Fachbeitrag  Arbeitssicherheit, Recht und Urteile  

Corona-Impfung: Ausmaß und Grenzen von Sanktionen

Rechtsprechung zu Sanktionen
Foto: © Ralf Geithe - stock.adobe.com

Neben dem seit zweieinhalb Jahren dominanten Thema »Corona« wurde durch die im gleichen Zeitraum mehrfach verschobene Nachweispflicht für Masern-Impfungen an Schulen und KiTas daran erinnert, dass wir in Deutschland derzeit noch andere Auslöser von Infektionen zu bekämpfen haben.

Im Rahmen der bundesweiten Infektionsbekämpfung hatte der 1. August 2022 eine besondere Bedeutung. Zu diesem Datum müssen Masern-Impfnachweise auch für Kinder und Beschäftigte vorliegen, die schon vor dem 1. März 2020 in den Einrichtungen waren.

Während in den Medien in Bezug auf Corona vielfach pauschal von einer »Impfpflicht«, gleichsam einer »alternativlosen« staatlichen Zwangsmaßnahme, gesprochen wird, hat unlängst die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Niedersachsen mit Entscheidungen des

  • Verwaltungsgerichts (VG) Hannover vom 11.05.2022 (15 B 1609/22) und
  • Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg vom 22.06.2022 (14 ME 258/22)

noch einmal präzise herausgearbeitet, welche Pflichten das Infektionsschutzgesetz (IfSG) bei »Corona« tatsächlich vorsieht und gleichzeitig Ausmaß und Grenzen von Sanktionen für den Fall von Pflichtverstößen aufgezeigt.

Der Fall: Nachdem die Mitarbeiterin in einem Seniorenhaus nicht fristgemäß die vorgeschriebenen Corona-Impfnachweise beigebracht hatte, erließ der vom Seniorenhaus hierüber informierte Landkreis gegen die Beschäftigte einen Bescheid, mit dem sie unter Androhung eines Zwangsgeldes aufgefordert wurde, innerhalb zweier Fristen (14 Tage und 42 Tage) beim zuständigen Gesundheitsamt die Nachweise über die Erst- und Zweitimpfung vorzulegen. Zudem wurde die sofortige Vollziehung der Verfügung nach § 80 Verwaltungsgerichtsordnung VwGO abgeordnet.

Schon das Verwaltungsgericht Hannover hob die sofortige Vollziehung auf und ordnete auch die aufschiebende Wirkung der Zwangsgeldandrohung an. 

Die Entscheidung: Das VG Hannover hat in seiner vom OVG Lüneburg bestätigten Entscheidung deutlich gemacht, welche Pflichten das IfSG im Zusammenhang mit Corona tatsächlich vorgibt. Durch die Fristsetzungen in Verbindung mit der Zwangsgeldandrohung sei die Beschäftigte (mittelbar) verpflichtet worden, die den Nachweisen zugrunde zu legenden Impfungen auch tatsächlich an sich vornehmen zu lassen.

Dafür, insbesondere auch für die Zwangsgeldandrohung, gebe die insofern einschlägige Norm des § 20 a IfSG aber keine Rechtsgrundlage ab. 

Die umgangssprachlich verkürzt als »einrichtungsbezogene Impfpflicht« sei bei präziser Anwendung des geltenden Rechts lediglich eine »einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht«, die gerade keine Impfpflicht begründe. 

Faktisch stelle die Regelung die Betroffenen vielmehr lediglich vor die Wahl, entweder ihre bisherige Tätigkeit aufzugeben oder aber in die Beeinträchtigung ihrer körperlichen Integrität durch die Impfung einzuwilligen.

Dementsprechend eröffne § 20a Absatz 5 IfSG dem Gesundheitsamt auch nur die Möglichkeit, bei Nichtvorlage eines Impfnachweises durch den Betroffenen gegen diesen ein sofort vollziehbares Betretens- oder Tätigkeitsverbot in der betreffenden Einrichtung zu verhängen. 

Nur dies entspreche dem Geist und dem Wortlaut der Regelung. Für darüberhinausgehende Maßnahmen fehle es an der notwendigen Rechtsgrundlage.

Empfehlung für die betriebliche Praxis

Die Entscheidung aus Niedersachsen macht deutlich, wie irreführend für den juristischen Laien das Wort »Impfpflicht« ist. In der Praxis wird im Einzelfall zu prüfen sein, ob einem »Nachweis-Verweigerer« in der betrieblichen Organisation eine andere Tätigkeit, abseits der zu schützenden, vulnerablen Personenkreise zugewiesen werden kann, wo es auf die durch Nachweis belegte Corona-Impfung nicht ankommt.

Erst wenn sichergestellt ist, dass keine anderweitige Tätigkeit im nachgeordneten Bereich möglich ist, kann »alternativlos« eine Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses erwogen werden. 

Die Unmöglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung sollte aber auf alle Fälle gerichtsfest belegt werden können, damit vor dem Arbeitsgericht nicht der fatale Eindruck entsteht, der Beschäftigte solle mit der Androhung der Kündigung letztlich doch noch zu einer Impfung gezwungen werden, die das IfSG gar nicht vorsieht.

Quelle/Text: Dr. jur. Kurt Kreizberg

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Über den Autor

Dr. jur. Kurt Kreizberg
Rechtsanwalt in Solingen
seit 2013: Lehrbeauftragter für Arbeits- und Sozialrecht an der FOM Essen
seit 2016: Autor des Loseblatt-Kommentars (Carl Heymanns Verlag)
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