Fachbeitrag  Arbeitssicherheit  

Kennzahlen im Arbeitsschutz - Teil III: Zusammenhang zwischen Unfallhäufigkeit und Unfallschwere

Hängt die Unfallhäufigkeit irgendwie mit der Schwere von Arbeitsunfällen zusammen? Dieser Frage geht der 3. und letzte Teil der Serie zu Kennzahlen im Arbeitsschutz nach.


Weniger kleine Unfälle durch weniger große Unfälle

Die Aussage, dass es einen Zusammenhang zwischen der Unfallhäufigkeit und der Unfallschwere gibt, liegt dem sogenannten »Unfalldreieck« zu Grunde. Es besagt, dass weniger kleine Unfälle mit einer Reduzierung der schweren Unfälle einhergehen. Für Deutschland haben sich die Häufigkeit der meldepflichtigen Unfälle, neue Renten und Todesfälle fast in einem konstanten Verhältnis entwickelt (Abb. 1 - siehe Serie Teil I). Dies ist jedoch kein Beweis für einen Zusammenhang. Einzelne Faktoren, die unabhängig voneinander auf die Kennzahlen einwirken, könnten die Ursache darstellen. Die im ersten Teil der Serie angeführten drei Hauptfaktoren für die Verbesserung des Arbeitsschutzes wirken in unterschiedlichem Maße auf die Kennzahlen ein.

Von F. A. Manuele [11] wird die Hypothese vertreten, dass eine einseitige Konzentrierung auf die Vermeidung kleiner Unfälle durch Beeinflussung des Verhaltens am Ziel vorbeigeht. Tatsächlich treten manchmal nach Jahren der kontinuierlichen Verbesserung der Gesamtunfallzahlen plötzlich schwere Unfälle auf. Nicht überwiegend unsicheres Verhalten von Mitarbeitern führt zu (schweren) Unfällen, sondern auch weitere Elemente wie beispielsweise Mängel in der Organisation und der technischen Ausstattung. Die »Hand am Geländer« beim Treppengehen vermeidet nicht die tödliche Vergiftung oder den Brand durch freigewordene gefährliche Flüssigkeiten.

Der Zufall als entscheidendes Moment

Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Sowohl die »kleinen« unsicheren Handlungen als auch die sichere Beherrschung der Anlagen durch Technik und Organisation müssen konsequent angegangen werden. Vielfach entscheidet nur der Zufall, ob es zu keinem, einem leichten oder schweren Unfall kommt. Dies soll am Beispiel des rückwärtsfahrenden Gabelstaplers gezeigt werden.

Beim Rückwärtsfahren tritt ein unaufmerksamer Kollege plötzlich in den Fahrweg und wird schwer verletzt. Wäre er zufällig fünf Sekunden später gekommen, wäre er unverletzt geblieben. Bei erhöhter Aufmerksamkeit hätte er den Stapler erkannt und gewartet, somit wäre es zu keinem Unfall gekommen. Einem gut geschulten Fahrer wäre die Gefahr bewusst gewesen, es hätte ebenfalls keinen Unfall gegeben. Hätte man schließlich im Vorfeld den Fahrweg optimiert, gekennzeichnet und das Fahrzeug mit einem Drehsitz oder einem Warnlicht (z. B. Blue Spot [12]) versehen, so hätte sich durch organisatorische und technische Maßnahmen das Risiko im Vorfeld minimiert lassen.

Ein ganz entscheidendes Element ist daher die proaktive Erkennung von Gefahr und Risiko, die in einer systematischen Gefährdungsbeurteilung und Risikobewertung münden.

Das sichere Haus

Aus den angeführten Einzelkomponenten lässt sich ein »sicheres Haus« erbauen, wobei die Gefährdungsbeurteilung das Fundament bildet.

Abb. 6: Das sichere Haus

Abb. 6: Das sichere Haus

Auf dem Fundament bauen die Säulen auf:

  • Sichere Auslegung von Anlagen,
  • wiederkehrende Prüfungen,
  • erforderliche Schulungen, Schaffung eines Sicherheitsbewusstseins,
  • organisatorische Maßnahmen,
  • Vorbildfunktion der Vorgesetzten.

Die Säulen tragen als Dach das Verhalten der Mitarbeiter. Diese müssen überzeugt sein, dass ihnen die Firmenleitung sichere Anlagen zur Verfügung stellt, diese regelmäßig wartet, die Mitarbeiter regelmäßig schult, schriftlich formulierte Regeln zum Betrieb verfasst und dass die Vorgesetzten einschließlich der obersten Leitung voll und ganz hinter allen Aktionen stehen und ganz selbstverständlich ihrer Vorbildfunktion gerecht werden.

Diese Konstruktion des sicheren Hauses gilt nicht nur ganz pauschal, sondern auch für Einzelbeispiele, wie zum Beispiel für die Gefahr durch den rückwärtsfahrenden Gabelstapler

Abb. 7: Das sichere Haus am Beispiel der Gefahr durch einen rückwärtsfahrenden Gabelstapler

Abb. 7: Das sichere Haus am Beispiel der Gefahr durch einen rückwärtsfahrenden GabelstaplerNicht zuletzt ist ein gelebtes Arbeitsschutzmanagementsystem sehr gut geeignet Fundament, Säulen und Dach abzubilden.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Kennzahlen im Arbeitsschutz werden betrachtet und bewertet. Diese müssen eindeutig definiert sein. Mit ihrer Hilfe lassen sich Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern und Branchen darstellen. Offensichtlich gibt es über die vergangenen Jahre hinweg einen sehr stabilen Trend zu mehr Arbeitssicherheit, der durch erhöhtes Sicherheitsbewusstsein, Regelungsdichte und fortschreitende Automatisierung beziehungsweise Minimierung manueller Tätigkeiten erklärt werden kann. Zwischen einzelnen Ländern und Branchen werden große Unterschiede sichtbar, die vermuten lassen, dass noch erhebliches Potenzial für Verbesserungen existiert.

Um leichte und schwere Unfälle zu vermeiden, ist eine ganzheitliche Betrachtung erforderlich. Diese sollte proaktiv von einer Gefährdungsbeurteilung ausgehen, von der sich Maßnahmen technischer und organisatorischer Art ableiten. Das Verhalten der Mitarbeiter baut hierauf auf. Die ganzheitliche Betrachtung lässt sich durch ein „sicheres Haus" verdeutlichen, mit der Gefährdungsbeurteilung und Risikobewertung als Fundament. Technik und Organisation bauen hierauf auf und tragen das Dach, das das Verhalten der Mitarbeiter symbolisiert.

 

Serie: Kennzahlen im Arbeitsschutz - alle Teile im Überblick


Quelle/Text: Norbert Kalkert
Foto: wellphoto - Fotolia.com

Literaturhinweise

[11] Manuele, F. A.: On the Practice of Safety, 4th Edition, Wiley 2013, ISBN: 978-1-118-47894-3

[12] Linde Material Handling GmbH: www.linde-mh.de, siehe dort »Blue Spot«

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