Arbeitssicherheitsverantwortliche haben täglich mit der Bewertung von Risiken zu tun, um die Sicherheit im gesamten Unternehmen zu garantieren. Damit sie zukünftig auch neue Technologien sicher bewerten, benötigen Sie modernste Analysemethoden und geeignete Instrumente für die Entscheidungsfindung. Dr. André Gazsó, Vorsitzender der österreichischen Nanoinformationskommission, im Interview darüber, wie sich Risiken von morgen berechnen lassen.
arbeitssicherheit.de: Sehr geehrter Herr Dr. Gazsó, Sie sind Experte für »Predictive Analytics«. Das ist eine Methode, die auf der Grundlage von (statistischen) Daten, die wahrscheinliche Zukunft und Trends voraussagt. Das klingt für viele zunächst mehr nach IT als nach Arbeitssicherheit. Worum wird es gehen?
Dr. André Gazsó: Es geht um die Bewertung möglicher Risiken im Zusammenhang neuer Technologien. Generell befassen wir uns mit sogenannten advanced materials, also Materialien, die auf Grund ihrer Beschaffenheit neue Eigenschaften erwarten lassen, die sie in ihrer konventionellen Form nicht besitzen. Darüber hinaus geht es auch um sogenannte emerging risks, also Risiken, die noch nicht vollständig ermittelt, charakterisiert und bewertet werden konnten.
Sie sind ein ausgewiesener Experte im Bereich Risikomanagement neuer Technologien. Warum sind gängige Analyse-Methoden bei neuen Technologien nicht mehr ausreichend?
Prinzipiell sind neue Entwicklungen, auf welchem Gebiet auch immer, schwer zu fassen, da die jeweils existierende Erkenntnislage noch unzureichend, divers und teilweise widersprüchlich ist. Eine Risikobewertung verlangt jedoch, dass wir zumindest über Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit gut Bescheid wissen. Im Gegensatz dazu bewerten und managen wir in vielen Fällen weniger Risiken als Ungewissheiten. Das allerdings geschieht nicht in beliebiger Form, sondern ebenso systematisch.
Welche Konsequenzen ergeben sich für die Arbeitssicherheit? Was sollen die Fach- und Führungskräfte in diesem Bereich mit in die Unternehmen nehmen?
Wie wir aus unseren Erfahrungen in der Risiko-Governance der Nanotechnologien wissen, bietet uns das Vorsorgeprinzip ein weites Feld, neue Entwicklungen jenseits von fruchtlosen Polarisierungen vorab zu bewerten und zu regulieren. Dazu sind allerdings mehrere Voraussetzungen nötig: Erstens sind die Identifikation und Bewertung möglicher Wirkungen neuer Materialien und Produkte von Ungewissheiten begleitet. Daher ist der Bewertungsprozess komplex, zeitaufwändig und benötigt entsprechende Ressourcen. Zweitens muss ein solcher Prozess inter-, ja sogar transdisziplinär geführt werden. Und schließlich haben wir es bei den meisten neuen Entwicklungen mit einer ständig veränderlichen Erkenntnislage zu tun. Wir verfolgen also ein moving target, was eine weitere Herausforderung für die Planung und Durchführung entsprechender Bewertungsprozesse darstellt.
Zu guter Letzt: Was möchten Sie Arbeitssicherheitsverantwortlichen für ihre tägliche Arbeit mit auf den Weg geben?
Arbeitssicherheit ist in mehrfacher Hinsicht ein zentraler Aspekt in der Bewertung und Regulierung von Innovation und einer der Garanten dafür, dass neue Materialien auf eine verantwortungsvolle und nachhaltige Weise entwickelt werden. Die Verbindung von Innovation, Sicherheit und Nachhaltigkeit ist kein triviales Ziel, jedoch mit entsprechendem Aufwand leistbar. Der Arbeitnehmerschutz leistet hierzu einen wichtigen Beitrag.
Vielen Dank für das interessante Gespräch, Herr Dr. Gazsó!
Quelle/Text: arbeitssicherheit.de, DASK 2020
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