Abschnitt 3 - Die Schritte einer Gefährdungsbeurteilung
In diesem Kapitel werden die einzelnen Schritte der Gefährdungsbeurteilung erklärt. Im Anschluss daran veranschaulichen Praxisbeispiele den hier dargestellten theoretischen Hintergrund.
Schritt 1: Ermitteln der Gefährdung
Der Begriff "Gefährdung" kennzeichnet das räumliche und zeitliche Zusammentreffen von Personen (Feuerwehrangehörigen) mit Gefahrenquellen (vergleichbar mit dem Begriff "Gefahren der Einsatzstelle") und beschreibt den möglichen Gesundheitsschaden. Das Ermitteln von Gefährdungen ist die systematische Bestandsaufnahme aller Möglichkeiten, bei denen Feuerwehrangehörige durch Gefahren Schaden nehmen können und kann anhand der Leitfrage "Was kann passieren?" durchgeführt werden.
Gefährdungsgruppen
Gefährdungen | Beispiele |
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Mechanische Gefährdung |
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Elektrische Gefährdung |
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Chemische Gefährdung |
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Biologische Gefährdung |
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Brand- und Explosionsgefährdung |
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Thermische Gefährdung |
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Physikalische Gefährdung |
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Erhöhung der Gefährdung durch zusätzliche gefahrbringende Bedingungen |
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Psychische Belastung |
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Physische Belastung |
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Gefährdung durch Organisationsmängel |
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Schritt 2: Risikobeurteilung
Für die in Schritt 1 ermittelten Gefährdungen ist zunächst das Risiko zu beurteilen. Als Risiko (R) wird das Produkt aus der Wahrscheinlichkeit (W), dass ein Schaden eintritt, und den möglichen Folgen (F) für Feuerwehrangehörige bezeichnet.
Risiko (R) = |
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Wahrscheinlichkeit (W) x Folgen (F) |
Die Eintrittswahrscheinlichkeit (W) wird in fünf Kategorien eingeteilt:
Eintrittswahrscheinlichkeit (W) | |
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0 | nie (absolut keine Gelegenheit, auf die Gefahr zu treffen) |
1 | ausnahmsweise |
2 | gelegentlich |
3 | wahrscheinlich |
4 | immer |
Die möglichen gesundheitlichen Folgen (F) werden in fünf Kategorien eingestuft:
Folgen (F) | ||
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0 | ohne Folgen | |
1 | gering | leichte, reversible Verletzungen, z. B. kleine Schnittwunden, Abschürfungen, Verstauchungen |
2 | mäßig | schwere Verletzungen, z. B. Knochenbrüche, Verbrennungen 2. Grades |
4 | hoch | lebensbedrohliche Verletzungen, schwere bleibende Gesundheitsschäden, z. B. Querschnittslähmung, Erblindung |
8 | Extremfall | Tod |
Um das Risiko quantitativ bestimmen zu können, gibt es verschiedene Möglichkeiten.
Im Folgenden wird die Variante vorgestellt, die in der DGUV Information 205-014 "Auswahl von persönlicher Schutzausrüstung für Einsätze bei der Feuerwehr" angewendet wird.
Mit Hilfe der Risikomatrix kann nun aus der ermittelten Eintrittswahrscheinlichkeit (W) und den zu erwartenden gesundheitlichen Folgen (F) das Risiko (R) abgeschätzt werden. |
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In der Matrix lässt sich aus dem Schnittpunkt von Eintrittswahrscheinlichkeit (W) und Folgen (F) direkt die Risikogruppe ablesen.
Die Risikogruppe zeigt den Handlungsbedarf auf, indem sie die Dringlichkeit und die Reichweite der erforderlichen Maßnahmen vorgibt.
Risikogruppe | Risiko | Maßnahmen |
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8 - 32 | groß | Maßnahmen mit erhöhter Schutzwirkung dringend notwendig |
3 - 6 | mittel | Maßnahmen mit normaler Schutzwirkung dringend notwendig |
1 - 2 | klein | Organisatorische und personenbezogene Maßnahmen ausreichend |
0 | - | keine zusätzlichen Maßnahmen notwendig |
Schritt 3: Ableiten von Schutzzielen
Schutzziele beschreiben noch keine Maßnahmen, sondern legen den zu erreichenden Soll-Zustand fest. Dieser kann vielfach aus dem Vorschriften- und Regelwerk entnommen werden, beispielsweise in Form festgelegter Grenzwerte. Vor der Suche nach Maßnahmen ist es wichtig, zu definieren, welches Ziel man damit erreichen will. Denn nur wer sein Schutzziel kennt, kann passende Maßnahmen ergreifen. Damit verringert sich die Gefahr, Maßnahmen mit zu geringer ("Tropfen auf den heißen Stein") oder übertriebener ("mit Kanonen auf Spatzen schießen") Reichweite festzulegen.
Schritt 4: Maßnahmen auswählen, umsetzen und auf Wirksamkeit überprüfen
Keine Tätigkeit der Feuerwehr kann unter Ausschluss jeglichen Risikos erfolgen. Es ist aber notwendig, sich darüber im Klaren zu sein, welches Risiko als noch akzeptabel angesehen werden kann. Dieses akzeptable Risiko wird als Grenzrisiko bezeichnet. Die Differenz zwischen dem festgestellten Risiko (Ist-Zustand) und dem akzeptablen Restrisiko (Soll-Zustand) bestimmt die erforderliche Reichweite von zu ergreifenden Maßnahmen.
Die Beseitigung oder Reduzierung der Gefahrenquelle steht dabei an oberster Stelle. Nur wenn dies nicht möglich ist, muss das Wirksamwerden der Gefahrenquelle durch technische, organisatorische Maßnahmen, geeignete persönliche Schutzausrüstung und zuletzt durch sicherheitsgerechtes Verhalten minimiert werden. Die Auswahl geeigneter Maßnahmen orientiert sich an der so genannten Zielhierarchie.
Es sind primär Maßnahmen zu treffen, die sich weit oben in der Zielhierarchie befinden, da diese am wirksamsten sind. Kosten für die Umsetzung der Maßnahmen müssen bei diesen Betrachtungen nachrangig gegenüber einem wirksamen Schutz der Feuerwehrangehörigen sein.
Bei der Festlegung von Maßnahmen ist zu berücksichtigen, dass sich dadurch neue Gefährdungen als "Nebenwirkung" ergeben können, die wiederum zu beurteilen sind. So würden z. B. Abgasschläuche für Dieselmotoremissionen, die in Feuerwehrhäusern am Boden verlegt werden, neue Gefährdungen wie "Stolpern und Stürzen" mit sich bringen.
Sind Maßnahmen ausgewählt, muss festgelegt werden:
Bis wann sind die einzelnen Maßnahmen umzusetzen?
Wer führt die Maßnahmen durch?
Ist bis zur Umsetzung der Maßnahmen eine Übergangslösung (z. B. organisatorische Maßnahme) erforderlich? Muss die Tätigkeit bis dahin sogar eingestellt werden, da das ermittelte Risiko zu hoch ist?
1. | Gefahrenquelle vermeiden/beseitigen: Z. B. anderes Arbeitsverfahren, Arbeitsmittel, ... | |
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2. | Wirksamwerden der Gefahrenquelle technisch ausschließen: Z. B. abschirmen, Absperren, Schutzvorrichtung ... | |
3. | Wirksamwerden der Gefahrenquelle organisatorisch ausschließen: Z. B. räumliche/zeitliche Trennung | |
4. | Verringern der Einwirkung durch persönliche Schutzausrüstung: Z. B. bereitstellen und Tragen persönlicher Schutzausrüstung | |
5. | Sicherheitsgerechtes Verhalten: Z. B. Gefahrenhinweise |
Nach Umsetzung der Maßnahmen muss eine Überprüfung stattfinden, ob damit das Restrisiko tatsächlich unter das vorher definierte Grenzrisiko gesenkt werden konnte. Eventuell müssen andere, auch ergänzende Maßnahmen getroffen werden.
Schritt 5: Dokumentation
Nach § 3 Abs. 3 DGUV Vorschrift 1 "Grundsätze der Prävention" sind das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung sowie die festgelegten Maßnahmen und das Ergebnis ihrer Überprüfung zu dokumentieren. Die Erfüllung der Dokumentationspflicht ist nicht nur ein formaler Vorgang; sie dient darüber hinaus auch der Rechtssicherheit der Unternehmerin bzw. des Unternehmers.
Über die Form der Dokumentation können die Verantwortlichen frei entscheiden. Als Hilfestellung findet sich im Anhang ein Beispiel für eine Dokumentationsvorlage.
Die Dokumentation dient darüber hinaus als Basis für die regelmäßige Unterweisung der Feuerwehrangehörigen, um über Gefahren und festgelegte Maßnahmen aufzuklären.
Schritt 6: Unterweisen auf Basis der Gefährdungsbeurteilung
Damit die im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ermittelten Maßnahmen von allen Feuerwehrangehörigen auch umgesetzt und gelebt werden, müssen sie entsprechend unterwiesen werden.
Auf diese Weise kann die Forderung aus § 8 DGUV Vorschrift 49 "Feuerwehren" erfüllt werden: "Die Feuerwehrangehörigen sind im Rahmen der Aus- und Fortbildung über die möglichen Gefahren und Fehlbeanspruchungen im Feuerwehrdienst sowie über die Maßnahmen zur Verhütung von Unfällen und Gesundheitsgefahren regelmäßig zu unterweisen". Die Unterweisung muss erforderlichenfalls wiederholt werden; sie muss dokumentiert werden.
Weitergehende Hinweise, wie die Unterweisung ansprechend und zielführend gestaltet werden kann, finden sich in der DGUV Information 205-010 "Sicherheit im Feuerwehrdienst".
Schritt 7: Regelmäßig überprüfen
Die Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt den Ist-Zustand zum Zeitpunkt der Ermittlung. Da sich dieser Zustand verändern kann (z. B. durch Änderungen der Einsatzbedingungen, der Ausrüstung, der baulichen Anlagen), muss die Gefährdungsbeurteilung regelmäßig überprüft und erforderlichenfalls nach diesem Schema aktualisiert werden. Gleichzeitig erfolgt durch das regelmäßige Überprüfen der Gefährdungsbeurteilung eine Kontrolle, ob tatsächlich die einst beschlossenen Maßnahmen umgesetzt werden, wie z. B.:
Sind noch alle Schutzeinrichtungen vorhanden?
Werden die organisatorischen Regelungen noch immer von allen befolgt?
Wird die persönliche Schutzausrüstung weiterhin konsequent getragen?
Ist eine Wiederholung der Unterweisung erforderlich?
Die wesentlichen Schritte der Gefährdungsbeurteilung werden anhand der folgenden Beispiele veranschaulicht:
Gefährdungsbeurteilung für "Arbeiten mit der Motorsäge",
Gefährdungsbeurteilung für "Wasserentnahme aus offenen Gewässern",
Gefährdungsbeurteilung für "Arbeiten auf Dächern".
Wichtiger Hinweis |
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Da die Gefährdungsbeurteilung immer die spezifischen Bedingungen der jeweiligen Feuerwehr vor Ort berücksichtigen muss, können diese Beispiele nur dazu dienen, die Grundlagen zu verdeutlichen. In diesen Beispielen sind einige der wichtigsten Gefährdungen aufgeführt; sie sind nicht abschließend und ersetzen keinesfalls die eigenen Gefährdungsbeurteilungen zu diesen Tätigkeiten. Denn unter Berücksichtigung der jeweiligen Bedingungen vor Ort ergeben sich unter Umständen von Feuerwehr zu Feuerwehr abweichende Ergebnisse bei der Ermittlung von Gefährdungen, der Beurteilung der Risiken und der Auswahl von Maßnahmen. |
Anmerkung |
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Für die Auswahl geeigneter persönlicher Schutzausrüstung wird auch auf die DGUV Information 205-014 "Auswahl von persönlicher Schutzausrüstung für Einsätze bei der Feuerwehr" hingewiesen. |