DGUV Information 212-003 - Messsysteme zur Bestimmung der individuellen Schutzwirkung von Gehörschutz

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Abschnitt 8.2 - 8.2 Beurteilung auf Basis der Schalldämmwerte aus der Baumusterprüfung

8.2.1
Allgemein

Bei diesem Ansatz wird nur die Wirkung des Gehörschützers untersucht, ohne Berücksichtigung des Arbeitsplatzes, an dem er eingesetzt wird.

Typischerweise werden die Schalldämmwerte, die zur Gehörschutz-Auswahl verwendet werden, mit einem Vertrauensniveau von 84 % berechnet (d.h. einem Wert von α = 1 nach DIN EN ISO 4869-2:1995). So erhält man z. B. die APV-Werte in Oktavbändern aus Mittelwert minus Standardabweichung und für die HML- bzw. SNR-Werte werden die APV84-Werte verwendet. Das bedeutet, dass die angegebenen Werte von 84 % aller Benutzer und Benutzerinnen erreicht oder überschritten werden, während die übrigen 16 % niedrigere Werte aufweisen. Dies muss beim Vergleich von individuellen Schalldämmwerten mit den Ergebnissen der Baumusterprüfung berücksichtigt werden.

Betrachtet man hingegen α = 2, erhält man ein Vertrauensniveau von 98 %. Für die APV-Werte ist diese Größe einfach durch Mittelwert minus zweimal Standardabweichung gegeben. Für HML- und SNR-Werte ist eine umfangreichere Berechnung nötig (siehe DIN EN ISO 4869-2:1995).

Ein weiterer Aspekt ist die Frage, ob die individuellen Dämmwerte nur einen Mindestwert erreichen müssen (z. B. den APV98) oder ob sie in einem Korridor von Zielwerten liegen müssen. Damit lassen sich auch unnötig hohe Dämmwerte (Überprotektion) ausschließen.

Dazu kann ähnlich zur Untergrenze mit einem α = 2 eine obere Grenze mit α = -2 (d.h. ein Vertrauensniveau von 2 %) definiert werden.

8.2.2
Oktavbandwerte

Bei den meisten verfügbaren Systemen, die Dämmwerte messen, werden die Daten in Frequenzbändern ermittelt. Dabei kann die Anzahl der Frequenzen bei den Systemen unterschiedlich sein. Die ermittelten Werte können mit geeigneten Bezugswerten verglichen werden (siehe Abschnitt 8.2.1). Leckagen sind hauptsächlich in den tiefen Frequenzen sichtbar.

Zusätzlich kann auch ein graphischer Vergleich hilfreich sein, weil damit der gesamte Frequenzbereich auf einmal einsehbar ist. Dadurch lassen sich Ausreißer, die auf Fehlmessungen hinweisen können, bei einzelnen Frequenzen besser identifizieren. Die Graphik sollte die individuellen Werte und die Zielwerte (als Grenzwert oder als Korridor) enthalten. Dabei ist ein Vertrauensniveau von 84 bzw. 98 % zu wählen. Abbildung 2 zeigt ein Beispiel für eine solche graphische Darstellung.

Je mehr Frequenzen, insbesondere im tieffrequenten Bereich, gemessen werden, umso genauer ist die Beurteilung des Gehörschützers möglich. 500 Hz sollte auf jeden Fall mitgemessen werden, besser aber auch 250 Hz, da sonst nur extreme Leckagen nachweisbar sind. Insbesondere wenn erhöhte Anforderungen an die Signalhörbarkeit gestellt werden, ist die Dämmung im tieffrequenten Bereich wesentlich. In solchen Fällen ist eine Messung, die 250 Hz und wenn möglich auch 125 Hz einschließt, zu empfehlen. [9]

Einige Systeme bieten einen sog. Schnelltest mit nur einer Frequenz, meist bei 500 Hz. Dies erlaubt aber nur eine grobe Abschätzung der Schalldämmung, vor allem für subjektive Messverfahren, da hier die Messunsicherheit größer ist. Im Prinzip kann der gemessene Wert mit dem Zielwert aus der Baumusterprüfung im entsprechenden Frequenzband verglichen werden (Vertrauensniveau 84 bzw. 98 %). Wenn aber aus diesem einen Wert die Schalldämmung über den gesamten Frequenzbereich (ähnlich dem SNR-Wert) abgeschätzt werden soll, ist die Unsicherheit noch größer. Es gibt meist schon eine Korrelation zwischen einzelnen Frequenzbändern und Einzahlwerten wie den HML- und SNR-Werten, aber der genaue Zusammenhang hängt von der konkreten Frequenzabhängigkeit der Schalldämmwerte ab und ist daher für jeden Gehörschützer unterschiedlich. [10]

8.2.3
HML- und SNR-Werte

Einige Systeme geben für die individuelle Messung Einzahlkennwerte aus, die analog zu den HML- und SNR-Werten aus der Baumusterprüfung berechnet werden. Üblich ist der PAR (personal attenuation rating), der in den meisten Fällen wie der SNR-Wert aus den gewichteten Oktavwerten berechnet wird (siehe auch Abschnitt 2).

Anmerkung: In den USA werden Dämmwerte nach der Norm ANSI S12.68-2007 berechnet, so dass der PAR-Wert für manche Messsysteme auf der NRSA (Noise Level Reduction Statistic for Use with A-Weighting) basiert. In diesem Fall kann der individuelle Dämmwert direkt vom A-bewerteten Schallpegel am Arbeitsplatz abgezogen werden (im Gegensatz zum SNR-Wert). [11]

Diese Werte können direkt mit den HML- und SNR-Werten aus der Baumusterprüfung verglichen werden, wobei beachtet werden muss, dass die Baumusterwerte auf einem Vertrauensniveau von 84 % basieren. Wenn ein Vertrauensniveau von 98 % betrachtet werden soll, ist eine zusätzliche Berechnung nötig.

Wenn das Messsystem nur Daten in Oktavbändern liefert, muss der Anwender die individuellen Entsprechungen zu HML- und SNR-Werten selbst berechnen.

Um Leckagen sichtbar zu machen, die sich am deutlichsten in den tiefen Frequenzen zeigen, ist der L-Wert am besten geeignet, da die anderen Werte (H, M und SNR) von den Dämmwerten im mittleren und hochfrequenten Bereich dominiert werden und daher weniger sensitiv auf die Dämmwerte unterhalb von 1000 Hz sind.

Falls das Messsystem nicht den gesamten Frequenzbereich von 125 bis 8000 Hz umfasst, können trotzdem HML- und SNR-Werte berechnet werden, indem in den Berechnungsvorschriften der DIN EN ISO 4869-2:1995 nur die vorliegenden Frequenzbänder berücksichtigt werden. Die so erhaltenen individuellen Werte müssen natürlich mit entsprechenden Größen aus der Baumusterprüfung verglichen werden, d.h. die Berechnung für den eingeschränkten Frequenzbereich muss für die Werte der Baumusterprüfung ebenfalls durchgeführt werden.

8.2.4
Beispiel für die Beurteilung einer audiometrischen Messung

Anhand einer audiometrischen Messung sollen die oben beschriebenen Beurteilungsverfahren illustriert werden. Die verschiedenen Ansätze lassen sich genauso auf Schalldämmwerte anwenden, die mit audiometrie-ähnlichen Verfahren, f-MIRE oder dem Lautstärkevergleich ermittelt wurden.

Auswertung bei Betrachtung der Einzelfrequenzen

Ausgangspunkt sind für eine audiometrische Messung die zwei Hörschwellen mit und ohne Gehörschutz. Daraus berechnen sich die individuellen Dämmwerte. Tabelle 4 und Tabelle 5 enthalten zwei Datensätze von den Messungen desselben Gehörschützers, die im Folgenden ausgewertet werden. Die tiefste, in diesen Beispielen betrachtete Frequenz ist 250 Hz.

Tabelle 6 enthält die Schalldämmwerte der Baumusterprüfung für den betrachteten Gehörschützer. Aus Mittelwert und Standardabweichung wurden der APV84 und APV98 berechnet sowie die entsprechenden Größen für die oberen Schranken.

Tabelle 4:
Individuelle Schalldämmwerte aus audiometrischer Messung, Beispiel 1

Frequenz in Hz2505001000200040008000
Hörschwelle ohne Gehörschutz in dB055055
Hörschwelle mit Gehörschutz in dB202530303040
Dämmwert in dB202025302535

Tabelle 5:
Individuelle Schalldämmwerte aus audiometrischer Messung, Beispiel 2

Frequenz in Hz2505001000200040008000
Hörschwelle ohne Gehörschutz in dB055055
Hörschwelle mit Gehörschutz in dB51520202530
Dämmwert in dB51015202025

Tabelle 6:
Schalldämmwerte der Baumusterprüfung für den in Tabelle 4 und Tabelle 5 getesteten Gehörschutz (MW: Mittelwert, SD: Standardabweichung). Für den Vergleich mit den Dämmwerten aus Tabelle 4 und Tabelle 5 sind nur die Dämmwerte ab 250 Hz relevant.

Frequenz in Hz1252505001000200040008000
Mittelwert in dB17,519,121,022,123,923,321,1
Standardabweichung in dB3,03,13,63,43,34,75,1
MW - 1SD (APV84) in dB 14,516,017,418,720,618,616,0
MW - 2SD (APV98) in dB 11,512,913,815,317,313,910,9
MW + 1SD in dB20,522,224,625,527,228,026,2
MW + 2SD in dB23,525,328,228,930,532,731,3

In Abbildung 2 sind die Werte aus Beispiel 1 mit den Ergebnissen der Baumusterprüfung graphisch dargestellt. Der Zielbereich für die individuellen Dämmwerte wäre zwischen den beiden äußeren, hellgrauen Linien. Werte, die außerhalb liegen, sind nur mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit mit den Ergebnissen der Baumusterprüfung vereinbar. Generell ist natürlich bei auffälligen Werten zu prüfen, ob die beiden gemessenen Hörschwellen plausibel erscheinen. Im vorliegenden Fall ist kein Dämmwert zu niedrig, so dass keine Leckage vorliegt. Die leichte Überschreitung des maximal angestrebten Wertes bei 8000 Hz ist als unkritisch zu betrachten. Generell kann der Wert bei 8000 Hz für die Beurteilung der Schutzwirkung außer Acht gelassen werden, da in diesem Bereich kein Einfluss der Passform auf die Schalldämmung zu erwarten ist, der nicht auch bei tieferen Frequenzen sichtbar wäre.

Abbildung 3 zeigt die Daten aus Beispiel 2 im Vergleich zur Baumusterprüfung. Dabei fällt auf, dass die Werte bei 250 und 500 Hz deutlich außerhalb des Zielbereichs liegen. Es ist daher davon auszugehen, dass eine Leckage vorliegt und der Sitz bzw. die Dämmwirkung nicht ausreichend ist. Wenn sich bei einer Wiederholung der Messung auch nach erneutem, sorgfältigem Einsetzen ähnliche Werte ergeben, sollte ein anderer Gehörschutz gewählt oder, im Fall einer Gehörschutz-Otoplastik, ein neues Produkt angefertigt werden.

Auf den Internet-Seiten des IFA findet sich eine Webanwendung, die nach Eingabe der individuellen Hörschwellen und der Werte der Baumusterprüfung die entsprechenden Berechnungen durchführt und eine Graphik analog zu Abbildung 2 erstellt (www.dguv.de, Webcode d1181763).

g_bu_57_as_7.jpg

Abb. 2
Graphische Darstellung der Zahlenwerte aus Tabelle 4 und Tabelle 6 zum Vergleich der individuellen Dämmwerte (IndD) mit den Werten der Baumusterprüfung.

g_bu_57_as_3.jpg

Abb. 3
Graphische Darstellung der Zahlenwerte aus Tabelle 5 und Tabelle 6 zum Vergleich der individuellen Dämmwerte (IndD) mit den Werten der Baumusterprüfung.

Verwendung des L-Wertes als Entscheidungsgröße

Falls keine graphische Darstellung gewünscht oder möglich ist, können Einzahlkennwerte zur Beurteilung verwendet werden. Bei der Kontrolle auf Leckagen bietet sich hier der L-Wert an. Die Berechnung im Folgenden erfolgt dabei nach dem Verfahren der DIN EN ISO 4869-2:1995. Der L84 entspricht dem L-Wert aus der Benutzerinformation für den kompletten Frequenzbereich. Für den individuellen L-Wert und den L98 muss die Berechnung aber jeweils vom Benutzer bzw. der Benutzerin durchgeführt werden. Die oben genannte Webanwendung des IFA erlaubt auch die Berechnung des individuellen L-Werts und des L98 für die jeweils gemessenen Frequenzen.

Für die Beurteilung anhand des L-Wertes sollten mindestens vier Frequenzen nicht höher als 2 kHz (z. B. 250 Hz, 500 Hz, 1 kHz und 2 kHz) verfügbar sein, da sonst die Aussagekraft zu gering ist. Bei weniger als vier Frequenzen sollte auf eine Beurteilung anhand der einzelnen Frequenzen, wie oben gezeigt, zurückgegriffen werden. [12]

Tabelle 7 zeigt die berechneten L-Werte für das erste Beispiel im Frequenzbereich von 250 bis 8000 Hz. Das individuelle Ergebnis liegt mit 22 dB deutlich über dem L98 von 14 dB, so dass die individuelle Schalldämmung mit der Baumusterprüfung vereinbar ist. Dies ist in Übereinstimmung mit der graphischen Beurteilung aus Abbildung 2.

Tabelle 7: Berechnete L-Werte für die Daten in Tabelle 4 und Tabelle 6. Berechnung nach DIN EN ISO 4869-2:1995 für den Frequenzbereich von 250 bis 8000 Hz.

Individueller L-Wert in dB22
L84 aus Baumusterprüfung in dB 18
L98 aus Baumusterprüfung in dB 14

Für Bespiel 2 ergibt sich jedoch nur ein L-Wert von 9 dB, siehe Tabelle 8. Somit wird der L98 sicher nicht erreicht und es ist von einer Leckage auszugehen.

Tabelle 8: L-Werte für die Daten in Tabelle 4 und Tabelle 6 im Frequenzbereich von 250 bis 8000 Hz.

Individueller L-Wert in dB9
L84 aus Baumusterprüfung in dB 18
L98 aus Baumusterprüfung in dB 14

8.2.5
Beispiel für die Beurteilung einer Messung mit der f-MIRE-Technik

Der PAR wird in der Regel direkt über eine Software berechnet. Der PAR-Wert wird mit einer Unsicherheit angegeben, siehe Abschnitt 9. Für den Vergleich mit Zielgrößen wird in diesem Beispiel die Unsicherheit vom Messwert abgezogen. Für die Gesamtbeurteilung wird der niedrigere Wert der beiden Ohren herangezogen, siehe Abbildung 4.

g_bu_57_as_2.jpg

Abb. 4
Beispielhafte Testergebnisse eines handelsüblichen f-MIRE Systems und der Vergleich mit Zielwerten für die Schalldämmung (z. B. SNR-Wert aus der Baumusterprüfung)