DGUV Information 207-206 - Tätigkeiten mit Desinfektionsmitteln im Gesundheitsdienst

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Abschnitt 3.5 - 3.5 Festlegen und Durchführen der Schutzmaßnahmen

Hat die Unternehmensleitung im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung festgestellt, welche Gefahren von einer Desinfektionstätigkeit und von den verwendeten chemischen Desinfektionsmitteln ausgehen, sind geeignete Schutzmaßnahmen auszuwählen. Dabei ist die normativ vorgegebene Reihenfolge der Schutzmaßnahmen einzuhalten, das sogenannte STOP-Prinzip.

SSubstitutionsprüfung (Einsatzstoffe, Verfahren)
TTechnische Schutzmaßnahmen
OOrganisatorische Schutzmaßnahmen
PPersönliche Schutzmaßnahmen

Nachfolgend sind Schutzmaßnahmen zusammengefasst, die bei jeder Desinfektionstätigkeit unabhängig von der spezifischen Aufgabe (Herstellung der Anwendungslösung, Flächen-, Hände- und Haut-, Wäsche-, Bettendesinfektion sowie Desinfektion von Medizinprodukten und Dialysegeräten) allgemein gültig sind. Sie sind als Vorschläge zu verstehen, die im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung gemäß § 6 GefStoffV den jeweiligen Desinfektionstätigkeiten angepasst werden müssen. Die nachfolgenden Aufzählungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

3.5.1
Substitutionsprüfung

Nach den Vorgaben der Gefahrstoffverordnung, insbesondere der Regelungen zu Biozidprodukten, und der TRGS 600 ist zu prüfen, ob für den jeweiligen Anwendungsfall die Arbeitsverfahren und Desinfektionsmittel so ausgewählt wurden, dass das gesundheitliche Risiko für die Beschäftigten so gering wie möglich ist. Die vorgegebenen Verwendungsbedingungen des Herstellers sind einzuhalten. Dabei ist die Prüfung von Ersatzverfahren und Ersatzstoffen erforderlich:

  • Bei Desinfektionsmitteln gleichen Wirkungsumfangs sind diejenigen Mittel und Verfahren zu bevorzugen, deren gesundheitliches Risiko geringer ist. Die Auswahl ist daher im Zusammenwirken von Hygienefachkräften, Anwendern und Anwenderinnen, Betriebsärzten und Betriebsärztinnen, Fachkräften für Arbeitssicherheit und den wirtschaftlich Verantwortlichen festzulegen.

  • Desinfektionsmittel mit den Eigenschaften (1) akut toxisch Kategorie 1, 2 oder 3, (2) krebserzeugend, keimzellmutagen oder reproduktionstoxisch Kategorie 1A oder 1B, (3) spezifisch zielorgantoxisch Kategorie 1 SE oder 1 RE oder (4) haut- oder atemwegssensibilisierend müssen durch weniger gefährliche ersetzt werden, soweit Hygieneanforderungen nicht dagegensprechen(§ 6 und § 15b-c GefStoffV). Wenn dieser Ersatz, etwa aus betriebswirtschaftlichen Gründen, nicht durchgeführt wird, muss das für krebserzeugende, keimzellmutagene oder reproduktionstoxische Desinfektionsmittel Kategorie 1A oder 1B gemäß § 6 GefStoffV bzw. soll das mit entsprechender Begründung der betrachteten Abwägungsgründe dokumentiert werden (Hinweise gibt Anhang 3 der TRGS 600). Entsprechende Beispiele sind Desinfektionsmittel mit Inhaltsstoffen wie Formaldehyd (Produkteinstufung: krebserzeugend Kat. 1B und hautsensibilisierend), Glutaraldehyd (Produkteinstufung: akut toxisch Kat. 3, haut- und atemwegssensibilisierend), N-Alkyl-C12-C14-propan1,3-diamin oder N-Dodecylpropan-1,3-diamin (Produkteinstufung: spezifisch zielorgantoxisch RE 1).

  • Desinfektion in Ausmaß und Häufigkeit auf das notwendige Maß beschränken, soweit es die Hygieneanforderungen zulassen.

  • Auf sauberen Oberflächen Einsatz von chemischen Desinfektionsmitteln durch physikalische Verfahren, z. B. vorgeschaltete Desinfektion von Oberflächen mittels UV-C-Strahlung, ganz oder teilweise verringern (siehe TROS IOS und BGIA Report 3/2007).

  • Einsatz von chemischen Desinfektionsmitteln durch thermische Verfahren ganz oder teilweise verringern, wenn zu desinfizierende Gegenstände wie Medizinprodukte oder Wäsche thermostabil sind.

  • Verringerung der Gefährdung durch Verfahrensänderung, z. B. Automatisierung von Verfahren und Verzicht auf Ausbringungsverfahren mit Aerosolbildung.

  • Empfehlenswert ist der Einsatz von Desinfektionsmitteln, die keine Duft- und Konservierungsstoffe enthalten.

3.5.2
Technische Schutzmaßnahmen

  • Bei Austritt von Dämpfen oder Aerosolen durch die Anwendung des Desinfektionsmittels sind Maßnahmen, z. B. natürliche Lüftung, Lokalabsaugungen oder raumlufttechnische Anlagen (RLT), zu schaffen, die eine ausreichende Raumlüftung gewährleisten. Für RLT wird auf die Norm DIN 1946 - Teil 4 verwiesen.

  • Das Arbeitsverfahren ist so zu gestalten, dass die Beschäftigten möglichst keinen Hautkontakt mit dem Desinfektionsmittel haben, etwa durch die Verwendung technischer Hilfsmittel (z. B. Dosierhilfen oder Siebeinsätze) oder geschlossener Anlagen (z. B. Vollautomaten).

3.5.3
Organisatorische Schutzmaßnahmen

  • Desinfektionsmaßnahmen dürfen nur von Personen durchgeführt werden, die fachlich geeignet im Sinne der TRBA 250 "Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege" sind. Die fachliche Leitung darf Tätigkeiten im Anwendungsbereich dieser TRBA nur Personen übertragen, die eine abgeschlossene Ausbildung in Berufen des Gesundheitsdienstes haben oder von fachlich geeigneten Personen unterwiesen und beaufsichtigt werden. Bei Tätigkeiten mit bestimmten Desinfektionsmitteln beötigt der Verwender oder die Verwenderin zusätzlich nach Gefahrstoffverordnung eine Sachkunde oder hat diese Tätigkeiten unter unmittelbarer und ständiger Aufsicht einer sachkundigen Person durchzuführen (siehe Kapitel 3.1).

  • Bei der Verwendung von Desinfektionsmitteln ist nur das von der Herstellerfirma genannte Verfahren (Angabe im Sicherheitsdatenblatt oder auf dem Produktetikett) zulässig und einzuhalten.

  • Notwendige Desinfektionsarbeiten im Reinigungs- und Desinfektionsplan festlegen.

  • Maßnahmen zum Hautschutz im Hautschutzplan festlegen.

  • Beschäftigte über auftretende Gefahren durch chemische Stoffe, im sachgerechten und richtigen Umgang mit den Desinfektionsmitteln, zur Dosierung von Desinfektionsmitteln sowie zu grundlegenden Maßnahmen zum Brand- und Explosionsschutz unterweisen.

  • Produkte dürfen grundsätzlich nicht miteinander gemischt werden (Ausnahmen: gemäß Herstelleranweisung).

  • Desinfektionsmittel sind so aufzubewahren, zu lagern, zu transportieren und zu entsorgen, dass sie die menschliche Gesundheit und die Umwelt nicht gefährden (weiterführende Informationen in der BGW-Expertenschrift "Gefahrstofflagerung" oder TRGS 510).

    • Die am Arbeitsplatz bereitgestellte Menge auf den Tages-/Schichtbedarf beschränken.

    • Lange Lagerzeiten von Desinfektionsmitteln vermeiden (Haltbarkeitsdatum).

    • Desinfektionsmittel vor Sonneneinstrahlung und Erwärmung schützen.

    • Behältnisse regelmäßig einer Sichtprüfung auf Alterung und Schäden unterziehen. Behälter aus Kunststoff dürfen maximal 5 Jahre verwendet werden (siehe Prägestempel, BAM-Zulassung mit Herstellungszeitraum).

    • Lagerung von (alkoholischen) Desinfektionsmitteln zentral in feuerbeständigen abgetrennten Räumen oder Sicherheitsschränken.

  • Das Umfüllen aus großen Vorratsbehältern in handhabbare Gebinde durch den Endverbraucher oder die Endverbraucherin ist im regelhaften Gebrauch nicht vorgesehen und zu vermeiden. Das Umfüllen von beispielsweise Händedesinfektionsmitteln unterliegt nach Arzneimittelgesetz den Apotheken.

  • Ist das Umfüllen in handhabbare Gebinde nicht vermeidbar, ist gesondert zu beachten:

    • Weitere Schutzmaßnahmen ergreifen, wie in der DGUV Regel 113-001 "Explosionsschutz-Regeln (EX-RL)" in Anlage 4 zu brennbaren Desinfektionsmitteln (Punkt 4.6.1) oder in TRGS 727 beschrieben.

    • Desinfektionsmittel in neuen Gebinden gemäß CLP-Verordnung entsprechend kennzeichnen und verpacken.

  • Den Raum beim Herstellen der Anwendungslösung aus dem Desinfektionsmittelkonzentrat, während und nach den Desinfektionsmaßnahmen oder dem Durchlaufen des Desinfektionsprogramms (z. B. eines Reinigungs- und Desinfektionsgerätes) ausreichend belüften.

  • Bei unbeabsichtigtem Verschütten oder Verspritzen bieten sich als Maßnahmen das Verdünnen mit Wasser, das Aufnehmen der verschütteten Flüssigkeit mit Tüchern oder Bindemitteln und das Lüften des Raumes an.

  • Sprühverfahren nur in begründeten Ausnahmefällen durchführen (z. B. Ausbringen von Schäumen oder Desinfektion einer offenporigen oder stark strukturierten Oberfläche).

  • Aufnahme der Beschäftigten in das Expositionsverzeichnis, wenn auch nach Umsetzung der Schutzmaßnahmen eine Gefährdung der Gesundheit bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden oder keimzellmutagenen Gefahrstoffen der Kategorie 1A oder 1B besteht.

  • Keine offenen Behältnisse mit Desinfektionslösung außerhalb des unmittelbaren Gebrauchs zulassen. Weitere Maßnahmen ergreifen, wenn die Gefahr einer hautschädigenden Feuchtarbeit besteht.

  • Bei Tätigkeiten mit alkoholischen Desinfektionsmitteln sind Zündquellen (z. B. offene Flammen, elektrostatische Aufladung nicht geerdeter Bauteile oder Personen, Funken in elektrischen Geräten, heiße Oberflächen) in der unmittelbaren Umgebung unzulässig.

  • Ausbringung des Desinfektionsmittels, sowohl des Konzentrats als auch der (alkoholischen) gebrauchsfertigen Desinfektionsmittelösung oder verdünnten Anwendungslösung, auf heiße Flächen vermeiden.

  • Für den Fall eines Notfalls, eines Unfalls oder einer Betriebsstörung sind Notfallmaßnahmen entsprechend festzulegen (siehe § 13 GefStoffV, TRGS 500). Hierzu zählen beispielsweise Bindemittel zur Beseitigung verschütteter Desinfektionsmittel, Bereitstellung geeigneter Schutzausrüstung und von Augenduschen, Maßnahmen der ersten Hilfe oder Sicherstellung der Rettungskette. Die Sicherheitsdatenblätter müssen gemäß § 14 GefStoffV immer zugänglich und sollten griffbereit sein sowie dem Rettungspersonal vor dem Transport in die Notaufnahme ausgehändigt werden.

3.5.4
Persönliche Schutzausrüstungen

Trotz Ausschöpfung der technischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen kann die Expositionsbegrenzung noch nicht ausreichend sein. Um die Gefahrstoffexposition beim Einatmen oder Hautkontakt zu vermeiden, sind bei einigen Tätigkeiten mit Desinfektionsmitteln persönliche Schutzausrüstungen (PSA) nötig. Dies sind im Umgang mit Desinfektionsmitteln insbesondere Schutzhandschuhe, Schutzbrillen und Schutzkleidung (z. B. Schürzen). Diese PSA können auch als zusätzlicher Schutz oder noch weitere PSA zum alleinigen Schutz vor Infektionserregern (siehe TRBA 250) erforderlich sein. Atemschutz kommt nur in Ausnahmefällen zum Einsatz. PSA muss gemäß § 7 GefStoffV wirksam sein und wird nie als eine dauernde Maßnahme getragen, sondern nur zeitweise, wenn die höherwertigen Maßnahmen (technische oder organisatorische Maßnahmen) nicht oder noch nicht zur Verfügung stehen.

  • Zu den persönlichen Schutzausrüstungen sind die Hinweise aus dem Abschnitt 8 des jeweiligen Sicherheitsdatenblatts zu beachten.

  • Bei Desinfektionsarbeiten müssen geeignete chemikalienbeständige und flüssigkeitsdichte Schutzhandschuhe der Kategorie III getragen werden, die den Anforderungen der Verordnung (EU) 2016/425 über persönliche Schutzausrüstungen, der Norm DIN EN ISO 374 (Schutzhandschuhe gegen gefährliche Chemikalien und Mikroorganismen) und der Norm DIN EN 16523-1 (Bestimmung des Widerstands von Materialien gegen die Permeation von Chemikalien, Teil 1) entsprechen. Bei Einsatz gebrauchsfertiger Desinfektionsmitteltücher oder Tuchspendersysteme können diese Handschuhe kurzstulpig sein. Für Desinfektionsarbeiten mit größeren Flüssigkeitsmengen oder Arbeiten über Kopf Chemikalienschutzhandschuhe mit einem langen Schaft, der am Ende umgeschlagen ist, verwenden. Medizinische Einmalhandschuhe sind per se keine Chemikalienschutzhandschuhe, wenn sie nicht der Norm DIN EN ISO 374 entsprechen. Bei Desinfektionstätigkeiten dienen Handschuhe dem Schutz vor Kontakt mit dem Desinfektionsmittel und vor Infektionen (DIN EN 455).

  • Neben den erwünschten schützenden Eigenschaften können Handschuhe materialabhängig auch zu Hautproblemen führen, indem bestimmte Handschuhinhaltsstoffe Allergien auslösen. Eine zusammenfassende Übersicht enthält die DGUV Information 213-032 "Gefahrstoffe im Gesundheitsdienst" (Kapitel 6.1 und Kapitel 10), weitere Anforderungen und Hinweise enthalten die TRGS 401, die DGUV Information 212-007 "Chemikalienschutzhandschuhe" und die DGUV Regel 112-995 "Benutzung von Schutzhandschuhen".

    Generelle Hinweise zum Tragen von Schutzhandschuhen sind im Anhang 12.3 aufgeführt. Eine Informationsübersicht zu Schutzhandschuhen bietet die Handschuhdatenbank (WINGIS online) der BG BAU.

  • Für Hautschutz-, Hautreinigungs- und Hautpflegemaßnahmen den Hautschutzplan beachten. Für die Kranken- und Altenpflege ist ein derartiger Plan exemplarisch in Anhang 12.4 abgebildet. Hinweise zu Einsatz und Auswahl von Hautschutzmitteln geben die TRGS 401 und die DGUV Information 212-017 "Auswahl, Bereitstellung und Benutzung von beruflichen Hautmitteln".

3.5.5
Unterrichtung und Unterweisung der Beschäftigten

Beschäftigte, die Desinfektionsarbeiten ausführen, müssen gemäß § 14 GefStoffV anhand einer Betriebsanweisung über alle auftretenden Gefährdungen und über die Schutzmaßnahmen unterwiesen werden.

Die Unterweisung muss vor Aufnahme einer Desinfektionstätigkeit erfolgen. Die Betriebsanweisung ist den Beschäftigten durch die Unternehmensleitung schriftlich bereitzustellen. Sie ist das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung und legt die bei Tätigkeiten mit Desinfektionsmitteln auftretenden Gefährdungen für Mensch und Umwelt, die erforderlichen Schutzmaßnahmen und Verhaltensregeln (auch bezüglich Feuchtarbeit) fest. Nach TRGS 555 ist eine Betriebsanweisung eine arbeitsplatz-, tätigkeits- und stoffbezogene Anordnung (Betriebsanweisungsentwürfe siehe Anhang 12.5). Die Betriebsanweisung kann auch mit den Vorgaben aus dem Reinigungs- und Desinfektionsplan sowie dem Hautschutzplan zu einer Arbeitsanweisung zusammengefasst werden (siehe TRGS 525). Sie ist in verständlicher Form und in der Sprache der Beschäftigten abzufassen und an geeigneter Stelle in der Arbeitsstätte zugänglich zu machen. In der Praxis kommen für die Bereitstellung der Betriebsanweisung am Arbeitsplatz neben der klassischen Papierform vermehrt digitale Informationssysteme zum Einsatz. Weiterführende Informationen zur Betriebsanweisung und Mustervorlagen finden sich in der DGUV Information 211-010 "Sicherheit durch Betriebsanweisungen" und auf WINGIS online der BG BAU (Stichwort: Desinfektionsreiniger). Zusätzlich hat die Unternehmensleitung die im Betrieb verwendeten Desinfektionsmittel in das Gefahrstoffverzeichnis aufzunehmen. Den Beschäftigten sind die Informationen für ihren jeweiligen Arbeitsbereich (mit Ausnahme der Angaben zu den im Betrieb verwendeten Mengenbereichen) zugänglich zu machen. Auch die aktuellen Sicherheitsdatenblätter muss die Unternehmensleitung den Beschäftigten gemäß § 14 GefStoffV zugänglich machen. Die Sicherheitsdatenblätter zu den Desinfektionsmitteln sollten ausgewählt und schriftlich (Papier- oder digitale Form) oder über digitale Informationssysteme bereitgestellt werden.

Über die in den Betriebsanweisungen zusammengefassten Informationen zu Gefährdungen und Schutzmaßnahmen bei Desinfektionsarbeiten hat die Unternehmensleitung die Beschäftigten vor Tätigkeitsaufnahme, danach mindestens einmal jährlich bzw. anlassbezogen (Veränderungen im Aufgabenbereich oder in Arbeitsabläufen, Einführung neuer Desinfektionsmittel oder -verfahren etc.) mündlich zu unterweisen, um eine sicherheits- und gesundheitsgerechte Ausführung der Desinfektionstätigkeiten zu gewährleisten. Die Unterweisung hat arbeitsplatz- und tätigkeitsbezogen sowie der Gefährdungsbeurteilung angepasst zu erfolgen, d. h. das Thema einer Unterweisung kann z. B. das Tragen von Handschuhen oder der Wechsel eines Kanisters mit Desinfektionsmittelkonzentrat sein (siehe Anhang 12.3). Ebenfalls hat die Unternehmensleitung die Beschäftigten im Rahmen der Unterweisung darüber zu informieren, wie sie mittels Aushang in Papierform oder digital nahe dem Arbeitsplatz Zugang zu den Betriebsanweisungen, dem Gefahrstoffverzeichnis und den Sicherheitsdatenblättern erhalten. Sofern es der vorgefundenen Gefährdung angemessen ist, sind Inhalt und Zeitpunkt der Unterweisungen schriftlich festzuhalten und von den Unterwiesenen durch Unterschrift zu bestätigen. Ein weiterer Bestandteil der Unterweisung umfasst eine allgemeine Information über Nutzen und Art der arbeitsmedizinischen Vorsorge. Die Vermittlung des Wissens zu den Desinfektionstätigkeiten kann durchaus auch im Rahmen einer Schulung mithilfe elektronischer Medien erfolgen. Im Anschluss hat die betriebliche Führungskraft in einer persönlichen Unterweisung sicherzustellen, dass die Inhalte der Schulung von den Beschäftigten verstanden wurden und richtig umgesetzt werden. Das alleinige Selbststudium der Beschäftigten ist nicht ausreichend. Die Abläufe bei Desinfektionstätigkeiten nach Unterweisung hat die betriebliche Führungskraft regelmäßig zu kontrollieren.

Die Unternehmensleitung sollte die Beschäftigten dazu auffordern, auf spezifische gesundheitliche Gefahren hinzuweisen und Schutzmaßnahmen vorzuschlagen.

Krebserzeugende und keimzellmutagene Gefahrstoffe der Kategorie 1A und 1B dürfen gemäß § 6 GefStoffV nur in begründeten Ausnahmefällen eingesetzt werden. Eine Substitutionsprüfung ist durchzuführen. Besteht bei diesen Stoffen keine Möglichkeit der Substitution so ist der Grund zu dokumentieren. Besteht auch nach Umsetzung der Schutzmaßnahmen eine Gefährdung bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden oder keimzellmutagenen Gefahrstoffen, ist ein Verzeichnis zur Exposition der Beschäftigten nach TRGS 410 anzulegen. Beschäftigte, die Desinfektionsarbeiten durchführen, sind in der Regel nicht gefährdend tätig und werden daher nicht in ein Expositionsverzeichnis aufgenommen. Wird jedoch mit formaldehydhaltigen Desinfektionsmitteln gearbeitet und handelt es sich im Einzelfall um die großflächige Desinfektion in unzureichend belüfteten Räumen, muss gemäß § 10 GefStoffV von einer gefährdenden Tätigkeit ausgegangen werden, weil folgender Sachverhalt gilt: Wird der AGW für Formaldehyd nicht eingehalten oder die Einhaltung nicht qualifiziert nachgewiesen, sind die betroffenen Beschäftigten gefährdend tätig. Sie sind dann in ein Expositionsverzeichnis aufzunehmen. Entscheidungshilfen für den Eintrag ins Expositionsverzeichnis finden sich unter "Umgang mit krebserzeugenden oder keimzellmutagenen Stoffen - Expositionsverzeichnis führen". Weiterführende Informationen enthält die TRGS 410. Die DGUV bietet die Nutzung einer sogenannten "Zentralen Expositionsdatenbank (ZED)" zur Erfassung und Speicherung der Expositionsdaten an.

Weiterführende Informationen finden sich in Kapitel 7 der DGUV Information 213-032 "Gefahrstoffe im Gesundheitsdienst".

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3.5.6
Arbeitsmedizinische Vorsorge

Die arbeitsmedizinische Vorsorge soll die Beschäftigten über mögliche Wechselwirkungen zwischen Expositionen am Arbeitsplatz und ihrer Gesundheit sowie zu Schutzmaßnahmen individuell beraten, damit frühzeitig Krankheiten mit beruflichem Zusammenhang erkannt werden. Die individuelle arbeitsmedizinische Beratung in der Vorsorge bezieht die persönlichen Voraussetzungen wie Vorerkrankungen (z. B. Hautschäden und Atembeschwerden) mit ein. Im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge sind die Beschäftigten auf mögliche Gesundheitsgefahren im Umgang mit Desinfektionsmitteln hinzuweisen, insbesondere auf:

  • Frühsymptome nach Exposition der Haut, Augen und Atemwege,

  • individuelle Risikofaktoren und vorbestehende Allergien,

  • richtiges Reinigen, Trocknen sowie Schutz und Pflege der Haut und

  • Anwendung von Schutzhandschuhen und anderer persönlicher Schutzausrüstung.

Der individuellen, arbeitsmedizinischen Vorsorge geht meist eine arbeitsmedizinisch-toxikologische Beratung im Rahmen der Unterweisung in der Arbeitsgruppe oder im Team voraus. Aufbauend auf die Gefährdungsbeurteilung beinhaltet sie beispielsweise toxische, krebserzeugende und sensibilisierende Wirkungen der Desinfektionsmittel und Verfahren sowie die Verträglichkeit der PSA. Die Unterweisung dient auch der Information der Beschäftigten über Art und Zugangswege, Nutzen und Inhalt der arbeitsmedizinischen Vorsorge.

Die arbeitsmedizinische Vorsorge selbst besteht aus einem Beratungsgespräch mit dem Betriebsarzt oder der Betriebsärztin und einem Untersuchungsangebot. Sie bietet damit eine individuelle Beratung im geschützten Rahmen unter ärztlicher Schweigepflicht.

Die Anlässe für die Pflicht- und Angebotsvorsorge sind in den Anhängen der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) abschließend geregelt. Zusätzlich muss den Beschäftigten bei Tätigkeiten, bei denen ein Gesundheitsschaden nicht ausgeschlossen werden kann, eine Wunschvorsorge gemäß § 5a ArbMedVV ermöglicht werden. Das Fehlen einer aktuellen Gefährdungsbeurteilung und damit verbundene Gefahren für die körperliche und seelische Gesundheit am Arbeitsplatz können Gründe darstellen. Allgemein empfiehlt es sich, bei allen Vorsorgen bestehende anlagebedingte Erkrankungen und Vorerkrankungen angemessen zu berücksichtigen.

Für Tätigkeiten mit Desinfektionsmitteln gibt es nur in Einzelfällen Anlässe für eine Vorsorge, z. B.:

  • Angebotsvorsorge beim Überschreiten des AGW bei Tätigkeiten mit dem krebserzeugenden Stoff Formaldehyd (H350) (siehe Arbeitsmedizinische Regel (AMR) 11.1).

  • Angebotsvorsorge bei Tätigkeiten mit haut- oder atemwegssensibilisierenden Stoffen wie z. B. Glutaraldehyd (H317 und H334), Formaldehyd (H317), Glyoxal (H317), 4-Chlor-3-methylphenol (H317), Maleinsäure (H317) und Polyhexamethylenbiguanidhydrochlorid (H317).

  • Angebots- bzw. Pflichtvorsorge bei Vorliegen von Feuchtarbeit entsprechend der Kriterien der TRGS 401. Ist das Tragen von Atemschutzmasken erforderlich, besteht gegebenenfalls Anlass für eine Vorsorge.

Im Gesundheitsdienst sind bei Tätigkeiten mit Ethanol unter den üblichen Expositionsbedingungen keine neurotoxischen Wirkungen zu erwarten oder beschrieben (s. Kapitel 3.3.2). Tätigkeiten mit Ethanol sind jedoch im Rahmen des ganzheitlichen Ansatzes der Vorsorge zu berücksichtigen.

Wird durch Tätigkeiten mit Desinfektionsmitteln keine Vorsorge ausgelöst, bestehen aber bereits andere arbeitsmedizinische Vorsorgeanlässe (z. B. Tätigkeiten mit Biostoffen und Infektionsgefährdung) sollen die Vorsorgeanlässe an einem Termin zusammengefasst werden. Die Beratung soll dabei dann alle individuellen Wechselwirkungen von Arbeit und physischer und psychischer Gesundheit beinhalten, einschließlich möglicher gefährdender Tätigkeiten mit Haut- und Atemwegsbelastung (siehe AMR 3.2). Die verwendeten Produkte, die aktuellen arbeitsorganisatorischen Rahmenbedingungen und das Ausmaß der Tätigkeit mit Desinfektionsmitteln werden besprochen und Schutzmaßnahmen einschließlich der richtigen Anwendung von Hautschutz- und Hautpflegemittel abgestimmt.

Erkennt der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin bei der Auswertung der arbeitsmedizinischen Vorsorge Änderungen der Gefährdungen am Arbeitsplatz, muss er oder sie den Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin in angemessener Form gemäß § 6 ArbMedVV informieren. Der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin muss anschließend die Gefährdungsbeurteilung und die zuvor festgelegten Maßnahmen wie Vorsorgeanlässe und Fristen überprüfen.

Wenn gesundheitliche Beschwerden auftreten, sollte unabhängig von den vorgegebenen Vorsorgefristen jederzeit eine arbeitsmedizinische Vorsorge angemeldet und in Anspruch genommen werden können.

Die DGUV Information 213-032 "Gefahrstoffe im Gesundheitsdienst", Kapitel 8 liefert ausführliche Hinweise zur arbeitsmedizinischen Vorsorge. In den folgenden Kapiteln zu den spezifischen Desinfektionstätigkeiten werden relevante gefahrstoffspezifische Vorsorgeanlässe genannt. Ergänzend sind Anlässe zur Vorsorge durch Feuchtarbeit oder PSA-Benutzung zu prüfen. Für die betriebsärztliche Beratung kann auch die Übersicht zu Inhaltsstoffen in Desinfektionsmitteln (Anhang 12.2) hilfreich sein.

3.5.7
Besonders schutzbedürftige Beschäftigte

Besonders schutzbedürftige Beschäftigte (Jugendliche, Schwangere, Stillende, Beschäftigte mit Vorerkrankungen oder Menschen mit Behinderungen) müssen in der Gefährdungsbeurteilung eigens berücksichtigt werden. Der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin kann sich von Arbeitsschutzexperten und -expertinnen, insbesondere dem Betriebsarzt, der Betriebsärztin und den Arbeitsschutzbehörden (Mutterschutz, Jugendarbeitsschutz), zu den notwendigen Schritten beraten lassen.

Desinfektionsarbeiten dürfen von folgenden Personengruppen nicht durchgeführt werden:

  • Jugendliche unter 18 Jahren. Ausnahme: Beschäftigung erfolgt im Rahmen der Ausbildung nach Einweisung und unter Aufsicht bei nachgewiesener Einhaltung der Arbeitsplatzgrenzwerte, siehe Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG).

  • Schwangere und Stillende, wenn eine unverantwortbare Gefährdung der Gesundheit nach dem Mutterschutzgesetz (MuSchG) vorliegt. Dies ist gegeben bei Desinfektionstätigkeiten mit krebserzeugenden oder keimzellmutagenen Inhaltsstoffen der Kategorie 1A oder 1B (H340, H350, H350i), reproduktionstoxischen Inhaltsstoffen der Kategorie 1A, 1B oder 2 (H360, H360F, H360D, H360FD, H360Fd, H360Df, H361, H361f, H361d, H361fd oder nach Zusatzkriterien für die Laktation H362) und mit Inhaltsstoffen, die nach einmaliger Exposition eine spezifische Zielorgan-Toxizität der Kategorie 1 (H370) oder eine akute Toxizität der Kategorie 1, 2 (H300, H310, H330) oder 3 (H301, H311, H331) aufweisen. Eine unverantwortbare Gefährdung Schwangerer gilt als ausgeschlossen, wenn der AGW die Bemerkung Y gemäß TRGS 900 aufweist und durch die Gefährdungsbeurteilung belegt werden kann, dass dieser eingehalten wird (Y: "Ein Risiko der Fruchtschädigung braucht bei Einhaltung des AGW und des biologischen Grenzwertes (BGW) nicht befürchtet zu werden."). Beispiele für entsprechend bewertete Stoffe mit AGW und Y sind Formaldehyd oder Glutaraldehyd. Weiterführende Informationen finden sich in Kapitel 9 der DGUV Information 213-032 "Gefahrstoffe im Gesundheitsdienst".