DGUV Information 207-206 - Tätigkeiten mit Desinfektionsmitteln im Gesundheitsdienst

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Abschnitt 3.3 - 3.3 Ermitteln der Gefährdungen

Die Ermittlung umfasst in der Regel die Gefährdungen der Desinfektionsmittelinhaltsstoffe, des Desinfektionsverfahrens, des zu desinfizierenden Objektes sowie der Arbeitsorganisation. Um die Gefährdungen umfassend ermitteln zu können, werden vorab die Gefahren chemischer Wirkstoffgruppen und deren gesundheitsschädliche Wirkung beschrieben.

3.3.1
Gefahren chemischer Desinfektionsmittelwirkstoffe

Desinfektionsmittel setzen sich im Allgemeinen aus einem oder mehreren Wirkstoffen mit der gewünschten desinfizierenden Eigenschaft sowie Zusatzstoffen wie Verdünnungs- oder Lösemitteln, Tensiden, Schaum- und pH-Regulatoren, Komplexbildnern, Duft- und Konservierungsstoffen zusammen. Zu beachten ist, dass gewisse Zusatzstoffe ihrerseits gesundheitsschädlich sein können und ihre Wirkung auch in geringen Mengen zu berücksichtigen ist. Im Folgenden werden die Toxikologie und die gesundheitsschädliche Wirkung der desinfizierenden Wirkstoffe nach ihren Wirkstoffgruppen beschrieben.

Wirkstoffgruppen

Eine Übersicht über die wesentlichen Wirkstoffgruppen mit den häufigsten Vertretern gibt Tabelle 4, eine ausführlichere Übersicht findet sich in Anhang 12.2. Diese Übersichten zu Wirkstoffen und Zusatzstoffen in Desinfektionsmitteln wurde anhand einer Marktrecherche der BGW Anfang 2020 ermittelt (siehe Anhäuser, Halsen et al. 2021). Für die einzelnen Einsatzbereiche werden in den jeweiligen Fachkapiteln die wesentlichen Wirkstoffgruppen detaillierter benannt.

Tabelle 4
Auswahl von Wirkstoffgruppen mit ihren häufigsten Vertretern und jeweiligen Einsatzbereichen.

WirkstoffgruppeBeispiel (CAS-Nr.)Einsatzbereich
Aldehyde/AldehydabspalterFormaldehyd (50-00-0), Glutaraldehyd (111-30-8), Glyoxal (107-22-2), (Ethylendioxy)dimethanol (3586-55-8) Flächen, Medizinprodukte
Alkohole (leichtflüchtig)Ethanol (64-17-5), 2-Propanol (67-63-0), 1-Propanol (71-23-8)Flächen, Hände, Haut
AlkylamineN-(3-Aminopropyl)-N-dodecylpropan-1,3-diamin (2372-82-9) Flächen, Medizinprodukte
Chlorabspaltende VerbindungenNatriumhypochlorit (7681-52-9)Flächen, Wasser
GuanidineCocospropylendiamin-1,5-bis-guanidiniumdiacetat (85681-60-3), Polyhexamethylenbiguanidhydrochlorid (27083-27-8) Flächen, Medizinprodukte
Iodabspaltende VerbindungenPolyvinylpyrrolidon-Iod (25655-41-8)Haut, Schleimhäute, Wunden
Organische SäurenMilchsäure (50-21-5), Maleinsäure (110-16-7), Zitronensäure (77-92-9)Flächen, Medizinprodukte, Dialysegeräte
PeroxidverbindungenPeroxyessigsäure (79-21-0), Wasserstoffperoxid (7722-84-1), Natriumpercarbonat (15630-89-4)Flächen, Medizinprodukte, Wäsche
Phenolverbindungen4-Chlor-3-methylphenol (59-50-7)Flächen, Medizinprodukte
Quartäre AmmoniumverbindungenDidecyldimethylammoniumchlorid (7173-51-5), Benzyl-C12-C16-alkyldimethylammoniumchlorid (68424-85-1) Flächen, Medizinprodukte

Toxikologische und gesundheitsschädliche Wirkung

Die folgenden Informationen zu toxikologischen und gesundheitsschädlichen Desinfektionsmittelwirkstoffen beschreiben grundsätzlich die intrinsischen Gefahren der reinen Stoffe. Diese Gefahren treten daher nicht zwangsläufig bei den unterschiedlichen Desinfektionsaufgaben wie Flächendesinfektion oder Aufbereitung von Medizinprodukten auf.

Aldehyde

Die Wirkstoffe Formaldehyd, Glutaraldehyd oder Glyoxal besitzen eine ätzende Wirkung auf die Haut, Augen und Atemwege, eine sensibilisierende Wirkung auf die Haut und Glutaraldehyd eine zusätzliche sensibilisierende Wirkung auf die Atemwege. Formaldehyd und Glyoxal werden verdächtigt, keimzellmutagen zu sein. Formaldehyd ist zudem als krebserzeugend der Kategorie 1B eingestuft (epidemiologische Studien haben Hinweise gegeben, dass bei Formaldehydexposition ein erhöhtes Risiko für Tumore der Nase bzw. des Nasenrachenraums besteht, siehe Euler et al. 2009). Obwohl aldehydhaltige Produkte ein breites Wirkspektrum haben und zudem im Einkauf günstig sind, werden sie aufgrund dieser Eigenschaften zusehends bei der Desinfektion von Flächen und Medizinprodukten durch andere Wirkstoffe ersetzt.

Alkohole

Die Wirkstoffe Ethanol und 2-Propanol können schwere Augenreizungen und 1-Propanol sogar schwere Augenschäden hervorrufen. Trockene Haut und Reizdermatosen (Folge einer Entfettung) können durch regelmäßigen dermalen Kontakt auftreten. Dabei gilt: Je länger die Kohlenstoffkette, desto höher das Reizpotenzial. 2-Propanol hat z. B. eine höhere Reizwirkung als Ethanol. Methanol ist der am gesundheitsschädlichste Alkohol, dieser wird aber nicht als desinfizierender Wirkstoff eingesetzt.

Der berufsbedingte Umgang mit Ethanol führt zu keiner nennenswerten Aufnahme des Stoffs in den Körper und bewirkt keine signifikante Veränderung der endogenen Blutalkoholkonzentration. Bei einer rein beruflichen Exposition sind weder kanzerogene noch teratogene Effekte zu erwarten.

Alkylamine

In hohen Konzentrationen wirken Alkylamine generell stark ätzend für die Haut und verursachen schwere Augenschäden. Oft werden Alkylamine als zusätzlicher Wirkstoff mit einer quartären Ammoniumverbindung für die Desinfektion von Flächen oder Medizinprodukten verwendet.

Chlorabspaltende Verbindungen

Natriumhypochlorit setzt Chlor frei, wirkt reizend auf Haut, Augen und Atemwege und in hohen Konzentrationen ätzend auf Haut und Augen. Das freigesetzte, elementare Chlor ist gasförmig und wird auch zum Desinfizieren von Wasser eingesetzt.

Guanidine

Je nach Gebrauchskonzentration haben Guanidine eine reizende bis ätzende Wirkung für Haut, Augen und Atemwege. Polyhexamethylenbiguanidhydrochlorid hat zudem eine hautsensibilisierende Wirkung. Guanidine werden oft als desinfizierender Wirkstoff in Kombination mit Alkoholen oder quartären Ammoniumverbindungen eingesetzt.

Iodabspaltende Verbindung

Iodiertes Polyvinylpyrrolidon ist zurzeit die einzige Iodverbindung, die als desinfizierender Wirkstoff eingesetzt wird. Die Lösungen sind hautverträglich und die Hautresorption ist sehr gering. Störungen der Schilddrüsenfunktion sind nicht bekannt.

Organische Säuren

Die organischen Säuren weisen allgemein ein reizendes bis teilweise ätzendes Potenzial für Haut und Augen auf. Maleinsäure wirkt darüber hinaus hautsensibilisierend.

Peroxidverbindungen

Peroxyessigsäure und Natriumpercarbonat setzen Wasserstoffperoxid frei. Peroxide sind generell starke Oxidationsmittel. Stark konzentrierte Lösungen können Reizungen der Haut, Augen und Atemwege verursachen.

Phenolverbindungen

Phenolderivate sind allgemein reizend und teilweise ätzend für Haut, Augen und die Atemwege. 4-Chlor-3-methylphenol wirkt darüber hinaus hautsensibilisierend und gesundheitsschädlich beim Verschlucken.

Quartäre Ammoniumverbindungen

Quartäre Ammoniumverbindungen (QAV) sind in hohen Konzentrationen stark ätzend für die Haut und verursachen schwere Augenschäden. Verschiedene Studien weisen auf eine inhalative Gefährdung bei einer Sprühdesinfektion hin.

3.3.2
Gefährdungen durch Desinfektionsmittel

Alle Gefahren gehen entweder direkt von den Inhaltsstoffen der Desinfektionsmittel aus oder von teilweise bei der Anwendung des Desinfektionsmittels entstehenden Reaktionsprodukten (Wirkstoffe entstehen in situ, z. B. Formaldehydabspalter und chlorabspaltende Verbindungen). Von der Desinfektionsaufgabe und dem Desinfektionsverfahren hängt ab, zu welchen Gefährdungen durch Desinfektionsmittel es kommen kann. Es können inhalative Gefährdungen durch die Dämpfe und Aerosole der Inhaltsstoffe, dermale Gefährdungen durch direkten Kontakt mit dem Desinfektionsmittel oder durch Spritzer bestehen sowie physikalische Gefährdungen durch entzündbare Inhaltsstoffe.

Aufnahmewege

Die wesentlichen Expositionswege sind das Einatmen von Gefahrstoffen (inhalativer Weg) und der Hautkontakt (dermaler Weg). Auch oral können Gefahrstoffe durch verschmutzte Hände und über Aerosole in den Verdauungstrakt gelangen. Das Verschlucken spielt bei der Durchführung von Desinfektionsarbeiten für die Beschäftigten nur eine marginale Rolle. Auf eine Betrachtung der oralen Exposition kann meist verzichtet werden, da diese wegen der erforderlichen Hygienemaßnahmen in den medizinischen Einrichtungen erfahrungsgemäß nicht relevant ist und eher einen Unfall darstellt. Die orale Exposition wird im Folgenden analog zur TRGS 525 nicht weiter betrachtet.

Kennzeichnung der Desinfektionsmittel

Desinfektionsmittel sind im allgemeinen Gemische aus einem oder mehreren desinfizierenden Wirkstoffen und einer Reihe an Zusatzstoffen wie Lösungsvermittlern, Tensiden, Duftstoffen etc. Sie sind abhängig von ihren Inhaltsstoffen mit verschiedenen Gefahrenpiktogrammen gekennzeichnet und mit den entsprechenden Gefahrenhinweisen (H-Sätzen) versehen. Informationen zur Kennzeichnung des Produkts können dem jeweiligen Sicherheitsdatenblatt in Abschnitt 2 entnommen werden. In Abschnitt 3 des Sicherheitsdatenblatts wird die Kennzeichnung jedes einzelnen Inhaltsstoffs des Desinfektionsmittels gesondert aufgeführt. Einzelne Hersteller stellen im Sicherheitsdatenblatt zudem Angaben zur Kennzeichnung der verdünnten Anwendungslösung zur Verfügung. Diese kann gegebenenfalls auch selbst ermittelt werden (z. B. Gemischrechner der GISCHEM). Dabei ist zu beachten, dass Desinfektionsmittel, die nur als Arzneimittel zugelassen oder als Medizinprodukte in Verkehr gebracht sind (siehe Kapitel 2.2), einer solchen Kennzeichnung nicht unterliegen. Die Desinfektionsmittel bergen keineswegs alle die gleichen Gefahren.

Die Desinfektionsmittel können folgende Piktogramme aufweisen (siehe auch DGUV Information 213-034 "GHS - Global Harmonisiertes System zur Einstufung und Kennzeichnung von Gefahrstoffen"):

  • (extrem/leicht) entzündbar (GHS02) oder oxidierend wirken (GHS03) als potenzielle Brandlast an Arbeitsplätzen

  • reizend (GHS07) oder ätzend (GHS05) für Haut und Augen

  • sensibilisierend für die Haut (GHS07)

  • akut toxisch (GHS06) oder gesundheitsschädlich (GHS07) als Ursache für leichte bis schwere gesundheitliche Schäden

  • gesundheitsgefährdend (GHS08) mit atemwegssensibilisierenden, krebserzeugenden, keimzellmutagenen, reproduktionstoxischen oder organschädigenden Eigenschaften

  • umweltgefährlich (GHS09) als eine Gefahr für Wasserorganismen

  • keine Gefahrenkennzeichnung

Tabelle 5 (S. 27) verdeutlicht die häufigste Kennzeichnung von Desinfektionsmitteln anhand von Gefahrenpiktogrammen nach einer Marktrecherche Anfang 2020 (siehe Anhäuser, Halsen et al. 2021). Bei Produkten, die mit GHS02 gekennzeichnet sind, handelt es sich überwiegend um gebrauchsfertige Lösungen oder Tücher zur alkoholischen Flächen- oder Hände-/Hautdesinfektion. Gebrauchsfertige Lösungen oder Tücher auf Basis quartärer Ammoniumverbindungen zur Flächendesinfektion sind oft mit keinem Piktogramm gekennzeichnet, Desinfektionsmittelkonzentrate für Flächen und Medizinprodukte sind hingegen mit GHS05, GHS07, GHS08 und/oder GHS09 gekennzeichnet.

Tabelle 5
Verteilung der Kennzeichnung von Desinfektionsmitteln nach absteigender Häufigkeit anhand von Gefahrenpiktogrammen Anfang 2020 (siehe Anhäuser, Halsen et al. 2021).

PiktogrammAnzahlFlächeHände/HautMedizinprodukte
GHS02, GHS073641332292
GHS0218015228
Ohne173137234
GHS05, GHS07, GHS091157045
GHS05, GHS091048024
GHS05, GHS07, GHS08, GHS09512229
GHS054735210
GHS02, GHS05, GHS074023143
GHS02, GHS05, GHS07, GHS08, GHS0922139
GHS072211110
GHS05, GHS07209110
GHS05, GHS07, GHS0820713
Weitere Piktogrammkombinationen7522845
Summe1.233714285234
ccc_3519_as_5.jpgccc_3519_as_6.jpgccc_3519_as_7.jpgccc_3519_as_8.jpgccc_3519_as_9.jpg
GHS02GHS05GHS07GHS08GHS09

Hinweise zu Art und Schweregrad der Gefährdung durch ein Desinfektionsmittel geben die Gefahrenhinweise (H-Sätze). Häufige H-Sätze in Desinfektionsmitteln sind beispielsweise (Auflistung ist nicht vollständig):

  • H225 Flüssigkeit und Dampf leicht entzündbar

  • H226 Flüssigkeit und Dampf entzündbar

  • H302 Gesundheitsschädlich beim Verschlucken

  • H318 Verursacht schwere Augenschäden

  • H319 Verursacht schwere Augenreizungen

  • H336 Kann Schläfrigkeit und Benommenheit verursachen

  • H410 Sehr giftig für Wasserorganismen, mit langfristiger Wirkung

  • H412 Schädlich für Wasserorganismen, mit langfristiger Wirkung

Einige Desinfektionsmittel besitzen besonders schädigende Eigenschaften, die durch die Zuordnung zu bestimmten H-Sätzen verdeutlicht werden. Dies sind Desinfektionsmittel, die hautsensibilisierend (H317), atemwegssensibilisierend (H334), haut- und atemwegssensibilisierend (H317, H334) oder krebserzeugend der Kategorie 1A oder 1B (H350) sind. Bisher sind keine Desinfektionsmittel oder deren Wirkstoffe als keimzellmutagen der Kategorie 1A oder 1B (H340) oder reproduktionstoxisch der Kategorie 1A oder 1B (H360(F/D/FD)) eingestuft. Aldehydhaltige Produkte (Formaldehyd, Glutaraldehyd, Glyoxal) und Produkte mit z. B. Polyhexamethylenbiguanidhydrochlorid, Maleinsäure oder 4-Chlor-3-methylphenol sind hautsensibilisierend, glutaraldehydhaltige Produkte zusätzlich atemwegssensibilisierend und formaldehydhaltige Produkte zusätzlich krebserzeugend der Kategorie 1B. Produkte mit Formaldehyd oder Glyoxal sind noch mit H341 eingestuft, da bei diesen Inhaltsstoffen der Verdacht zur Keimzellmutagenität (Kategorie 2) besteht.

Nach Gefahrstoffverordnung gelten bei Tätigkeiten mit bestimmten Biozidprodukten (z. B. Desinfektionsmittel) besondere Anforderungen an die Qualifikation der Verwender und Verwenderinnen (siehe Kapitel 3.1). Dies gilt für Desinfektionsmittel, die

  • akut toxisch Kategorie 1, 2 oder 3,

  • krebserzeugend, keimzellmutagen oder reproduktionstoxisch Kategorie 1A oder 1B oder

  • spezifisch zielorgantoxisch Kategorie 1 SE oder 1 RE sind

oder

  • für die die vorgesehene Anwendung in der Zulassung die Verwenderkategorie "geschulter berufsmäßiger Verwender" festgelegt wurde.

Anhand einer Marktrecherche der BGW Anfang 2020 wurden Desinfektionsmittelkonzentrate mit Formaldehyd (Einstufung: krebserzeugend Kat. 1B, Kennzeichnung: H350), vereinzelt Desinfektionsmittelkonzentrate mit Glutaraldehyd (Einstufung: akut toxisch Kat. 3, Kennzeichnung: H331, Einatmen) und mit N-Alkyl-C12-C14-propan-1,3-diamin oder N-Dodecylpropan-1,3-diamin (Einstufung: spezifisch zielorgantoxisch Kat. 1 RE, Kennzeichnung: H372) identifiziert (siehe Anhäuser, Halsen et al. 2021). Die überwiegende Anzahl an Desinfektionsmittelkonzentraten mit Glutaraldehyd ist in der Regel nur als akut toxisch Kategorie 4 eingestuft, diese Produkte sind insbesondere mit H302 (Gesundheitsschädlich bei Verschlucken) und/oder H332 (Gesundheitsschädlich bei Einatmen) gekennzeichnet. Zu beachten ist aber, dass Glutaraldehyd als Einzelstoff mit akut toxisch Kategorie 3 (Kennzeichnung: H301, Giftig bei Verschlucken) und akut toxisch Kategorie 2 (Kennzeichnung: H330, Lebensgefahr bei Einatmen) eingestuft ist. Der Einsatz von Desinfektionsmitteln mit diesen genannten Inhaltsstoffen ist zu prüfen.

Bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden oder keimzellmutagenen Stoffen oder Gemischen der Kategorie 1A oder 1B ist der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin an der Gefährdungsbeurteilung zu beteiligen.

Gefährdungen durch Desinfektionsverfahren

Werden Desinfektionsmittel offen verwendet, besteht die Möglichkeit für die Beschäftigten einer inhalativen und dermalen Exposition sowie bei bestimmten Desinfektionsmitteln eine Brand- und Explosionsgefahr (siehe Kapitel 3.3.4). Von einer desinfizierten Oberfläche oder aus einem Desinfektionsmittelbecken, wie es teils zur Desinfektion von Medizinprodukten eingesetzt wird, können flüchtige Substanzen verdunsten und in die Atemwege sowie an die Augenschleimhäute gelangen. Taucht man die Hände ohne geeignete Schutzhandschuhe in eine verdünnte Anwendungslösung, z. B. im Desinfektionsmittelbecken, besteht eine dermale Exposition. Beim Arbeiten am Desinfektionsmittelbecken können zudem Spritzer/Aerosole entstehen, die ebenfalls zu einer inhalativen oder dermalen Exposition führen.

Sprühverfahren führen häufig zu einer intensiven Aerosolbildung und können somit die Atemwege der Beschäftigten besonders belasten und das dermale Expositionsrisiko erhöhen.

Werden Desinfektionsmittel in Automaten und somit in möglichst geschlossenen Geräten eingesetzt, etwa in Dosierautomaten zur Verdünnung von Desinfektionsmittelkonzentraten oder in Reinigungs- und Desinfektionsgeräten zur Endoskopdesinfektion, sinkt - zumindest im störungsfreien Betrieb - die Möglichkeit des unmittelbaren Kontakts mit dem Desinfektionsmittel. Ein dermaler Kontakt ist folglich weitgehend ausgeschlossen, während die Intensität der inhalativen Exposition von der Ableitung entstehender Dämpfe aus dem Automaten und dem Aufstellungsraum abhängt. Ebenfalls wird die Gefährdung der Augen durch ätzende und augenschädigende Inhaltsstoffe in Desinfektionsmittelkonzentraten minimiert, da beim Einsatz von Automaten nicht manuell verdünnt wird. Vor- und nachbereitende Tätigkeiten (z. B. Anschließen von Desinfektionsmittelbehältern, Entsorgung von Desinfektionsmittellösungen und belasteten Arbeitsmitteln, Eingriffe bei technischen Störfällen) können ebenfalls zu inhalativen und dermalen Expositionen führen.

Folgen inhalativer und dermaler Exposition

a.
Gefährdungen durch Einatmen von Gefahrstoffen

Eine gesundheitliche Gefährdung ist dann möglich, wenn gefährliche Stoffe in Form von Gasen, Dämpfen, Aerosolen oder Stäuben in der Luft im Atembereich der Beschäftigten vorhanden sind. Auch Stoffe, die eine Sensibilisierung der Atemwege hervorrufen (H334), sind zu betrachten. Die inhalative Aufnahme ist für die Mehrzahl der Gefahrstoffe, so auch für die Desinfektionsmittel, der Hauptaufnahmeweg in den Körper.

Man unterscheidet nach dem Wirkort vor allem lokal begrenzte und systemische Wirkungen und nach dem zugrunde liegenden Pathomechanismus irritative und allergisierende Wirkungen.

Irritativ-toxische Wirkung

Desinfektionsmittel für Flächen oder Medizinprodukte oder Desinfektionswaschmittel können die Atemwege reizen, wenn sie in Form von Aerosolen oder Dämpfen eingeatmet werden.

Eine zunehmende Rolle spielen aber Desinfektionsmittel, die Peroxidverbindungen wie Peroxyessigsäure oder Wasserstoffperoxid enthalten. Beim Versprühen dieser Stoffe (Bildung von Aerosolen) besteht eine erhöhte Inzidenz von Atemwegserkrankungen (siehe Mazurek und Weissmann 2016). Abhängig von deren chemischen Eigenschaften werden sie nur in den oberen Atemwegen wirksam (Formaldehyd) oder gelangen auch in die Lunge.

Der häufige Gebrauch von Reinigungs- und Desinfektionsmitteln (mehr als einmal wöchentlich) für die Desinfektion von Flächen oder Medizinprodukten mit Inhaltsstoffen wie beispielsweise Wasserstoffperoxid, reinem Alkohol, Bleichmittel oder Glutaraldehyd sowie quartären Ammoniumverbindungen kann vermutlich das Risiko für chronische Atemwegserkrankungen wie COPD (keine Vorerkrankungen der Atemwege bekannt wie Asthma bronchiale) erhöhen (siehe De Mattheis et al. 2016, Dumas et al. 2019, Svanes et al. 2015).

Allergisierende Wirkung

Bei der Einwirkung von Stoffen auf die Atemwege und deren Gasaustauschflächen in den Lungenbläschen besteht die Gefahr, dass eine Sensibilisierung, d. h. eine Immunreaktion mit Bildung von Antikörpern, ausgelöst wird. Bei einer erneuten Aufnahme der Allergene kann es dann zu einer allergischen Überreaktion des Immunsystems kommen mit Symptomen wie Heuschnupfen, Husten bis zu Atemnot und Kreislaufstörungen. Diese Reaktion kann entweder sofort oder um einige Stunden verzögert auftreten.

Allergische Reaktionen sind z. B. nach Einatmen von Dämpfen und Aerosolen von Desinfektionsmitteln für Flächen und Medizinprodukte bekannt, die Aldehyde insbesondere Glutaraldehyd, aber auch Formaldehyd und Glyoxal enthalten (siehe Arif und Delclos 2012, Zock et al. 2010). Bei atemwegssensibilisierenden Stoffen schützt die Einhaltung von Arbeitsplatzgrenzwerten (AGW) nicht zuverlässig vor deren sensibilisierender Wirkung (siehe TRGS 406 und TRGS 900).

Verschiedene Studien diskutieren Hinweise auf ein mögliches erhöhtes Asthmarisiko beim Einsatz von Produkten mit Bleichmittel, Glutaraldehyd und quartären Ammoniumverbindungen (Starke et al., Clausen et al.).

In der Gesamtbetrachtung der Wechselwirkung zwischen Einflüssen am Arbeitsplatz, individuellen Voraussetzungen und Gesundheit spielen zusätzlich folgende Faktoren eine Rolle:

  • begleitende, zusätzliche toxische und irritative Einflüsse (Biostoffe, Luftschadstoffe) am Arbeitsplatz und im Privatbereich, die die durch Desinfektionsmittel bedingte Schädigung verstärken können,

  • Zigarettenkonsum oder andere inhalative Noxen,

  • andere Vorerkrankungen der Atemwege und der Lunge (bronchiale Hyperreagibilität), die sie besonders empfindlich gegen äußere Einflüsse machen können.

Diese Faktoren werden bei der betriebsärztlichen Beratung und der Beratung durch die behandelnden Ärzte und Ärztinnen beachtet.

b.
Gefährdungen durch Haut-/Schleimhautkontakt mit Desinfektionsmitteln

Gefährdend sind Stoffe und Zubereitungen, die nach Haut-/Schleimhautkontakt schädigende Wirkungen haben können. Sie können ätzend oder irritativ-toxisch wirken, aber auch hautresorptiv sein, also über die Haut in den Körper aufgenommen werden, wodurch es zu Sensibilisierungen oder aber auch zu Organ- oder Fruchtschädigungen kommen kann. Ob ein bestimmtes Produkt entsprechende schädigende Eigenschaften hat, kann dem Sicherheitsdatenblatt entnommen werden. Eine gute Übersicht über die H-Sätze und die entsprechenden Piktogramme findet sich in der DGUV Information 212-017 "Auswahl, Bereitstellung und Benutzung von beruflichen Hautmitteln". Die Hautgefährdungen durch Desinfektionsmittel werden im Folgenden beschrieben.

Ätzend

Stark hautschädigende Stoffe unter den Desinfektionsmitteln für Flächen und Medizinprodukte im Gesundheitsdienst wie Säuren und Laugen können schon bei einmaligem Kontakt zu einer akuten Schädigung der Haut, einem akut toxischen Kontaktekzem führen. Abhängig von der Konzentration des Stoffes und der Einwirkzeit entwickelt sich eine Hautschädigung unterschiedlicher Schwere. Hierbei zeigen sich je nach Intensität der Hautschädigung im Krankheitsverlauf Rötung, Ödem, Bläschen, Erosionen, Krustenbildung und Schuppung. In schweren Fällen kann es auch zum massiven Absterben von Hautzellen und zu sichtbaren Nekrosen kommen.

Irritativ-toxisch

Stoffe, die bei einmaligem Kontakt nicht oder nur schwach irritativ sind, können bei ständig wiederkehrender Einwirkung über einen längeren Zeitraum hautschädigend sein. Entsprechend wirken z. B. mechanische Reize, Feuchtarbeit, Spülmittel, Haushaltsreiniger, aber auch Seifen. Je nach individueller Hautempfindlichkeit sowie Intensität und Häufigkeit der schädigenden Einwirkung können bestimmte Desinfektionsmittel für Flächen und Medizinprodukte zu der Entstehung einer kumulativsubtoxischen Kontaktdermatitis im Handbereich beitragen (siehe Ibler et al. 2012a, Ibler et al. 2012b). Im ersten Stadium des sogenannten Abnutzungsekzems entwickelt sich in der Regel eine trockene, raue und gegebenenfalls auch schuppende Haut. Im Verlauf kommen Rötung und Infiltration hinzu und es können sich schmerzhafte, bei Exposition blutende Einrisse der Haut (Rhagaden) und chronische Entzündungen durch bakterielle Superinfektion entwickeln.

Allergisierend

Durch die Hautschädigung (Abnutzungsekzem) kann bei Kontakt mit chemischen Schadstoffen (z. B. Aldehyde) wegen der Hautbarrierestörung leichter ein allergisches Kontaktekzem ausgelöst werden. In diesen Fällen spricht man von einem 2-Phasen-Ekzem, weil das Abnutzungsekzem der Wegbereiter für das allergische Handekzem ist. Es gibt Hinweise, dass quartäre Ammoniumverbindungen bei regelmäßigem Kontakt sensibilisierend wirken können (siehe Kadivar und Belsito 2015).

c.
Systemische Gesundheitsschädigungen

Systemische Gesundheitsschädigungen treten an weiter entfernten Organen auf und werden für einige Stoffe beschrieben, sind jedoch für Tätigkeiten im Gesundheitsdienst bisher nicht bekannt.

Formaldehyd

In einigen epidemiologischen Studien wurde festgestellt, dass sich Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Tumore der Nase bzw. des Nasenrachenraums oder der Nasennebenhöhlen nach Formaldehydexposition ergeben (siehe Euler et al. 2009). Jedoch fehlen gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse, welche Einwirkungshöhe bzw. -dauer zu einem erheblich höheren Krankheitsrisiko führt. Aus den bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse ist mit dem AGW ein gesundheitsbasierter Schwellenwert für die Exposition am Arbeitsplatz in Höhe von 0,37 mg/m3 abgeleitet worden. Bei Tätigkeiten mit formaldehydhaltigen Desinfektionsmitteln im Gesundheitsdienst sind bisher keine erhöhten Krebserkrankungsraten nach beruflicher Exposition bei Desinfektionsarbeiten bekannt.

Hautresorptive Stoffe

Wenn Stoffe hautresorptive Eigenschaften haben, können sie aufgrund ihrer physikalisch-chemischen Eigenschaften über die vorgeschädigte oder intakte Haut aufgenommen werden und Organerkrankungen verursachen. Bei einigen Stoffen kann neben dem direkten Hautkontakt auch die Aufnahme des Stoffes über die Gas-/Dampfphase einen zusätzlichen relevanten Aufnahmepfad darstellen (Beispiel: 2-Butoxyethanol in Reinigungsmitteln, siehe DGUV Regel 101-019 "Umgang mit Reinigungs- und Pflegemitteln"). Gefährliche Stoffeigenschaften werden näher in der TRGS 401 beschrieben. In der Liste der TRGS 900, die die Arbeitsplatzgrenzwerte beschreibt, sind ebenfalls die Stoffe mit einem "H" vermerkt, die neben einer inhalativen Gefährdung auch hautresorptiv sind. Für Stoffe mit diesem Eintrag ist die Einhaltung des Arbeitsplatzgrenzwertes für den Schutz der Gesundheit nicht ausreichend. Durch organisatorische und arbeitshygienische Maßnahmen wird zudem der Hautkontakt mit diesen hautresorptiven Stoffen vermieden (siehe TRGS 900).

Ethanol

Der Alkohol Ethanol wirkt insbesondere bei oraler Aufnahme neurotoxisch. Bei routinemäßigen Desinfektionstätigkeiten mit ethanolhaltigen Produkten im Gesundheitsdienst wurden bisher keine neurotoxischen Wirkungen mit Krankheitswert beschrieben.

Zusammenfassend wurden im Gesundheitsdienst bisher keine systemischen Gesundheitsschädigungen durch Einatmen oder durch Hautkontakt mit Desinfektionsmittelinhaltsstoffen festgestellt. Es sind auch keine reproduktionstoxischen oder keimzellmutagenen Inhaltsstoffe der Kategorie 1 in Desinfektionsmitteln bekannt.

3.3.3
Gefährdung durch Feuchtarbeit

Feuchtarbeit spielt im Gesundheitsdienst in Bezug auf die Hautgefährdung eine besonders wichtige Rolle: Sie ist eine der häufigsten Ursachen für die Entstehung eines kumulativ toxischen Handekzemes, dem sogenannten Abnutzungsekzem. Die natürliche Hautbarriere wird durch Feuchtarbeit gestört und es kommt zur Austrocknung und Schädigung der Haut. Durch die trockene, rissige Haut können Schadstoffe und auch Allergene in den Körper eindringen, was zur Entwicklung eines allergischen Kontaktekzems führen kann. In diesen Fällen spricht man von einem 2-Phasen-Ekzem, weil das Abnutzungsekzem der Wegbereiter für das allergische Handekzem ist.

Arbeitsbedingungen, die eine Feuchtarbeit bedingen, werden in der TRGS 401 beschrieben. Der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin hat im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln, ob die Kriterien für Feuchtarbeit vorliegen.

Das Tragen von Handschuhen ist für die Haut weniger belastend als ein direkter Wasserkontakt. Deshalb ist dem Handschuhtragen der Vorrang vor dem direkten Wasserkontakt zu geben. Der hautschützende Effekt durch Handschuhe ist größer als der hautschädigende Effekt durch Okklusion. Bei längeren Tragezeiten kann es sinnvoll sein, Unterziehhandschuhe aus Baumwolle oder anderen Geweben mit vergleichbaren Eigenschaften (Saugfähigkeit, Hautverträglichkeit) zu tragen.

Schutzhandschuhe verhindern nicht nur den Wasserkontakt, sondern bieten Schutz vor Infektionen und vor Kontakt mit hautschädigenden Stoffen wie Irritanzien und allergenen Arbeitsstoffen.

Bei Reinigungs- und Desinfektionsarbeiten sollen Handschuhe zum Schutz vor Chemikalien (Chemikalienschutzhandschuhe) verwendet werden (siehe Kapitel 3.5.4).

Weitere praktische Hinweise zum Tragen von Schutzhandschuhen sind im Anhang 12.3 aufgeführt.

3.3.4
Physikalisch-chemische Gefährdungen

In den Einrichtungen des Gesundheitsdienstes gehört der regelmäßige und intensive Umgang mit alkoholischen Desinfektionsmitteln in fast allen Bereichen zur täglichen Arbeitsroutine. Der Umgang erfolgt einerseits in der Anwendung als Haut- und Händedesinfektionsmittel sowie zur schnellen und kleinflächigen manuellen Desinfektion von Flächen und Medizinprodukten und andererseits im Rahmen der Lagerung und bei Abfüllvorgängen. Der Umgang mit alkoholischen Desinfektionsmitteln birgt grundsätzlich, d. h. auch bei kleinen Mengen, eine Brand- und Explosionsgefahr für Beschäftigte, Patienten und Patientinnen sowie andere Dritte (siehe auch DGUV Information 213-032 "Gefahrstoffe im Gesundheitsdienst", Kapitel 19).

Insbesondere gebrauchsfertige Lösungen und Tücher zur Hände- und Hautdesinfektion sowie gebrauchsfertige Lösungen und Tücher zur Flächendesinfektion enthalten einen hohen Anteil an Ethanol, 1-Propanol und 2-Propanol. Aufgrund des Alkoholgehalts von bis über 90 Gew.-% besitzen alkoholische Desinfektionsmittel einen niedrigen Flammpunkt, was zur Folge hat, dass bereits bei Raumtemperatur ein entzündbares Dampf-Luft-Gemisch entstehen kann, das schwerer als Luft ist. Konzentrate zur Desinfektion von Flächen oder Medizinprodukten können ebenfalls Alkohole, insbesondere 2-Propanol mit bis zu 15 Gew.-% enthalten. Diese alkoholhaltigen Desinfektionsmittelkonzentrate bergen ebenfalls eine Brand- und Explosionsgefahr, die daraus hergestellten verdünnten Anwendungslösungen sind nicht mehr entzündbar.

Werden Sauerstoffabspalter (z. B. Peroxide) in hoher Konzentration zur Desinfektion verwendet, kann brandfördernder Sauerstoff freigesetzt werden.

Der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin hat gemäß Gefahrstoffverordnung auf Grundlage einer Gefährdungsbeurteilung Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten und sonstiger Personen gegen physikalisch-chemische Einwirkungen, insbesondere Brand- und Explosionsgefährdungen zu treffen. Die TRGS der Reihen 700 und die TRGS 800 konkretisieren diese Vorgaben.

Weitere Informationen über sicherheitstechnische Festlegungen zum Brand- und Explosionsschutz geben:

  • DGUV Regel 113-001 "Explosionsschutz-Regeln

    (EX-RL, Anlage 4 zu brennbaren Desinfektionsmitteln, Punkt 4.6.1),

  • DGUV Information 205-001 "Betrieblicher Brandschutz in der Praxis",

  • Leitfaden "Modul Brand und Explosion" des

    "Einfachen Maßnahmenkonzepts Gefahrstoffe" (EMKG)
    ccc_3519_as_10.jpgwww.baua.de.

3.3.5
Expositionsermittlung bei Desinfektionstätigkeiten

Bei der Beurteilung der Belastungen durch chemische Desinfektionsmittel muss gemäß § 6 GefStoffV das Ausmaß der auftretenden inhalativen und dermalen Exposition berücksichtigt werden. Folgende Kriterien sind dabei zu beachten:

Die Höhe inhalativer Expositionen ist insbesondere abhängig von:

  • dem angewendeten Verfahren:

    Bei der Scheuer-Wisch-Desinfektion kann es zum Verspritzen von Tröpfchen aufgrund des mechanischen Auftragungsvorgangs kommen. Im Verhältnis zur Sprühdesinfektion, bei der die gesamte Desinfektionsmittelmenge durch eine Düse verteilt wird, ist aber die Tröpfchenbildung bei der Scheuer-Wisch-Desinfektion zu vernachlässigen. Eine Sprühdesinfektion ist nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig.

  • den physikalischen Eigenschaften der Inhaltsstoffe:

    Insbesondere Alkohole (z. B. Ethanol oder 2-Propanol), Aldehyde (z. B. Formaldehyd, Glutaraldehyd, Glyoxal) und Peroxide (z. B. Wasserstoffperoxid) haben einen Dampfdruck, der zu einer relevanten inhalativen Exposition führen kann.

  • der Konzentration der Inhaltsstoffe:

    Für die Exposition der Beschäftigten ist nicht allein die Konzentration eines Wirkstoffs im Desinfektionsmittelkonzentrat ausschlaggebend, sondern vorwiegend die Konzentration in der Anwendungslösung, die ja durch eine Verdünnung, oft auf 0,5 % oder wenn erforderlich auch bis ca. 4 %, erreicht wird.

  • der Größe der zu desinfizierenden Fläche und der Menge der verwendeten Anwendungslösung:

    Gelangt ein Desinfektionsinhaltsstoff durch Verdunstung in die Raumluft, so ist die Geschwindigkeit der Gefahrstoffemission proportional zur Größe der benetzten, d. h. feuchten, Oberfläche. Die Menge der verwendeten Anwendungslösung kann dabei einen Einfluss auf die Größe dieser Oberfläche haben, da sehr nasse Flächen langsamer trocknen als sparsam gewischte Flächen.

  • der Raumgröße:

    Die in die Raumluft gelangenden Gefahrstoffe verteilen sich im Idealfall im gesamten zur Verfügung stehenden Raumvolumen.

  • der Raumlüftung:

    Bei einer ausreichenden technischen oder natürlichen Lüftung (raumlufttechnische Anlagen oder offene Fenster) werden die emittierenden Gefahrstoffe aus dem Raum entfernt.

  • der Expositionszeit der Beschäftigten:

    Die Exposition der Beschäftigten hängt nicht nur von der Zeit ab, während ein Stoff in die Luft des Arbeitsbereichs hineingelangt, sondern ebenfalls von der Zeit, die die Beschäftigten in einer kontaminierten Umgebungsluft arbeiten.

  • der Position der Beschäftigten zur desinfizierten Fläche:

    Da Gefahrstoffe oft punktuell in die Raumluft gelangen, können Beschäftigte, die ständig nahe an einer Schadstoffquelle arbeiten, höher belastet sein als Beschäftigte im gleichen Raum, die sich ständig im Raum bewegen oder von der Schadstoffquelle weit entfernt sind.

Die Höhe dermaler Expositionen wird im Wesentlichen bestimmt von:

  • der Konzentration der Inhaltsstoffe:

    Die Konzentration spielt eine Rolle sowohl für die lokalen Wirkungen auf die Haut als auch bei der Bewertung systemischer Effekte (z. B. Auswirkungen auf Organe).

  • der benetzten Hautfläche:

    Bei lokalen Effekte (z. B. Reizungen und Verätzungen) als auch bei der Stoffaufnahme durch die Haut spielt die Größe der benetzten Hautfläche eine wichtige Rolle, d. h. die Benetzung der Haut durch Spritzer oder die vollständige Benetzung der Haut (z. B. das Eintauchen der Hand in einen Eimer oder ein Desinfektionsbad).

  • der Länge der Kontaktzeit:

    Während die Benetzung der Haut durch Spritzer in der Regel kurzzeitig stattfindet (< 15 min), wird die Haut bei längeren Tätigkeiten (> 15 min), z. B. bei der manuellen Desinfektion von Flächen mit einem getränkten Tuch wesentlich intensiver belastet.

Neben den betrachteten Einflussgrößen sollten auch der Einfluss der Beschäftigten auf die inhalative und dermale Exposition nicht vergessen werden. Individuelle Erfahrung mit der jeweiligen Tätigkeit und unterschiedliches Verhalten wie Akzeptanz von Verspritzen und Pfützenbildung können die Exposition eines Beschäftigten positiv und negativ beeinflussen.

Für die Ermittlung der Höhe der inhalativen oder dermalen Exposition sind verschiedene Methoden möglich. Eine qualitative Abschätzung der Exposition kann über Experten und Expertinnen erfolgen, die alle expositionsrelevanten Rahmenbedingungen wie die verwendeten Desinfektionsmittel, Verfahren und Expositionsdeterminanten kennen. Hierzu zählen die Fachkraft für Arbeitssicherheit, der Betriebsarzt und die Betriebsärztin, andere fachkundige Personen und der Hersteller von Desinfektionsmitteln. Es kann überprüft werden, ob schon Aussagen über mögliche Expositionen publiziert worden sind. Für eine quantitative Abschätzung der inhalativen Exposition bieten personenbezogene oder stationäre Raumluftmessungen genaue Aussagen. Für eine Quantifizierung dermaler Expositionen stehen hingegen noch keine Routineverfahren zur Verfügung. Verschiedene weitere nichtmesstechnische Ermittlungsmethoden bieten eine Möglichkeit, Expositionsszenarien zu beschreiben.