DGUV Grundsatz 311-003 - Erstellung von Handlungshilfen zur Gefährdungsbeurteilung

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Anlage 1

"Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation"

Diese Anlage beschreibt ein gemeinsames Grundverständnis zu den einzelnen Prozessschritten und zur Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung.

A Gefährdungsbeurteilung

Die Prozessschritte der Gefährdungsbeurteilung sind:

  1. 1.

    Festlegen von Arbeitsbereichen und Tätigkeiten

  2. 2.

    Ermitteln der Gefährdungen

  3. 3.

    Bewerten der Gefährdungen

  4. 4.

    Festlegen konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen

  5. 5.

    Durchführen der Maßnahmen

  6. 6.

    Überprüfen der Wirksamkeit der Maßnahmen

  7. 7.

    Fortschreiben der Gefährdungsbeurteilung

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*

  1. 1.

    Festlegen von Arbeitsbereichen und Tätigkeiten

    Die Gefährdungsbeurteilung ist je nach Art der Arbeitsbereiche und Tätigkeiten durchzuführen. Daher kann es erforderlich sein, eine entsprechende Gliederung nach verschiedenen Arbeitsbereichen, Tätigkeiten oder Abläufen vorzunehmen.

    Bei gleichartigen Arbeitsbedingungen können Arbeitsplätze oder Tätigkeiten zusammengefasst werden.

    Wenn von Beschäftigten arbeitsbereichsübergreifende Tätigkeiten wie beispielsweise Reparatur, Wartung und Instandhaltung ausgeführt werden, sind diese gesondert zu betrachten.

    Sofern erforderlich, ist für Tätigkeiten auch ihre Dauer bzw. Häufigkeit (zum Beispiel temporär, täglich, quartalsweise, jährlich) zu erfassen. Dies kann bei bestimmten Tätigkeiten, wie z. B. Feuchtarbeit oder Umgang mit Gefahrstoffen oder Biostoffen, der Fall sein.

    Besondere Personengruppen sind zu berücksichtigen. Dies sind insbesondere Praktikanten, Jugendliche, werdende oder stillende Mütter, Leiharbeitnehmer, Beschäftigte ohne ausreichende Deutschkenntnisse, Menschen mit Behinderungen.

    Werden in einem Arbeitsbereich oder einem Betrieb Beschäftigte mehrerer Arbeitgeber tätig, so haben sich diese Arbeitgeber bei der Festlegung von Maßnahmen zur Vermeidung gegenseitiger Gefährdungen der Beschäftigten abzustimmen. Dies betrifft insbesondere Baustellen, kann aber auch auf Bürogemeinschaften zutreffen.

  2. 2.

    Ermitteln der Gefährdungen

    Ziel der Ermittlung ist die systematische Identifizierung von Gefährdungen, deren Quellen und gefahrbringenden Bedingungen.

    Das Ermitteln beinhaltet die Erfassung des Planungs- oder Ist-Zustandes (zum Beispiel durch Prüfen, Beobachten, Befragen, Messen, Berechnen oder Abschätzen) sowie die anschließende Benennung und Beschreibung der Gefährdungen.

    Zur fachkundigen Ermittlung von Gefährdungen sind systematisch alle unter Prozessschritt 1 festgelegten Arbeitsbereiche, Tätigkeitsgruppen, Personengruppen sowie bereichsübergreifende Arbeitsaufgaben bezüglich der Gefährdungs- und Belastungsfaktoren und deren Wechselwirkungen zu betrachten.

    Sofern es zur Erkenntnisgewinnung erforderlich ist, sind relevante Quellen heranzuziehen, zum Beispiel:

    • das einschlägige Vorschriften- und Regelwerk

    • branchenspezifische Regeln und Informationen sowie Gefährdungs- und Belastungskataloge insbesondere der Unfallversicherungsträger

    • Herstellerinformationen (Bedienungsanleitungen, Betriebsanleitungen, Sicherheitsdatenblätter etc.)

    • vorhandene Verfahrens-, Arbeits- und Betriebsanweisungen

    • Aufzeichnungen und Erkenntnisse über Unfälle, Erkrankungen, Schadensfälle, kritische Situationen, Beinaheunfälle

    • Protokolle von Betriebsbegehungen und ASA-Sitzungen, Befragungsergebnisse, Prüfbücher, Unterlagen der Instandhaltung

    • Baugenehmigungen und mitgeltende Unterlagen (zum Beispiel Brandschutzkonzepte)

    • behördliche Anordnungen

    • Ergebnisse von Berechnungen oder Messungen (zum Beispiel zu Lärm, Klima, Gefahrstoffen)

    • Erfahrungswerte von vergleichbaren Arbeitsplätzen

    • Angaben aus Datenbanken

    Zu beachten ist, dass bei der Ermittlung von Gefährdungen keine bestimmten Anforderungen an das Ausmaß oder die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Gesundheitsschadens oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung gestellt werden.

  3. 3.

    Bewerten der Gefährdungen

    Die ermittelten Gefährdungen sind dahingehend zu bewerten, ob Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit gewährleistet sind. Grundlage für die Bewertung sind Vorschriften und rechtliche Vorgaben, in denen Bewertungsmaßstäbe in Form von Grenzwerten und Schutzzielen zu finden sind.

    Darüber hinaus kommen der Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Arbeitshygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse in Frage. Diese sind beispielsweise in Veröffentlichungen der Unfallversicherungsträger, der Länder sowie der BAuA zu finden.

    Der Unternehmer muss bei fehlenden Bewertungsmaßstäben eigene betriebliche Maßstäbe entwickeln. Grundlage dafür können folgende Aspekte sein:

    • Art, Ausmaß, Dauer und Häufigkeit, einer Gefährdung oder Belastung ausgesetzt zu sein

    • gefahrbringende Bedingungen, durch die eine Gefährdung bei der Arbeit wirksam werden kann (zum Beispiel Umgebungsbedingungen, Zeitdruck, Arbeitsübergabe im Schichtbetrieb, Unordnung, Verschleiß, Arbeitsabläufe bzw. -prozesse)

    • Fähigkeit der Beschäftigten, eine Gefährdung oder Belastung zu erkennen

    Fehlt dem Unternehmer die Fachkunde zur Bewertung der ermittelten Gefährdungen, muss die Unterstützung von der Fachkraft für Arbeitssicherheit, dem Betriebsarzt bzw. der Betriebsärztin oder von anderen Fachleuten eingeholt werden.

    Folgende Bewertungsergebnisse sind möglich:

    1. 1.

      Der Bewertungsmaßstab ist nicht eingehalten.

      • Das Ergebnis der Bewertung erfordert unverzüglich Maßnahmen

      • Es besteht eine unmittelbare Gefahr mit Auswirkung für die Gesundheit, zum Beispiel Absturz an ungesicherten Absturzkanten. Es müssen unverzüglich geeignete Maßnahmen zur Beseitigung bzw. Reduzierung der Gefährdung ergriffen werden.

      • Das Ergebnis der Bewertung erfordert Maßnahmen. Es besteht eine Gesundheitsgefährdung, zum Beispiel durch unzureichende Lüftung, Raumtemperatur, Beleuchtung. Geeignete Maßnahmen zur Beseitigung bzw. Reduzierung der Gefährdung müssen ergriffen werden.

    2. 2.

      Der Bewertungsmaßstab ist eingehalten.

      • Das Ergebnis der Bewertung erfordert keine Maßnahmen.

    Unabhängig von den Bewertungsergebnissen ist stets eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit anzustreben.

  4. 4.

    Festlegen konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen

    Die Ergebnisse der Bewertungen bilden die Basis für das Festlegen der erforderlichen konkreten Maßnahmen.

    Dabei sind die Maßnahmen unter Berücksichtigung der Grundsätze von § 4 ArbSchG so festzulegen, dass vorhandene Gefährdungen für das Leben sowie für die physische und die psychische Gesundheit vermieden werden. Verbleibende Gefährdungen sind möglichst gering zu halten. Substitution und Gefahrenbeseitigung bzw. -vermeidung an der Quelle haben stets Vorrang vor technischen Lösungen, organisatorischen Regelungen und personenbezogenen Arbeitsschutzmaßnahmen.

    Entsprechend ist beim Festlegen von Maßnahmen die folgende Maßnahmenhierarchie zu berücksichtigen:

    1. 1.

      Gefährdungen sind möglichst zu vermeiden, an den Quellen zu beseitigen oder zu reduzieren.

    2. 2.

      Ist dies nicht möglich, sind die Gefährdungen durch technische Maßnahmen zu beseitigen oder zu reduzieren.

    3. 3.

      Sind technische Maßnahmen nicht möglich, sind die Gefährdungen durch organisatorische Maßnahmen zu beseitigen oder zu reduzieren.

    4. 4.

      Sind organisatorische Maßnahmen nicht möglich, sind die Gefährdungen durch persönliche Schutzmaßnahmen zu vermeiden oder zu reduzieren (zum Beispiel durch den Einsatz von persönlicher Schutzausrüstung).

    Die vorgenannten Maßnahmen sind ggf. durch Qualifikation der Betroffenen zu ergänzen.

    Maßnahmen sind so zu planen, dass Technik, Organisation und Personenbezug aufeinander abgestimmt und sachgerecht verknüpft sind. Dringlichkeit, zeitliche und praktische Durchführbarkeit sowie Akzeptanz bei den Beschäftigten sollten in die Überlegungen miteinbezogen werden.

    Eine Abstimmung bei der Festlegung von Maßnahmen ist bedarfsweise erforderlich, wenn zum Beispiel

    • Beschäftigte mehrerer Arbeitgeber zeitgleich oder nacheinander in derselben Arbeitsumgebung tätig sind,

    • Beschäftigte mehrerer Arbeitgeber Arbeitsmittel gemeinsam nutzen oder

    • durch Teams oder Arbeitsschichten eines Arbeitgebers Gefährdungen entstehen.

    Nach Möglichkeit sind zur Festlegung von Maßnahmen Alternativen aufzuzeigen, um betriebsbezogene und der konkreten Gefährdung angemessene Entscheidungen zu ermöglichen und die Akzeptanz bei den Beschäftigten zu erhöhen.

  5. 5.

    Durchführen der Maßnahmen

    Anhand der Bewertungsergebnisse ist die Durchführung aller Maßnahmen zu priorisieren.

    Oberste Priorität bei der Umsetzung haben die Maßnahmen, bei denen die Gefährdungen mit den höchsten Eintrittswahrscheinlichkeiten und dem höchsten Schadensausmaß (höchstes Risiko) beseitigt werden. Monetäre Überlegungen oder Fragen der Personalressourcen dürfen hierbei keine Rolle spielen.

    Bei der weiteren Umsetzung von Maßnahmen sollte in der Reihenfolge vorgegangen werden, dass der Mittel- und Ressourceneinsatz die besten Schutzwirkungen entfaltet.

    Für die Durchführung der Maßnahmen sind Verantwortliche zu bestimmen und Fristen festzulegen.

    Bei umfangreichen Maßnahmen sollte zudem eine Ablaufplanung erstellt werden, in der zum Beispiel Übergangsmaßnahmen, Meilensteine und andere Beteiligte genannt werden.

    Es ist dafür zu sorgen, dass die durch die Umsetzung der Maßnahmen erreichten Verbesserungen im Arbeitsschutz von Verantwortlichen und Beschäftigten aufrechterhalten werden.

  6. 6.

    Überprüfen der Wirksamkeit der Maßnahmen

    Die Umsetzung und die Wirksamkeit der festgelegten Maßnahmen sind zu überprüfen. Die Prüfung kann zum Beispiel durch Beobachten, Messen oder Befragen erfolgen. Dabei ist festzustellen, inwieweit die Maßnahmen umgesetzt wurden und dazu geführt haben, die Gefährdungen zu beseitigen bzw. hinreichend zu reduzieren. Es ist auch festzustellen, ob durch die Umsetzung der Maßnahmen neue Gefährdungen entstanden sind. Das Ergebnis ist zu dokumentieren.

    Die Überprüfung der Wirksamkeit muss zeitnah nach der Maßnahmenumsetzung erfolgen.

    Soweit es die betrieblichen Gegebenheiten erlauben, empfiehlt es sich, die Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen durch eine zweite geeignete Person durchführen zu lassen.

  7. 7.

    Fortschreiben der Gefährdungsbeurteilung

    Zu einem systematischen Arbeitsschutzhandeln gehört es, die Gefährdungsbeurteilung kontinuierlich fortzuschreiben. Das bedeutet, die Gefährdungsbeurteilung aktuell zu halten und Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses weiter zu entwickeln.

    Anlässe können zum Beispiel sein:

    • Hinweise auf nicht erkannte Gefährdungen

    • Beinaheunfälle, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten

    • Änderungen in der Arbeitsorganisation und von Prozessabläufen

    • Neue Arbeitsschutzvorschriften und Informationen zum Arbeitsschutz

    • Personalveränderungen

    • Fehlzeiten mit erkennbarem Bezug zu Arbeitsorganisation und Prozessabläufen

    • Umgestaltung von Arbeits- und Verkehrsbereichen

    • Neuanschaffung von Maschinen und Geräten

    • Einführung neuer Arbeitsstoffe, Arbeitsverfahren, Produkte und Dienstleistungen

    Anlassunabhängig sollte die Gefährdungsbeurteilung in regelmäßigen Zeitabständen überprüft werden. Dies sollte mindestens jährlich erfolgen, so dass insbesondere eine geeignete Grundlage für die regelmäßig, mindestens jedoch jährlich durchzuführende Unterweisung gegeben ist.

B Dokumentation

Die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung nach § 6 Arbeitsschutzgesetz erfordert keine bestimmte Art von Unterlagen. Sie kann in Papierform oder auch in Form einer elektronischen Speicherung von Daten erstellt werden. Mindestens zu dokumentieren ist:

  • Bewertung der Gefährdungen

  • Festlegung konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen einschließlich Terminen und Verantwortlichen

  • Durchführung der Maßnahmen und Überprüfung der Wirksamkeit

  • Datum der Erstellung/Aktualisierung

Die Anforderungen an eine Dokumentation können darüber hinausgehen, wenn außer dem Arbeitsschutzgesetz weitere Rechtsnormen wie zum Beispiel die Gefahrstoffverordnung, die Arbeitsstättenverordnung oder Biostoffverordnung zu berücksichtigen sind.

Darüber hinaus empfiehlt es sich, nachfolgende Aspekte bei der Dokumentation zu berücksichtigen:

  • Handhabbarkeit und Übersichtlichkeit sollten im Vordergrund stehen, um die Anwendung und das Fortschreiben zu erleichtern. Die betriebliche Realität sollte abgebildet sein, so dass erkennbar wird, welche Bereiche und Tätigkeiten berücksichtigt wurden.

    Für Dritte bzw. für Aufsichtsdienste muss insbesondere erkennbar und nachvollziehbar sein, inwieweit Beurteilungssystematik, Vollständigkeit und Aktualität gewährleistet sind.

  • Bei nicht stationären Arbeitsplätzen empfiehlt es sich, neben einer grundlegenden auch eine ergänzende Gefährdungsbeurteilung zu erstellen, in der örtliche Bedingungen, zum Beispiel auf einer Baustelle, ihre Berücksichtigung finden.

  • Die Dokumentation kann auch mitgeltende Unterlagen beinhalten, auf die verwiesen wird, zum Beispiel Prüfprotokolle, Unterweisungsnachweise, Betriebsanweisungen. Mitgeltende Dokumente dienen der Vervollständigung der Dokumentation.

  • Hinsichtlich des Umfangs und der Ausführung der Dokumentation kann bei kleinen Betrieben mit 10 oder weniger Beschäftigten eine einfache Form der Dokumentation zulässig sein. Dies liegt vor, wenn zum Beispiel eine Handlungshilfe eines UVT oder einer staatlichen Arbeitsschutzbehörde angewendet wird.

Dokumentationen auf elektronischer Basis und in Schriftform sind gleichwertig. Die Überprüfbarkeit der Gefährdungsbeurteilung durch die Aufsichtspersonen der UVT und der Behörde muss aber jederzeit gewährleistet sein. Fotos, Videos oder Audioaufzeichnungen können zur Dokumentation betrieblicher Gefährdungen und/oder Maßnahmen herangezogen werden.

Deutsche Gesetzliche
Unfallversicherung e.V. (DGUV)

Glinkastraße 40
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Telefon: 030 13001-0 (Zentrale)
Fax: 030 13001-9876
E-Mail: info@dguv.de
Internet: www.dguv.de

In Anlehnung an Abb 1. "Prozess der Gefährdungsbeurteilung" in: LASI-Veröffentlichung LV59, Handlungsanleitung zur Überprüfung der Gefährdungsbeurteilung, Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik, Urheberrechte der Originalabbildung bei: Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen - MAGS, mit freundlicher Genehmigung