DGUV Information 202-107 - Schwimmen Lehren und Lernen in der Grundschule Bewegungserlebnisse und Sicherheit am und im Wasser

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Abschnitt 2.5 - 2.5 Leitsätze zum Sicher Schwimmen Können

Die Leitidee, allen Schülerinnen und Schülern in der Grundschule das Sichere Schwimmen Können als Teil der körperlichen Grundbildung zu vermitteln, wird durch sechs Leitsätze konkretisiert. Diese Leitsätze sind Prinzipien für einen modernen Schwimmunterricht in der Schule. Sie bringen den Ziel-, Inhalts- und Methodenbezug zum Ausdruck und sind als Handlungsaufforderungen für Schwimmlehrkräfte in der Grundschule zu verstehen.

1. Leitsatz: Die Einzigartigkeit des Wassers beachten. Wasser ist elementar, einzigartig und faszinierend. Die Eigenschaften dieses Mediums bestimmen die Möglichkeiten und Grenzen des Aufenthaltes und der Bewegung.

2. Leitsatz: Die Biomechanik des Schwimmens berücksichtigen. Zwischen der Hydrostatik bzw. Hydrodynamik und den koordinierten Fortbewegungen im Wasser bestehen Wechselwirkungen.

3. Leitsatz: Die methodische Abfolge einhalten.Sicheres Schwimmen Können im Tiefwasser setzt eine zeitlich ausreichende und inhaltlich angemessene Berücksichtigung der Phasen der Wassergewöhnung und Entwicklung der Grundfertigkeiten des Schwimmens voraus. (Vgl. Abb. 5)

4. Leitsatz: Die individuelle Progression der Könnensentwicklung berücksichtigen. Die qualitative Entwicklung des Sicher Schwimmen Könnens der Schülerinnen und Schüler erfolgt nicht linear. Die individuellen Entwicklungsverläufe werden mittels unterscheidbarer Niveaustufen gekennzeichnet und beschrieben.

5. Leitsatz: Das Schwimmen kompetenzorientiert entwickeln. Kompetenzorientierter Schwimmunterricht verbindet die Entwicklung zum Sicheren Schwimmen Können mit dem erforderlichen Wissen und dem sozialen Verhalten.

6. Leitsatz: Die koordinativen Fähigkeiten weiterentwickeln.Sicheres Schwimmen Können ist Ausdruck eines komplexen Zusammenspiels verschiedener Faktoren. Gut ausgeprägte koordinative und konditionelle Fähigkeiten haben für den Schwimmunterricht eine basale Funktion.

Nachfolgend werden Erläuterungen zu den Leitsätzen und deren Bedeutung für das Lehren und Lernen im Schwimmunterricht gegeben:

1. LEITSATZ

Die Einzigartigkeit des Wassers beachten.

Wasser ist elementar, einzigartig und faszinierend. Die Eigenschaften des Mediums bestimmen die Möglichkeiten und Grenzen des Aufenthaltes und der Bewegung im Wasser.

Der Aufenthalt und die Bewegung der Schülerinnen und Schüler im Wasser sind im unmittelbaren Zusammenhang mit den Wirkungen der physikalischen Eigenschaften und Kräfte des Wassers auf den Körper mit dessen funktionellen Möglichkeiten zu sehen und zu verstehen. Bewegungserlebnisse im Wasser sind anders als an Land. Sie bilden ein unverzichtbares Erfahrungsfeld. Bisherige Bewegungserfahrungen an Land sind von Vorteil. Das Handeln und Verhalten im Wasser ermöglichen und erfordern ein neues Wahrnehmen und Lernen. So lässt sich beispielsweise eine Roll- oder Drehbewegung im Wasser nicht in gleicher Weise wie an Land ausführen. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, dass neben der Kopfsteuerung auch eine "kinästhetisch gefühlte" und gerichtete Kraft über die Hände übertragen, die höhere Dichte und die Auftriebskraft des Wassers überwunden und Rollen beispielsweise um die Breitenachse organisiert werden müssen. Die Einnahme und Veränderung der Körperposition im Wasser sind anfänglich ungewohnt und anders als an Land.

Die Eigenschaften des Wassers sind vielfältig: Wasser kann fließen, spritzen, sprudeln, Wellen bilden, kühlen, wärmen. In tiefem Wasser hat man keinerlei Kontakt zum Boden; der Körper schwebt (mit Auftriebsunterstützung) frei und fast gewichtslos. Die Gelenke sind nicht durch die Körpermasse belastet, sondern nur durch die von den eigenen Muskeln hervorgerufenen Kräfte.

Wasser ermöglicht Wahrnehmungen - insbesondere taktile, kinästhetische, vestibuläre, optische. Bewegungen können im dreidimensionalen Raum ausgeführt werden und müssen koordinativ und konditionell an die Eigenschaften des Wassers angepasst werden. Die Wassertemperatur führt zu einem erhöhten Wärmeverlust und übt Kältereize aus. Der Körper erfährt Auftriebswirkungen und spürt die Dichte des Wassers. Wasser kann aber auch Ängste auslösen. Ein gesicherter Aufenthalt und gekonnte Bewegungen im Wasser schaffen Wohlgefühl und Souveränität.

Die proaktive Herstellung der Schwimmlage erfordert das Ausnutzen (Verstehen) der physikalischen Bedingungen: Der statische Auftrieb eines eingetauchten unbewegten Körpers in einer unbewegten Flüssigkeit entspricht dem Gewicht des von ihm verdrängten Flüssigkeitsvolumens (Archimedisches Prinzip). 6 Da die Schwerkraft senkrecht nach unten wirkt und im Körperschwerpunkt (KSP) angreift, der Auftrieb aber senkrecht nach oben wirkt und im Volumenmittelpunkt (VM) angreift, entsteht ein Drehmoment, weil die beiden Punkte nicht auf einer Wirkungslinie liegen. Der KSP ist ein theoretisch konstruierter Punkt eines Körpers, in dem man sich die gesamte Masse eines Körpers vereinigt denkt. Der VM bildet einen konstruierten Punkt, in dem man sich das gesamte Volumen des Körpers in einem Punkt vorstellt. Je größer der Abstand zwischen KSP und VM, desto größer ist das Drehmoment - je geringer der Abstand zwischen diesen beiden Punkten ist, desto geringer ist das Drehmoment.

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Abb. 4
Körperlage, Kräfte und wirkendes Drehmoment

Durch Armstreckung vor, über bzw. hinter dem Kopf resultieren ein geringerer Abstand zwischen KSP und VM; ein geringeres Drehmoment und damit eine wesentlich stabilere Wasserlage (vgl. Abb. 4). Hieraus leiten sich methodische Konsequenzen für die Organisation von Bewegungen im Wasser und zur Lehrweise der Techniken der Schwimmarten ab.

Informationen und Illustrationen zu den Eigenschaften und Wirkungen des Wassers (u. a.):
Handkarten-Set für die Schwimmlehrkraft (2019)

2. LEITSATZ

Die Biomechanik des Schwimmens berücksichtigen.

Zwischen der Biomechanik des Schwimmens (Hydrostatik bzw. Hydrodynamik) und den koordinierten Fortbewegungen im Wasser bestehen Wechselwirkungen.

Schwimmen als Bewegungsform ist die spezifische Fähigkeit, sich unter Ausnutzung der hydrodynamischen Bedingungen andauernd, zielgerichtet und optimal koordiniert im (tiefen) Wasser in Rücken- bzw. Bauchlage zu bewegen. Eine Sonderform ist die Fortbewegung in der Seitlage, die hier nicht näher besprochen wird. Die Schülerinnen und Schüler nutzen vortriebswirksame Wechselzug- bzw. Gleichzugbewegungen der Arme und Wechselbzw. Gleichschlagbewegungen der Beine bei möglichst strömungsgünstigem Körperverhalten und zweckmäßiger Atmung. Die Anforderungen der Schwimmarten als zweckmäßige Lösungsvarianten (Technikleitbilder) sind Ausbildungsziele des Schwimmunterrichts an den Schulen.

Die biomechanischen Grundlagen haben Einfluss auf die Techniken der Schwimmarten und auf die Methodik des Lehrens und Lernens im Schwimmunterricht. Die Lage des Körperschwerpunkts (KSP) und Volumenmittelpunkts (VMP) zueinander ist entscheidend für eine strömungsgünstige und stabile Körperlage im Wasser. Sie führt häufig zur Entstehung eines Drehmoments und damit zum Absinken der Beine (Abb. 4). Somit muss beim Erlernen der Technik einer Schwimmart stets mit der Beinbewegung begonnen werden, um dieses Drehmoment auszugleichen.

Wenn der Auftrieb (wirkt am VMP) größer als das Körpergewicht (wirkt am KSP) ist, schwimmt der Körper, ist der Auftrieb gleich dem Körpergewicht, schwebt der Körper. Bei einem geringeren Auftrieb gegenüber dem Körpergewicht sinkt der Körper. Je mehr Körpermasse ins Wasser eingetaucht wird, umso größer ist die Auftriebskraft. Die Entlastung durch den statischen Auftrieb ist beträchtlich, sodass unter optimalen Bedingungen nur noch 10-15 % des Körpergewichts eines Menschen zur Wirkung kommen.

Das bewusste Erleben dieser hydrostatischen Bedingungen ist eine methodische Herausforderung für den Lehr- und Lernprozess im Schwimmunterricht. Daraus resultiert, dass der anfänglichen Wassergewöhnung und den Grundfertigkeiten des Schwimmens eine besonders hohe Aufmerksamkeit zu widmen sind. In den Abbildungen 4 und 5 sind wesentliche Aussagen zu den physikalischen Kräften und Bedingungen im Wasser skizziert.

Informationen und Illustrationen zu Eigenschaften und Wirkungen des Wassers (u. a.):
Handkarten-Set für die Schwimmlehrkraft (2019)

3. LEITSATZ

Die methodische Abfolge einhalten.

Sicheres Schwimmen Können im Tiefwasser setzt eine zeitlich ausreichende und inhaltlich angemessene Berücksichtigung der Phasen der Wassergewöhnung und der Entwicklung der Grundfertigkeiten des Schwimmens voraus. Insbesondere die in den Erwerb der Grundfertigkeiten investierte Zeit beschleunigt den Lernerfolg im Hinblick auf das Sichere Schwimmen Können maßgeblich.

Die praktische Erprobung vielfältiger, vor allem koordinativ ausgerichteter Übungen im Wasser (wie Spiel- und Sprungformen im Flach- und / oder Tiefwasser, Gegensatzerfahrungen, Schwimmkombinationen, Partnerübungen, Korrekturformen) trägt wesentlich zur Vervollkommnung des Wassergefühls und des Sicher Schwimmen Könnens bei. Je ausgeprägter und bewusster die Wahrnehmungen und das Wohlbefinden im Wasser sind, desto eher und nachhaltiger sind die Schülerinnen und Schüler in der Lage, Vortriebsleistungen zu erzeugen.

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Abb. 5
Widerstand des Wassers und Wassergefühl

4. LEITSATZ

Die individuelle Progression der Könnensentwicklung berücksichtigen.

Die qualitative Entwicklung des Sicher Schwimmen Könnens erfolgt nicht linear. Die Schülerinnen und Schüler unterscheiden sich in ihren individuellen Lernvoraussetzungen, im Lerntempo und Vorwissen sowie in ihrem Könnensstand. Sie sind unterschiedlich motiviert und begegnen dem Medium Wasser mutiger oder ängstlicher.

Das Lehren und Lernen des Schwimmens erfordert daher in allen Phasen und zu jeder Niveaustufe die Beachtung folgender methodischer Aspekte der Unterrichtsgestaltung:

Systematisch:folgerichtig, fachlich begründet, didaktisch-methodisch strukturiert (z. B. Beachtung der spezifischen Eigenschaften des Wassers, wie Temperatur, Dichte, Druck, hydrostatische und hydrodynamische Bedingungen), Berücksichtigung individueller Voraussetzungen;
Zielgerichtet:an den Niveaustufen des Schwimmen Könnens ausrichten;
Vielseitig:möglichst viele leistungsbestimmende Faktoren berücksichtigen;
Vielfältig:Übungsarten vielseitig variieren und Methodenvielfalt anwenden;
Motivierend:Erfolgserlebnisse, Könnenserfahrungen und Kooperation ermöglichen;
Individuell:die persönlichen Befindlichkeiten und bio-psycho-sozialen Voraussetzungen berücksichtigen; auf die besonderen Interessen, Wünsche und Vorstellungen eingehen;
Überprüfbar:Entwicklungsverläufe erfassen und bewerten;
Sicher:funktionale Ordnung am und im Wasser beachten; Regeln der Kommunikation und Kooperation einhalten.

5. LEITSATZ

Das Schwimmen kompetenzorientiert entwickeln.

Der Schwimmunterricht erfolgt kompetenzorientiert. Das Sichere Schwimmen Können wird im Rahmen der schulischen Grundbildung als eine grundlegende Kompetenz verstanden, die alle Schülerinnen und Schüler während ihrer Schulzeit erwerben sollten. Der absichtsvolle Erwerb dieser Kompetenz erfolgt im Zusammenwirken von motorischen, kognitiven und sozialen Lernvorgängen. Einsichtiges Lernen, Reflexionen und kognitive Durchdringung begünstigen die Entwicklung zum sicheren Schwimmer. Die Schülerinnen und Schüler verstehen wozu sie das Schwimmen erlernen, sie verstehen was sie beim Schwimmen erlernen und sie verstehen zunehmend wie sie das Schwimmen erlernen.

Das Sichere Schwimmen Können, als Ziel und höchste Niveaustufe des schulgebundenen Schwimmunterrichts, repräsentiert die beobachtbare äußere, performative Seite der Basiskompetenz Schwimmen. Von der beobachtbaren Seite des Sicher Schwimmen Könnens, schließen die Schwimmlehrkräfte auf das Vorhandensein und die Ausprägung der individuellen Dispositionen, Fähigkeiten und Fertigkeiten seitens der Schülerinnen und Schüler. Methodische Maßnahmen werden in Abhängigkeit von den individuellen Voraussetzungen und dem individuellen Lerntempo getroffen.

6. LEITSATZ

Die koordinativen Fähigkeiten weiterentwickeln.

Sicher Schwimmen Können ist Ausdruck eines komplexen Zusammenspiels verschiedener Faktoren. Koordinative Fähigkeiten haben für das Erlernen des Schwimmens eine grundlegende Funktion. Zwar sind koordinative Fähigkeiten (ebenso wie konditionelle Fähigkeiten) genetisch determiniert, jedoch müssen sie durch Lern-, Übungs- und Trainingsprozesse im Kindes- und Jugendalter weiter gefördert werden. Nur so kann eine optimale Entwicklung dieser Bewegungsqualitäten gewährleistet werden.

Nicht alle der unten aufgeführten koordinativen Fähigkeiten (Blume, 1978) werden beim Schwimmen in gleicher Ausprägung eingefordert, in unterschiedlicher Akzentuierung haben sie ihre Bedeutung. Für das Steuern und Kontrollieren der Schwimmbewegungen sind sie unverzichtbar:

  • Kopplungsfähigkeit (Teilkörperbewegungen, z. B. Arm- und Beinbewegung zweckgerichtet auf die Gesamtvortriebsleistung zu organisieren),

  • kinästhetischen Differenzierungsfähigkeit (Nuancen in der zeitlichen, räumlichen und dynamischen Struktur der Bewegung im Wasser unterscheiden, Winkelkonstellationen in den Gelenken der Extremitäten für den bestmöglichen Abdruck vom Wasser variieren zu können),

  • Gleichgewichtsfähigkeit (Einnehmen und Stabilisieren der Wasserlage, Beanspruchung des vestibularen Systems),

  • Orientierungsfähigkeit (die Lage und Bewegung des Körpers im Wasser in Raum und Zeit insbesondere durch Kopfsteuerung zu bestimmen und zu verändern),

  • Rhythmisierungsfähigkeit (den im Schwimmen charakteristischen dynamischen bzw. kontinuierlichen Wechsel in einem Bewegungsablauf-Zyklus zu erfassen und bewusst im Handlungsvollzug zu verwirklichen - Frequenz),

  • Umstellungsfähigkeit (Bewegungsrichtungen und -situationen anzupassen und situationsbedingt zu ändern),

  • Reaktionsfähigkeit (schnelle Einleitung und Ausführung zweckmäßiger kurzzeitiger motorischer Aktionen auf ein Signal).

Der Schlüssel zum Erfolg ist das Vorhandensein bzw. der Erwerb des "Wassergefühls". Diese umgangssprachliche Bezeichnung müsste treffender als "Wasserbewegungsgefühl" im Sinne eines "Gefühls für die zweckmäßig(st)e Bewegung im Wasser", verstanden werden. Im so verstandenen Wassergefühl zeigen sich die komplex verbundenen koordinativen Fähigkeiten.

Zudem haben die bisherigen Erfahrungen im Umgang mit dem Wasser und die individuellen Besonderheiten (z. B. Fähigkeiten, Körperkonstitution) Einfluss auf das Wassergefühl. Das Wassergefühl ist grundlegende Voraussetzung für einen erfolgreichen Schwimmunterricht und zugleich als Ergebnis eines gelingenden Schwimmunterrichts durch die Schülerinnen und Schüler unmittelbar zu erfahren.

Für die Entwicklung des Sicher Schwimmen Könnens ist es dabei wichtig, differenziert wahrzunehmen, wie die Vortriebserzeugung unter Nutzung der im Wasser wirkenden Kräfte effektiv ermöglicht und zugleich der Widerstand des Wassers effektiv überwunden wird. (Vgl. Abb. 5)

Ein Körper wiegt demzufolge um den Betrag weniger, der der von ihm verdrängten Flüssigkeit entspricht. Die Auftriebskraft wird von der Größe und Eintauchtiefe der Körperflächen und der Höhe der auf sie wirkenden Flüssigkeitssäule bestimmt.