DGUV Information 213-032 - Gefahrstoffe im Gesundheitsdienst

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Abschnitt 11.2 - 11.2 Schutzmaßnahmen

Ausführliche Angaben zu Tätigkeiten mit Desinfektionsmitteln enthalten die Schrift DGUV Information 207-206 und Publikationen zu Formaldehyd im Gesundheitsdienst (s. Eickmann et. al. 2017, 2018). Nachfolgend sind Schutzmaßnahmen wie auch Informationspflichten (Betriebsanweisung, Expositionsverzeichnis), arbeitsmedizinische Vorsorge und Mutterschutz zusammengefasst. Sie sind als Vorschläge zu verstehen, die im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung den betrieblichen Belangen angepasst werden müssen.

Substitution

Die Desinfektion ist bezüglich des Ausmaßes und der Häufigkeit auf das notwendige Maß zu beschränken. Es dürfen nur Desinfektionsmittel eingesetzt werden, deren Wirksamkeit für den vorgesehenen Zweck nachgewiesen ist. Desinfektionsmittel sind Biozide und werden gemäß der Biozidverordnung auf Wirksamkeit getestet und zugelassen. In Deutschland gibt es zudem Listen, in denen wirksame Desinfektionsmittel aufgeführt sein können, z. B. die Listen des Verbundes für angewandte Hygiene (VAH) oder die Liste des Industrieverbandes Hygiene und Oberflächenbehandlung (IHO). Behördlich angeordnete Desinfektionen dürfen in Deutschland nur mit Mitteln und Verfahren des Robert-Koch-Institutes (RKI-Liste) erfolgen. Bei Desinfektionsmitteln gleichen Wirkungsumfanges sind diejenigen Mittel und Verfahren zu bevorzugen, deren gesundheitliches Risiko geringer ist. Die Auswahl ist daher im Zusammenwirken von Hygienefachleuten, Anwendern, Anwenderinnen, Betriebsärzten oder Betriebsärztinnen und Fachkräften für Arbeitssicherheit sowie den wirtschaftlich Verantwortlichen festzulegen. Dabei sind folgende Ersatzlösungen zu prüfen:

  • Thermische Verfahren können Desinfektionsmittel ganz oder teilweise ersetzen.

  • Die Gefährdung der Beschäftigten durch geschlossene oder automatisierte Verfahren verringern. Anwendungslösungen möglichst mittels automatischer Dosiergeräte herstellen. Bei Handdosierung sind Dosierflaschen, Dosierbeutel, Messbecher oder Dosierpumpen empfehlenswert.

  • Bei der Aufbereitung von Dialysegeräten können chemothermische Verfahren anstelle von Verfahren mit Peressigsäure und Natriumhypochlorit verwendet werden. Z. B. Zitronensäure in gebrauchsfertigen Kartuschen verwenden.

  • Formaldehyd darf als Desinfektionswirkstoff mit krebserzeugendem Potenzial nur eingesetzt werden, wenn kein gleichwertiger Wirkstoff zur Desinfektion zur Verfügung steht und nachgewiesen wurde, dass der AGW bei den Desinfektionsarbeiten eingehalten wurde. Der Verzicht auf eine Substitution ist gemäß GefStoffV zu begründen.

  • Die Notwendigkeit einer Raumdesinfektion, z. B. gemäß TRGS 522, muss aus hygienischen Gründen gegeben sein.

  • Desinfektionsmittel, die aus atemwegssensibilisierenden Stoffen (z. B. Glutaraldehyd, Chloramin T) bestehen oder solche enthalten, sind durch andere nicht oder weniger sensibilisierende Desinfektionsmittel zu ersetzen, wenn diese für die vorgesehene Desinfektionsaufgabe ebenfalls geeignet sind (vgl. TRGS 406).

  • Verfahren zur Flächendesinfektion mit Aerosolbildung, z. B. Sprühdesinfektion, vermeiden und auch aus Sicht der Hygiene bedenklich. Bei Verwendung alkoholischer Produkte besteht zudem ein erhöhtes Brand- und Explosionsrisiko (s. auch Kap. 19).

  • Zur Flächendesinfektion dürfen alkoholische Desinfektionsmittel nur verwendet werden, wenn eine schnell wirkende Desinfektion notwendig ist und ein Ersatzstoff oder -verfahren nicht zur Verfügung steht. Es dürfen in Arbeitsräumen nur Flächen von 1-2 m2 alkoholisch desinfiziert werden, da sonst die gesundheitsbasierten AGWs überschritten werden können. Unter diesen Bedingungen können gleichzeitig auch explosionsfähige Konzentrationen von Alkoholen vermieden werden (s. Punkt 4.6.1 "Brennbare Desinfektionsmittel" der Beispielsammlung zur DGUV Regel 113-001). Diese sind um Größenordnungen höher als die zulässigen AGW, zum Beispiel:

    • Ethanol: AGW 380 mg/m3 und untere Explosionsgrenze 59 g/m3 bzw. 3,1 Vol-%

    • 2-Propanol: AGW 500 mg/m3 und untere Explosionsgrenze 50 g/m3 bzw. 2 Vol-%

  • Desinfektionsreiniger mit der geringsten Gefährdung nach dem GISCODE für Desinfektionsreiniger auswählen.

  • Wenn möglich, Produkte wählen, die keine Duft- oder Konservierungsstoffe enthalten.

ccc_1977_as_20.jpgGISCODES für Desinfektionsreiniger
Der GISCODE ist eine Kennzeichnung, die von Herstellerfirmen, Fachverbänden der Bauwirtschaft und dem Gefahrstoffinformationssystem der Berufsgenossenschaften der Bauwirtschaft entwickelt wurde, um die Herstellerinformationen für die betriebliche Anwendung verständlicher zu machen und die Ersatzstoffsuche zu erleichtern (s. www.wingisonline.de). So werden Desinfektionsreiniger, aber auch Reinigungsmittel, mit ähnlicher chemischer Zusammensetzung oder vergleichbaren Gefährdungen Produktgruppen zugeordnet und verschlüsselt. Je höher die Kennziffer eines Codes ist, umso gefährlicher ist das Produkt. Desinfektionsreiniger auf der Basis von Aldehyden (mit Formaldehyd) mit GISCODE GD80 sind folglich gefährlicher als nicht gekennzeichnete Desinfektionsreiniger mit GISCODE GD20.

Technische Schutzmaßnahmen

  • Wesentlich ist insbesondere die Minimierung der inhalativen Belastung. Wenn Desinfektionsmittel verwendet werden, die flüchtige Verbindungen enthalten, sind die technischen Voraussetzungen für eine ausreichende Durchlüftung der Räume zu schaffen. Dies ist auch bei Desinfektionsarbeiten in Fahrzeugen wie z. B. Rettungswagen und bei der chemischen Desinfektion von Dialysegeräten mit Produkten, die Hypochlorit oder Peressigsäure enthalten, zu beachten.

  • Den Hautkontakt mit den Mitteln so gering wie möglich halten: bei der Fußbodendesinfektion Fahreimer, Feuchtwischmopps und Auswringer (Pressen) und bei der Instrumentendesinfektion in Tauchbecken Einsatzsiebe benutzen.

  • Haut- und Händedesinfektion: Die notwendige Lüftung kann anhand des folgenden Beispiels abgeschätzt werden: Bei bis zu 15 Händedesinfektionen oder 1,4 m2 Hautdesinfektion im ungelüfteten Raum von 75 m3 Raumvolumen kann man davon ausgehen, dass die derzeitig gültigen AGWs für Ethanol bzw. 2-Propanol eingehalten werden

  • Aldehydhaltige Flächen- und Instrumentendesinfektionsmittel (insb. Formaldehyd und Glutaraldehyd): Die Rahmenbedingungen für ein sicheres Arbeiten sind in den jeweiligen BG/BGIA "Empfehlungen zur Überwachung von Arbeitsbereichen" (bzw. neue Bezeichnung: "Empfehlungen zur Gefährdungsermittlung der Unfallversicherungsträger (EGU)") enthalten. Die wesentlichen technischen und organisatorischen Kriterien hieraus sind:

    • Die Konzentration an Formaldehyd und Glutaraldehyd darf zusammen 500 mg/l Anwendungslösung nicht überschreiten. Dies ist gewährleistet, wenn bei einer 0,5-%-igen Anwendungslösung nicht mehr als 5 Gew.-% Formaldehyd und bis zu 5 Gew.-% Glutaraldehyd im Konzentrat enthalten sind. Dies ist auch gewährleistet, wenn das Konzentrat formaldehydfrei ist und nicht mehr als 10 Gew.-% Glutaraldehyd enthält.

    • Je Raum darf nur eine Fläche, die der Größe der Fußbodenfläche entspricht, bearbeitet werden. Der Grenzwert ist auch eingehalten, wenn neben dem Fußboden noch die Nachtschränke oder entsprechend kleinere Flächen gereinigt werden. Die Einhaltung des Grenzwertes ist nicht mehr gewährleistet, wenn zusätzlich Wände und Türen desinfiziert werden.

    • Bei geschlossenen Fenstern und Türen oder bei offenen Türen und gekippten Fenstern ist die Lüftung nicht ausreichend, sodass die Arbeitszeit in einem solchen Raum nicht mehr als 15 Minuten betragen darf. Bei geöffneten Fenstern oder mäßiger technischer Lüftung (Luftwechsel < 10 pro Stunde) darf die Arbeitszeit nicht mehr als 30 Minuten betragen. Über die ganze Schicht darf nur bei effizienter Lüftung (Luftwechsel > 10 pro Stunde, z. B. im OP mit Lüftung im Volllastbetrieb) innerhalb eines Raumes mit Desinfektionsreinigern gearbeitet werden.

    • Werden mehrere Räume nacheinander desinfizierend gereinigt, ist die Einhaltung des Grenzwertes dadurch gegeben, dass die Beschäftigten sich nach Abschluss einer Flächendesinfektion in einem Raum in einen anderen Raum begeben, in dem die Aldehydkonzentration erst allmählich durch die zunehmend mit Desinfektionsreinigern benetzte Fläche ansteigt.

    • Bei der manuellen Instrumentendesinfektion von größeren Instrumenten, z. B. Endoskopen, ergibt sich eine deutliche inhalative Exposition. Es empfiehlt sich daher, sie vorzugsweise im geschlossenen System eines Reinigungs-/Desinfektionsgerätes (RDG) aufzubereiten.

    • Ist die Nassablage von Instrumenten notwendig, so sind nur verschließbare Desinfektionsmittelbehälter zu verwenden. Ebenso ist darauf zu achten, dass die Räume ausreichend belüftet sind, wenn an den Nassablagen oder Desinfektionsmittelbehältern offen gearbeitet wird.

Organisatorische Schutzmaßnahmen

  • Die verantwortliche Leitung einer Desinfektionsmaßnahme muss fachlich geeignet im Sinne der TRBA 250 "Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege" sein.

  • Einsatz von Desinfektionsmitteln in Hygiene- und Desinfektionsplänen bzw. in speziellen Verfahrensanweisungen z. B. für Schlussdesinfektionen festlegen.

  • Die Beschäftigten müssen in der Handhabung von Dosierhilfen unterwiesen werden und die Dosiergenauigkeit der Dosierhilfen ist regelmäßig zu überprüfen.

  • Tätigkeiten mit atemwegssensibilisierenden Stoffen wie Glutaraldehyd dürfen gemäß GefStoffV nur von fachkundigen oder besonders unterwiesenen Personen ausgeführt werden.

  • Konzentrate dürfen nur mit kaltem Wasser verdünnt werden. Das Wasser ist vorzulegen und das Desinfektionsmittel zuzusetzen.

  • Bei der Flächendesinfektion mit Produkten, die leicht flüchtige Verbindungen wie Aldehyde enthalten, festlegen, wie die Lüftung erfolgen soll, z. B. Fenster und Türen öffnen oder die technische Lüftung, sofern möglich, hochfahren. Darauf achten, dass keine Pfützen verbleiben, aus denen Stoffe über längere Zeit an die Raumluft abgegeben werden können (z. B. Nasswischverfahren bei der Fußbodendesinfektion). Es empfiehlt sich zudem, kleine, aufwändig zu reinigende Flächen wie Medizingeräte, Bett, Nachttisch etc. vor den großen Flächen wie Fußboden zu bearbeiten. Bei hoher inhalativer Belastung, z. B. bei Schlussdesinfektionen, kann im Einzelfall auch die arbeitsteilige Erledigung durch mehrere Beschäftigte in Betracht kommen, da hierdurch die Tätigkeitsdauer reduziert wird.

  • Produkte dürfen grundsätzlich nicht miteinander gemischt werden (Ausnahmen: gemäß Herstelleranweisung).

  • Gefäße mit Konzentraten oder Anwendungslösungen, die nicht zum unmittelbaren Einsatzbestimmt sind, sind geschlossen zu halten (Transport zum Einsatzort, Entnahme vor Ort). Benutzte Reinigungstücher oder Wischbezüge sind direkt in geschlossenen Behältern ablegen. Dies gilt insbesondere bei Desinfektionsmitteln, die leicht flüchtige Aldehyde wie Formaldehyd, Glutaraldehyd und Glyoxal enthalten. Tauchbecken so weit und so lange wie möglich abdecken und nicht in den Behandlungsräumen aufstellen.

  • Die Händedesinfektion mit alkoholischen Desinfektionsmitteln ist in der Nähe von Zündquellen unzulässig.

  • Bei Feuchtarbeit weitere Maßnahmen beachten.

Persönliche Schutzmaßnahmen

Augenschutz

Wenn mit einem Verspritzen oder Versprühen von reizenden oder ätzenden Desinfektionsmitteln zu rechnen ist, eine geeignete Schutzbrille, zum Beispiel eine dicht schließende Korbbrille verwenden. Beispiele können das Herstellen von Gebrauchslösungen oder der Wechsel der Kanister mit dem Konzentrat am Dosierautomaten sein. Das Tragen einer Schutzbrille kann auch als Schutz vor infektiösen Stoffen erforderlich sein.

Handschutz

Bei Hautkontakt mit den Produkten, ausgenommen Händedesinfektionsmitteln, und regelmäßigen Tätigkeiten geeignete Chemikalienschutzhandschuhe verwenden. Die üblichen medizinischen Einmalhandschuhe bieten keinen ausreichenden Schutz. Für Tätigkeiten mit konzentrierten Desinfektionsmitteln und -reinigern (in der Lieferform) empfiehlt sich Nitrilkautschuk als geeignetes Schutzhandschuhmaterial. Zur großflächigen Flächendesinfektion, bei der eine Benetzung der Hände mit Desinfektionslösung nicht ausgeschlossen ist, müssen Chemikalienschutzhandschuhe mit verlängertem Schaft gewählt werden. Die Enden umstülpen, damit keine Flüssigkeit auf die Unterarme und in die Handschuhe fließen kann (s. hierzu auch Anhang 10).

Atemschutz

Bei Desinfektionsarbeiten mit aldehydfreien Desinfektionsreinigern ist das Verwenden von Atemschutz in der Regel nicht erforderlich. Beim Einsatz von aldehydhaltigen Desinfektionsreinigern müssen bestimmte Randbedingungen eingehalten werden, um AGWs einzuhalten und damit das Verwenden von Atemschutz zu vermeiden. Bei Grenzwertüberschreitungen, zum Beispiel bei der Schlussdesinfektion mit höherer Wirkstoffkonzentration oder bei Verfahren mit Aerosolbildung, Atemschutz verwenden. Bei Grenzwertüberschreitungen von Aldehyden müssen gemäß DGUV Regel 112-190 "Benutzung von Atemschutzgeräten" Atemschutzfilter des Typs B2, bei Aerosolbildung (Sprühdesinfektion) Partikel filtrierende Halbmasken FFP2, gegebenenfalls auch Kombinationsfilter B2P2, getragen werden. Weitere Informationen können den Informationsmaterialien der Produktherstellerfirmen (z. B. Angaben im Sicherheitsdatenblatt) oder der Anbieterfirmen von Atemschutzgeräten entnommen werden.

Körperschutz

Bei Arbeiten mit Infektionsgefährdung, dazu gehören auch Desinfektionsarbeiten, geeignete Schutzkleidung verwenden. Wenn die Gefahr der Durchnässung besteht, flüssigkeitsdichte Schürzen und Schuhe tragen, insbesondere bei Tätigkeiten mit dem Konzentrat.