
Leitfaden Psychosoziale Notfallversorgung für Einsatzkräfte Psychosoziale Notfallversorgung in Einsatzorganisationen (DGUV Information 205-038)
Abschnitt 4.1 – 4.1 Rolle der Führungskräfte
Erkennen von außergewöhnlich belastenden Ereignissen
Führungskräfte spielen in einer Einsatzorganisation eine wichtige Rolle und tragen besondere Verantwortung. Sie haben ebenfalls eine Fürsorgepflicht und achten in ihrer Einsatzorganisation auf einen respektvollen und wertschätzenden Umgang aller Einsatzkräfte miteinander und untereinander. Sie haben die Gesamtheit aller Belastungen, die sich für die Einsatzkräfte ergeben, im Blick. Ihnen müssen die Strukturen und die Arbeitsweise der PSNV grundsätzlich bekannt sein.
Führungskräfte sollen erkennen können, wann Einsätze eine außergewöhnliche Belastung mit sich bringen und wenn mit ihren Einsatzkräften nach dem Ereignis "etwas nicht stimmt". Das Miterleben eines traumatischen Ereignisses führt nicht zwangsläufig dazu, dass Betroffene eine behandlungsbedürftige psychische Störung entwickeln. Grundsätzlich sollte bei gewissen Einsatzmerkmalen im Rahmen des Führungsvorganges geprüft werden, ob Maßnahmen der PSNV zur Unterstützung herangezogen werden sollten.
Hierzu gehören z. B. Einsätze:
mit schwerverletzten oder toten Kindern
mit schwerverletzten oder getöteten Einsatzkräften
mit persönlich bekannten Verletzten oder Toten
die schwierig und lang andauernd sind
bei denen nicht geholfen werden konnte

Abb. 8
Eine besondere Belastung kann z. B. entstehen, wenn bei einem Einsatz wichtige Informationen fehlen.
Beurteilen - Handlungsbedarf feststellen
Bereits während des Einsatzverlaufes müssen Führungskräfte den Bedarf von Maßnahmen der PSNV prüfen. Sollte ein Bedarf erkannt werden, ist die Unterstützung durch die PSNV über die Leitstelle anzufordern.
Für die Beurteilung, ob eine Einsatzkraft eine außergewöhnliche Belastung erlebt hat, gibt es eindeutige Anzeichen. Von besonderer Bedeutung ist, die nachfolgend aufgeführten möglichen Reaktionen und Symptome zu kennen und zu beachten. Der Aufmerksamkeit gegenüber Veränderungen im Verhalten der Einsatzkräfte (z. B. erhöhte Reizbarkeit, Schlafstörungen, Ängstlichkeit, Niedergeschlagenheit) nach einem traumatischen Ereignis kommt eine besondere Bedeutung zu, weil die Folgen häufig zeitversetzt auftreten.
Handeln - PSNV rechtzeitig anfordern und einbinden
Unterstützung zur Betreuung von Betroffenen anfordern
Auch in zunächst als relativ einfach und überschaubar erscheinenden Schadenslagen kann es für Einsatzkräfte belastend sein, wenn sie sich z. B. betroffenen Personen an einer Einsatzstelle persönlich annehmen müssen. Hier sollten rechtzeitig die entsprechenden Kräfte der PSNV-B (z. B. Notfallseelsorge, Kriseninterventions-Team) zur Unterstützung und fachgerechten Betreuung Betroffener angefordert werden.
PSNV als Führungsaufgabe im Einsatz verstehen und berücksichtigen
Gibt es eine komplexere Einsatzlage, bei der z. B. eine Zerstörung in bisher nie dagewesener Größe zu erfassen oder eine größere Anzahl von Personen betroffen ist, sollte eine Beratung der Einsatzleitung durch dafür geschulte Kräfte der Psychosozialen Notfallversorgung sichergestellt werden.
Nachsorgeangebote für die Einsatzkräfte unterbreiten
Werden Belastungen im Einsatz festgestellt bzw. sind Belastungsreaktionen nach einem belastenden Ereignis zu erwarten, ist es die Pflicht der Unternehmerin bzw. des Unternehmers und seiner Führungskräfte, die vorhandenen Maßnahmen der PSNV anzufordern und zur Nutzung der Angebote zu motivieren.
![]() | Überblick: Reaktionen und Symptome bei außergewöhnlicher psychischer Belastung |
Vor allem bei als besonders belastend erlebten Ereignissen kann es zu ungewohnten psychischen und physischen Reaktionen kommen. Dies sind zunächst ganz normale Reaktionen auf ein unnormales Ereignis!
Diese Reaktionen lassen häufig innerhalb von Tagen oder weniger Wochen nach. Bestehen die Reaktionen und Symptome jedoch länger als vier Wochen, sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. |
Helfen - Angebote der Einsatznachsorge umsetzen und Dokumentieren des belastenden Ereignisses
Hilfe und Unterstützung bietet beispielsweise die PSNV-E. Deren Angehörige sind speziell für die Betreuung von Einsatzkräften geschult und haben in der Regel einen Bezug zur anfordernden Organisation. Werden Angebote der PSNV-E organisiert und durch die Einsatzorganisation angeboten, ist die Teilnahme daran freiwillig.
Jede Einsatzkraft sollte die Möglichkeit haben, sich unmittelbar persönlich an eine Person ihres Vertrauens zu wenden, um Hilfe zu erhalten. Diese Person kann z. B. eine Führungskraft, der Hausarzt bzw. die Hausärztin oder auch ein bekanntes Mitglied eines PSNV-E-Teams sein. Verschwiegenheit muss dabei selbstverständlich gewahrt werden.
Sollten diese Maßnahmen nicht ausreichend und darüber hinausgehende professionelle Hilfe erforderlich sein, muss der zuständige Unfallversicherungsträger informiert werden!
Bei potenziell belastenden Einsätzen, insbesondere z. B. Menschenrettung, Totenbergung, persönliche Betroffenheit, verletzten oder gar getöteten Einsatzkräften, Kindern oder bekannten Personen, sollte ein ausführlicher Einsatzbericht verfasst werden.
Dazu gehört auf jeden Fall die namentliche Erfassung der am Einsatz beteiligten Einsatzkräfte (möglichst mit der Funktion und Tätigkeit, die diese im Einsatz inne hatten, z. B. Einsatzleiter, Einsatzleiterin, Einheitsführer, Einheitsführerin oder mit besonders belastenden Einsatzmaßnahmen betraute Personen), um später dem zuständigen Unfallversicherungsträger die Ermittlungen zum Geschehen zu erleichtern. Die Einsatzdokumentation sollte sicher aufbewahrt werden.
![]() | Wichtig: Einsatz-Dokumentation! |
Einsatzkräfte, die belastende Ereignisse erlebt haben, benötigen später eventuell eine therapeutische Behandlung. Manchmal tritt eine solche Entwicklung erst Jahre nach dem Ereignis auf und der zuständige Unfallversicherungsträger erhält dann erst Kenntnis bzw. eine Unfallanzeige zu dem weit zurückliegenden Ereignis. Trotz des zeitlichen Abstandes kann ein Versicherungsfall anerkannt werden. Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sind verpflichtet, alle Umstände genau zu ermitteln, um herauszufinden, ob ein Arbeitsunfall vorliegt. Dabei ist der zuständige Unfallversicherungsträger in erster Linie auf die Informationen zu dem Ereignis bzw. Einsatz angewiesen, die bei der jeweiligen Einsatzorganisation vorliegen. Es kommt also auf eine gründliche Dokumentation besonders belastend empfundener Ereignisse in der Einsatzorganisation an. |