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Engst, Arbeitssicherheitsjournal 2009, 20
So urteilen die Gerichte

Judith Engst

Wegeunfall: Zwischenstopp beim Supermarkt ist nicht versichert Auf dem Weg zur Arbeit und zurück ist ein Arbeitnehmer gesetzlich unfallversichert. Bei Wegeunfällen muss die Berufsgenossenschaft zahlen. Aber Achtung, dieses Prinzip gilt nicht uneingeschränkt, wie das folgende Beispiel zeigt.

Der Fall: Ein Arbeitnehmer war mit dem Motorroller auf dem Weg zum Betrieb. Er machte einen Zwischenstopp beim Supermarkt. Auf dem Supermarkt-Parkplatz stieß er mit einem Auto zusammen und verletzte sich dabei am Sprunggelenk. Das meldete er als Wegeunfall der Berufsgenossenschaft. Diese weigerte sich aber zu zahlen. Der Fall ging durch sämtliche Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit.

Die Entscheidung: Die Berufsgenossenschaft muss nicht für den Schaden aufkommen, urteilten die Richter des Bundessozialgerichts. Der Stopp beim Supermarkt sei mehr als nur eine geringfügige Unterbrechung gewesen und habe zudem aus „eigenwirtschaftlichem Interesse“ stattgefunden, sprich: Der Arbeitnehmer hatte für sich selbst eingekauft und nicht etwa im Auftrag seines Arbeitgebers. Also bestand kein Versicherungsschutz (BSG, 02.12.2008, Az.: B 2 U 17/07 R).

Was das in der Praxis bedeutet: Allen Arbeitnehmern im Betrieb muss klar sein: Ihr Versicherungsschutz ist in Gefahr, wenn sie die Fahrt mehr als nur geringfügig für private Zwecke unterbrechen. Ein Umweg über die Tankstelle, ein Kurzbesuch bei Freunden oder ein Einkauf ist nicht versichert. Geringfügige Unterbrechungen dagegen sind versichert, Mitarbeiter dürfen aber dafür den öffentlichen Verkehrsraum nicht verlassen. Beispiel: Sie halten kurz am Straßenrand, um am Automaten Zigaretten zu holen. Der volle Versicherungsschutz gilt dagegen für Umwege, die nötig sind, um eine Fahrgemeinschaft zu bilden oder die Kinder während der Arbeitszeit betreuen zu lassen (§ 8 Abs. 2 SGB VII).

Berufsgenossenschaft: Pflichtmitgliedschaft ist rechtens Gesetzliche Unfallversicherung schön und gut. Aber vielen Arbeitgebern ist die Berufsgenossenschaft ein Dorn im Auge. Teuer, umständlich, bürokratisch und oft zahlungsunwillig. Deshalb wehren sich einige gegen die Pflichtmitgliedschaft. Vergeblich, wie ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs zeigt.

Der Fall: Rund 100 Unternehmen hatten in Deutschland gegen ihre Pflichtmitgliedschaft in den Berufsgenossenschaften geklagt. So auch ein Stahlbau-Unternehmen. Es legte dem Landessozialgericht Sachsen das Angebot einer dänischen Versicherungsgesellschaft vor, das vollen Versicherungsschutz für die Belegschaft zu deutlich günstigeren Preisen versprach. Inbegriffen sei – wie bei der Berufsgenossenschaft – die volle Kostenübernahme bei Arbeits- und Wegeunfällen sowie Berufskrankheiten. Die Pflichtmitgliedschaft in der Berufsgenossenschaft sei daher nicht zumutbar, argumentierten die Kläger. Sie begründe ein unzulässiges Monopol.

Die Entscheidung: Die Richter des Europäischen Gerichtshofs schlossen sich dieser Argumentation nicht an. Berufsgenossenschaften seien anders zu beurteilen als normale Versicherungsunternehmen. Sie erfüllten einen sozialen Zweck. So bestehe beispielsweise auch dann Versicherungsschutz, wenn ein Arbeitgeber die fälligen Beiträge noch gar nicht entrichtet habe. Eine Berufsgenossenschaft arbeite zudem nicht gewinnorientiert, sondern folge dem Solidaritätsprinzip. Die Pflichtmitgliedschaft sei daher nicht zu beanstanden (EuGH, 05.03.2009 – C-350/07).

Was das in der Praxis bedeutet: Damit ist die Versuchung vom Tisch, die Berufsgenossenschaften auszuhebeln und sich nach günstigeren privaten Versicherern umzusehen. An der Pflichtmitgliedschaft ist nicht zu rütteln.

Schlägerei unter Kollegen rechtfertigt nicht immer fristlose Kündigung Wenn Kollegen untereinander handgreiflich werden, hat der Arbeitgeber ein Problem: Der Betriebsfrieden ist gestört und womöglich fallen die Beteiligten verletzungsbedingt aus. Streit hähnen also besser kündigen? Ein jetzt veröffentlichtes Urteil des Bundesarbeitsgerichts zeigt, dass das gar nicht so einfach ist.

Der Fall: Bei der Abfertigung von Luftfracht gerieten auf einem Flughafen zwei Arbeiter aneinander. Ein Gabelstaplerfahrer ermahnte seinen Kollegen: „Schlaf nicht ein.“ Dieser reagierte mit wüsten Beschimpfungen, worauf es zu einer Prügelei kam. Der genaue Hergang ließ sich im Nachhinein nicht ermitteln. Am Schluss waren aber beide verletzt, bluteten und brauchten ärztliche Hilfe. Der Kollege des Gabelstaplerfahrers musste gar mit dem Notarztwagen abtransportiert werden. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin den beiden Streithähnen fristlos. Dagegen zog der Gabelstaplerfahrer vor Gericht. Er habe nicht mit der Prügelei begonnen, sondern sei lediglich Opfer der Angriffe seines Kollegen gewesen. Die Kündigung sei daher nicht rechtens.

Die Entscheidung: Vor dem Arbeits- und Landesarbeitsgericht bekam der Arbeitgeber zunächst recht, in letzter Instanz unterlag er aber. Die Richter teilten zwar seine Ansicht, es sei bedeutungslos, wer mit der Auseinandersetzung begonnen habe. Der Nachweis, dass der Kläger aktiv an der Prügelei beteiligt war, sei dem Arbeitgeber aber nicht gelungen. Deshalb ließen sie die Kündigung nicht durchgehen und verwiesen den Fall zur Klärung zurück an das Landesarbeitsgericht (BAG, 18.09.2008, Az.: 2 AZR 1039/06).

Was das in der Praxis bedeutet: Die reine Verwicklung in eine Prügelei ist noch kein Kündigungsgrund. Das ist sie nur, wenn die betroffenen Mitarbeiter sich aktiv beteiligt und nicht etwa aus Notwehr gehandelt haben. Eine Kündigung ist gerechtfertigt, wenn von einem aggressiven Kollegen eine Gefährdung für andere Arbeitnehmer ausgeht. Der Arbeitgeber oder stellvertretend die Fachkraft für Arbeitssicherheit hat die Pflicht, Mitarbeiter vor Gefahren zu schützen. Hat ein Mitarbeiter sich tatsächlich aktiv geprügelt, muss er vorher nicht abgemahnt werden. Er weiß auch so, dass er gegen den Willen des Arbeitgebers gehandelt hat. Aber aufgepasst: Der Sachverhalt muss erst geklärt werden. Wichtig ist zudem eine schriftliche Dokumentation von allem, was die Beteiligten und eventuelle Zeugen zu dem Vorfall sagen. Kündigen darf der Arbeitgeber nur, wenn er eine aktive Beteiligung nachweisen kann. Die Dokumentation sollte er gut verwahren, um notfalls vor Gericht zu beweisen, dass die Kündigung gerechtfertigt war

Versicherungsschutz endet nicht an der Grenze Weil er im Ausland passierte, wollte eine Berufsgenossenschaft die Folgen eines Busunfalls in Weißrussland nicht tragen. Mit dieser Begründung kam sie aber nicht durch.

Der Fall: Ein hauptberuflicher Linienbusfahrer arbeitete in seinem Urlaub ehrenamtlich für einen Verein, der Tschernobyl-geschädigten Kindern einen Kuraufenthalt in der Pfalz ermöglicht. Bei einer Überführungsfahrt verunglückte sein Bus in Weißrussland. Der als Beifahrer mitfahrende Mann trug schwerste Verletzungen mit bleibenden Folgen davon. Die für den Verein zuständige Berufsgenossenschaft weigerte sich aber, für die Behandlung aufzukommen und ihm eine Verletztenrente zu zahlen. Bei Auslandsunfällen müsse sie nicht zahlen, hieß es zur Begründung.

Die Entscheidung: Das sah das Sozialgericht Speyer anders. Auch ein Auslandsunfall fällt unter den gesetzlichen Versicherungsschutz, urteilten die Richter. Entscheidend sei, dass der Busfahrer für einen Verein tätig gewesen sei, der seinen Sitz in Deutschland habe und seine Tätigkeit im Wesentlichen in Deutschland ausübe. Wo der Unfall sich ereignet habe, spiele keine Rolle (SG Speyer, 18.05.2004, Az.: S 1 U 341/03). Das Urteil wurde jetzt rechtskräftig, nachdem das LSG Rheinland-Pfalz (Az.: L 2 U 237/04) und das BSG (Az.: B 2 U 215/07 B) die Berufungsklage und Nichtzulassungsbeschwerde abwiesen.

Was das in der Praxis bedeutet: Ob Vertriebsmitarbeiter, ob Lastwagenfahrer – auch in Betrieben kommen Mitarbeiter bisweilen weit herum. Um den Versicherungsschutz im Ausland brauchen die Verantwortlichen für Arbeitssicherheit aber nicht zu bangen. Wie bei Vereinen gilt: Sind die Mitarbeiter in betrieblichen Belangen unterwegs und hat das Unternehmen seinen Sitz im Deutschland, muss die Berufsgenossenschaft zahlen.

metis
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