TRGS 529 - TR Gefahrstoffe 529

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Abschnitt 8 TRGS 529 - Arbeitsmedizinische Prävention

8.1 Beteiligung des Betriebsarztes an der Gefährdungsbeurteilung

(1) Das Spektrum der bei der Biogasherstellung vorkommenden Gefahrstoffe und Biostoffe variiert in Abhängigkeit von Art, Herkunft und Aufarbeitung des Eingangsmaterials und der im Prozess entstehenden Substrat- und Gärreste. Eingangsmaterial können biologische Abfälle (z. B. Biotonne, aus der Tierhaltung), Gülle sowie die sogenannten nachwachsenden Rohstoffe sein. Hierbei können die Expositionsverhältnisse zeitlich starken Schwankungen unterliegen und auch räumlich sehr unterschiedlich sein und z. B. vom Arbeitsbereich, Arbeitsverfahren, Tätigkeiten und Hygienezustand des Arbeitsplatzes abhängen. Im Hinblick auf die vorkommenden Gefahrstoffe ist besonderes Augenmerk auf die als Zusatz- und Hilfsstoffe eingesetzten sogenannten Spurenelementemischungen zu richten. Diese enthalten z. B. Schwermetallsalze wie Nickelsulfat und Cobaltsulfat sowie Natriumselenit, (siehe Anlage 1 Gefahrstoffe). Einige dieser Stoffe wie z. B. Nickel(II)-Verbindungen können karzinogen sein (Kategorie 1A oder 1B), Selenverbindungen hingegen wirken akut toxisch. Das in Spurenelementemischungen enthaltene Nickel ist zudem ein starkes Kontaktallergen: Bei fortgesetztem Hautkontakt kann es zu bleibenden Hautveränderungen kommen. Andere Gefahrstoffe wie Schwefelwasserstoff und Ammoniak finden sich im Biogas als akut toxische Bestandteile. Diese gelangen jedoch nur im Havariefall, bei Betriebsstörungen oder Undichtheiten im Gassystem in die Luft von Arbeitsbereichen. Expositionen gegenüber Gefahr- und Biostoffen treten im Normalbetrieb und insbesondere bei Wartungs- und Instandhaltungs- sowie Reinigungsarbeiten auf (siehe Anlage 2).

(2) Als Aufnahmepfade können die Atemwege, der Mund, sowie die Haut bzw. Schleimhaut in Frage kommen. In seltenen Fällen besteht die Gefahr von verletzungsbedingten Infektionen.

(3) Aufgrund dieser Gefährdungssituation ist bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung eine fachkundige arbeitsmedizinische Beratung notwendig. Dies ist vorrangig durch die Beteiligung des bestellten Betriebsarztes zu gewährleisten. Dem Arzt sind alle erforderlichen Auskünfte über die Tätigkeiten zu erteilen und ist die Begehung der Arbeitsbereiche zu ermöglichen.

8.2 Allgemeine arbeitsmedizinisch-toxikologische Beratung

(1) Die allgemeine arbeitsmedizinische Beratung erfolgt z. B. im Rahmen der Unterweisung nach Nummer 5.3 Absatz 1. Dabei ist der bestellte Betriebsarzt bzw. der mit der Durchführung der arbeitsmedizinischen Vorsorge beauftragte Arzt einzubeziehen. Dies ist z. B. auch durch die Beteiligung eines Arztes an Schulungen der Personen, die die Unterweisung durchführen, oder durch die Mitwirkung bei der Erarbeitung von Unterweisungsmaterialien gegeben.

(2) In der allgemeinen arbeitsmedizinischen Beratung sollen die Beschäftigten über den auf der Basis der Gefährdungsbeurteilung festgelegten Umfang der arbeitsmedizinischen Vorsorge und ggf. mögliche Impfungen sowie das Recht, beim Auftreten einer möglicherweise tätigkeitsbedingten Erkrankung eine Angebotsvorsorge nach § 5 Absatz 2 Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) wahrzunehmen, informiert werden.

(3) Die Beschäftigten sind darüber hinaus zu informieren und zu beraten über

  1. 1.

    die Notwendigkeit des Gebrauchs von persönlicher Schutzausrüstung (insbesondere Schutzkleidung, Schutzhandschuhe, je nach Tätigkeit auch Atemschutz), deren Handhabung und den Wechselturnus soweit erforderlich,

  2. 2.

    die Belastungen durch das Tragen von persönlicher Schutzausrüstung (insbesondere Atemschutz und Schutzhandschuhe),

  3. 3.

    die konsequente Umsetzung von Hygienemaßnahmen und

  4. 4.

    das Vorgehen bei Symptomen, die ihre Ursache in der Tätigkeit haben können (z. B. Information des Hausarztes über die ausgeübte Tätigkeit, Mitteilung an den für die Arbeiten Verantwortlichen).

(4) Entsprechend dem Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung sind die Beschäftigten arbeitsmedizinisch und toxikologisch hinsichtlich der auftretenden Gefahr- und Biostoffe über Folgendes zu beraten:

  1. 1.

    die Möglichkeit von Sensibilisierungen und allergischen Erkrankungen z. B. durch nickelhaltige Spurenelementemischungen oder schimmelpilzhaltige Stäube sowie die entsprechenden Symptome wie

    1. a)

      am Auge: Bindehautentzündung mit Rötung, Tränenfluss, Lidschwellung, Fremdkörpergefühl und Juckreiz,

    2. b)

      an den oberen Atemwegen (Nase): Fließschnupfen, Stockschnupfen, Niesreiz, Verminderung des Riechvermögens,

    3. c)

      an den tiefen Atemwegen: pfeifende Atemnot, Gefühl der Brustenge, Husten, Auswurf, Kurzatmigkeit, Überempfindlichkeit der Atemwege (bronchiale Hyperreagibilität), Minderung der Lungenfunktion,

    4. d)

      an Haut und Mundschleimhaut: Hautausschläge mit Rötungen und Schwellungen (Quaddeln), Juckreiz an Gaumen, Haut oder im Gehörgang, Lippenschwellung sowie Entzündung der Mundschleimhaut,

  2. 2.

    die Tatsache, dass Symptome direkt bei Exposition (Sofort-Typ-Allergie) oder um zwei bis acht Stunden zeitversetzt und oft schleichend einsetzend (Typ III-Allergie) auftreten können,

  3. 3.

    die möglichen gesundheitlichen Risiken, die insbesondere eine familiäre Prädisposition zur Allergieentstehung oder eine bereits bestehende allergische Erkrankung (z. B. Heuschnupfen, allergisches Asthma, chronische Atemwegs-/Lungenerkrankungen) sowie vorliegende Infekte (z. B. Erkältungen) haben können und die Maßnahmen, die in einem solchen Fall zu treffen sind (z. B. Inanspruchnahme von Wunschvorsorge, Tätigkeitswechsel),

  4. 4.

    die konkreten Tätigkeiten, bei denen persönliche Schutzausrüstungen zu tragen sind sowie die Anleitung zu deren Handhabung. Die Notwendigkeit der Maßnahmen soll erläutert werden, um an Akzeptanz zu gewinnen,

  5. 5.

    soweit relevant die Problematik von Feuchtarbeit einschließlich der Hautschutz- und Hautpflegemaßnahmen,

  6. 6.

    die Gefährdungen durch Stäube (ggf. Karzinogenität von Nickel(II)salzen) der zugesetzten Spurenelemente bei nicht fachgerechter Auswahl und Handhabung (Zudosierung im offenen System),

  7. 7.

    die Gefährdungen durch die ätzende Wirkung von Eisen(III)chlorid-Lösungen zur Entschwefelung,

  8. 8.

    Dieselmotoremissionen in geschlossenen Arbeitsbereichen,

  9. 9.

    ggf. relevante Krankheitserreger z. B. Tetanus,

  10. 10.

    das evtl. erhöhte individuelle Erkrankungsrisiko bei verminderter Immunabwehr,

  11. 11.

    Sofortmaßnahmen sowie das weitere Vorgehen entsprechend aktueller Empfehlungen im Hinblick auf Schnitt- oder Stichverletzungen insbesondere bei Abfall vergärenden Anlagen,

  12. 12.

    über die Möglichkeit von Schmier- und Kontaktinfektionen von kontaminierter Kleidung auf vermeintlich saubere Hände bzw. Flächen.

8.3 Arbeitsmedizinische Vorsorge

(1) Arbeitsmedizinische Vorsorge richtet sich nach der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMed-VV) und den dazu veröffentlichten Arbeitsmedizinischen Regeln (AMR).

(2) Arbeitsmedizinische Vorsorge dient der Beurteilung der individuellen Wechselwirkungen von Arbeit und physischer und psychischer Gesundheit und der Früherkennung arbeitsbedingter Gesundheitsstörungen sowie der Feststellung, ob bei Ausübung einer bestimmten Tätigkeit eine erhöhte gesundheitliche Gefährdung besteht (§ 2 Absatz 1 Nummer 2 ArbMedVV). Dabei steht die Aufklärung und Beratung der Beschäftigten zur Tätigkeit bei der Herstellung von Biogas und den sich daraus ergebenden Gefährdungen für ihre Gesundheit im Vordergrund. Wenn körperliche oder klinische Untersuchungen aus Sicht des Arztes für die Aufklärung und Beratung nicht erforderlich sind oder vom Beschäftigten abgelehnt werden, kann sich die arbeitsmedizinische Vorsorge auf ein Beratungsgespräch beschränken.

(3) Arbeitsmedizinische Vorsorge ist für die betroffenen Beschäftigten nach § 4 Absatz 1 in Verbindung mit Anhang Teil 1 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b ArbMedVV durch den Arbeitgeber vor Aufnahme der Tätigkeit und danach in regelmäßigen Abständen (vgl. AMR 2.1) zu veranlassen (Pflichtvorsorge), wenn am Arbeitsplatz eine wiederholte Exposition gegenüber Nickelverbindungen nicht ausgeschlossen werden kann (Nickelverbindungen sind überwiegend krebserzeugende Gefahrstoffe der Kategorie 1A im Sinne der Gefahrstoffverordnung). Der Arbeitgeber darf die Tätigkeit durch die betroffenen Beschäftigten nur ausüben lassen, wenn sie zuvor an der Pflichtvorsorge teilgenommen haben (§ 4 Absatz 2 ArbMedVV).

(4) Arbeitsmedizinische Vorsorge ist den betroffenen Beschäftigten nach § 5 Absatz 1 in Verbindung mit Anhang Teil 1 Absatz 2 Nummer 2 Buchstabe d ArbMedVV durch den Arbeitgeber vor Aufnahme der Tätigkeit und danach in regelmäßigen Abständen (vgl. AMR 2.1) anzubieten, wenn eine wiederholte Exposition nicht ausgeschlossen werden kann und es sich um einen krebserzeugenden oder keimzellmutagenen Stoff der Kategorie 1A oder 1B oder ein karzinogenes oder keimzellmutagenes Gemisch der Kategorie 1A oder 1B handelt oder wenn die Tätigkeit mit dem Gefahrstoff als krebserzeugende Tätigkeiten oder Verfahren Kategorie 1A oder 1B im Sinne der Gefahrstoffverordnung bezeichnet werden. Dies ist z.B. bei einer wiederholten Exposition gegenüber Kobaltsalzen und Dieselmotoremissionen der Fall (Kobaltsalze sind krebserzeugende Gefahrstoffe der Kategorie 1B im Sinne der Gefahrstoffverordnung, Tätigkeiten oder Verfahren, in denen Dieselmotoremissionen freigesetzt werden, werden als krebserzeugende Tätigkeiten oder Verfahren der Kategorie 1 oder 2 im Sinne der Gefahrstoffverordnung bezeichnet). Auch bei einer Exposition gegenüber atemwegssensibilisierenden Stoffen (vgl. Anhang Teil 1 Absatz 2 Nummer 2 Buchstabe k ArbMedVV) oder bei einer Lärmexposition unterhalb des Lex, 8h = 85 dB(A) beziehungsweise LpC,peak = 137 dB(C) (vgl. Anhang Teil 3 Absatz 2 Nummer 1 ArbMedVV) ist eine Angebotsvorsorge angezeigt.Weitere Vorsorgetatbestände können sich aus einer Hebe- und Tragetätigkeit schwerer Lasten ergeben (vgl. Anhang Teil 3 Absatz 2 Nummer 4 ArbMedVV); die AMR 13.2 gibt hierzu nähere Auskunft. Das Ausschlagen eines Angebots entbindet den Arbeitgeber nicht von der Verpflichtung, weiter regelmäßig Angebotsvorsorge anzubieten. Die AMR 5.1 zeigt einen Weg der Angebotsunterbreitung auf. Nach § 6 Absatz 2 der ArbMedVV sind Impfungen Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge und den Beschäftigten im Vorsorgetermin anzubieten; die AMR 6.5 gibt hierzu nähere Auskunft (z. B. auch in Bezug auf Tetanus).

(5) In Abhängigkeit von der Gefährdungsbeurteilung können sich bei der Herstellung von Biogas weitere Anlässe für Pflicht- oder Angebotsvorsorge gemäß Anhang der ArbMedVV ergeben (z. B. bei Tätigkeiten, die das Tragen von Atemschutzgeräten erfordern). Sofern die betroffenen Beschäftigten Atemschutzgeräte tragen müssen, soll die Pflicht- bzw. Angebotsvorsorge hierfür (Anhang Teil 4 Absatz 1 Nummer 1 bzw. Absatz 2 Nummer 2 ArbMedVV) mit Vorsorgeanlässen nach Absatz 4 kombiniert werden. Die Benutzung von Atemschutzgeräten befreit nicht von den zuvor genannten Verpflichtungen zur arbeitsmedizinischen Vorsorge.

(6) Nach Beendigung der Tätigkeit mit Exposition gegenüber einem krebserzeugenden oder keimzellmutagenen Stoff der Kategorie 1A oder 1B oder einem krebserzeugenden oder keimzellmutagenen Gemisch der Kategorie 1A oder 1B oder wenn die entsprechenden Tätigkeiten als krebserzeugende Tätigkeiten oder Verfahren Kategorie 1A oder 1B im Sinne der Gefahrstoffverordnung bezeichnet werden, hat der Arbeitgeber betroffenen Beschäftigten nach § 5 Absatz 3 Satz 1 in Verbindung mit Anhang Teil 1 Absatz 3 Nummer 1 ArbMedVV in regelmäßigen Abständen (vgl. AMR 2.1) nachgehende Vorsorge anzubieten. Das Angebot zur arbeitsmedizinischen Vorsorge dient dann der Früherkennung von Erkrankungen. Gesundheitsstörungen durch krebserzeugende Gefahrstoffe wie z. B. Nickel- oder Kobaltverbindungen sind insbesondere nach längeren Latenzzeiten zu erwarten. Das Ausschlagen eines Angebots entbindet den Arbeitgeber nicht von der Verpflichtung, weiter regelmäßig Angebotsvorsorge in Form nachgehender Vorsorge anzubieten. Die AMR 5.1 zeigt einenWeg der Angebotsunterbreitung auf. Sofern die Beschäftigten eingewilligt haben, überträgt der Arbeitgeber am Ende des Beschäftigungsverhältnisses die Verpflichtung zum Angebot der nachgehenden Vorsorge an den zuständigen gesetzlichen Unfallversicherungsträger und überlässt diesem die erforderlichen Unterlagen in Kopie (vgl. § 5 Absatz 3 Satz 2 ArbMedVV).

(7) Der Arzt hält nach § 6 Absatz 3 ArbMedVV das Ergebnis und die Befunde der arbeitsmedizinischen Vorsorge einschließlich einer ggf. durchgeführten Untersuchung schriftlich fest und berät den Beschäftigten darüber. Auf Wunsch des Beschäftigten, stellt er diesem das Ergebnis der Vorsorge zur Verfügung. Der Arzt stellt dem Beschäftigten und dem Arbeitgeber eine Bescheinigung über die durchgeführte arbeitsmedizinische Vorsorge aus. Die Bescheinigung enthält Angaben über den Zeitpunkt und den Anlass des aktuellen Vorsorgetermins sowie die Angabe, wann aus ärztlicher Sicht weitere arbeitsmedizinische Vorsorge angezeigt ist (vgl. AMR 6.3) Diese Bescheinigung enthält weder Diagnosen oder andere Informationen über den Gesundheitszustand des Beschäftigten noch eine medizinische Beurteilung zur Eignung für bestimmte Tätigkeiten.

(8) Der Arbeitgeber hat über die durchgeführte arbeitsmedizinische Vorsorge eine Vorsorgekartei zu führen mit Angaben darüber, wann und aus welchen Anlässen diese für jeden Beschäftigten stattgefunden hat (§ 3 Absatz 4 ArbMedVV).

(9) Der Arzt wertet die Erkenntnisse aus der arbeitsmedizinischen Vorsorge aus (§ 6 Absatz 4 ArbMedVV). Ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Maßnahmen des Arbeitsschutzes nicht ausreichend sind, so hat der Arzt dies dem Arbeitgeber mitzuteilen und ihm (ergänzende) Schutzmaßnahmen für exponierte Beschäftigte vorzuschlagen. Hält der Arzt aus medizinischen Gründen, die ausschließlich in der Person des Beschäftigten liegen, einen Tätigkeitswechsel für erforderlich, so bedarf die Mitteilung darüber an den Arbeitgeber der Einwilligung des Beschäftigten. Konkretisierungen enthält die AMR 6.4. Der Arbeitgeber hat als Folge eines solchen Vorschlags vonseiten des Arztes nach § 8 Absatz 1 ArbMedVV die Gefährdungsbeurteilung zu überprüfen und unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen. Wird ein Tätigkeitswechsel vorgeschlagen, so hat der Arbeitgeber nach Maßgabe der dienst- und arbeitsrechtlichen Regelungen dem oder der Beschäftigten eine andere Tätigkeit zuzuweisen. Dem Betriebs- oder Personalrat und der zuständigen Behörde sind die getroffenenMaßnahmenmitzuteilen (§ 8 Absatz 2 ArbMedVV).