DGUV Information 215-450 - Softwareergonomie

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Abschnitt 10.1 - 10.1 Gesetzliche Grundlagen

Die Barrierefreiheit des öffentlichen Raums, einschließlich des Internets, ist weltweit als eine gesellschaftliche Aufgabe anerkannt. Die Europäische Union unterhält seit 1999 Aktionsprogramme für eine "Informationsgesellschaft für alle", in denen die Barrierefreiheit eine wichtige Rolle spielt. In Deutschland wurde im Jahr 2002 das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) erlassen, dazu eine Ausführungsverordnung "Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV)". Demnach müssen die Bundesbehörden und andere Einrichtungen des öffentlichen Rechts auf Bundesebene seit Ende 2005 ihre Internetseiten und öffentlich zugängliche Informations-Software barrierefrei gestalten.

Im weiteren Verlauf der Gesetzgebung wurde der Geltungsbereich der Verpflichtung zur Barrierefreiheit immer weiter ausgedehnt. Die deutschen Bundesländer regeln bisher jeweils für sich, welche Dienststellen ihre öffentlichen Informationsangebote barrierefrei machen müssen. Durch die EU-Richtlinie 2016/2102 über die Barrierefreiheit von Internetangeboten öffentlicher Stellen sind auch die Bundesländer gehalten, ihre Gesetzgebung anzupassen.

Die Privatwirtschaft wurde erstmals durch den im März 2019 verabschiedeten European Accessibility Act (EAA) einbezogen. Produkte und Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, u.a. Bankdienstleistungen, Personenverkehr, Online-Handel etc. müssen künftig barrierefrei sein. Die Richtlinie soll bis 2022 in nationales Recht umgesetzt werden, für die praktische Anwendung sollen Übergangsfristen bis 2028 gelten.

Auch für den Bereich der Arbeitsplätze setzt sich die Forderung nach Barrierefreiheit immer mehr durch. Für die öffentlichen Stellen des Bundes wurde erstmals in der Novelle des BGG von 2016 in § 12 Abs. 2 festgelegt, dass die von den Beschäftigten zu nutzenden elektronischen Informationsangebote und Verwaltungsverfahren künftig barrierefrei sein sollen. Verbindliche Umsetzungspläne sind bis Ende Juni 2021 vorzulegen. Eine entsprechende Beschaffungsverordnung ist bereits seit April 2016 in Kraft (Vergaberechtsmodernisierungsverordnung - VergRModVO). Demnach ist bei allen IT-Beschaffungen der Bundesbehörden, Hard- und Software einschließlich mobilen Geräten, Telekommunikationsanlagen etc., die Barrierefreiheit ein wesentliches Vergabekriterium.

Die technischen Spezifikationen für Barrierefreiheit sind in internationalen Standards beschrieben. Zu nennen sind insbesondere die vom World Wide Web Consortium (W3C) herausgegebenen Richtlinien zur barrierefreien Gestaltung von Web-Inhalten "Web Content Accessibility Guidelines (WCAG)", die seit 1999 bestehen, weltweit in die nationalen Gesetzgebungen eingegangen sind und kontinuierlich aktualisiert werden. Die deutsche BITV verweist seit Mai 2019 auf die weiter gefasste Europäische Norm EN 301549 "Barrierefreiheitsanforderungen für IKT-Produkte und -Dienste".

In den USA gibt es vergleichbare Regelungen schon seit 1998, als das dortige Rehabilitationsgesetz um eine Richtlinie "Section 508" ergänzt wurde (heute aufgegangen in harmonisierten IT-Richtlinien der US-Bundesbehörden). Section 508 bestimmte, dass US-Regierungsbehörden bei der Beschaffung ihrer gesamten IT-Ausstattung auf Barrierefreiheit achten müssen. Die entsprechenden technischen Spezifikationen wurden mitgeliefert, ebenso eine Durchführungsbestimmung, nach der die IT-Hersteller eine Eigenerklärung zur Barrierefreiheit ihrer Produkte (Voluntary Product Accessibility Template VPAT) abzugeben haben, die in einem öffentlichen Verzeichnis gesammelt werden. Dieser Regelung und der Marktmacht der US-Regierungsbehörden ist es zu verdanken, dass weit verbreitete Software-Marken, z. B. Microsoft® Office und SAP®, einen relativ hohen Standard an Barrierefreiheit erreicht haben.

In Deutschland besteht durch das Sozialgesetzbuch (SGB) schon lange eine generelle Beschäftigungspflicht für schwerbehinderte Menschen (§ 154 SGB IX). Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der Wirtschaft, müssen wenigstens 5 % ihrer Arbeitsplätze an schwerbehinderte Menschen vergeben oder alternativ eine Ausgleichsabgabe zahlen. Wer behinderte Menschen beschäftigt, hat Anspruch auf öffentliche Förderung zur behindertengerechten Gestaltung der bereitgestellten Arbeitsplätze. Diese auf dem Schutzrecht des Einzelnen basierenden Maßnahmen haben zu zahlreichen individuellen Anpassungen geführt, jedoch bisher nur wenig dazu beigetragen, dass eine barrierefreie betriebliche IT-Infrastruktur entstehen kann. So ist zumeist die in Betrieben genutzte Anwendungssoftware nicht barrierefrei - mit Ausnahme der oben genannten weltweit verbreiteten Standardprodukte. Mit der europaweiten Verpflichtung des öffentlichen Dienstes auf barrierefreie IT-Ausstattung wird sich auch in Deutschland der Markt entsprechend anpassen.

ccc_3498_as_41.jpgDefinition "Barrierefreiheit" nach BGG § 4
"Barrierefrei sind ... Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen ..., wenn sie für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind."