DGUV Information 207-025 - Prävention von Gewalt und Aggression gegen Beschäftigte im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege Eine Handlungshilfe für Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen

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Abschnitt 3 - 3 Gefährdungen ermitteln und Risiken einschätzen

Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie auch ehrenamtlich Tätige vor tätlichen und verbalen Angriffen bei der Ausführung ihrer täglichen Aufgaben zu schützen ist eine gesetzliche Verpflichtung: Nach dem Arbeitsschutzgesetz müssen alle Gefährdungen am Arbeitsplatz beurteilt und die abgeleiteten Maßnahmen regelmäßig auf ihre Wirksamkeit überprüft werden.

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Die Atmosphäre wird mitbestimmt von der Kommunikationskultur innerhalb des Unternehmens - zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Klientinnen und Klienten wie auch ihren Angehörigen. Eine Unternehmenskultur, in der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Entscheidungen einbezogen werden, die ihren Arbeitsalltag betreffen, in der ein wertschätzendes und offenes Miteinander gelebt wird und Misserfolge zur Suche nach besseren Lösungen führen, kann eine deeskalierend wirkende Atmosphäre schaffen.

Klare Aussagen der Unternehmensführung zum Schutz der Würde und der Rechte der Beschäftigten helfen, zu enttabuisieren und Gewalt aktiv zu verhindern.

Die Gefährdungsbeurteilung erfordert eine systematische Vorgehensweise: Ausgehend von einer Bestandsaufnahme und Bewertung der Risiken werden geeignete Maßnahmen festgelegt sowie Verantwortliche und Fristen definiert. Der Erfolg der Maßnahmen wird regelmäßig evaluiert. Nur so können die Maßnahmen kontinuierlich an eventuell veränderte Situationen angepasst werden. Diese Prozessschritte müssen dokumentiert werden.

Für gesundheitlich bedenkliche Stoffe gibt es Grenzwerte. Für die Sicherheit von Geräten gibt es Normen. Doch für die Bedrohung durch gewalttätige Personen oder Belastungen durch Aggressionen, Beschimpfung oder sexuelle Belästigung existieren keine vergleichbaren Richtwerte. Dennoch müssen Sie diese Gefährdungen und Risiken für Ihren Betrieb ermitteln und beurteilen.

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ccc_3646_03.jpgMitarbeiterinnen und Mitarbeiter befragen
Um ein Bild davon zu bekommen, welche Gewalterfahrungen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tatsächlich machen, bieten sich persönliche Gespräche, Gruppendiskussionen oder auch anonyme Befragungen per Fragebogen an.

Erfahrungsgemäß zeigen die Ergebnisse, dass die Kollegen und Kolleginnen viel mehr erleben und hinnehmen als durch Verbandbucheinträge oder interne Unfallstatistiken dokumentiert ist.

Wenn die Themen Aggression, Gewalt und sexuelle Belästigung bisher nicht offen thematisiert wurden, besteht die Gefahr, dass die Beschäftigten sich dazu nicht äußern. Im Vorfeld von Befragungen ist es deshalb notwendig, dass über das Thema informiert wird und die Unternehmensleitung ihre Haltung zum Umgang damit offenlegt.

Beginnen Sie also mit einer Bestandsaufnahme: Welchen Risiken und Gefährdungen sind Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei ihrer Tätigkeit ausgesetzt? Schauen Sie sich die einzelnen Arbeitsbereiche an und beantworten Sie gemeinsam mit Ihren Beschäftigten die Fragen: Was kann passieren? Wie wahrscheinlich ist es, dass der Fall eintritt? Und: Wie schlimm kann es werden?

Ob Handlungsbedarf besteht, zeigt eine systematische Risikoanalyse aus den Faktoren Eintrittswahrscheinlichkeit und Folgenschwere. Besonders relevant wird dies, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alleine arbeiten.

Betrachten Sie zuerst die Art der vergangenen Ereignisse. Beziehen Sie Gewaltvorfälle, tätliche und verbale Bedrohungen, sexuelle Belästigungen sowie Beschimpfungen und Beleidigungen ein. Schätzen Sie anhand der Häufigkeiten ab, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie wieder eintreten.

Risikoeinschätzung und Handlungsbedarf

SchadensausmaßKeine gesundheitlichen FolgenBagatellfolgenMäßig schwere FolgenSchwere FolgenTödliche Folgen
Eintrittswahrscheinlichkeit
praktisch unmöglichextrem geringextrem geringsehr geringeher geringmittel
vorstellbarextrem geringsehr geringeher geringmittelhoch
durchaus möglichsehr geringeher geringmittelhochsehr hoch
zu erwartensehr geringmittelhochsehr hochextrem hoch
fast gewisssehr geringmittelsehr hochextrem hochextrem hoch

Quelle: Lehrmaterial für die Ausbildung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit der BAuA und der gewerblichen Berufsgenossenschaften

Besprechen Sie die Kategorien am besten mit Ihrem Team und finden Sie so die für die jeweiligen Arbeitsbereiche passenden Risikoeinschätzungen.

Schätzen Sie die möglichen physischen oder psychischen Folgen für direkt Betroffene, andere anwesende Kolleginnen und Kollegen ein.

Aus diesen Überlegungen heraus stimmen Sie mit der Belegschaft ab, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen. Da die betrieblichen Rahmenbedingungen in jeder Einrichtung individuell unterschiedlich sind, räumt Ihnen das Arbeitsschutzgesetz einen weiten Spielraum ein. Die Eigeninitiative, Kreativität und Eigenverantwortung von Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind gefragt. Mit der Beurteilung dieses Themas haben Sie einen Teil der Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastung geschafft.

ccc_3646_03.jpgBetriebliche Interessenvertretung und Beschäftigte einbinden
Die betriebliche Interessenvertretung hat ein Mitbestimmungsrecht bei Maßnahmen, die aus der Gefährdungsbeurteilung abgeleitet werden.