DGUV Information 209-200 - Absauganlagen Konzeption, Planung, Realisierung und Betrieb

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Abschnitt 3.1 - 3 Konzeption und Dimensionierung der Komponenten
3.1 Stoffeigenschaften, Quellen, Freisetzungs- und Ausbreitungsmechanismen

Bei der Konzeptionierung, Auslegung und Gestaltung einer Absauganlage ist die Kenntnis über das Verhalten der Stoffe im Gemisch mit Luft sowie der Bedingungen für eine effiziente Erfassung mit einem Luftstrom von herausragender Bedeutung.

Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit den wesentlichen Eigenschaften der abzusaugenden Stoffe, besonders, soweit es ihr Verhalten im Gemisch mit Luft betrifft, den zu berücksichtigenden Quellen, an denen die Stoffe freigesetzt werden, sowie den Mechanismen bei der Freisetzung und anschließenden Ausbreitung in der Umgebungsluft.

Generell können Luftverunreinigungen hervorgerufen werden durch

  • Arbeitsprozesse (z. B. Schleifen, Lackieren),

  • Anwesenheit und Tätigkeit von Menschen (z. B. Rauchen),

  • Emissionen aus Inneneinrichtungen oder Arbeitsmaterialien,

  • Zuführung verunreinigter Außenluft.

Nachfolgend werden nur Luftverunreinigungen behandelt, die durch Arbeitsprozesse hervorgerufen werden.

3.1.1
Arten und Entstehung von Luftverunreinigungen

Luftverunreinigungen aus Arbeitsprozessen können als gasförmige Stoffe, Flüssigkeiten oder Feststoffe auftreten.

Gasförmige Stoffe

Unter gasförmigen Stoffen versteht man Stoffe, deren Moleküle sich im Raum unabhängig voneinander frei bewegen können und die sich gleichmäßig verteilen. Luft verunreinigende Gase entstehen unter anderem durch Verbrennungsmotoren (Stickoxide, Kohlenmonoxid, flüchtige Kohlenwasserstoffe) oder beim Schweißen und Brennschneiden (Stickoxide, Ozon). Gase werden zum Beispiel bei Arbeiten mit Lösemitteln oder im Krankenhaus beim Desinfizieren (Ethylenoxid, Formaldehyd) und bei der Narkose (Lachgas, Halothan) freigesetzt.

Aerosole

Aerosole sind heterogene Gemische aus festen oder flüssigen Schwebteilchen in einem Gas. Umgangssprachlich werden sie als Nebel, Staub oder Rauch bezeichnet.

Dampf

Von Dampf spricht man, wenn Flüssigkeiten durch Verdunstung oder Verdampfung in den gasförmigen Zustand übergetreten sind. Luftverunreinigende Dämpfe entstehen unter anderem beim Spritzlackieren und Streichen, beim Entfetten und Reinigen von Gegenständen, bei der thermischen Behandlung von Kunststoffen und bei Klebearbeiten.

Nebel

Abgekühlter Dampf bildet winzige Tröpfchen, die sich um Kondensationskerne (z. B. Staub) aufbauen. Nebel kann auch entstehen, wenn Flüssigkeiten durch starke mechanische Kräfte in feinste Tröpfchen zerrissen werden. Das ist zum Beispiel bei der "Zerstäubung" von Öl oder bei Kühlschmiermitteln an spanabhebenden Maschinen oder Schleifmaschinen der Fall. Auch beim Spritzlackieren ist Zerstäubung die Ursache von Nebelbildung.

Rauch

Als Rauch bezeichnet man (disperse) Verteilungen feinster fester Stoffe (Partikel) in einem Gas. Rauch entsteht sowohl durch thermische als auch durch chemische Prozesse. Schweißen, Brennschneiden und Laserbearbeitung sind die wesentlichen Rauchquellen in Metall verarbeitenden Betrieben und Werkstätten. Auch bei chemischen Prozessen kann Rauch entstehen, zum Beispiel bei der Reaktion von Ammoniak mit Chlorwasserstoff.

Staub

Bei Staub handelt es sich wie bei Rauch um fein verteilte Feststoffe. Das Schwebevermögen und die Sinkgeschwindigkeit von Staubteilchen sind von deren Größe, Form und spezifischem Gewicht abhängig. Abgelagerter Staub kann aufgewirbelt werden und damit erneut eine Belastung der Umgebungsluft darstellen. Staub entsteht in der Produktion vor allem bei der mechanischen Zerkleinerung (z. B. Mahlen, Stampfen, Schneiden) und der spanabhebenden Bearbeitung (z. B. Sägen, Fräsen, Feilen, Schleifen, Polieren, Strahlen). Die Staubentwicklung ist umso größer, je trockener und härter der Werkstoff ist und je hochtouriger die Bearbeitungswerkzeuge laufen.

Schadstoffe, die sich lange in der Luft befinden, besonders auch schädliche Gase, die nicht oder kaum durch Absetzen abgeschieden werden, sind besonders gefährlich für Mensch, Umwelt und Maschine. Sie können sich weit verteilen und auch noch in großer Entfernung vom Produktionsort ihre schädlichen Wirkungen entfalten.

In Tabelle 3.1.1 sind die grundsätzlichen Schadstoff-Freisetzungsvorgänge (Quellen) aufgelistet und durch typische Beispiele von Arbeitsprozessen ergänzt.

Neben den vorab genannten Eigenschaften der Stoffe können sie auch brennbar sein. Damit können sie sowohl die Grundlage von Bränden als auch von Explosionen sein.

Bei der Auslegung einer Absauganlage sind die Brand- und Explosionseigenschaften der Stoffe daher zwingend zu ermitteln (z. B. Brennzahl, Flammpunkt, Explosionsgrenzen, Mindestzündenergie, usw.). Daraus ergeben sich die notwendigen Maßnahmen zur Vermeidung und Reduzierung von Bränden und Explosionen.

Tabelle 3.1.1
Schadstoff-Freisetzungsvorgänge

FreisetzungsmechanismusBeispiele für Arbeitsprozesse
Verdunstung aus einer FlüssigkeitsoberflächeLösemittel beim Lackieren und Reinigen
Nebelbildung infolge mechanischer Zerstäubung oder Kondensation von ungesättigtem DampfLackauftrag beim Spritzlackieren, Ölnebel von Kühlschmierstoffen
Sublimation (Kondensationsaerosole)Schweißrauche, Schwermetalle aus Hochtemperaturprozessen
Mechanische StaubentstehungSchleifen, Mahlen, Schütten von Pulvern, Zerspanen
Chemische ReaktionenVerbrennungsvorgänge, Schweißen

3.1.2
Entstehung/Freisetzung und Ausbreitung von Schadstoffen in der Luft

Die Ausbreitung von Schadstoffen in der Luft (siehe Abbildung 3.1.1) wird bestimmt durch:

  • den Aggregatzustand

  • das Gewicht/die Dichte

  • die Partikelgröße

  • die Eigendynamik

Der Aggregatzustand mit seinen drei Zustandsformen - fest, flüssig, gasförmig - hat einen wesentlichen Einfluss auf die Art der Stoffausbreitung. Bei gasförmigen Stoffen ist eine Dispersion in Luft naturgemäß gegeben. Gase und Dämpfe breiten sich gleichmäßig aus.

Flüssige und feste Stoffe sind abhängig von der Tröpfchen- oder Partikelgröße zu betrachten. Kleine Abmessungen der Tröpfchen oder Partikel sind in der Atmosphäre fein verteilt und luftgetragen. Größere Teilchen haben aufgrund ihres Gewichts eine Neigung zur Sedimentation.

Ein weiteres, sehr wichtiges Kriterium, mit dem eine Emissionsquelle beschrieben wird, ist die Eigenbewegung der emittierten Partikel. Diese Eigendynamik hat unterschiedliche Ursachen und führt zu verschiedenen Ausbreitungsmechanismen:

  • Stoffausbreitung durch Dichteunterschiede:

    An und über warmen Maschinen sowie durch exotherme (Wärme freisetzende) Prozesse wird die umgebende Luft erwärmt und steigt nach oben (Thermik). Reine Dämpfe von Lösemitteln haben andererseits gegenüber der umgebenden Luft eine höhere Dichte und sinken daher zu Boden. In Mischung mit Luft und unter Einfluss von Wärme können sie aber auch eine geringere Dichte als Luft aufweisen und nach oben steigen.

  • Stoffausbreitung durch Druckunterschiede:

    An Maschinenöffnungen und durch Leckagen können Emissionen aus dem unter Überdruck stehenden Maschinensystem austreten. Beim Spritzlackieren werden Flüssigkeitsaerosole unter Verwendung von Druckluft aufgetragen.

  • Stoffausbreitung durch Eigenbewegung infolge Anfangsimpulses durch äußere Kräfte:

    Durch sich bewegende Maschinenteile oder äußere Strömungen (Raumströmung, Druckluft, Kühlgebläse, etc.) wird ein Bewegungsimpuls auf die umgebende Luft übertragen. Sich drehende Bearbeitungswerkzeuge geben einen Bewegungsimpuls an abgetrennte Werkstück-Partikel ab und versetzen sie in Eigenbewegung. Ebenso können Partikel durch Bewegung von Fahrzeugen oder Gehbewegungen vom Boden aufgewirbelt werden.

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Abb. 3.1.1
Ausbreitung von Schadstoffen

  • Stoffausbreitung durch Diffusion:

    Durch die Molekularbewegung vermischen sich miteinander in Berührung stehende Stoffe verschiedener Konzentration. Diffusionsvorgänge werden in der Regel durch die Raumluftbewegungen deutlich überlagert. Insofern ist der auf diesem Mechanismus der Stoffausbreitung beruhende Vorgang bei einem Großteil der praktischen Anwendungsfälle für die Bemessung von Absauganlagen zu vernachlässigen.

Die Kenntnis dieser Ausbreitungsmechanismen und deren möglichst genaue Bestimmung für den Anwendungsfall ist zwingend notwendig für die Auslegung einer wirksamen Absauganlage.

Die folgende Tabelle zeigt Beispiele für Freisetzung von Gefahrstoffen.

Tabelle 3.1.2
Übersicht über Stofffreisetzungs- und Stoffausbreitungsmechanismen

Stofffreisetzungs- und Stoffausbreitungs-MechanismenVorgänge, Mechanismen, UnterscheidungsmerkmaleVorgang, Arbeitsverfahren (Beispiele aus der Praxis)
DichteunterschiedeFallströmung bei gas- und dampfförmigen Stoffen mit höherer Dichte
  • nicht temperierte Lösemittelbäder

  • Behälter mit niedrigsiedenden Flüssigkeiten

Auftriebsströmung bei luftfremden Stoffen mit höherer Temperatur oder geringerer Dichte (Bezug ist die Zusammensetzung und der Zustand der Umgebungsluft)
  • an/über erwärmten Flächen

  • beim Schweißen

  • beim Gießen

  • beim Warmumformen

DruckunterschiedeFluidstrahlen (Gas, Dampf, Staubpartikel, kontaminierte Luft), die aus Maschinen, Leitungen oder Behältnissen - meist aus Leckagen - austreten
  • beim Kernschießen

  • Schüttvorgänge in Behältnisse

  • Transportvorgänge in Leitungen, Behältern

  • chemische Reaktionen in Fluiden/Festkörpern

Äußere KräfteLuftbewegung durch Luftinduktion und Bewegung fester Körper (Austritt kontaminierter Luft aus Strömungsgrenzschichten)
  • Rotation von Werkstücken in Drehmaschinen

  • Rotation von Werkzeugen

  • Bewegung von Schleifbändern oder -scheiben

Luftbewegung durch Luftinduktion von Luftstrahlen, Fluidstrahlen
  • Druckstrahl beim Reinigen ("Ausblasen")

  • Kühlschmierstoffstrahl

Luftbewegung durch Luftinduktion und Luftverdrängung beim Fallen von Schüttgütern
  • Transportvorgänge auf Bändern/Bandübergabe

  • Behälter-Befüllung

  • Umfüllvorgänge an Silos

Störluftbewegungen durch Raumluftströmung, Luftaustausch oder Kühlluftströme
  • Impulsreiche Luftzufuhr aus RLT-Anlage

  • Störströmungen in Räumen; unkontrollierte Einströmung von außen (Infiltration)

  • Kühlluftströmung an Elektromotoren

Aufwirbeln abgelagerter Stäube durch Luftströmungen, Transportvorgänge, Bewegung von Beschäftigten
  • Laufende Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen

  • Staplerfahrten

  • Zugluft im Arbeitsbereich

DiffusionBewegung bei Konzentrationsunterschieden; Vorgang hat gegenüber Raumluftströmung kaum Bedeutung.
  • Nahbereich von offenen Bädern oder Behältnissen

  • nahe der Oberfläche vergossener oder ausgelaufener Flüssigkeiten

Bei Partikelgrößen von weniger als 100 µm (luftgetragene Stoffe) kann davon ausgegangen werden, dass die Partikel der Luftströmung annähernd ungestört folgen. Bei größeren Partikeln sind der Einfluss des eigenen Impulses und der Schwerkraft stärker als der Einfluss einer vorhandenen Luftströmung. Diese Teilchen sind nicht mehr einatembar und sedimentieren innerhalb kurzer Zeit aus ruhender Luft heraus.

Neben den genannten Mechanismen gibt es noch weitere Größen, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Stoffausbreitung haben. Sie sind in Tabelle 3.1.3 zusammengefasst dargestellt.

Tabelle 3.1.3
Einflussgrößen für die Schadstoffausbreitung

Einfluss-ParameterVariationsgröße
Größe und Ausdehnung der Quelle
  • punktförmig

  • linienförmig

  • flächig

  • räumlich

Zustand der Stoffe
  • Aggregatzustand

  • Temperatur

  • Dichte

  • Druck

Art der Freisetzung
  • Eigenbewegung

  • Fremdbewegung

Raumluftströmung in der Umgebung der Emissionsquelle
  • Störströmung

Anordnung der Quelle im Raum
  • Raumkoordinaten

Freisetzungsort
  • ortsfest

  • ortsveränderlich

Zeitdauer der Emission
  • ständig

  • zeitweise

Freigesetzte Stoffmenge
  • Konzentration

  • Arbeitsverfahren

Physikalische und chemische Eigenschaften der Stoffe
  • Sorptionsverhalten

  • Reaktivität

  • Agglomeration

  • Abrasivität

  • Brennbarkeit

Beispiele für die Freisetzung und die Ausbreitung bei unterschiedlichen Arbeitsverfahren mit Emission zeigt die folgende Abbildung:

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Punktförmige Emission: Schleifen, Sägen

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Flächige Emission: Zinkbad beim Feuerverzinken

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Räumliche Emission: Raum beim Spritzverzinken

Abb. 3.1.2
Freisetzung und Ausbreitung von Emissionen bei unterschiedlichen Arbeitsverfahren

Der Anhang dieser DGUV Information umfasst verschiedene Formblätter, mit denen die betreibende Firma oder das Planungsbüro die für die Erfassung, Absaugung und Abscheidung wesentlichen Eigenschaften der abzusaugenden Stoffe oder Stoff-Luft-Gemische definieren und zusammentragen kann. In diesem Zusammenhang weisen wir auf folgende Anhänge hin:

  • Anhang 8.1: Stoff-Eigenschaften, Freisetzungs- und Ausbreitungs-Mechanismen,

  • Anhang 8.2: Wichtige Kennzahlen des freigesetzten Stoffs,

sowie im Bedarfsfall auch

  • Anhang 8.6: Maximal zulässige Emissionen nach TA-Luft (24. Juli 2002).