DGUV Information 206-026 - Psychische Belastung - der Schritt der Risikobeurteilung Fachinformation für die Prävention

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Abschnitt 4 - 4 Psychische Belastung beurteilen  3)

ccc_3686_02.jpgAus der Praxis ...
In einer standardisierten Beschäftigtenbefragung wurde ermittelt, dass ein Fünftel der Beschäftigten der Logistik-abteilung gelegentlich eine hohe Arbeitsintensität erleben. Bei einer ergänzenden Erhebung von Beanspruchungsfolgen im Rahmen der Befragung gaben wenige Beschäftigte der Abteilung häufige Schlafstörungen an, eine mögliche mittel- bis langfristige Folge dauerhafter Überforderung. Bei der Diskussion der Ergebnisse im Arbeitsschutzausschuss entbrannte eine Diskussion um die Frage, ob der Arbeitsbereich sich dem Thema "Arbeitsintensität" umgehend widmen müsste, oder ob die Tatsache, dass vier Fünftel Beschäftigte mit der Quantität der übertragenen Arbeitsaufgaben gut zurechtkamen, nicht eigentlich ein Hinweis darauf sei, dass eben auch leistungsschwächere Beschäftigte Teil des Teams seien. Dies sei normal und außerdem ist auch nicht geklärt, ob es genau die Beschäftigten sind, die auch Schlafstörungen erleben.

Auch in dem Beispiel zeigt sich, dass nach der erfolgten Datenerhebung beim Mitglied oft Fragen auftauchen: Wann wird eine bestimmte Belastungsausprägung zu einer Gefährdung für Sicherheit oder Gesundheit? Wann sind Maßnahmen für die gesamte Belegschaft oder für einzelne Beschäftigte zu ergreifen?

Die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie beschreibt drei Möglichkeiten zur Beurteilung der psychischen Belastung (siehe Abbildung 4). Diese Empfehlungen finden sich in unterschiedlichen Abschnitten dieser Fachinformation wieder, die gemäß der Technischen Regel für Arbeitsstätten ASR V3 "Gefährdungsbeurteilung", Punkt 5.3.1 Ermittlung von Beurteilungsmaßstäben aufgebaut ist.

In den nachfolgenden Abschnitten werden die einzelnen Beurteilungsmaßstäbe aus der ASR V3 und den GDA Empfehlungen für ihre Anwendung in der Praxis genauer erörtert und mit Beispielen unterlegt.

Wenn die Aufsichtsperson berät, hat sie die Aufgabe den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen Vorrang bei der Ableitung von Maßnahmen einzuräumen und in den Betrieben entsprechend zu beraten.

In der Praxis stellt es sich so dar, dass die Übergänge der Beurteilungsmaßstäbe in den Betrieben fließend sind. Die einzelnen Vorgehensweisen ergänzen sich. Ein Beispiel hierfür soll im Folgenden dargestellt werden.

Liegt z. B. ein Grenzwert in einer Technischen Regel vor ist dieser einer anderslautenden Beurteilung, die von Beschäftigten im Workshop getroffen wurde, vorzuziehen, wie folgendes Beispiel zeigt.

Empfehlung der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie
  1. 1.

    Nutzung von Instrumenten, die Kriterien oder "Schwellenwerte" für gesundheitlich relevante Ausprägungen der erfassten psychischen Belastung enthalten: Ob die ermittelte psychische Belastung Maßnahmen erforderlich macht oder nicht, ist hier durch entsprechende Vorgaben im Instrument bzw. auf der Grundlage arbeitswissenschaftlich begründeter Kriterien festgelegt. Gestaltungsbedarf wird bei solchen Instrumenten zum Beispiel dann angezeigt, wenn kritische Kombinationen von Belastungen ermittelt wurden oder wenn einzelne Belastungsausprägungen einen im Verfahren festgelegten kritischen Wert übersteigen. Der Gestaltungsbedarf wird manchmal auch mehrstufig festgelegt (zum Teil symbolisiert mit Ampelfarben).

  2. 2.

    Nutzung von empirischen Vergleichswerten: Sofern verfügbar, können zur Beurteilung auch betriebsinterne oder externe empirische Vergleichswerte genutzt werden, etwa aus der Berufsgruppe, aus Betrieben derselben Branche oder aus anderen Organisationseinheiten des Unternehmens. Bei diesem Verfahren weisen auffällige Abweichungen der ermittelten Belastung vom gewählten Vergleichswert auf Gestaltungserfordernisse hin. Solche Vergleiche sind insbesondere beim Einsatz standardisierter Mitarbeiterbefragungen möglich. Für manche Befragungsinstrumente gibt es Datenbanken mit (externen) Vergleichswerten.

  3. 3.

    Beurteilung im Workshop: Hier besprechen und beurteilen Beschäftigte, Führungskräfte und die betriebliche Interessensvertretung gemeinsam mit fachkundigen internen oder externen Experten, ob angesichts der ermittelten Belastung Gestaltungsmaßnahmen erforderlich sind oder nicht. Eine solche Vorgehensweise empfiehlt sich insbesondere dann, wenn auch die psychische Belastung schon in Workshops ermittelt wurde. Aber auch Ergebnisse schriftlicher Mitarbeiterbefragungen und von Arbeitsplatzbeobachtungen können sinnvoll in Workshops erörtert und beurteilt werden.

Abb. 4
(Quelle: Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung, Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA), 2018, S.11.)

ccc_3686_02.jpgAus der Praxis ...
In einer größeren Stadtverwaltung ist die KFZ-Zulassungsstelle zentral in einem Großraumbüro organisiert. Der tägliche Andrang an Bürgerinnen und Bürgern ist sehr hoch. Auch aufgrund von Personalengpässen wegen Langzeiterkrankungen kommt es zu langen Wartezeiten, was eine gereizte Atmosphäre schafft. Der Geräuschpegel ist bedingt durch die vielen Menschen, parallelen Gespräche, Telefonate und baulich ungünstigen Bedingungen insgesamt sehr hoch.

Mit den Beschäftigten wurde ein Workshop zur Ermittlung der psychischen Belastung durchgeführt. Bei der Beurteilung einzelner psychischer Faktoren wurde die Gefährdung durch Übergriffe am Arbeitsplatz, Personalmangel und Raumnot als sehr hoch eingestuft. Den Lärm stuften die Beschäftigten als eine geringere Gefährdung ein.

Im Arbeitsschutzausschuss weist die Fachkraft für Arbeitssicherheit darauf hin, dass bei den Tätigkeiten in der KFZ-Zulassung, die gemäß der ASR 3.7 als Tätigkeitskategorie II eingestuft werden, der Beurteilungspegel von 70 dB(A) nicht überschritten werden darf. Nach einer orientierenden Messung habe sie festgestellt, dass dieser Wert regelmäßig übertroffen wird. Besonders Montagvormittags und bei Wechsel der Saisonkennzeichen würden Spitzenwerte erreicht. Ihrer Meinung nach müssten unbedingt Maßnahmen gegen die Lärmbelastung ergriffen werden. Der Bürgermeister zuckt mit den Achseln und meint, die Beschäftigten seien ja gefragt worden und die hätten kein Problem mit dem Lärm. Also sähe er keinen Handlungsbedarf.

Die Fachkraft für Arbeitssicherheit ist unsicher, ob die Einschätzung der Beschäftigten ausschlaggebend ist bei der Beurteilung von Gefährdungen. Mit dieser Frage wendet sie sich an Ihre zuständige Aufsichtsperson.

Die Ermittlung der Beurteilungsmaßstäbe wird gemäß der empfohlenen Vorgehensweise der Technischen Regel für Arbeitsstätten ASR V3 dargestellt.