DGUV Information 205-038 - Leitfaden Psychosoziale Notfallversorgung für Einsatzkräfte Psychosoziale Notfallversorgung in Einsatzorganisationen

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Abschnitt 2.1 - 2.1 Dienst bei einer Einsatzorganisation

Hohe Anforderungen an die Psyche?

Der Dienst in einer Einsatzorganisation kann sehr hohe Anforderungen an die physische und psychische Leistungsfähigkeit stellen. Alle Einsatzkräfte sollten sich darüber im Klaren sein, dass diese Anforderungen weit über die Belastungen des Alltagslebens hinausgehen können. Eine außergewöhnliche psychische Belastung kann auch in Form eines traumatischen Ereignisses, insbesondere im Einsatzdienst, nicht ausgeschlossen werden.

Grundsätzlich sollte in einer Einsatzorganisation die psychische Belastung im Rahmen von Ausbildung und Übung thematisiert werden. Die Notwendigkeit hierfür ergibt sich auch aus der Fürsorgepflicht der Unternehmerin bzw. des Unternehmers. Hierzu zählt beispielsweise neben der Organisation der psychologischen Erstbetreuung, auch die vollständige Dokumentation einer außergewöhnlichen psychischen Belastung durch die Einsatzorganisation. Aber auch die Einsatzkräfte selbst können einen erheblichen Teil zur Bewältigung einer psychischen Belastung im Dienst beitragen.

Besteht infolge einer außergewöhnlichen psychischen Belastung im Dienst die Vermutung, dass eine behandlungsbedürftige psychische Störung aufgetreten ist, müssen die näheren Umstände und Zusammenhänge von den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung ermittelt werden. Anders als bei einem körperlichen Schaden, der in der Regel unmittelbar sichtbar wird, sind psychische Erkrankungen vielfältig und treten in den seltensten Fällen unmittelbar sicht- bzw. spürbar zu Tage. Psychische Erkrankungen sind auch nicht durch technische Diagnoseverfahren, wie z. B. Röntgen, einfach darstellbar.

Mögliche Folgen einer außergewöhnlichen psychischen Belastung

Das Miterleben einer außergewöhnlichen psychischen Belastung führt nicht zwangsläufig dazu, dass Betroffene eine behandlungsbedürftige psychische Störung entwickeln. Von besonderer Bedeutung ist die Aufmerksamkeit gegenüber Veränderungen im Verhalten von Betroffenen (z. B. erhöhte Reizbarkeit, Schlafstörungen, Ängstlichkeit, Niedergeschlagenheit) nach einem traumatischen Ereignis, weil die Folgen häufig zeitversetzt auftreten. Kommt es zu einer behandlungsbedürftigen psychischen Störung, kann sich diese sehr unterschiedlich äußern. Die Bandbreite ist dabei genau so groß wie die möglichen Ereignisse unterschiedlich sein können. Neben der akuten Belastungsreaktion kommen Anpassungsstörungen, spezifische Phobien, posttraumatische Belastungsstörungen, Angststörungen und depressive Episoden sowie anhaltende Schmerzstörungen in Verbindung mit physischen und psychischen Faktoren in Betracht. Nachfolgend werden einige Formen genauer erläutert.

g_bu_1331_as_6.jpgAkute Belastungsreaktion und akute Belastungsstörung
Typische erste Reaktionen auf besonders belastende Einsätze wie Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten oder eine starke Erschöpfung, werden als "akute Belastungsreaktion" bezeichnet. Oft wird für diese kurzfristigen Reaktionen auch die etwas unspezifische und verallgemeinernde Bezeichnung "akuter Stress" gewählt. Meist klingen diese Reaktionen innerhalb weniger Stunden oder Tage wieder ab.

Dauern diese Anzeichen von "akutem Stress" jedoch länger als drei Tage und bis zu vier Wochen an, bezeichnet man diese mittelfristige Reaktion als eine "akute Belastungsstörung". In diesem Fall ist besondere Aufmerksamkeit erforderlich und es sollten Psychosoziale Ansprechpartner in der Einsatzorganisation, wie beispielsweise Einsatznachsorgeteams, kontaktiert werden.

Durch frühzeitiges Erkennen der Symptome einer psychischen Störung besteht die Möglichkeit, mit geeigneten Maßnahmen die Entwicklung oder Chronifizierung einer psychischen Störung zu verhindern. Wenn erforderlich, stellt das Psychotherapeutenverfahren der DGUV die zeitnahe Versorgung von der Akutintervention bis zur beruflichen Reintegration sicher. Dieses ist unter der Bezeichnung Tertiärprävention zusammengefasst. Die tertiäre Prävention umfasst auch alle längerfristigen Maßnahmen der Einsatznachsorge (psychotherapeutische Interventionen). Ziel ist die Linderung und Heilung sowie Prävention der Chronifizierung einer eingetretenen psychischen Traumafolgestörung und die Ermöglichung der Rückkehr in Alltag und Beruf bei Einsatzkräften.

g_bu_1331_as_6.jpgPosttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
Bleiben die Anzeichen der akuten Belastungsreaktion und der akuten Belastungsstörung länger als einen Monat bestehen und verursachen ausgeprägtes Leiden oder starke Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Bereichen, so spricht man von einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

Zu beachten ist außerdem, dass eine Posttraumatische Belastungsstörung auch verzögert auftreten kann. Dies ist der Fall, wenn die entsprechenden Symptome später als sechs Monate nach einem besonders belastenden Ereignis auftreten.

Eine PTBS zeichnet sich durch unterschiedliche Symptome aus:
  • Wiedererleben (Intrusionen) der Situation in Form von Bildern, Gedanken, Flashbacks oder Albträumen; körperliche Erregung (z. B. Zittern, Schwitzen, Herzrasen); emotionale Belastung,

  • Vermeidungsverhalten durch Vermeidung von z. B. Orten, Menschen, Aktivitäten, die an das belastende Ereignis erinnern,

  • Entfremdung von zuvor als wichtig empfundenen Aktivitäten; Loslösung aus dem sozialen Umfeld, anhaltendes negatives Gefühlserleben,

  • Übererregung (Hyperarousal) in Form von Konzentrationsschwierigkeiten, erhöhter Reizbarkeit, Schlafstörungen, übermäßiger Schreckhaftigkeit.



Wichtig ist, dass die PTBS unbedingt einer professionellen Behandlung durch speziell ausgebildetes Personal (psychologische oder ärztliche Psychotraumatherapeuten bzw. Psychotraumatherapeutinnen) unterzogen werden sollte. Sie ist gut behandelbar.
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Abb. 2
Zeitliche Darstellung der drei Handlungsphasen im Zusammenhang mit einem traumatischen Ereignis (Ziele, Maßnahmen, Verantwortung und Akteure)

Vorbeugen ist die beste "Medizin", auch im Umgang mit einer psychischen Belastung

Vorbeugen heißt Prävention. Durch vorbeugende Maßnahmen für Sicherheit und Gesundheit wird dafür gesorgt, dass vom Dienst in einer Einsatzorganisation möglichst wenige Gefährdungen für das Leben und die Gesundheit der Einsatzkräfte ausgehen.

In Vorbereitung auf belastende Ereignisse müssen in einer Einsatzorganisation Maßnahmen der Primärprävention ergriffen werden.

Zu einer gesundheitsgerechten Gestaltung der Tätigkeit in einer Einsatzorganisation gehört es, die physische und die psychische Gesundheit der Einsatzkräfte zu schützen und zu fördern. Eine Maßnahme der Primärprävention zielt auf das persönliche Wohlbefinden ab. Dazu gehört z. B. eine entsprechende körperliche Fitness, genauso wie psychische Fitness bzw. mentale Stärke.

In der Gefährdungsbeurteilung der Einsatzorganisation ist die Möglichkeit des Auftretens von außergewöhnlichen psychischen Belastungsfaktoren zu berücksichtigen. In der Konsequenz sind entsprechende Unterweisungen und die Einbindung der Thematik in die Standortausbildung erforderlich. Zudem muss eine entsprechende Betreuung in Form der PSNV nach belastenden Ereignissen vorgehalten und im Bedarfsfall durchgeführt werden. Dafür bedarf es einer Einbindung von Präventionsmaßnahmen in die Organisationsstruktur und den Dienstalltag der jeweiligen Einsatzorganisation.

Im Zusammenhang mit dem Einsatz bei einem belastenden Ereignis sind Maßnahmen der Sekundärprävention anzubieten. Diese haben das Ziel, durch psychosoziale Unterstützung die Psyche zu stabilisieren und Schäden zu verhindern bzw. schwerere Folgeschäden zu vermeiden.