DGUV Information 207-206 - Tätigkeiten mit Desinfektionsmitteln im Gesundheitsdienst

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Abschnitt 3.4 - 3.4 Bewerten der Gefährdungen

Nach der Ermittlung der Gefährdungen durch Einatmen, Hautkontakt oder physikalisch-chemische Wirkungen erfolgt ihre Bewertung. Die Bewertung der auftretenden Expositionen kann oft nur qualitativ erfolgen, da nicht alle Inhaltsstoffe in Desinfektionsmitteln einen Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) oder anderen Beurteilungswert besitzen, anhand dessen man eine qualitative Expositionsbewertung vornehmen könnte. Für dermale Expositionen existieren keine Grenzwerte. Zur Ermittlung von Grenzwerten für die dermale Exposition fehlen bisher standardisierte Messverfahren. Für einige Desinfektionsmittelinhaltsstoffe existieren DNEL-Werte (Derived No-Effect Level) für die Exposition von Beschäftigten bei Aufnahme über die Haut (akut, lokale Wirkungen und langzeitig, systemische Wirkungen). Diese werden von Herstellern im Sicherheitsdatenblatt angegeben.

Eine Bewertung der Exposition am Arbeitsplatz wird bei allen Betrachtungen von der Frage geprägt sein, ob die Gefährdungen während einer Desinfektionstätigkeit durch die Minimierung der Gefahren des Desinfektionsmittels und durch die Minimierung des offenen Umgangs reduziert werden können. Daher kommt aus Sicht des Arbeitsschutzes der Auswahl des sichersten Desinfektionsmittels eine wesentliche Stellung zu.

Aus der Gefährdungsermittlung kann sich ergeben, dass eine Desinfektionstätigkeit nur eine geringe Gefährdung, wie in der Gefahrstoffverordnung und der TRGS 400 beschrieben, aufweist. Für Tätigkeiten mit geringer Gefährdung bestehen erleichterte Pflichten und Schutzmaßnahmen (siehe TRGS 400). Im Rahmen von Desinfektionstätigkeiten zählen folgende Beispiele zu Tätigkeiten mit geringer Gefährdung:

  • Wischdesinfektion kleiner Flächen für eine kurze Tätigkeitsdauer mit Produkten ohne Gefahrstoffkennzeichnung.

  • Desinfektion des inneren Flüssigkeitssystems von Dialysegeräten mit Zitronensäure in gebrauchsfertigen Kartuschen, da bei der üblichen Handhabung keine Exposition zu erwarten ist.

  • Händedesinfektion in geringem Umfang in therapeutischen Praxen oder im Rahmen der häuslichen Krankenpflege.

3.4.1 Inhalative Exposition

Die inhalative Exposition durch Desinfektionsmittelinhaltsstoffe kann für einige Wirkstoffe anhand von Arbeitsplatzgrenzwerten (AGW) nach TRGS 900 bewertet werden. Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) führt seit vielen Jahren eine Desinfektionsmitteldatensammlung, um einen regelmäßigen Überblick über die Marktsituation von Desinfektionsmitteln des Gesundheitsdienstes zu erhalten. Eine aktuelle Recherche nach Luftgrenzwerten der 67 häufigsten Inhaltsstoffe in Desinfektionsmitteln 2 führte zu den in der Tabelle 6 zusammengestellten 21 AGW (siehe Anhäuser, Halsen et al. 2021). Für 30 weitere Stoffe, die keinen AGW besitzen, lagen maximale Arbeitsplatzkonzentrationen (MAK) der Ständigen Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), europäische Grenzwerte, internationale Grenzwerte aus anderen Ländern und DNEL-Werte (Derived No-Effect Level) vor. Die Grenzwertinformationen stammen aus der TRGS 900 und den Listen "International Limit Values" und "DNEL" des Gefahrstoffinformationssystems (GESTIS) der DGUV. Den in Tabelle 6 aufgeführten 21 Substanzen mit einem AGW nach TRGS 900 stehen über 200 Stoffe gegenüber, die bei der Analyse des deutschen Marktes für Desinfektionsmittel im Jahr 2020 identifiziert werden konnten. Die meisten Inhaltsstoffe besitzen folglich keinen AGW. Zu berücksichtigen ist aber, dass nicht alle Desinfektionsmittelinhaltsstoffe flüchtig sind und somit bei sachgerechter Anwendung auch nicht in die Atemwege gelangen. Weiterhin sind nicht alle 200 Inhaltsstoffe gleich häufig vertreten. Viele Inhaltsstoffe mit einem AGW gehören aber zu den häufigsten flüchtigen Stoffen in Desinfektionsmitteln.

Tabelle 6
Häufige Inhaltsstoffe in Desinfektionsmitteln mit Luftgrenzwerten, sortiert nach absteigender Häufigkeit *. Wesentliche Wirkstoffe in Desinfektionsmitteln sind grau hinterlegt.

Nr.CAS-Nr.InhaltsstoffAGW
[mg/m3]
MAK
[mg/m3]
Int. GW [mg/m3]
(Land)
DNEL [mg/m3]
lokalsystemisch
164-17-5Ethanol380380260 (NDL)-950
267-63-02-Propanol500500245 (NOR)-500
371-23-81-Propanol--500 (F)-268
42372-82-9N-(3-Aminopropyl)- N-dodecylpropan-1,3-diamin 0,050,050,05 (CH)-0,789
569011-36-5Isotridecanolethoxylat----37
6112-34-52-(2-Butoxyethoxy)ethanol676767,5 (EU)67,5
7111-30-8Glutaraldehyd0,20,210,2 (UK)--
8112-72-11-Tetradecanol---178313
978-93-3Butanon600600600 (EU)-600
101310-58-3Kaliumhydroxid--2 (DNK)1-
1168439-46-3Alkohol, C9-C11, ethoxyliert----294
1285409-23-0N-Alkyl-N-ethylbenzyl-N,N-dimethylammoniumchlorid ---1-
137722-84-1Wasserstoffperoxid0,710,710,4 (POL)1,4-
1494667-33-1N,N-Didecyl-N-methylpoly(oxyethyl)ammoniumpropionat ----0,5
15141-43-52-Aminoethanol0,50,512,5 (EU)0,511
16122-99-62-Phenoxyethanol5,75,7110 (CH)5,75,7
1777-92-9Zitronensäure222 (CH)--
185538-94-3Dimethyldioctylammoniumchlorid----18,79
1956-81-5Glycerin20020010 (FRA)--
2090640-43-0N-Alkyl-C12-C14-propan1,3-diamin ----0,0395
21497-19-8Natriumcarbonat--1 (ROU)10-
22107-22-2Glyoxal--0,02 (FIN)0,042,96
231310-73-2Natriumhydroxid--0,5 (POL)1-
24139-33-3Dinatriumdihydrogenethylendiamintetraacetat---1,51,5
25107-21-1Ethandiol262652 (EU)35-
2650-00-0Formaldehyd0,370,370,37 (EU)0,3759
2764-02-8Tetranatriumethylendiamintetraacetat---1,51,5
2815630-89-4Natriumpercarbonat---5-
2968439-50-9Alkohole, C12-C14, ethoxyliert----19,6
305989-27-5(R)-p-Mentha-1,8-dien 282840 (CH)-66,7
3118472-51-0Chlorhexidingluconat----0,36
3268213-23-0Alkohole, C12-C18, ethoxyliert----294
3368891-38-3Natriumlaurylsulfat, C12-C14, ethoxyliert----175
3464-19-7Essigsäure252525 (EU)25-
3568131-39-5Alkohole, C12-C15, ethoxyliert----294
36584-08-7Kaliumcarbonat--2 (LVA)10-
3785409-22-9Benzyl-C12-C14-alkyldimethylammoniumchlorid----3,96
387681-52-9Natriumhypochlorit---1,551,55
3978-96-61-Aminopropan-2-ol5,8---3,6
405064-31-3Trinatriumnitrilotriacetat22--3,2
417632-00-0Natriumnitrit----2
4279-21-0Peroxyessigsäure-0,320,6 (FIN)0,56-
4375-75-2Methansulfonsäure0,7--0,76,76
44110-16-7Maleinsäure---33
45110-63-41,4-Butandiol200-200 (AUT)-136
4668515-73-1Alkylpolyglycosid C8-C10----420
4797489-15-1Sulfonsäuren, C14-17-secAlkan, Natriumsalze----35
487664-38-2Phosphorsäure221 (EU)110,7
4926183-52-8Decan-1-ol, ethoxyliert----294
50111-76-22-Butoxyethanol494998 (EU)-98
51151-21-3Natriumdodecylsulfat----285

3.4.2 Dermale Exposition

Die dermale Exposition durch Desinfektionsmittelinhaltsstoffe kann - in Anlehnung an die TRGS 401 - anhand weniger kategorisierender Informationen zu den gefährlichen Eigenschaften der Desinfektionsmittel, zum Ausmaß der Hautkontakte und zum zeitlichen Umfang der Arbeiten in die Gefährdungskategorien "gering", "mittel" und "hoch" eingestuft werden.

Je größer die Gefährdungen, je größer die belastete Hautfläche und je länger die belastende Tätigkeit sind, desto größer soll der Umfang an Schutzmaßnahmen sein. Bei geringer Gefährdung werden grundlegende Hygienemaßnahmen ausreichend sein, bei mittlerer Gefährdung wird zudem eine Substitutionsprüfung notwendig sein, ebenso Schutzhandschuhe, Hautschutz- und Hautpflegemittel und gegebenenfalls eine arbeitsmedizinische Vorsorge. Bei hoher Gefährdung ist zusätzlich das Arbeitsverfahren kritisch zu hinterfragen, unter anderem ist der Einsatz geschlossener Verfahren zu prüfen.

Die Hände können in der Regel durch geeignete Schutzhandschuhe ausreichend geschützt werden (siehe Kapitel 3.5.4 und Anhang 12.3). Dabei müssen gemäß § 7 GefStoffV die Handschuhe für die Desinfektionstätigkeiten geeignet sein. Ausschlaggebend ist zudem eine richtige Anwendung durch die Beschäftigten. Je nach Arbeitsverfahren müssen bei möglicher Exposition andere Körperpartien zusätzlich geschützt werden.

Desinfektionsarbeiten können mit einer ausgiebigen Feuchtarbeit verbunden sein, sei es durch die ständige Benetzung der Haut mit Wasser oder durch das Tragen von undurchlässigen Schutzhandschuhen. Dies schädigt die Haut und kann ein Auslöser von Hauterkrankungen sein.

3.4.3 Brand und Explosion

Alkoholische Desinfektionsmittel finden als gebrauchsfertige Lösung oder gebrauchsfertige Tücher zur Flächen-, Hände- oder Hautdesinfektion Anwendung und sind oft leicht entzündbar oder entzündbar. Kennzeichnungspflichtige gebrauchsfertige Produkte sind z. B. mit GHS02, Kat. 2 oder Kat. 3 eingestuft, alkoholhaltige Desinfektionsmittelkonzentrate zur Desinfektion von Flächen und Medizinprodukten sind als entzündbar (GHS02, Kat. 3) eingestuft. Hinweise zur Beurteilung der Brand- und Explosionsgefährdung geben die TRGS der Reihe 700 und TRGS 800.

Produkte mit Peroxiden als Wirkstoff (z. B. Wasserstoffperoxid oder Peroxyessigsäure) sind Oxidationsmittel und setzen Sauerstoff frei, der brandfördernd wirken kann.

Die genannten Eigenschaften sind nicht nur beim Umgang mit diesen Produkten zu beachten, sondern auch insbesondere bei der innerbetrieblichen Lagerung.

Das entspricht 90,2 % der Nennungen mit CAS-Nr. der IHO-, VAH-, RKI- und ÖGHMP-Liste, Stand: Anfang 2020.

Quellen: Marktrecherche der BGW Anfang 2020 (Anhäuser, Halsen et al. 2021), TRGS 900, "International Limit Values"- und "DNEL"-Listen des Gefahrstoffinformationssystems der DGUV. Die DNEL-Werte beziehen sich auf die inhalative Langzeitexposition am Arbeitsplatz (Webcodes: d6247 und d145542), Stand: Juli 2023.