Fachbeitrag  Arbeitssicherheit  

Serie: Kennzahlen im Arbeitsschutz - Teil I: Übliche und weniger übliche Kennzahlen

Es ist wichtig, die spezifischen Kennzahlen aus dem Bereich Arbeitsschutz zu kennen.
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Die Qualität des Arbeitsschutzes in einem Unternehmen lässt sich mit unterschiedlichen Kennzahlen messen. Diese machen auch den Vergleich zwischen Unternehmen, Branchen sowie Ländern möglich. Im ersten Teil unserer Serie stellen wir übliche und weniger übliche Kennzahlen vor und bewerten ihre Aussagekraft.

 

Key (Safety) Performance Indicators eindeutig definieren

Organisationen haben aufgrund von gesetzlichen, ethischen und ökonomischen Gründen das Ziel, ihren Mitarbeitern einen möglichst sicheren Arbeitsplatz zu gewährleisten. Als Maß für die Zielerreichung werden Kennzahlen definiert, sogenannte Key (hier: Safety) Performance Indicators, auch als KPIs oder SPIs bezeichnet.

Die Kennzahlen sind jedoch mit Vorsicht zu verwenden. Sie müssen eindeutig definiert werden und möglichst wenig Spielraum für Interpretationen lassen, um wirklich aussagekräftig zu sein. Dieser Beitrag stellt übliche und seltener verwendete Arbeitsschutzkennzahlen dar und bewertet diese.

Arbeitsschutzkennzahlen zu definieren ist problematisch

Zur Vorbeugung von Arbeitsunfällen wäre es am besten, wenn es gelänge, bereits im Vorfeld Situationen und Handlungen zu erfassen, die das Potenzial zu Unfällen haben - beispielsweise die Nichtbenutzung persönlicher Schutzausrüstung oder die Verwendung einer nachlässig angelehnten Leiter. Dieses Vorhaben scheitert jedoch aus zwei Gründen:

1. Die Beurteilung von unsicheren Situationen und Handlungen ist subjektiv.
2. Unter Umständen müsste eigenes Fehlverhalten öffentlich gemacht werden.

Beide Faktoren sind stark von der unternehmensspezifischen Arbeitsschutzkultur geprägt und daher für Vergleiche zwischen verschiedenen Organisationen nicht geeignet.

Präziser zu fassen sind unsichere Handlungen beziehungsweise Situationen, die zu einer Verletzung führen: Je schwerer ein Unfall ist, desto genauer wird er in der Regel erfasst und dokumentiert. Mit zunehmender Schwere eines Unfalles resultieren Folgen, die nicht mehr beschönigt oder gar verheimlicht werden können. Die Spanne erstreckt sich von Erste-Hilfe-Maßnahmen über den Arztbesuch, einen Schonarbeitsplatz bis hin zu Ausfallzeiten, die sich mit zunehmender Unfallschwere verlängern. Es muss also eine eindeutige Schwelle definiert werden, ab der Unfälle erfasst werden.

Anzahl meldepflichtiger Unfälle als SPI

Eine weitere Kennzahl lässt sich aus der Anzahl meldepflichtiger Arbeitsunfälle ableiten. Ab einem bestimmten Schweregrad sind in vielen Ländern Unfälle an Aufsichtsorgane und/oder Versicherungsträger zu melden. Diese Notwendigkeit erfordert eine möglichst genaue Definition.

Allerdings sind die Schwellenwerte der Meldepflicht in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich geregelt, wie folgende Übersicht (Tab. 1) für ausgewählte Länder zeigt.


Land Meldepflicht Institution
Deutschland Arbeits- oder Wegeunfall, der zu einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen oder zum Tod führt. Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung,
DGUV [1]
USA Im Wesentlichen (teils umfangreiche Definitionen):
  • Tod
  • Abwesenheit von einem Tag und mehr
  • Medizinische Behandlung über Erste Hilfe hinaus
  • Bewusstlosigkeit
  • Signifikante Verletzung, die von einem Arzt diagnostiziert wird
  • Weitere Definitionen
US Dept. of Labor, Occupational Safety and Health Administration, OSHA [2]
Großbritannien Im Wesentlichen (teils umfangreiche Definitionen):
  • Tod
  • Speziell definierte Verletzungen
  • Arbeitsunfähigkeit von mehr als sieben aufeinanderfolgenden Tagen (Arbeitsunfähigkeit von vier bis sieben Tagen muss nur dokumentiert werden)
Health and Safety Executive (Körperschaft öffentlichen Rechts), HSE [3]
Kanada Zeitgestaffelte Meldungen je nach Unfallschwere in 24, 72 Stunden oder 14 Tagen für speziell definierte Verletzungen und/oder Unfallursachen. Einreichung eines Jahresberichtes mit Angaben zum Unfallgeschehen, Toten, Berufskrankheiten und anderen gefährlichen Ereignissen Government of Canada, Labour Program [4]


Tab. 1: Vergleich der Meldepflicht von Unfällen in ausgewählten Ländern

Welche Unfälle den Behörden zu melden sind, ist also sehr unterschiedlich geregelt. Ein direkter Vergleich scheidet somit weitgehend aus. Auch die Eindeutigkeit lässt bei komplizierten Definitionen mit der Notwendigkeit langer Erläuterungen zu wünschen übrig, z. B. bei den amerikanischen und kanadischen Institutionen ([2] und [4]).

Bewährte Kennzahlen aus der Praxis

Es werden somit Kennzahlen benötigt, die eindeutig definiert und international vergleichbar sind. International tätige Konzerne verwenden daher seit langem andere Kennzahlen, die zwar einfach und eindeutig sind, deren Definition sich jedoch auch voneinander unterscheidet.

Folgende Definitionen und Kennzahlen sind sinnvoll und haben sich in der Praxis bewährt:

 

Unfall mit Ausfallzeit

Verletzungsbedingter Arbeitsausfall an mindestens 1 Tag, wobei der Unfalltag nicht mitzählt. Todesfälle (siehe unten) sind eingeschlossen

 

Unfallhäufigkeit - Lost Time Injury Rate (LTIR)

Anzahl der Unfälle mit Ausfallzeit (1 Tag und mehr) pro 1 Million Arbeitsstunden

Der Vorteil dieser am häufigsten verwendeten Definitionen liegt in ihrer Eindeutigkeit. Weder die Vorstellung bei einem Arzt noch unterschiedliche Stufen von Bewusstlosigkeit oder über Erste Hilfe hinausgehende Maßnahmen müssen genauer definiert werden. Dagegen ist die unfallbedingte Abwesenheit am auf den Unfall folgenden Tag (und länger) eindeutig. Der Bezug auf die Arbeitszeit ist sinnvoller als der auf die Mitarbeiterzahl, da Arbeitszeiten international um bis zu 20 Prozent differieren.

Gelegentlich wird auch der Begriff Lost Time Injury Frequency (Rate)- LTIF(R) verwendet, der aber die gleiche Bedeutung hat.

Todesfälle werden selbstverständlich separat erfasst. In sehr großen Organisationen bzw. ganzen Industriebranchen oder Ländern ist es sinnvoll, diese ebenfalls auf die geleistete Arbeitszeit zu beziehen.

 

Arbeitsbedingter Todesfall

Ein Unfall mit Todesfolge, wenn der Tod sofort oder innerhalb von 30 Tagen nach dem Unfall eingetreten ist (DGUV).

 

Todesfallhäufigkeit - Fatal Accident Rate (FAR)

Anzahl der Todesfälle pro 1 Million Arbeitsstunden

Neben der Häufigkeit kann auch die Schwere eines Unfalles über die mittlere Anzahl der Ausfalltage erfasst werden.

 

Unfallschwere - Severity of Accidents (SA)

Anzahl der Ausfalltage (Kalendertage ohne Unfalltag) bezogen auf die Anzahl der Unfälle (i. e. durchschnittliche Ausfallzeit)

In einigen Ländern werden die Kennzahlen nicht auf eine Million, sondern auf 200.000 Arbeitsstunden bezogen.

Weitere Definitionen und Kennzahlen

In Deutschland werden der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) alle Unfälle mit mehr als drei Ausfalltagen und Todesfälle gemeldet. Zur Darstellung der zeitlichen Entwicklung wird die anschauliche Tausend-Mann-Quote herangezogen, die mit der Anzahl der meldepflichtigen Unfälle gebildet wird.

 

1.000-Mann-Quote (TMQ)

Anzahl der Arbeitsunfälle mit mehr als drei Kalendertagen Ausfallzeit oder Tod bezogen auf 1.000 Vollarbeiter. Ein Vollarbeiter entspricht der durchschnittlich von einer vollbeschäftigten Person im produzierenden Gewerbe und Dienstleistungsbereich tatsächlich geleisteten Arbeitsstundenzahl pro Jahr [1].

Analog hierzu wird international die Kennzahl Recordable Injury Rate (RIR) verwendet.

 

Recordable Injury Rate (RIR)

Anzahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle bezogen auf 1 Million Arbeitsstunden

Allerdings wird die RIR auch häufig auf 200.000 Arbeitsstunden bezogen. Da aber, wie gezeigt, die Meldepflicht sehr unterschiedlich ist, sollte diese Kennzahl nur für Trends und Vergleiche in einem Land verwendet werden. Gelegentlich wird anstelle der RIR auch die TRIR (Total Recordable Injury Rate) verwendet, wenn alle Kategorien der Meldepflicht zusammengefasst werden sollen.

Weniger übliche Kennzahlen

Zur Beschreibung der Qualität des Arbeitsschutzes in Organisationen können weitere Kennzahlen herangezogen werden. Führt ein Arbeitsunfall zu permanenter Arbeitsunfähigkeit, so wird (in Deutschland) eine Unfallrente gezahlt. Die in einem Jahr neu hinzugekommenen Fälle stellen ebenfalls ein Maß für das Arbeitsschutzniveau dar. Bezogen auf die Anzahl der Beschäftigten beziehungsweise auf die geleistete Arbeitszeit ergibt sich somit eine weitere Kennzahl, deren Größenordnung zwischen den Werten für meldepflichtige Unfälle und Todesfällen liegt.

 

Rate der Unfallrente

Anzahl der in einem Jahr neu hinzugekommenen Fälle, für die erstmals eine Rente, Abfindung oder Sterbegeld (Todesfall) gezahlt wird, bezogen auf 1.000 Vollarbeiter (Definition siehe oben) oder 1 Million Arbeitsstunden [1].


Alle bisher aufgeführten Kennzahlen beschreiben die Folgen von Unfällen. Um zu sinkenden Unfallzahlen zu kommen, muss jedoch präventiv agiert werden. Aus den Aktivitäten zur Prävention können ebenfalls messbare Kennzahlen definiert werden, diese stellen wir Ihnen im 2. Teil unserer Serie »Kennzahlen im Arbeitsschutz« vor.

Quelle/Text: Norbert Kalkert
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Literaturhinweise

[1] Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, DGUV: DGUV-Statistiken für die Praxis, 2013, Bonifatius-Verlag, Paderborn; siehe auch: BAuA, Bundesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2013, www.baua.de/suga

[2] United States Department of Labor, Occupational Safety and Health Administration, OSHA: OSHA Recordkeeping Handbook, OSHA 3245-03R, Kurzform unter: www.osha.com/recordkeeping

[3] UK-Health and Safety Executive, HSE: Reporting Accidents and Incidents at Work, INDG453(rev1); www.hse.gov.uk/pubns/indg453.pdf

[4] Government of Canada, Labor Program: Hazardous Occurence Investigation Recording and Reporting - Pamphlet 7, www.labour.gc.ca/eng/health_safety/pubs_hs/hoir.shtml



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