DGUV Information 207-028 - Neubauplanung, Modernisierung und Nutzungsänderung von Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM)

Online-Shop für Schriften

Jetzt bei uns im Shop bestellen

Jetzt bestellen

Abschnitt 2.2 - 2.2 Hinweise zur Gefährdungsbeurteilung

Bei einer Neubauplanung oder Umbau einer WfbM sowie einer Nutzungsänderung eines bestehenden Gebäudes zu einer WfbM sind grundsätzlich die Anforderungen an eine behinderungsgerechte Gestaltung der Arbeitsstätte bereits in der Planungsphase zu ermitteln und bei der Planung und Bauausführung umzusetzen. Hierbei muss neben dem Baurecht der Bundesländer zwingend auch das Arbeitsstättenrecht beachtet werden (siehe Abbildung 2.2):

Nach § 3 ArbStättV sind allgemein mögliche Gefährdungen der Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu beurteilen. Dabei sind die Auswirkungen der Arbeitsorganisation und der Arbeitsabläufe in der Arbeitsstätte zu berücksichtigen.

Der § 3a ArbStättV enthält in Absatz 1 den Hinweis auf die Pflicht zur sicherheitsgerechten Gestaltung. Bei Anwendung der technischen Regeln zur ArbStättV (ASR) ist davon auszugehen, dass die Schutzziele der Verordnung eingehalten werden. Andernfalls ist ein Nachweis auf Einhaltung des Sicherheitsniveaus auf andere Weise erforderlich.

Absatz 2 des § 3a ArbStättV benennt ausdrücklich, dass die besonderen Belange von Menschen mit Behinderung bei der Planung und Ausstattung der Arbeitsstätte berücksichtigt werden müssen.

g_bu_1434_as_51.jpg

Abb. 2.2
Prozessschritte der Gefährdungsbeurteilung nach ASR V3 "Gefährdungsbeurteilung"

Eine weitere Konkretisierung findet sich in § 164 Absatz 4, Nr. 4 SGB IX. Hier werden die Rechte behinderter Menschen gegenüber ihren Arbeitgebern benannt. Unter anderem ist dies der Anspruch des behinderten Menschen auf eine behinderungsgerechte Einrichtung der Arbeitsstätte, einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen, Geräte, Gestaltung des Arbeitsplatzes, Umfeld und Organisation der Arbeitsstätte.

Die Anmietung von Räumen gilt als schnellste Lösung, um Platz und Raum für Veränderungen oder Erweiterungen einer WfbM zu realisieren. Ein oft vernachlässigtes Thema bei solchen Anmietungen sind die Sozialräume und die Barrierefreiheit für die Menschen mit Behinderungen.

Wichtig ist es daher, vor allen bei Umbaumaßnahmen zur Anpassung rechtzeitig Entwürfe und Pläne zur Nutzung vorzulegen, um Genehmigung und Zustimmung aller Behörden und Zuwendungsgeber einzuholen.

Um diese Forderungen berücksichtigen zu können, hat sich in der Praxis bei der Neubauplanung und Modernisierung folgendes Vorgehen bewährt:

  • Festlegung, welche Personen oder Institutionen bei der Planung des Neubaus hinzugezogen werden bzw. zu beteiligen sind.

    • z. B.:

      Intern: Geschäftsführung und Werkstattleitung, Abteilungsleitungen, Fachkraft für Arbeitssicherheit und Betriebsarzt, gewählte Vertretung der Mitarbeitenden und Beschäftigten (Betriebsrat und Werkstattrat) Extern: Architekten/Planer, Beschäftigte, Fachberater, Präventionsdienst des Unfallversicherungsträgers, Zuwendungsgeber, Fachkraft für Arbeitssicherheit und Betriebsarzt,

    • Gegebenenfalls ist eine betriebliche Steuerungsgruppe einzurichten, die sich regelmäßig trifft.

  • Möglichst genaue Beschreibung der Planungsgrundlagen

    • Geplante Arbeitsaufgaben/-bereiche

    • Wie viele Personen arbeiten in der Arbeitsstätte/ in Teilbereichen der Arbeitsstätte

    • Welche Behinderungsbilder sind zu erwarten

    • Welche Arbeitsbereiche mit welchen Maschinen/ Anlagen/Arbeitsmitteln sind vorgesehen

    • Wie sind die Arbeitsabläufe innerhalb der Werkstatt und innerhalb der einzelnen Bereiche miteinander vernetzt (Arbeitsablaufplanung)

    • Wie erfolgt die räumliche Zuordnung zu den Arbeitsbereichen

g_bu_1434_as_96.jpg

Abb. 2.3
Grobplanung mit standardisierten Rastermaßen für Maschinen und Arbeitsplätze

    • Welche internen Wege und Verkehrsbereiche sind erforderlich (qualitativ und quantitativ)

    • Umkleide- und Sanitärbereiche

    • Besprechungs- und Verwaltungsräume

  • Arbeitsplatzkonzept

    • Welche Funktionalitäten sind an den Arbeitsplätzen erforderlich

    • Welche ergonomischen Anforderungen sind zu erfüllen

    • Welche Anforderungen sind an Fenster, Lüftung, Raumklima, Beleuchtung, Akustik, Bodenbelag zu stellen

  • Raumfunktionskonzept

    • Lage der Arbeitsplätze im Raum

    • Aufstellflächen für Maschinen mit Funktions-, Bewegungs-, Sicherheitsflächen

    • Technisch erforderliche Ausstattungsmerkmale wie Energieversorgung, Belüftung und Klimatisierung

  • Raumnutzungskonzept zur effektiven, variablen Nutzung von Flächen

    • Festlegung oder Auswahl geeigneter Workflowkonzepte wie Einzel- oder Gruppenarbeitsplatz, vernetzte Arbeitsbereiche

  • Über eine Grobplanung zur Feinplanung

    • Standardisierte "Flächenraster" der einzelnen Maschinen/Arbeitsplätze als Rechtecke aneinanderreihen zur Ermittlung der Mindestflächenbedarfe (siehe Abbildung 2.3)

  • Feinplanung zur effektiven, variablen Nutzung von Flächen

    • Maschinenpositionierung (Maschinenanordnung, -ausrichtung, -befestigung) Anschluss, Transportwege, Abfallent- und Energieversorgung

    • Behälter-/Palettengrößen und -mengen (Transportwege und Pufferflächen)

    • Arbeitsplatzgestaltung, Klima, Licht, Lärm

    • Brandschutz, Flucht- und Rettungswege, Notbeleuchtung (siehe Abbildung 2.4)

Im Kapitel 13 wird auf die Flächenanforderungen von häufig in einer WfbM vorkommenden Arbeitsbereichen und Tätigkeitsfeldern eingegangen. Diese Informationen sind hilfreich, wenn es um den erforderlichen Platz- und Raumbedarf für Maschinen, Arbeitsverfahren und einzelne Arbeitsplätze geht.

g_bu_1434_as_45.jpg

Abb. 2.4
Feinplanung mit detaillierter Maschinenpositionierung, optimierten Verkehrswegen etc.

Neben einer allgemeinen Beschreibung der Tätigkeiten und Schilderung der damit verbundenen Probleme erfolgt eine detailliertere Beschreibung der sicherheitstechnischen, ergonomischen und arbeitsschutzspezifischen Anforderungen aus geltenden Rechtsquellen. Hinzu kommen weitergehende Anforderungen wie z. B. aus der ASR V3a.2 "Barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten" und Experten-/Erfahrungswissen.

g_bu_1434_as_18.jpgGood Practice
Eine vorausschauende Planung trägt zu einer flexibleren Nutzung der zukünftigen Arbeitsstätte bei und ermöglicht die einfachere Anpassung an sich ändernde Behinderungsbilder und Fertigungsaufträge (Arbeitsabläufe), ohne die Mindestanforderungen aus den einschlägigen Rechtsquellen zur Gestaltung von Arbeitsstätten bei Änderungen zu missachten.

Rechtsquellen, Normen, Literaturhinweise

  • Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (SGB IX)

  • Behindertengleichstellungsgesetz (BGG)

  • Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)

  • Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV)

  • Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV)

  • Technische Regeln für Arbeitsstätten (ASR),

    insbesondere

    ASR V3 "Gefährdungsbeurteilung"

    ASR V3a.2 "Barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten"

  • DGUV Information 215-111

    "Barrierefreie Arbeitsgestaltung Teil I: Grundlagen"

  • DGUV Information 215-112

    "Barrierefreie Arbeitsgestaltung Teil II: Grundsätzliche Anforderungen"

  • DIN 18040-1:2010-10 "Barrierefreies Bauen - Planungsgrundlagen - Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude"

  • DIN 18040-2:2011-09 "Barrierefreies Bauen - Planungsgrundlagen - Teil 2: Wohnungen"

  • DIN 18040-3:2014-12 "Barrierefreies Bauen - Planungsgrundlagen - Teil 3: Öffentlicher Verkehrs- und Freiraum"

  • DIN 18041:2016-03 "Hörsamkeit in Räumen - Anforderungen, Empfehlungen und Hinweise für die Planung"

  • DIN 32977-1:1992-07 "Behindertengerechtes Gestalten; Begriffe und allgemeine Leitsätze"

Die Auflistung ist nicht abschließend und sollte vor Anwendung auf Aktualität geprüft werden.