate HTML und CSS voraussetzte und den Gebrauch von Fremdformaten und Programmiersprachen unter strenge Auflagen stellte, sind seit WCAG 2.0 auf barrierefreien Websites auch Dokumente in PDF und Anwendungen in JavaScript erlaubt, sofern diese barrierefrei gestaltet sind.

Allerdings zeigt sich bei der Nutzung komplexer Anwendungen, dass WCAG die Dynamik und den Prozesscharakter von Software nicht ausreichend abbildet. Auch andere Richtlinien für barrierefreie Software füllen diese Lücke noch nicht.

ccc_3498_as_41.jpg13 Richtlinien nach WCAG 2.1
1.Wahrnehmbar
1.1.Textalternativen für Nicht-Text-Inhalte
1.2.Alternativen für zeitbasierte Medien
1.3.Anpassbar an verschiedene Darstellungsmodi
1.4.Unterscheidbare Darstellung von Inhalten
2.Bedienbar
2.1.Vollständig per Tastatur zugänglich
2.2.Ausreichend Zeit
2.3.Anfälle vermeiden (kein Blitzen)
2.4.Übersichtliche Navigation
2.5.Verschiedene Eingabemöglichkeiten
3.Verständlich
3.1.Leseverständnis fördern
3.2.Vorhersehbar (Konsistente Darstellung)
3.3.Hilfestellung bei der Eingabe
4.Robust
4.1.Kompatibel mit allen Browsern und mit Hilfstechniken

Weitere Gestaltungsrichtlinien

WCAG 2.0 war wegweisend für weitere Richtlinien zur barrierefreien Gestaltung von Informationstechnik. Für barrierefreie PDF-Dokumente gibt es die DIN ISO 14289-1 PDF/UA (Universal Accessibility), der die Konzepte von WCAG 2.0 auf PDF anwendet.

Die zuerst 2014 erschienene Norm EN 301549 "Barrierefreiheitsanforderungen für IKT-Produkte und -Dienste" betrifft sämtliche IT-Produkte, Hard- und Software sowie Telekommunikationsanlagen. Die Norm hat einen allgemeinen Teil mit grundlegenden Anforderungen bei eingeschränktem Sehen, Hören, Sprechen, Greifen etc. Die Gestaltungsrichtlinien zu Internetseiten, Dokumenten und Software entsprechen WCAG 2.1 Level AA. Zusätzlich sind in das Kapitel Software Teile der DIN EN ISO 9241-171 "Leitlinien für die Zugänglichkeit von Software" eingegangen: Zusammenarbeit mit assistiven Technologien, Beachtung der Eingabehilfen des Betriebssystems, individuelle Nutzereinstellungen. Aus ATAG sind Anforderungen für Editoren übernommen worden. Ebenso sind Anforderungen an barrierefreie Dokumentation und Benutzerservice definiert. Somit kann EN 301549 als harmonisierte Basisanforderung an barrierefreie Software gelten.

Erweiterte Anforderungen an barrierefreie Software werden in dem, 2017 fertig gestellten, "BIT inklusiv Prüfverfahren" für Anwendungssoftware gesammelt. Für die Konformitätsstufe II des Verfahrens "Ergonomische Ergänzungen" wurden WCAG Level AAA, DIN EN ISO 9241-171 und zahlreiche Usability-Normen ausgewertet.

Die deutsche Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung - BITV 2.0

Die seit 2002 bestehende BITV hatte anfangs eigene, von WCAG abgeleitete technische Spezifikationen. Seit Mai 2019 nennt in § 3 BITV 2.0 "Anzuwendende Standards" nur die Grundprinzipien wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust und verweist im Weiteren auf die im Amtsblatt der EU genannten Normen. Somit ist für den Geltungsbereich der BITV 2.0 die europäische Norm DIN EN 301 549 (Barrierefreiheitsanforderungen für IKT-Produkte und -Dienste) anzuwenden.

Ergänzend werden für Websites öffentlicher Stellen in § 4 BITV 2.0 Erläuterungen in Deutscher Gebärdensprache und in Leichter Sprache verlangt, um den besonderen Belangen Rechnung zu tragen. In § 7 BITV 2.0 wird eine Erklärung zur Barrierefreiheit gefordert.