DGUV Information 204-041 - Erweiterte Erste Hilfe in Windenergieanlagen und -parks

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Anlage 4 - Notfallmedikation in Offshore-Windparks

Ausgangslage

Die medizinische Versorgung in Offshore-Windparks unterscheidet sich durch den fehlenden unmittelbaren Zugriff auf eine ärztliche Versorgung deutlich von der üblichen Versorgungssituation in Deutschland, in der ärztliche Hilfe und Medikamente zur Akutbehandlung der Bevölkerung zeitnah zur Verfügung stehen.

Die besonderen Rahmenbedingungen einer Offshore-Windpark-Plattform in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) ähneln sehr stark denen eines Kauffahrteischiffes. In der Seeschifffahrt stützt sich seit vielen Jahrzehnten die Krankenfürsorge auf eine medizinische Ausstattung, die regelmäßig fortentwickelt wird, sowie ein Laienhelfer-System, das fachlich durch die funkärztliche Beratung, z. B. Medico-Cuxhaven, unterstützt wird. Für Offshore-Windparks steht durch die Telekonsultation zur Unterstützung bei Notfällen eine ähnliche Basis zur Verfügung (siehe Anlage 2: Telekonsultation).

Im Gegensatz zur Seeschifffahrt bestehen in Offshore-Windparks keine grundsätzlichen Versorgungsengpässe durch nationale Grenzen oder Entfernungen zu Versorgungspunkten.

Eine Offshore-Windpark-Plattform in der AWZ kann vielmehr

  • in eine definierte Rettungskette eingebunden sein,

  • sich auf kalkulierbare Eintreffzeiten professioneller medizinischer Helfer einrichten,

  • medizinischen und pharmazeutischen Dienstleistern fest zugeordnet werden sowie

  • kurzfristig und regelmäßig versorgt werden.

Deshalb ist es sinnvoll und möglich, Medikamente für Notfälle in Offshore-Windparks vorzuhalten.

Beschaffung und Bevorratung von Arzneimitteln und medizinischer Ausrüstung

Die medizinische Ausstattung einer Offshore-Plattform muss konform zum Arzneimittelrecht und Medizinprodukterecht sein. Die vom Unternehmen beauftragte Rettungsorganisation stellt in Anlehnung an die Situation im öffentlichen Rettungsdienst die Vorhaltung der Medikamente im Sinne einer Institutsambulanz (gemäß § 14 Abs. 7 und 8 Apothekengesetz) sicher. Der Dienstleister bzw. dessen verantwortliche ärztliche Leitung beschafft, verwendet, kontrolliert und ergänzt mit Hilfe eines Apothekers oder einer Apothekerin den Arzneimittel-Bestand. Das Unternehmen stellt geeignete Rahmenbedingungen für Transport und Vorhaltung zur Verfügung. Die Arzneimittel sind in ihrer Originalverpackung gemäß den Herstellerangaben aufzubewahren.

Stützt sich die medizinische Notfallversorgung auf Angehörige eines medizinischen Fachberufes, kann in Abhängigkeit von deren Ausbildungsstand die technische und medikamentöse Ausrüstung durch die ärztliche Leitung der zuständigen Rettungsorganisation erweitert werden.

Werden für die verschiedenen medizinischen Aufgaben (Notfallrettung, Telekonsultation etc.) unterschiedliche Dienstleister tätig, so muss das Unternehmen die sorgfältige Abstimmung von verfügbarem Material und handelnden Personen gewährleisten. Der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin der Offshore-Windpark-Plattform sind zwingend in diese Organisation mit einzubinden.

Der Ausrüstungsumfang muss sich jeweils nach der Gefährdungsbeurteilung, zu versorgender Personenzahl und Fähigkeiten/Möglichkeiten des jeweils anwesenden medizinischen Personals richten.

Zur Gewährleistung einer größtmöglichen Standardisierung sollte die Bewirtschaftung und Anwendung der Arzneimittel der Systematik der Arzneimittelverzeichnisse der Seeschifffahrt folgen ("Medizinische Erkenntnisse Seeschifffahrt"). Zu dieser Systematik gibt es bereits seit vielen Jahrzehnten bewährte Kommunikationsverfahren zwischen funkärztlicher Beratung und Schiff und darüber hinaus Handreichungen für Laien zum richtigen Umgang und sicheren Anwendung der medizinischen Ausstattung.

Anwendung von Arzneimitteln durch Rettungsdienstliches Fachpersonal oder Ersthelfer- oder Ersthelferin-Windenergie:

Die Anwendung der vorgehaltenen Medikamente (Beschaffung, Indikationsstellung etc.) muss im Offshore-Windpark in ärztlicher Verantwortung liegen.

Rettungsdienstliches Fachpersonal

Neben den Ersthelferinnen- oder Ersthelfern-Windenergie kann auf Plattformen oder Schiffen in Offshore-Windparks auch rettungsdienstliches Fachpersonal anwesend sein, die ärztlich durch telemedizinisch- funkärztliche Beratung von Land aus unterstützt werden. Dieses Fachpersonal besitzt im Umgang mit Medikamenten und deren Nebenwirkungen eine höhere Kompetenz als die Ersthelfer- oder Ersthelferinnen-Windenergie. Dadurch erweitern sich die Möglichkeiten im Hinblick auf Notfallmedikamente und Applikationsformen. In Notfällen kann deshalb aufgrund des zeitlich stark verzögerten ärztlichen Zugangs eine Medikamentengabe durch rettungsdienstliches Fachpersonal indiziert sein. Die Telemedizin ermöglicht zudem in Notfällen die Delegation ärztlicher Leistungen an rettungsdienstliches und medizinisches Fachpersonal. Die Telemedizin muss in diesem Fall technisch, und organisatorisch so ausgerichtet sein, relevante Nebenwirkungen der applizierten Medikamente audiovisuell und messtechnisch durch die Übertragung von Vitaldaten für den telenotärztlichen Dienst verfügbar zu machen.

Die Ausstattung einer Offshore-Windparks-Plattform, die mit medizinischem Assistenz-/Fachpersonal besetzt ist, mit Medikamenten und Medizinprodukten sollte sich an folgenden Aspekten orientieren:

  • Erweiterte medizinische Diagnosemöglichkeiten zur Verbesserung der Entscheidungs- grundlage durch Telekonsultation bzw. funkärztliche Beratung

  • Therapieeinleitung und Überbrückung bis zur risikoarmen Beförderung der erkrankten Person an Land

  • Auswahl der Medikamente auch unter dem Gesichtspunkt, dass deren verspätete Verabreichung, z. B. durch Beförderung des Betroffenen an Land, zu erwartbaren gesundheitlichen Nachteilen oder mangelhaften Therapieerfolgen führen würde

  • Handlungsfähigkeit des medizinischen Fachpersonals zur Intervention bei Notfällen bzw. akuten Erkrankungen, insbesondere Aus- und Fortbildung hinsichtlich der Applikationsform von Medikamenten

  • Über den Notfall hinaus keine hausärztliche Versorgung oder Therapie chronischer Erkrankungen und keine Pflege oder Therapie arbeitsunfähiger Personen auf der Plattform

Ersthelfende-Windenergie

Es sind Szenarien denkbar, in denen schwere Schmerzzustände den Beschäftigten nicht bis zum Eintreffen des Notarztes oder der Notärztin (z. B. bei wetterbedingter Verzögerung) zugemutet werden können. Hierzu muss in Abhängigkeit von örtlichen Gegebenheiten und dem Ausbildungsniveau der Ersthelfer- und Ersthelferinnen-Windenergie durch das Unternehmen, den Betriebsarzt oder die -ärztin sowie die verantwortliche ärztliche Leitung des Rettungsdienstes eine individuelle Bewertung erfolgen.

Stufenschema zur Schmerzbehandlung

  1. 1.

    Schmerzeinschätzung

    Der Ersthelfer- oder die Ersthelferin-Windenergie soll mit der verletzten Person nach Sicherung der Vitalfunktionen das Ausmaß des individuell erlebten Schmerzes festlegen. Dazu ist die Anwendung der Visuellen Analogskala (VAS 1-10) zur Schmerzintensität notwendig.

  2. 2.

    Stufenschema der Schmerztherapie bei Unfallverletzten

    Siehe hierzu Abb. 4 auf der Folgeseite. Die lindernde Wirkung von Empathie, Wärmeerhaltung und Zuspruch in der Schmerzbehandlung ist bekannt. Schienung und Kühlung ergänzen die Schmerztherapie auf physikalische Weise. Die letzte Stufe der Schmerzbehandlung stellt die medikamentöse Behandlung dar. Eine alleinige Schmerzmittelgabe ohne Anwendung des Stufenschemas scheidet aus.

  3. 3.

    Medikamentöse Schmerzbehandlung im Rahmen der Telekonsultation

    In Ausnahmefällen kann bei einer Schmerzintensität VAS > 7 (starker Schmerz, z. B. beim oder nach Anlegen eines Tourniquets) und nach Ausschöpfen der nicht-medikamentösen Maßnahmen eine medikamentöse Schmerztherapie nach telenotärztlicher Indikationsstellung und Verordnung angezeigt sein. Dafür kommen arzneimittelrechtlich zugelassene, nicht invasiv zu applizierende, nicht BTM-pflichtige Schmerzmittel in Frage. Geeignet erscheint hier derzeit Tramadol Lösung. Die Wahl des Medikaments und die Dosierung werden über den Telenotarzt oder die Telenotärztin angeordnet. Der Ersthelfer- oder die Ersthelferin Windenergie unterstützt die verletzte Person bei der Einnahme des Medikaments. Die Schmerzintensität und die Vitalfunktionen sind vom Ersthelfer- oder der Ersthelferin Windenergie bis zur Übergabe an höherqualifiziertes Sanitätspersonal oder den Notarzt bzw. die Notärztin zu überwachen.

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Abb. 4
Stufenschema zur Schmerzbehandlung bei Unfallverletzten mit Telekonsultation.