DGUV Information 206-030 - Umgang mit psychisch beeinträchtigten Beschäftigten Handlungsleitfaden für Führungskräfte

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Abschnitt 3 - 3 Tipps und praktische Hilfen

Gespräche und Anlaufstellen

Wenn eine Führungskraft bei einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter Veränderungen im Verhalten wahrnimmt, ist es ihre Aufgabe, diese Auffälligkeiten rechtzeitig anzusprechen und Unterstützungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Ein frühzeitiges Ansprechen von Verhaltensänderungen kann eine Verschlimmerung des Befindens der betroffenen Person und eine unnötige Zuspitzung der Arbeitssituation verhindern.

Die dazu erforderliche Vorgehensweise kann in Betriebs- oder Dienstvereinbarungen geregelt sein. Vereinbarungen sind sowohl für Beschäftigte als auch für Führungskräfte hilfreich, da sie Transparenz, Verbindlichkeit und Rechtssicherheit bedeuten.

Um Veränderungen wahrnehmen und ansprechen zu können, ist ein regelmäßiger persönlicher Kontakt mit wertschätzender Kommunikation zwischen der Führungskraft und ihren Mitarbeitenden eine unabdingbare Voraussetzung. Denn nur dann öffnen sich Betroffene auch im Gespräch. Ohne die Bereitschaft von Beschäftigten, über Probleme offen zu reden und Hilfsangebote anzunehmen, hat auch die Führungskraft keine Chance, hilfreich zu intervenieren.

Beobachtungsmerkmale sind die in Kapitel 2 genannten Veränderungen in der Arbeitsdisziplin, im Leistungs- und Sozialverhalten sowie weitere Verhaltensauffälligkeiten.

Liegen Verhaltensauffälligkeiten vor, gilt es, möglichst schnell durch Gespräche mit den Betroffenen die Ursachen dafür zu finden. Die Ursachen können sowohl betrieblich als auch privat bedingt sein. Auf der betrieblichen Seite kommen als Auslöser für psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen zum Beispiel schlechte Arbeitsbedingungen, eine mangelhafte Arbeitsorganisation und/oder Fehlverhalten im sozialen Umfeld in Betracht.

Die Führungskraft ist hauptverantwortlich für die Behebung derartiger Defizite und muss gleichzeitig auf einer Veränderung im Leistungs- und Sozialverhalten der betroffenen Mitarbeiterin oder des betroffenen Mitarbeiters bestehen. Sie bietet für diesen Veränderungsprozess ihre Unterstützung an, verweist aber auch eindeutig auf die Verantwortung jeder Mitarbeiterin oder jedes Mitarbeiters für die eigene psychische Gesundheit.

Offenheit auf beiden Seiten im Hinblick auf die problematische Situation und das Annehmen von Rückmeldungen sind Voraussetzungen für eine gelingende Intervention. Unabhängig davon muss die Führungskraft der betroffenen Person aber auch verdeutlichen, dass bei nicht erfolgenden Änderungen im Leistungs- und Sozialverhalten gegebenenfalls mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen ist.

Vorbereitung und Durchführung von Gesprächen mit betroffenen Mitarbeitenden

Voraussetzung für eine erfolgreiche Gesprächsführung ist eine gute Gesprächsvorbereitung. Sowohl für die Vorbereitung als auch für die Durchführung der Gespräche helfen die Leitfäden auf den Seiten 28 ff.

Bei den Gesprächen ist zu bedenken, dass die Gesprächsinhalte generell sehr sensible Themen berühren und mit Ängsten und Unsicherheiten bei allen Beteiligten verbunden sein können. In den Gesprächen sind unbedingt Spekulationen oder Diagnosen zu vermeiden. Wenn die oder der Beschäftigte dies wünscht, kann eine Person des Vertrauens zum Gespräch hinzugezogen werden.

Die Führungskraft sollte sich im Vorfeld überlegen, wie sie mit Einwänden und heftigen emotionalen Reaktionen der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters umgehen will. "Schwierige Gespräche" entwickeln oft eine unerwartete Dynamik.

Beim ersten Gespräch geht es vorrangig darum, der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter zu signalisieren, dass die Führungskraft eine negative Veränderung im Verhalten wahrgenommen hat und sie sich Sorgen macht. Weiterhin sollten im Gespräch die möglichen Ursachen für die Verhaltensänderungen geklärt werden.

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Im Gespräch ist es von großer Bedeutung, dass die Führungskraft dem oder der Betroffenen ausschließlich das beobachtete und wahrgenommene Verhalten mitteilt und keine Interpretation und Bewertung des Verhaltens vornehmen darf. Noch einmal: die Führungskraft stellt keine Krankheitsdiagnose und macht keine Therapievorschläge.

Organisatorische Gesprächsvorbereitung

  • Je früher das Gespräch bei wiederholten Verhaltensauffälligkeiten geführt wird, desto besser.

  • Der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter werden Anlass und Ziel des Gesprächs vorher genannt.

  • Inhalt und Termin des Gesprächs werden der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter persönlich übermittelt.

  • Es ist für eine gute Gesprächsatmosphäre zu sorgen: Sitzordnung über Eck, Tür schließen, Getränke anbieten, Störungen vermeiden.

  • Für das Gespräch ist ausreichend Zeit einzuplanen.

Gesprächsdurchführung - Leitfragen

Eine gute inhaltliche Vorbereitung ist Voraussetzung für ein erfolgreiches Gespräch. Folgende Leitfragen sind Anregungen:

  • Was soll mit dem Gespräch erreicht werden?

    • Normalisierung des Arbeits- und Sozialverhaltens, Ruhe ins Team bringen ...

  • Welche auffälligen Veränderungen im Leistungs- und Sozialverhalten sowie im Wesen der oder des Betroffenen wurden beobachtet und sollen angesprochen werden?

    • Auffällig sind zum Beispiel häufige Fehltage, fehlerhaftes Arbeiten, starke Leistungsschwankungen, ausgeprägte Stimmungsschwankungen, gereiztes Verhalten, sozialer Rückzug ...

  • Wie hat sich die Zusammenarbeit zwischen Führungskraft beziehungsweise zwischen Team und der betroffenen Person verändert?

    • Früher war die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter Kritik gegenüber aufgeschlossen und ein Teamplayer, heute ist sie oder er ein Einzelkämpfer ...

  • Wie erleben die Kollegen und Kolleginnen den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin?

    • Sie müssen Mehrarbeit leisten, sind mit aggressivem oder Rückzugsverhalten der betroffenen Person konfrontiert ...

  • Welche Ursachen für diese negative Verhaltensänderung sieht die oder der Mitarbeitende selbst?

    • Abzuklären sind arbeitsbezogene Belastungen, private Ursachen ...

  • Welche konkreten positiven Verhaltensveränderungen werden von der betroffenen Person erwartet?

    • Reduzierung der Fehltage, korrektes Arbeiten, angemessenes soziales Verhalten, offenes Ansprechen von Schwierigkeiten bei der Arbeit ...

  • Welche Wege zur Verhaltensänderung werden verbindlich eingefordert?

    • Die betroffene Person nimmt Hilfen an, sucht Beratungsstellen auf ...

  • Welche Unterstützung kann die Führungskraft oder das Unternehmen Mitarbeitenden anbieten?

    • Gesprächsangebote bei Bedarf, Angebote von externen Beratungsstellen, Arbeitsplatzwechsel ...

  • Wann wird ein neues Gespräch stattfinden?

    • nach ca. 4-6 Wochen.

Gesprächsdurchführung - Ablauf

Erstes Gespräch unter vier Augen

Beim ersten Gespräch handelt es sich um ein informelles Vier-Augen-Gespräch ohne disziplinarische Konsequenzen. Die Führungskraft verdeutlicht, dass sie von der betroffenen Person eine positive Verhaltensänderung erwartet und sichert für dieses Gespräch Vertraulichkeit zu. Dadurch bringt sie ihre Fürsorgepflicht als Führungskraft zum Ausdruck. Die Ergebnisse des Gesprächs sollten dokumentiert, von der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter unterschrieben und ihr beziehungsweise ihm ausgehändigt werden.

Zweites Gespräch

Der Verlauf des zweiten Gesprächs hängt davon ab, ob die Person nach dem ersten Gespräch Verhaltensänderungen gezeigt hat.

Haben sich positive Verhaltensänderungen ergeben, dann erhalten Beschäftigte eine entsprechende positive Rückmeldung. Hat sich die Situation nicht verändert oder sogar verschlechtert und wurden vom Mitarbeiter oder von der Mitarbeiterin keine Schritte zur Veränderung eingeleitet, dann ist Folgendes notwendig:

  • Die oder der Betroffene erhält Rückmeldung über den negativen Verlauf.

  • Es wird verdeutlicht, dass man zwar Hilfe und Unterstützung vom Unternehmen erhalten kann, aber jede und jeder auch Verantwortung für die eigene Gesundheit übernehmen muss.

  • Die Führungskraft muss betonen, dass sie im Spannungsfeld zwischen Fürsorgepflicht für Mitarbeitende und Verantwortung für das Unternehmen steht.

  • Die betroffene Person wird darüber informiert, dass weitere interne Stellen bei notwendigen künftigen Gesprächen hinzugezogen werden müssen (Betriebsärztin oder Betriebsarzt, Personalabteilung, Interessenvertretung, Sozialberatung, weitere Vorgesetzte ...).

  • Der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter wird verdeutlicht, dass es arbeitsrechtliche Konsequenzen haben wird, wenn sich das Verhalten nicht ändert.

  • Die Ergebnisse des Gesprächs werden dokumentiert, von der oder dem Mitarbeitenden unterschrieben und ihr oder ihm ausgehändigt.

Folgegespräche

Die nachfolgenden Gespräche sind abhängig vom Verlauf der Verhaltensänderungen der oder des betroffenen Mitarbeitenden. Trotz aller Bemühungen kann es ungünstige Entwicklungen geben beziehungsweise keine zufriedenstellende Lösung erreicht werden. In solchen Fällen müssen weitere Maßnahmen eingeleitet werden, gegebenenfalls auch mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen, wie zum Beispiel Ermahnung, Abmahnung, Kündigung.

Die beiden Gesprächsleitfäden auf Seite 28 ff. dienen zum Vorbereiten und Durchführen der Gespräche. Die Fragen und Anregungen sind vor allem als Orientierung gedacht, sind also exemplarisch und können je nach Fall auch variiert oder ergänzt werden. Eine strikte Abfolge ist nicht vorgegeben. Die beiden Leitfäden können als Kopiervorlagen genutzt werden.

Innerbetriebliche und außerbetriebliche Anlaufstellen

Betroffene wie auch Führungskräfte können sich sowohl innerbetrieblich als auch extern Unterstützung und Hilfe holen. Innerbetriebliche Anlaufstellen sind - sofern vorhanden - die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt, die sozialen Beratungsstellen im Unternehmen, die Personalabteilung, die Interessenvertretung. Gemeinsam mit diesen internen Anlaufstellen können die erforderlichen Handlungsschritte erarbeitet und eingeleitet werden.

Darüber hinaus kann das Unternehmen eine externe Mitarbeiterberatung (EAP - Employee Assistance Program) in Anspruch nehmen, die Beschäftigten Hilfe bei der Lösung ihrer beruflichen und privaten Probleme anbietet.

Fachärztinnen und Fachärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Fachkliniken, Beratungsstellen, Telefonseelsorge und Selbsthilfegruppen bieten ebenfalls externe Unterstützung für Betroffene an. Betroffene können auch Online-Therapie oder Gesundheits-Apps nutzen.

Relativ neu ist die Idee, eine Sprechstunde "Psychische Gesundheit" im Betrieb einzurichten. Basierend auf einer Kooperation zwischen Betrieb und externem ärztlichen oder psychotherapeutischen Fachpersonal können Betroffene zeitnah und unkompliziert eine Beratung in der Regel während der Arbeitszeit in Anspruch nehmen. Diese Sprechstunde wird in regelmäßigen Abständen (zum Beispiel 14-tägig) im Unternehmen angeboten. Mit diesem Angebot können Fehlbeanspruchungen und physische oder psychische gesundheitliche Beschwerden erkannt und mit dem Fachpersonal besprochen werden.

Alle inner- und außerbetrieblichen Angebote sind besonders wirksam, wenn sie in ein Betriebliches Gesundheitsmanagement integriert sind.

Umgang mit akuten psychischen Krisen

Akute psychische Krisen stellen sowohl eine Gefahr für Betroffene als auch für deren soziales Umfeld dar (vgl. Kapitel 1). Derartige Notfallsituationen kommen zwar selten vor, erfordern aber ein sofortiges Eingreifen und Handeln:

  • Die oder der Mitarbeitende ist in ihrer oder seiner Verwirrtheit und Verzweiflung zu akzeptieren und darf nicht allein gelassen werden.

  • Dabei ist wichtig, dass mit der oder dem Betroffenen ruhig und ohne jegliche Vorwürfe gesprochen wird.

  • Eventuell geäußerte Suizidgedanken sind unbedingt ernst zu nehmen.

  • Gegebenenfalls ist professionelle Hilfe zu organisieren: Rettungsdienst (Telefon 112), Polizei (Telefon 110), sozialpsychiatrischer Notdienst (regionale Anlaufstellen).

  • Die Familienangehörigen sind zu informieren.