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Engst, Arbeitssicherheitsjournal 2010, 20
So urteilen die Gerichte

Judith Engst

Kündigung nach Arbeitsunfall ist nicht grundsätzlich treuwidrig Darf ein Arbeitgeber seinen Mitarbeiter entlassen, wenn dieser einen Arbeitsunfall erlitten hat? Dagegen klagte ein Gerüstbauhelfer gegen den Subunternehmer, der ihn beschäftigt hatte. Verhandelt wurde der Fall vor dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein.

Der Fall: Einen Monat nach seiner Einstellung, am 17.10.2008, stieß ein Gerüstbauhelfer auf der Baustelle mit seinem Knie gegen einen Eisenriegel und meldete sich daraufhin bis einschließlich 31.10.2008 krank. Die genauen Umstände dieses vermeintlichen oder tatsächlichen Arbeitsunfalls sind zwischen den beiden Streitparteien strittig. Der Arbeitgeber überreichte seinem Arbeitnehmer bereits am Montag, dem 20.10.2009, dem Tag, an dem dieser sich krankmeldete, die fristlose Kündigung. Dabei kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung. Der Arbeitnehmer hielt die Kündigung für treuwidrig, da sie seiner Ansicht nach im Zusammenhang mit seinem Unfall ausgesprochen wurde.

Die Entscheidung: Zunächst landete der Fall vor dem Arbeitsgericht Elmshorn. Es wandelte die fristlose Kündigung in eine ordentliche – fristgerechte – Kündigung um. Demnach endete das Arbeitsverhältnis am 27.10.2008. Der Kläger ging dann aber vor die nächste Instanz, denn er wollte die Kündigung nicht akzeptieren. Dort allerdings unterlag er. Die Kündigung sei nicht treuwidrig gewesen, entschieden die Richter des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein (27.05.2009, Az.: 3 Sa 74/09). Hier gelte der allgemeinverbindliche Rahmenvertrag für das Gerüstbauerhandwerk, wonach ein Beschäftigungsverhältnis in den ersten sechs Monaten mit einer Frist von sechs Werktagen gekündigt werden könne. Es sei zulässig, aufgrund eines Arbeitsunfalls zu kündigen. Der mit dem Arbeitsunfall verbundene Ärger und Mehraufwand für den Arbeitgeber rechtfertigten dies. Der Arbeitgeber verstoße damit nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Auch der heftige Wortwechsel bei Übergabe des Kündigungsschreibens sei kein Hinweis auf eine Treuwidrigkeit, schließlich sei zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung bereits gefallen.

Was das in der Praxis bedeutet: Genießt ein Arbeitgeber – etwa in der Probezeit oder aufgrund tariflicher Bestimmungen – noch keinen allgemeinen Kündigungsschutz, ist seine Entlassung meist unproblematisch. Lediglich ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben wäre rechtlich nicht haltbar. Ein solcher Verstoß läge beispielsweise vor, wenn die Kündigung offenkundig aus einem rechtswidrigen Motiv heraus geschehen wäre (z.B. eine Kündigung wegen Homosexualität des Arbeitnehmers). Das war hier nicht der Fall. Allerdings muss sich der Arbeitgeber an die gesetzliche beziehungsweise tarifliche Kündigungsfrist halten, wenn kein wichtiger Grund vorliegt, der eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar erscheinen lässt (z.B. Diebstahl). Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist schuldet er dem gekündigten Arbeitnehmer weiterhin den Lohn oder die Entgeltfortzahlung.

Arbeitgeberhaftung bei Arbeitsunfall? Ausgeschlossen! Muss ein Arbeitgeber einem Mitarbeiter Schmerzensgeld zahlen, wenn diesem bei der Arbeit etwas zustößt? Darüber stritt sich eine tierärztliche Klinik mit einer Mitarbeiterin vor dem Landesarbeitsgericht Hessen.

Der Fall: Ein Kater sollte untersucht und kastriert werden. Das Tier war jedoch so panisch, dass es ausriss. Eine Hilfstierpflegerin erhielt die Anweisung, das aufgeschreckte Tier wieder einzufangen. Dabei biss der Kater die Frau in die linke Hand. Zur ursprünglichen Verletzung kam eine Infektion hinzu. Die Folgen der Bissverletzung waren zuletzt so schlimm, dass der Frau eine Prothese am Mittelgelenk eines Fingers eingesetzt werden musste. Sie litt auch später noch unter erheblichen Schmerzen und Einschränkungen. Daraufhin verklagte sie die Tierklinik. Sie hielt ihrem Arbeitgeber vor, er hätte die Anweisung zum Einfangen des Tieres gar nicht erst erteilen dürfen, weil er mit einer Verletzungsgefahr hätte rechnen müssen, und verlangte Schmerzensgeld.

Die Entscheidung: Schon vor dem Arbeitsgericht Frankfurt scheiterte die Tierpflegerin mit ihrem Ansinnen. Die Entscheidung bestätigten auch die Richter des Landesarbeitsgerichts Hessen in zweiter Instanz (14.07.2009, Az.: 13 Sa 2141/08). Der Arbeitgeber habe zwar damit rechnen können, dass es beim Fangen eines renitenten Tieres durchaus zu Verletzungen kommen könne. Es sei jedoch offenkundig, dass er eine derart schwerwiegende Bissverletzung nicht billigend in Kauf genommen habe. Von Vorsatz könne daher in diesem Fall nicht die Rede sein. Wenn aber kein Vorsatz vorliege, sondern allenfalls eine grobe Fahrlässigkeit, sei auch die Haftung des Arbeitgebers ausgeschlossen. Es handle sich hier schlicht um einen Arbeitsunfall, für den die Berufsgenossenschaft zuständig sei (§ 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). An dieser Einstufung ändere auch die Tatsache nichts, dass die Leistungen der Berufsgenossenschaft den Anspruch auf Schmerzensgeld nur teilweise kompensierten.

Was das in der Praxis bedeutet: Bei Arbeitsunfällen tritt an die Stelle der privatrechtlichen Haftung des Arbeitgebers die sozialversicherungsrechtliche Gesamthaftung der Berufsgenossenschaft (§ 104 SGB VII). Ein Arbeitgeber wird durch seine Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung umfassend von der Haftung freigestellt. Das gilt selbst, wenn grobe Fahrlässigkeit vorliegt. Aber aufgepasst: Vorsatz, selbst bedingter Vorsatz, ist von dieser Haftungsfreistellung nicht gedeckt. Bedingter Vorsatz liegt beispielsweise dann vor, wenn er eine gefahrenbringende Tätigkeit anordnet, obwohl er ernsthaft mit gravierenden Folgen rechnen muss und sie billigend in Kauf nimmt.

Wie lange auf einer Betriebsfeier der gesetzliche Versicherungsschutz greift Auch auf Betriebsfeiern genießen die Mitarbeiter gesetzlichen Versicherungsschutz. Die Frage ist nur, wie lange dieser Schutz gültig ist, wenn der Chef die Veranstaltung nicht offiziell für beendet erklärt. Darüber stritt sich ein Verwaltungsangestellter mit der zuständigen Unfallkasse vor dem Hessischen Landessozialgericht.

Der Fall: Nach einer Weihnachtsfeier mit insgesamt 25 Mitarbeitern waren gegen 1:30 Uhr nachts nur noch der Abteilungsleiter und ein Verwaltungsangestellter übrig. Das offizielle Ende der Veranstaltung war nicht festgelegt worden. Beim Gang zur Toilette stürzte der Verwaltungsangestellte betrunken die Treppe hinab und zog sich ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zu. Die Unfallkasse weigerte sich aber, dies als Arbeitsunfall anzuerkennen. Daraufhin zog der Betroffene vor Gericht.

Die Entscheidung: Vor dem Hessischen Landessozialgericht erlitt der Kläger eine Niederlage (26.02.2008, Az.: L 3 U 71/06). Die Feier sei auch ohne offizielle Erklärung des Amtsleiters beendet gewesen, begründeten die Richter ihre Entscheidung, denn neben dem Angestellten sei nur noch der Amtsleiter anwesend gewesen sowie das Pächterehepaar, das sich dazugesellt hatte. Folglich sei von einem privaten Zusammensein im Anschluss an die Weihnachtsfeier auszugehen. Den Einwand des Klägers, er habe nach dem Weggang des ersten Gastes noch die Türen schließen und die Alarmanlage einstellen wollen, wiesen die Richter zurück. Das habe man nicht zweifelsfrei feststellen können.

Was das in der Praxis bedeutet: Betriebsfeste – so auch Weihnachtsfeiern – fallen in aller Regel unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Aber es gibt Grenzen. Wenn am Schluss nur noch ein winziges Grüppchen zusammensitzt und obendrein Alkohol im Spiel ist, endet sehr schnell die Zuständigkeit der Unfallkasse oder Berufsgenossenschaft. Passiert dann ein Unfall, wird dieser nicht als Arbeitsunfall anerkannt. Nach einem früheren Urteil des Bundessozialgerichts ist eine Grenze da zu ziehen, wo die Aktivitäten eines oder mehrerer Teilnehmer nicht der Förderung des Gemeinsinns oder Zusammengehörigkeitsgefühls aller Betriebsangehörigen dienen (27.06.2000, B 2 U 25/99 R). Ohnehin ist eine Haftung der gesetzlichen Unfallversicherung bei reichlichem Alkoholgenuss fraglich.

metis
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